Götter, Engel, Dämonen und das Meer von Diracdet (Teil 5 des Detektiv Conan-Noir Crossovoers) ================================================================================ Kapitel 17: A secret makes a woman woman ---------------------------------------- Hallo an alle Lesenden, wie immer zunächst ein großes Dankeschön für die Kommentare!^^ Was die Frage nach Rans Aktion am Ende angeht, ich überlasse es euch, aus den vorhandenen Informationen, etwas zu interpretieren, oder auch nicht... ;p So, bis auf ein paar Kleinigkeiten, die im nächsten und übernächsten Kapitel noch geklärt werden, ist nun der Neptunia-Fall abgeschlossen. Denn nun... *zitter* kommt das Kapitel, auf das ich von Beginn dieser FF-Reihe bis jetzt drauf zu gearbeitet habe. Daher an dieser Stelle schon mal meine herzlichen Glückwünsche, wer die bis hierher die... 59 Kapitel mit über 230000 Wörtern durchgehalten hat. ^__________^ Meine... Vermouththeorie, um den Fachbegriff zu benutzen... *gg* Gedanken hat sich ja jeder wohl schon mal zu dieser Frau gemacht, der ernsthaft sich mit DC beschäftigt, und es gehört auch irgendwo dazu, diese Spekulationen dann mal anzubringen. Wie ihr an der Kapitellänge seht, hab ich mir dafür auch Zeit gelassen. Und, damit ihr es nicht falsch versteht, bis auf ein paar kurze Rückblenden zu bestimmten Szenen und kleinen Einwürfen ist dieses Kapitel nur und ausschließlich ein Dialog zwischen Conan Edogawa und Vermouth. Eigentlich schon fast Monolog Conans... In diesem Sinne hoffe ich, gefällt euch, was ich mir zu der Frau mit den Tausend Gesichtern gedacht habe, alles weitere steht eh in Goshos Kopf/Schreibhand, und wünsche euch viel Spaß damit. Für Snacks ist gesorgt: Wir haben Kartoffelchips, mit und ohne Knoblauch sogar, Erdnussflips, Salzstangen, kleine Schokobonbons mit Keksfüllung (die geb ich eigentlich nur ungern raus *süchtig*), Gummitiere und natürlich alkoholfreie Getränke aller Art. Das sollte hoffentlich auch für die ganze Strecke des Kapitels reichen... ;] Viel Spaß beim lesen, bis nächste Woche. Viele liebe Grüße, Diracdet _______________________________________________________________________________ Kapitel 17: A secret makes a woman woman Innerlich schien ihr Herz vor Anspannung zerspringen zu wollen. Nein, nicht noch so ein Spießrutenlauf wie bei Ran. Nicht jetzt, nicht heute! Was auch immer Conan Edogawa oder Shinichi Kudo veranlasste, sie nun anzusprechen, sie fühlte sich dem gewappnet. 'Ich bin gewillt, deine Pfeile und Schleudern zu erdulden, denn ich weiß, dass du nicht gewinnen kannst. Du hast nichts gegen mich in der Hand. Gar nichts.' Einmal mehr atmete sie tief durch, spürte, wie die kalte Luft ihre erhitzten Organe erfrischte, mit diesen auch ihr Gemüt und so stellte sie sich gegen das Licht, wandte den Kopf leicht zur Seite um lächelnd in das Gesicht des Jungen blicken zu können, von dem sie eigentlich das unmögliche erwarten konnte. „Was willst du, Kleiner?“ „Wir müssen reden!“ So souverän auch ihre Reaktion war, so lange sie sie im voraus einstudierte, so sehr sie auch sich gewappnet fühlte, die kalte, fast harte Antwort, die ihr entgegen schlug, war in der Wirkung nicht zu übersehen. Als wollte sie der Welle, die sich dort an dieser Wand brach und zurück rollte, nicht so viel Angriffsfläche bieten, verschränkte sie die Arme vorm Körper und verzog ihr lachen zu einem breiten grinsen, dass durchaus etwas dämonisches in sich hatte. „Ich wüsste nicht, was es zu besprechen gebe. Und selbst wenn, aus welchem Grund sollte ich dir zuhören?“ Seine Miene verzog sich kein bisschen, auch wenn es in ihm intensiv arbeitete. Auch er hatte diesen Moment sehr, sehr lange geübt, immer wieder überdacht, Überlegungen neu angestellt. Alles nur, um nun den einen Anfangspunkt zu finden, der es ihm erlauben sollte den roten Faden zu einer ganzen Garnrolle zu spinnen. Das einzige, was ihn zögern ließ, war das Ende dieses Fadens. Er wusste es, bewegte mit seiner rechten Hand in der Hosentasche das Corpus Delicti, welches wie eine Schere bereit war, im entscheidenden Moment das Garn zu zerteilen. Das Garn... an dem vielleicht ihr Leben hing. All diese Gedanken hatten wie ein dunkles Damoklesschwert über seinem Kopf gehangen, seit dem Abend bei den Physikstudenten. War es richtig, es zu tun? Fing er jetzt an, würde es kein zurück mehr geben. Aber... es handelte sich um Vermouth und sie... hatte auch darauf ein Recht, er sogar eine Pflicht... „Interessiert es Sie also nicht, warum es damals passieren musste?“ Sie hielt einen Moment inne. Diese Aussage wirkte so ohne Bezug und in Anbetracht ihrer Lebensgeschichte vollkommen unzureichend. „Und warum alles so kam, wie es gekommen ist?“ Ein Lächeln auf ihren Lippen sollte die Souveränität andeuten, der sie sich immer noch sicher fühlte. Auch wenn sie längst wusste, auf welchen wunden Punkt ihrer Vergangenheit er den Finger legte. „Was geschehen ist, ist geschehen. Vergangenheit ist für mich nicht mehr relevant.“ „Ich weiß. Aber bei solchen Irrtümern, wie Sie sie begangen haben, ist das nur begreiflich.“ Das Lächeln verschwand schlagartig. „Welche Irrtümer?“ Ein eisiger Hauch durchzog ihren Körper, obwohl sie im schwarzen Kleid, so im Licht stehend eigentlich schreckliche Hitzewallungen verspüren müsste. Ja, sie wusste von einigen Irrtümern, aber... das war eben die Vergangenheit, die weder sie noch er ändern konnten und die er eigentlich auch nicht wieder beleben sollte. „Ach, doch interessiert?“ Nun musste er einen Moment innehalten. Zum einen, um sicher zu gehen, dass sie ihn jetzt wirklich ernst nahm, zum anderen, um den Anfang zu finden. Den Anfang... vom Ende. „Der Tod von Atsushi und Elena Miyano, Misses... Vineyard.“ Er betonte dieses vorletzte Wort extra, obwohl er das gar nicht mehr brauchte. Sie war natürlich hellhörig geworden, auch wenn sie es nicht wollte. Zu tief brannten die Narben von damals noch nach. Es gab nur eins, gleich in die Offensive gehen und mögliche Ideen ihres Gegenüber im Keim ersticken. „Ich habe die Nachricht, nach deinem Treffen mit Wodka im Tropical Land, schon verstanden, Shinichi. Aber du irrst dich: Ich habe sie nicht getötet, es war ein Unfall. Glaub mir.“ „Sicher, das habe ich auch ziemlich lange vermutet. Es scheint praktisch undenkbar, dass etwas anderes dahinter steckt. Ich meine, gehen wir die Möglichkeiten doch mal durch. Da es nach allgemeiner Meinung in der Organisation damals wirklich einen Vorfall gab um den Tod der beiden, gibt es nur drei Möglichkeiten: Unfall, Mord oder Selbstmord. Selbstmord, kurz nach der Geburt des zweiten Kindes, ist, denke ich, auszuschließen. Zumal es dafür einen Grund geben müsste, ein Motiv. Da beide gestorben sind, käme nur ihre Forschung als Grund in Frage, dass sie deswegen in einen Gewissenskonflikt gerieten, und diese Forschung wurde ja von der Organisation gefördert. Hätten sie damit ein Problem gehabt, hätten sie a, nicht ihre Töchter der Organisation überlassen und b, auch alle, absolut alle Unterlagen zu ihren Forschungen vernichtet, so dass selbst Sherry sie niemals hätte rekonstruieren können.“ Er ließ absichtlich eine kleine Lücke, wartete ab, gab ihr Zeit zuzustimmen. Es blieb ihr auch nichts anderes übrig, die Argumentation war klar. Ein schwaches, aber doch überzeugtes nicken kam schließlich als Reaktion. „Mord ist ein etwas umständlicheres Thema, da man ohne Kenntnis des Täters eine umfangreiche Fallunterscheidung vornehmen muss: Angenommen, die Organisation selbst hätte sie getötet, warum? Waren sie Verräter, dann entweder wegen ihrer Forschungen, oder etwas anderem. Hätte es nicht die Forschung betroffen, so ist weder verständlich, warum diese danach so lange stagnierte – es gibt doch wohl andere Wissenschaftler, die mit ihren Ergebnissen hätten etwas anfangen können, wenn es ein unter achtzehn jähriges Mädchen geschafft hat – noch, warum die Organisation zwar die beiden Verräter tötete, ihre Kinder am Leben ließ und sogar innerhalb der Organisationsgrenzen groß ziehen ließ. Also müsste es notgedrungen bedeuten, dass es um die Forschung ging und die Miyanos diese entweder sabotierten oder sie selbst keine Früchte trug. Diese Untersuchungen, welche die Organisation, insbesondere damals Pisco, für sehr wichtig hielten. In ersterem Fall aber sind wir wieder genau bei der Frage, wieso die Forschung zum einen so weit zurückgeworfen wurde und zum anderen dann niemand außen stehendes geholt wurde, sie zu vollenden. Ich meine, wenn die beiden die Ergebnisse manipulierten, braucht man nicht Detektiv zu sein, um zu erraten, dass dort durchaus einige interessante Resultate erzielt wurden. Im anderen Fall, also, die Organisation hätte sie getötet, weil ihre Forschung sich als nutzlos herausstellte, so macht es erst recht keinen Sinn, ihre Kinder am Leben zu lassen und aufzuziehen und schon gar nicht, dass Shiho diese Forschung wieder aufnehmen konnte. Nein, genau das, diese Wiederaufnahme beweist die eigentliche Bedeutung der Arbeit. Freiwillig hätte die Organisation diese nie aufgegeben. Sie hatte überhaupt keinen Grund. Das kann an dieser Stelle als sicher angesehen werden.“ Sie war es eigentlich gewöhnt, seine ewigen Schlussfolgerungen immer wieder zu hören, genoss teilweise sogar zu beobachten, wie sich ein einfacher Geist durch die Wirrungen des Lebens winden konnte und einem immer wieder aufzeigte, was man alles... denken konnte. Nur diesmal... diesmal war es anders. Nichtmal, weil es um sie selbst ging, diesen Aspekt blendete sie aus, um nicht in eine emotionale Falle zu tappen. 'Nein. Deine Argumentation führt doch zu nichts, es kommt genau auf das raus, was ich sagte. Ein Unfall. Was bezweckst du damit?' „Sprich, die Organisation als Mörder fällt aus. Sagen wir stattdessen, ein Außenstehender, jemand, der von der Organisation keine Ahnung hatte, aber etwas gegen die Miyanos, hätte sie getötet und es als Unfall aussehen lassen. Man könnte der Organisation dann nicht einmal einen Vorwurf machen, dass sie es nicht durchschaut hat. Es muss ja nur gut genug getarnt sein, auch wenn das eher eine Beziehung zur Organisation andeuten würde. Nur leider... gibt es keine solche Person außerhalb der Organisation.“ „Hm?“ Sie zuckte unmerklich zusammen. Zum ersten mal in diesem Monolog, so musste man es nennen, sprach er etwas an, was sie nicht wusste. Und schon schlug ihr Herz wieder einen Takt schneller. „Ich bin vor einiger Zeit einem Herrn Dejima begegnet, ein Freund von Atsushi Miyano, der ihn von vor dreißig Jahren mal kannte. Ich denke, Sie wissen davon, wegen der Wanzen im Haus des Professors damals kurz vor Ihrem Mordversuch an Ai.“ Er wartete ab, bis sie tatsächlich ganz leicht den Kopf senkte, um es abzunicken. Warum sie es tat, war ihr nicht mal ganz klar. Es war etwas in seinen Worten, so eine drohende Ankündigung, die sie zwang, die Geschichte zu Ende hören zu müssen. Und außerdem, anders als bei Ran, waren dies keine Vermutungen. Die Wanzen wurden alle gefunden, waren also Fakt, und ansonsten waren seine Schlussfolgerungen lückenlos. Sie verriet somit nichts, was nicht ohnehin unumstößlich feststand. Nur... war das immer noch keine Erklärung worauf er eigentlich hinaus wollte. „Miyano hatte ihm damals seine Wohnung vermietet und, nun ja, wäre er nicht mittlerweile verstorben, Herr Dejima würde heute noch diese Miete zahlen. An wen auch immer. Er wusste nicht mal, dass sein alter Freund und dessen Frau, sowie deren ältere Tochter, der er vor zwanzig Jahren begegnete, mittlerweile tot waren. Die Miyanos waren vollkommen in die Organisation integriert, hatten praktisch keinen Außenkontakt mehr gehabt, und das zum Zeitpunkt ihres Todes seit zwölf Jahren! Ein ziemlich langer Zeitraum, um noch auf einmal Rache zu nehmen, oder? Vor allem waren sie beide ja keine gefeierten Wissenschaftler in der Community. Also fällt zum Beispiel ein entsprechendes Rachemotiv wegen ihrer Arbeit schon kategorisch aus. Bliebe natürlich noch die Variante einer Einzelaktion einer Person aus der Organisation, ebenfalls aus einem, noch zu klärenden Groll gegen die Eltern von Akemi und Shiho. In diesem Fall handelt es sich bei dieser Person aber um einen echten Verräter, jemand, der trotz seines oder ihres Wissens um diese Leute so ein Risiko auf sich nahm. Jemand, der seitdem als geheimer Märtyrer unter ihnen lebt.“ „Ich bin keine Verräterin!“, platzte es jetzt aus ihr heraus. Sie brauchte einen Moment, um ihre Ruhe wieder zu finden. Da verdrehte er die Tatsachen doch ganz schön, wenn er sie so einfach als Mörderin hinstellen wollte. Und wie sie sich selbst die ganze Zeit über in Gedanken anschrie: Angriff ist die beste Verteidigung. „Mag sein, dass das alles so möglich ist, aber ausgehend von allem, was du erzählt hast, ist ein Unfall wohl doch die sinnvollste, wohl sogar die einzig sinnige Erklärung, Herr Detektiv. Ein trauriger Unfall, der die großen Arbeiten von Atsushi und Elena vernichtete, und denen die Organisation ihren Respekt zollte, indem sie die Kinder nicht auf sich gestellt ließ.“ „Sie kannten die beiden? Immerhin redeten Sie sie mit dem Vornamen an.“ „Ja sicher. Versuch nicht, mich zu täuschen, Shinichi. Ich weiß, dass dir die FBI-Agentin von den Ereignissen von vor zwanzig Jahren erzählt hat. Daher weißt du, dass ich damals schon bei der Organisation war. Und dein Spiel vorhin war ja wohl auch kein Zufall, so don't try to fool me!“ „Natürlich, ich wollte nur sicher gehen..., dass Sie sich später nicht herausreden.“ Er hielt seine linke Hand immer noch in der zugehörigen Jackett-Tasche, zog diese aber nun langsam mitsamt einem metallenen Kästchen heraus. 'Ein kleiner... Kassettenspieler?' Vermouth konnte nur verwirrt zusehen, wie er den Knopf betätigte und sich der leise Rauschton des abgespielten Bandes seinen Weg durch die Halle bahnte. „Meine geliebte Shiho...“ Ihre Augen weiteten sich beim Vernehmen dieser fast vergessenen und doch wohl bekannten Stimme so sehr, dass man Angst haben musste, ihre Lidhaut würde reißen. Ihr Herz schlug diesmal nicht schneller, es war eher nahe daran, auszusetzen. Dabei hätte sie etwas in der Art wohl erwarten müssen. Nach dieser Szene vor einigen Stunden, als Ran, Sonoko und sie eigentlich nach Kapitän Karasuma suchen sollten und plötzlich von einer Gruppe Fans gestört worden. Die Stimme, die Chris Vineyard entarnte und somit die Frauen trennte, es war ihre Stimme. „Elena!“ Eine ihrer Haarsträhnen war wohl sprichwörtlich grau geworden, auch wenn dies nur der Schein durch die Lichtstrahlen so darstellte. “allerherzlichste Glückwünsche zu deinem 18. Geburtstag. Nun bist du also voll...“ Er stoppte die Kassette. „Elena wusste, dass sie sterben würde. Sie hatte vier Kassetten mit Glückwünschen für den ersten bis zwanzigsten Geburtstag von Shiho vorbereitet, diese vor ihrem Tod Akemi gegeben, welche sie wiederum kurz vor ihrem Tod in Dejimas Wohnung versteckte. Und genau da habe ich sie gefunden. Zwar konnte ich nur einmal kurz reinhören, aber der Sinn war mir schon klar. Da ich mir dachte, dass wir irgendwann auf diesem Schiff die Gelegenheit für ein Gespräch haben würden, bat ich Ai darum, dass sie mir ein Stück ihrer Wahl dafür überspielen würde auf eine andere Kassette.“ Wie eben Vermouth, so musste auch Brefford in seinem Stuhl schwer schlucken. 'Elena Miyano hat Kassetten für ihre Tochter angefertigt?' Er verweilte in dieser unentschlossenen, verunsicherten Pose. Das war nun mal nicht mehr etwas so gewohntes für ihn, dass er mit Fakten konfrontiert wurde, die ihm neu waren. Schließlich musste er doch leicht resignierend schmunzeln. 'Scheinbar... hast du doch gewonnen, Mireille... Das wird doch noch richtig interessant heute.' „So etwas macht die kleine Sherry... freiwillig?“ Gleichwohl sie stark ironisch klang, war da ein Stück Nervosität in ihrer Stimme. Kein Wunder, sie wusste eigentlich genau, was dieses Audio-Dokument bedeutete. „Nun, dass sie es mir gegeben hat, basiert darauf, dass sie sich seit den Ereignissen im Hafen damals stark verändert hat, zum positiven, wie ich meine. Allerdings... konnte ich sie nur deshalb dazu überreden, weil ich ahnte, was hier noch drauf ist und es ihr sagte, ihr so gesehen den Grund nahm, es vor mir zu verheimlichen. Aber dazu kommen wir später noch. Ach, übrigens, falls Sie unsere Diskussion vergessen haben, Sharon, ich denke..., ein Unfall ist jetzt die mit Abstand unwahrscheinlichste Todesursache, finden Sie nicht?“ Sein Lächeln blieb unvermindert, aber bekam eine Note Bitterkeit in seinen Zügen. Ihres dagegen war seit dem ersten Ton der Kassette weggewischt und nur eine Spur von Wut färbte die Angst in ihrem Gesicht noch. „Sie haben schon Recht, die Organisation sieht es so, als Unfall. Deshalb ist dieses Tonband ja auch echt und kein Fake. Ich musste diese Option zunächst auch berücksichtigen, aber sollten die Tonbänder Ihren Kollegen in die Hände fallen, würde der ganze Fall neu aufgerollt werden und ganz sicher kann das der Mörder nicht wollen. Und da die Organisation bereits zweimal das Haus von Dejima durchsucht hatte, war es zu gefährlich, sie dort zu verstecken, wenn sie nicht gefunden werden sollten. Und Sie waren damals noch in Amerika, konnten sich also nicht als Akemi ausgeben und sie dort hinbringen.“ „Hör auf mit diesen Anschuldigungen! Ich habe ihre Eltern nicht getötet!“ Noch immer, selbst mit den Kassetten, die nun den Gedanken eines Verräters in der Organisation laut werden ließen, schien er keine konkreten Beweise zu haben, glaubte sie. Noch immer sah sie sich im Vorteil, da er unmöglich die ganzen Zusammenhänge sehen konnte von damals. 'Das kannst du einfach nicht!' „Da ich den Hafen erwähnte. Damals sagten Sie zu ihr doch: 'Hasse nicht mich, sondern deine Eltern, die unbedingt diese verdammte Forschungsarbeit übernehmen mussten...' Jodie hatte es mir erzählt.“ „Das verstehst du nicht! Das hat gar nichts...“ 'Oder.... kann er es doch?' „Nichts mit Ihnen, beziehungsweise mit deren Tod zu tun. Ich weiß.“ Erneut erschrak sie – die Ruhe dieses Jungen, ahnte er tatsächlich... die Wahrheit? „Wissen Sie, was Pisco zu Ai sagte, als sie sich im Haido-City Hotel trafen? Die Brille, die Ai damals zur Tarnung trug, besaß einen Transmitter, über den Professor Agasa seine Worte hören und aufnehmen konnte.“ Er zog seine Fliege hoch zum Mund. „Sie erlauben doch, ich bin da nicht ganz so gut wie Sie.“ Die Stimme war bereits eingestellt auf die Piscos. „Damals habe ich auch so einiges über das Mittel gehört, das sich zur Zeit in der Entwicklung befand. Aber wer hätte gedacht, dass du es so weit bringen würdest... Deine bei einem Unfall verstorbenen Eltern hätte das bestimmt überaus stolz gemacht...“ „Und? Was sollen mir diese Worte jetzt sagen?“ War sie eben noch von einer Befürchtung beseelt, er könnte wirklich eine Verbindung ahnen, schien sie nun verwirrt, was der kleine Detektiv jetzt wieder ausgegraben haben mag. „Ich gebe es offen zu, Misses Vineyard. Jodies Erzählung, Sie seien viel älter als es aussieht und wegen des Grolls gegen die Miyanos, wie auch der Tatsache, dass Sie sowohl Sherry als auch mich so schnell durchschauten, ließ mich einige Zeit glauben, dass Sie damals das Gift eingenommen haben und ihr Alterungsprozess seitdem stehen geblieben wäre.“ Und genau das hatte sie nach diesen Ereignissen irgendwie auch erwartet, was er vermutete. Nur, was, wenn nicht das dachte er? „Aber das wäre lächerlich. Denn dann wäre alles klar gewesen, was mich und auch Sherry angeht. Dann wäre ich schon lange nicht mehr am Leben, weil die Organisation seit achtzehn Jahren wüsste, wozu APTX 4869 fähig ist! Selbst, wenn die Forschungsergebnisse damals zugrunde gerichtet worden wären, hätte man stets bei Sherrys Gift diesen Gedanken berücksichtigt, genau wie Pisco. Er konnte ohne weiteres erkennen, wer sie war aber ansonsten scheinbar niemand.“ „Aber da Pisco das nur als sensationelles Ende der Forschung sah, weißt du, dass dieses Resultat damals nur graue Theorie war. Und dass heute niemand mehr von diesen möglichen Resultaten genaueres weiß.“ Nun konnte sie zum ersten Mal seine Schlussfolgerungen zu Ende spinnen. Oder... zumindest einen Schritt weiter, als vorher. „Genau, und damit, dass bis dahin immer der andere Effekt aufgetreten ist, den das Gift nämlich noch zeigt: Tod. Da die Miyanos Pisco aber offensichtlich von diesen Theorien erzählt hatten, machte er sich stark für einen Test... an einem Menschen. Und zwar...“ Nun richtete sich sein Finger wie kurze Zeit zuvor der von Ran auf sie, ließ die Frau zurückschrecken, sank aber dann wieder sanft zum Boden. Eine bittere Traurigkeit überfiel seine Miene, Mitleid, dass sie tief berührte. Zu tief, er zog tatsächlich diesen Gedanken in Betracht. „An Ihrem Mann.“ Seine Stimme war kurz leise geworden, erst danach richtete sich sein Blick wieder fest auf die Schauspielerin, die gerade einen Schweißausbruch durchlitt, innere Krämpfe bekämpfte und mit großer Mühe ein Wort hervor presste: „Nein!“ „Doch. In New York sagten Sie, ihr Mann sei einen Tag, nachdem Sie den Oscar bekamen, nach langer Krankheit gestorben. Die Oscars werden stets am Abend des letzten Februarsonntags in Los Angeles verliehen. Der Tag darauf ist Montag, aber zwischen Los Angeles und Tokio liegen neunzehn Stunden Zeitverschiebung. Das heißt, während Ihrer Verleihung vor zwanzig Jahren... war es hier bereits Montag. Die Organisation legt, das fiel mir schon früher auf, viel Wert auf Familienangelegenheiten, das scheint dazu zu gehören. Von diesem Standpunkt aus wäre es durchaus wahrscheinlich, dass ihr Mann ebenfalls ein Mitglied war.“ „Aber das ist doch nur eine Vermutung! Ich dachte, du lebst von Beweisen.“ Sie unterbrach ihn weder bestimmend noch in sachlicher Ruhe. Viel zu hektisch, als dass er es eigentlich ernst nehmen brauchte. „Schon gut. Sie wollen einen Beweis, ich gebe zu, das wird schwieriger, aber warten Sie doch erstmal ab. Ich habe doch gerade erst begonnen. So gesehen ist es nur gut möglich, aber das hätte ich Ihnen noch nicht unter die Nase gerieben. Nein, der eigentliche Grund, warum ich auf Ihren Mann kam..., ist der Mord an Agent Starling und seiner Frau.“ 'Das kann nicht wahr sein, nicht auch das noch! Es liegen zwei Jahre zwischen beiden Ereignissen, wie kannst du diese in Verbindung setzen?' „Jodie war der Überzeugung, Sie hätten ihre Eltern getötet und das Haus verbrannt, weil ihr Vater Ihnen mit seinen Ermittlungen auf die Pelle gerückt war. Zwei Dinge daran machen mich aber stutzig: die eine Sache ist, dass sie sagte, die Akte über Sie an der er gearbeitet hatte, sei „geheim“. Beim FBI wird dieses Wort anders benutzt, sozusagen um eine Stufe höher. Ihre normale Arbeit ist für sie nicht geheim, da das FBI ja lediglich eine Polizeibehörde ist und kein Geheimdienst, wie die CIA. Wenn Jodie sagte, die Akte sei geheim gewesen, heißt das, niemand außer Agent Starling selbst kannte den Inhalt. Kein Wunder, sonst hätten Sie ja auch noch einige andere FBI-Mitglieder töten müssen. Ergo, das FBI wusste nur, dass er an einer Untersuchung zu einer bestimmten Person arbeitete, nicht aber, um wen es sich dabei handelte. Als Jodie aus Ihrem berühmten Zitat Sie als Mörderin erkannte, schien automatisch klar, dass Sie diese mysteriöse Person sein mussten.“ Wut zeigte sich ganz allmählich deutlicher in ihrem Gesicht, welche der Detektiv als Bestätigung freudig entgegen nahm. „Zum Anderen, die Tatsache, dass Sie das Haus abfackelten.“ In diesem Moment verschwand die Wut wieder und ganz kurz schien sie leichenbleich zu werden. „Wer hätte gedacht, dass eine mit dem Oscar bedachte Schauspielerin wie Sie mal so aus ihrer Rolle fallen würde und einfache Psychologie der notwendigen Aufgaben überordnete... Das abgebrannte Haus, das war so, wie bei Ihren eigenen Eltern. Als Sie vor einem Jahr in New York sagten, dass Ihre Eltern bei Ihrem Debüt in einem Feuer umkamen, reagierten Sie damit auf Rans Äußerung über Gott. So wütend wie eben waren Sie damals auch, wollten sich unbedingt über die Ungerechtigkeit beschweren, die Ihnen Ihrer Meinung nach zu Teil wurde. Hätten Sie etwas damit zu tun gehabt, hätten Sie das sicher nicht getan, es ist sinnloser Sarkasmus, der zu Ihnen sowieso nicht passt. Nein diese Gefühle waren schon echt. Hass. Hass ist leider immer echt, auch wenn er falsch ist... Aber genau dann verwundert es mich, wie Sie ein Ehepaar, eigentlich sogar eine ganze Familie auf die gleiche Weise töten konnten?“ Er zögerte, ob er weitermachen sollte. Sie war bei den letzten Sätzen sehr ruhig geworden. Wartete einfach nur ab, was er erzählte, oder hatte sie aufgehört zuzuhören, oder würde sie gleich auf ihn zu stürmen, um ihn zu töten? Ein kurzes, bitteres Lächeln antwortete ihm. Sie wollte weiterspielen. 'Wie du willst, Sharon...' „Ich bin halt ziemlich gefühllos, mein Kleiner. Das solltest du akzeptieren. Meine Seele ist gänzlich schwarz.“ „We can be both, God and the Devil... Meinen Sie das?“ Man konnte es gemein nennen, hinterhältig direkt, wie er sie immer wieder mit Dingen konfrontierte, die er eigentlich nicht wissen konnte, wissen durfte, und sie jedes mal aufs neue aus ihrer versuchten Ruhe scheuchte. „Da muss ich Sie enttäuschen. Nichts ist absolut Schwarz oder Weiß. Und wie schon gesagt, in New York waren ihre Gefühle ja auch echt. Nein,... um einen Mord so zu begehen, wie die eigenen Eltern ums Leben kamen, muss das Opfer dem Täter schon das Leben ruiniert haben. Wären Sie selbst von ihm verfolgt wurden, dann hätten sie ihn sauber und ohne die Erkenntnis des Mordes getötet. Und nicht so theatralisch.“ Ganz still wurden seine Worte, etwas Mitleid floss hinein. „Nicht Sie, sondern Ihr Mann waren Ziel von Starlings Untersuchungen, woraufhin dieser von der Organisation festgesetzt wurde. Sie konnten, so lange Sie bei ihm waren, in der Organisation, verhindern, dass er getötet wurde, doch nicht mehr, als Sie den Oscar entgegen nahmen in Los Angeles. Natürlich, das sind die Wege der Organisation. Der Einzige, den Sie dafür beschuldigen konnten, war Starling. Deshalb töteten Sie ihn und seine Frau und wollten auch Jodie ermorden, um keinen so allein zurück zu lassen, wie er Sie alleine gelassen hatte. Das war im März vor zwanzig Jahren, unmittelbar nach der Verleihung der Acadamy Awards. Der Tod Ihres Mannes und der aus Ihrer Sicht grauenhafte Mord an den Starlings fällt dort zusammen. Wollen Sie das als Zufall verkaufen, Sharon?“ Weiterhin herrschte Stille. Erst nach einer Weile fing Vermouth wieder an, nachdem sie eine Träne unterdrückte. „Du musstest mich daran erinnern, oder? Na schön, dann sprich es aber auch zu Ende aus!“ Sie spuckte diesen zweiten Satz mit Wut aus, wollte einen Schlussstrich ziehen, nicht ahnend, was noch kommen würde. „Er wurde nicht einfach getötet, er war diese erste Versuchsperson für das Gift, welches gerade entwickelt wurde. Das bekamen Sie aber erst später heraus. Zwei Jahre später. Man kann sicher verstehen, dass die Organisation es geheim hielt, um nicht möglicherweise Sie als wichtiges Mitglied verlieren zu müssen. Und nachdem Sie es erfuhren, haben Sie Atsushi und Elena Miyano mit samt ihrer 'verdammten Forschungsarbeit' zur Hölle geschickt, in der Hoffnung sie von dieser Welt auszuradieren...“ Die drastische Wortwahl war erfolgreich und die Wut stieg immer höher in ihr, bis sie in einem lauten Aufschrei sich Luft verschaffte. „Sie war meine Freundin! Ich hab ihr vertraut! Und sie hat ihn einfach so für dieses verfluchte Gift abserviert. Und als ich sie darauf ansprach, nachdem ich es endlich heraus gefunden hatte, meinte sie nur: 'Das sind die Wege der Organisation, Sharon. Weder du noch ich können etwas daran ändern. Sei froh, dass ich ...'“ Sie stockte. Sie wollte es nicht fortsetzen, er wusste schon zu viel, viel zu viel. Aber leider... war es noch mehr was er wusste. „Schon klar. Sie hatte Ihre Tochter Chris in Ruhe gelassen, deshalb verschonten Sie damals Akemi und Shiho. Sozusagen ausgleichende Gerechtigkeit, in Ihren Augen. Ja, ich weiß. Jodies Theorie hatte es nahe gelegt, dass es gar keine Chris Vineyard gegeben hat, aber das kann gar nicht sein: Vor zwanzig Jahren waren Sie bereits ein Mitglied der Organisation, genau wie Ihr Mann. Da wäre Chris neun gewesen. Mag sein, dass Sie damals bereits ausgezeichnet eine andere Person imitieren konnten, die halbwegs Ihren Proportionen entsprach, aber kein kleines Kind. Und der Organisation plötzlich dieses Kind aus dem Nichts vorstellen konnten Sie auch nicht. Man wird dort ja wohl genauer über seine Mitglieder Bescheid wissen. Dass kaum etwas über Ihre Tochter bekannt ist, liegt einfach daran, dass sie ähnlich wie Akemi und Shiho durch die Organisation groß gezogen wurde und damit nur sehr eingeschränkt Kontakt mit der Außenwelt hatte. Mehr noch, Chris besuchte vermutlich sogar noch weniger Menschen außerhalb der Organisation als die Töchter der Miyanos, sondern widmete sich ganz dieser Verbrecher. Kein Wunder, Waise und Halbwaise orientieren sich wesentlich mehr als Kinder mit Eltern an ihren verstorbenen Vorfahren. Das ist psychologisch so, da Kinder allgemein zunächst ihren Eltern nacheifern, dann aber deren Schwächen erkennen und ihren eigenen Lebensweg suchen. Bei Waisen ist dieser Prozess unterdrückt, die Eltern können sozusagen keine Fehler mehr machen und Chris wurde gänzlich ein Mitglied der Organisation, wie ihr Vater. Sie währenddessen distanzierten sich langsam, möglichst unmerklich von diesen Leuten. Verständlich nach den Ereignissen vor zwanzig und achtzehn Jahren. Sie wollten nicht mehr, zogen sich zurück. Eigentlich hätte es aus Ihrer Sicht danach enden können und Sie wären in Ruhe im Alter irgendwann verstorben, wäre da nicht... Chris.“ Sie hätte sonst was dafür gegeben, nun einfach zu gehen. Sie konnte es nicht ertragen. Trotz des Wissens, wer er war, trotz der Fähigkeiten, die er oft genug demonstriert hatte, wie jetzt dieser kleine Junge vor ihr ihre ganze grausame Vergangenheit ausbreitete, das war einfach nicht auszuhalten. Und doch, er schien auf etwas hinzusteuern, etwas bezwecken zu wollen. Schön und gut, wenn er die Wahrheit über sie kannte, aber das war doch nicht der Grund für dieses Gerede. Und sein Mitleid wollte er wohl auch nicht bekunden. Was aber dann? Wollte er sie demütigen, indem er es ihr alles erzählte? Nein, das war nicht seine Art. Und auch sonst fiel ihr kein sinnvoller Grund ein und so gab es im Moment, solange weiterhin der Gang nach draußen verschüttet war, nur eine Option: „Was ist mit ihr?“ „Der Vorfall auf dem Friedhof.“ Das wurde ihr nun doch zu viel. Nicht auch noch diesen Punkt, nachdem er schon diese zwei Morde auseinander genommen hatte. Sie musste einschreiten. „Das war eine Lüge! Chris war ein Mitglied dieser Organisation, die meinem Mann, ihrem Vater, eigentlich nicht die ihm zustehende Achtung erwies und mich fast ganz ignorierte. Ich konnte Sie nie wirklich leiden, seit sie mir ihre Entscheidung verkündete, in der Organisation eine große Karriere machen zu wollen. Damit nicht zu viel gefragt wurde, erfand ich diese Geschichte, sie hätte sich auf dem Friedhof als mein Mann verkleidet. Mehr steckt da nicht dahinter!“ „Geschichte? Jetzt werden Sie aber albern. Es gab Ihre Tochter, jetzt gibt es nur noch Sie, die Sie sie spielen. Also muss Chris Vineyard tot sein. Und Sie haben sie getötet. Im Affekt, vor neun Jahren, am Todestag Ihres Mannes.“ Wieder diese Bestimmtheit. Es schien, als könnte er durch sie hindurch die Wahrheit sehen, die sonst keiner kannte. Die niemand, absolut niemand bei ihr erkennen konnte. Wie er nun wieder auf diesen Tag kam, es blieb ihr ein Rätsel. Aber überhaupt, dieser Bogen, von vor achtzehn Jahren zu vor neun Jahren. „Es gibt die Redewendung, etwas ist zu unglaublich, um ausgedacht zu sein, Sharon. Das bezeichnet Geschichten, die Menschen üblicherweise mit den Worten 'mir ist etwas unglaubliches passiert' zu erzählen beginnen. Man will ja darlegen, was einem widerfahren ist und dabei Gehör finden. Wenn die Geschichte aber zu unglaublich ist, geht das natürlich nicht. Das heißt, das Ziel wird verfehlt. An einem gewissen Punkt müsste das dem Erzähler aber klar sein. Wenn er die Geschichte dann trotzdem erzählt, muss es konsequenterweise die Wahrheit sein, da er selbst nicht erwarten kann, dass es, wäre es eine Lüge, bei den Leuten ankäme. Das wusste schon Sherlock Holmes: 'Mein lieber Freund, das Leben ist unendlich viel seltsamer als irgend etwas, das der menschliche Geist erfinden könnte. Wir würden nicht wagen, die Dinge auszudenken, die in Wirklichkeit bloße Selbstverständlichkeiten unseres Lebens sind.' Ihre Friedhofsgeschichte ist so eine. Wie sagten Sie noch: Chris sei als Ihr Mann verkleidet aufgetaucht und habe Sie damit zu Tode erschreckt? Ein ziemlich makaberer Scherz, und etwas drastisch, wenn man nur einen Grund sucht, wie Sie behaupten. Sie könnten sich aus welchen Gründen auch immer zerstritten haben, aber so eine psychische Grausamkeit, vor allem gegenüber den Eltern, und dann am Todestag, das nimmt man einem kaum ab. Es stimmt schon, was Sie damals sagten: Sie traf sich mit den falschen Leuten – Sie meinten die Organisation. Sie hatte das Glück, das Ihnen nicht vergönnt war, was wiederum Neid verursachte, und Sie beide lebten getrennt, sahen sich nicht mehr sehr oft. Und entsprechend konnte Chris nicht wissen, wann Sie das Grab besuchen würden. Es war ja trotz allem eine unregelmäßige Art von Ihnen, außer natürlich, bei seinem Todestag. An diesem Tag waren Sie immer dort, auch damals. Chris kam als ihr Vater verkleidet auf Sie zu, Sie erschraken fast zu Tode, verloren dann aber, angesichts dieser Demütigung und Missachtung der Person, die Sie liebten, die Kontrolle und töteten Ihre Tochter.“ Ein weiteres dunkles Kapitel ihrer Vergangenheit, welches sie eigentlich in ihr Unterbewusstsein verdrängt hatte, wurde von ihm deutlich hervorgekramt, zu ihrem ärgsten Missfallen. „Es gibt noch eine Redewendung, sie lautet: Unwissenheit ist eine Tugend. Manchmal solltest du dir die zu Gemüte führen, Shinichi.“ Ein wenig schien sie sich damit zu arrangieren, dass er so weiter machte, was dem Gespräch, das immer mehr einem Monolog gleichkam, etwas mehr Farbe verlieh. „Oh keine Sorge, das werde ich. Denn was Sie betrifft, gilt diese Regel nicht.“ „Du meinst, hätte ich gewusst, dass Elena und Atsushi hinter dem Tod meines Mannes stecken, hätte ich Starling verschont? Glaub mir, so bin ich nicht. Ich bereue nichts. Aber sag mir, was bringt dich auf den Gedanken, dass es gerade vor neun Jahren war?“ „Der Tod von Toichi Kuroba.“ Die Antwort kam ohne die geringste Verzögerung und traf sie sichtlich. Ja... sie hatte es wohl befürchtet, selbst diesen Schluss konnte er ziehen. Warum auch nicht, unter den gegebenen Umständen lag das wohl deutlich näher als einige andere Erkenntnisse dieses Morgens. „Sie konnten die Leiche Ihrer Tochter zwar verstecken, aber um ihren Tod zu verschleiern, bedienten Sie sich Ihrer Verkleidungsfähigkeiten. Sie nahmen die Rolle als Chris Vineyard an, die Sie parallel zu Ihrer eigenen als Sharon spielten. Sicher mit der Absicht, eine der beiden früher oder später offiziell wieder aus dem Leben scheiden zu lassen. Die Sache hatte nur einen Haken. Vermutlich waren und sind diese Täuschungsmanöver, so weit dies möglich ist, nahezu perfekt. Das kann ich aus einigen Erfahrungen mit Ihnen durchaus bestätigen. Dennoch, sowohl der dauernde Zeitfaktor, als auch dieses Doppelspiel stellten ein Risiko dar. Und wenn es irgendeine Person auf diesem Planeten geben würde, die auch nur in Betracht zog, Chris und Sharon Vineyard könnten ein und dieselbe Person sein, wäre Ihr Leben endgültig dahin. Und eine Person gab es definitiv, eine einzige, die das Verkleiden mindestens so gut beherrschte wie Sie: die Person, die es Ihnen, Sharon, und meiner Mutter vor langer Zeit beigebracht hatte. Der Zauberer Toichi Kuroba, welcher vor etwa neun Jahren bei einem..., nennen wir es Arbeitsunfall, ums Leben kam. Das war es, was mich auf diesen Zeitpunkt gebracht hat. Da Ihre wie seine Fähigkeiten wohl nahezu einmalig sind, wussten Sie wohl, dass er damals Kaito Kid war und Edelsteine stahl. Ich gebe zu, so bin ich auch erst drauf gekommen, es gibt einfach keinen weiter, der das so gut beherrscht. Sie setzten Herrn Kuroba, unbewusst für ihn, auf ein Objekt an, dass auch andere Leute interessierte, vielleicht sogar die Organisation selbst, deren Mitglied Sie nun ja wieder auf Vollzeit waren als Chris. Er beschaffte den Stein, wurde dafür getötet und niemand hatte Sie überhaupt wahrgenommen. Wirklich, beeindruckend, Kompliment.“ So langsam glitt es ihr aus den Händen. „Wie viel willst du mir eigentlich noch anhängen? Das sind alles Theorien, vielleicht macht es sogar Sinn, aber ohne Beweis. Und selbst wenn. Zum einen hast du weder ein Gerät zur Aufnahme, noch einen Zeugen zur Hand, der unser Gespräch belauscht. Zum anderen, wenn du Recht hättest, warum erzählst du mir, was ich in dem Fall sowieso schon wüsste?“ „Sie sagten es doch, Unwissenheit ist eine Tugend. Ich glaube Ihnen ehrlich gesagt nicht, dass Sie alles über Ihre Vergangenheit wissen, denn das haben Sie bereits widerlegt, aber Sie verstehen es offensichtlich immer noch nicht.“ „Was zur Hölle soll ich nicht verstehen?“ Jetzt schrie sie ihn aus voller Kehle an. Doch schien er darauf gar nicht zu reagieren, sondern fuhr einfach fort, was ihr plötzlich einen dumpfen, tiefen Schmerz im Herzen verursachte. Ein unbestimmtes Gefühl, eine Vorahnung machte sich breit. „Ihr Problem war nun aber gerade dieses Leben als Chris Vineyard, welches Sie als skrupellose Mörderin führen mussten. Sie hatten nun wieder das Leben eines durchaus hochgeschätzten, gefürchteten Organisationsmitgliedes, genau das, was sie eigentlich seit über neun Jahren nicht mehr sein wollten. Ich schätze, das ist eine der Ironien, die sie seitdem in ihren Hasstiraden gen Himmel richteten. Letztlich war Ihnen das aber sogar ein Stück weit Recht. Offensichtlich hielt das Leben nichts anderes als Mord und Trauer für Sie bereit. Damals ergaben Sie sich, zumindest in der Rolle Ihrer Tochter diesem Schicksal. Darüber hinaus erarbeiteten Sie sich damit in der Organisation eine hohe Position, welche Sie zu solch ungewöhnlichen Freiheiten, wie der längerfristigen Übernahme des Lebens von Doktor Araide, befähigte. Diese Freiheit war nötig, um die doppelte Rolle mit der Filmlegende und deren Sprössling spielen zu können, ohne dass die Organisation aufmerksam wurde. Sie hatten sich erneut diese Zuflucht geschaffen, dieses eigene Leben..., bis vor einem Jahr Ran Mori in New York auftauchte.“ Die Worte, seine Worte von damals kamen in ihr wieder hoch. „Ja Akai, hat mir davon erzählt. Der Serienmörder, der dort sein Unwesen trieb, Akemi hatte ihn auf die Spur gebracht. Eine falsche Spur, die Sie im Auftrag der Organisation legten, um ihn zu töten. Tja, ich gebe zu, darauf wäre ich wirklich nicht gekommen, dass Sie das gewesen sind. Waren es meine Worte von damals? 'Sollten wir uns jemals wieder über den Weg laufen, werde ich keine Gnade walten lassen. Ich werde alle deine Taten aufdecken und sämtliche Beweise wie ein Puzzle zusammensetzen, um dich in die Hölle zu schicken, wo du hin gehörst!' War es das, oder war es die Tatsache, dass Sie Schuichi Akai nicht töten konnten, also versagt hatten? Das, was Sie zum Selbstmordversuch an diesem Abend trieb?“ „Wie..., wie zum... Teufel...“ „Sagen wir mal, es war ein 'Quantensprung' in meiner Überlegung. Obwohl ich längst hätte darauf kommen müssen, gab es immer diese Zweifel, ob Sie nun Sharon oder Chris, oder wer auch immer waren. Angesichts der Masken ja kein Thema. Bis mir jemand mit ein paar Taschentüchern auf die Sprünge half. Der Grund, dass diese Masken aus Latex gemacht sind, ist der, dass Latex besonders gut auf der Haut klebt, nicht verrutscht und auch dem Schweiß widersteht. Natürlich verursacht es bei der Abnahme leichte Schmerzen, Rötungserscheinungen, wenn man nicht daran gewöhnt ist, aber das vergeht, weil die Haut wesentlich besser am Körper noch haftet. Woran Latex aber auch sehr gut haftet... ist Latex.“ Ihr Gesicht wurde mit jedem Wort ein Stück fahler. Beim letzten Wort verschwand schließlich der Rest an Farbe. „Wenn man eine zweite Maske darunter trägt und so theatralisch wie Sie sie herunterreißt, gerät diese untere Maske in Mitleidenschaft, verrutscht, reißt ein, was auch immer. Jedenfalls sieht man dann sofort, dass unter der oberen Maske kein menschliches Gesicht, sondern eine zweite Maske steckt. Heiji musste damals auf der Halloweenparty auf dem Schiff über seiner Shinichi Kudo Maske Bandagen tragen, da bei einer zweiten Maske beim Abnehmen die untere genauso beschädigt worden wäre. Selbst beim abwickeln der Bandagen musste er vorsichtig sein. Das gleiche gilt natürlich für Sie. Erinnern Sie sich: In New York begegneten Sie uns zu erst verkleidet als Kommissar Radish Redwood und rissen die Maske herunter, ebenso, wie ein Jahr später im Hafen die von Doktor Araide. Das heißt, beide Male war das darunter Ihr wahres Gesicht! Nur liegen zwischen beiden aber eine Generation an Alter. Wegen des Selbstmordversuchs. Offiziell starb Sharon Vineyard kurz nach dem Abend in New York. Ab diesem Zeitpunkt waren Sie nur noch Chris, weil...“ „Weil es das Gift aus mir gemacht hat.“, vervollständigte sie bitter den Satz. An so einem Detail scheiterte ihre perfekte Maskerade also. Selbstverständlich kannte sie das Problem der Unmöglichkeit, zwei Masken zu tragen. Aber wer sollte schon so weit denken. Diese Fähigkeit an sich, sich verkleiden und eine beliebige Stimme imitieren zu können, genügte normalerweise vollauf, anderer Leute Fragen im Keim zu ersticken. Seine aber nicht. Und ausgerechnet, dass sie damals sich als dieser Kommissar vorstellte, als völlig harmloser Scherz ohne Hintergedanken, genau das enttarnte sie nun. Damit lag die Lösung auf der Hand. „Sherrys Gift. APTX 4869. Ironie, nicht wahr, Sharon, Sie wollten Ihr Leben beenden, mit dem Gift, das Sherry gerade neu entwickelt hatte, so sterben wie Ihr Mann, und ausgerechnet dieses Gift verwandelte Sie in die Person, die Sie so sehr verabscheuten und doch spielen mussten. Sehen Sie es als Spiegelbild der Wahrheit. Sie sind vor neun Jahren eigentlich zu Vermouth geworden. Vermouth war nicht der Deckname von Sharon, sondern von Chris Vineyard. Es war nur die Konsequenz, dass Sie nun auch äußerlich den Schein annahmen, der Sie innerlich bereits ausfüllte.“ „Die Organisation hatte mir doch schon den Rest meines Lebens genommen. Warum nicht auch noch das? Sag es mir! Warum musste dieses Mädchen statt der gleichen Todesdroge wie ihre Eltern das hier entwickeln? WARUM?!“ Nun war auch diese Maske, die unsichtbare, vor seinem Blick gefallen und vor ihm stand nur noch die blanke Gestalt einer Frau, die schon seit einiger Zeit mehr Mitleid erregte als Hass in ihm. Nur... war auch das noch nicht alles. „Seitdem warten Sie, nicht wahr? Sie haben endgültig gegenüber dem Schicksal die Waffen gestreckt. Sie warten nur noch, dass irgendwer oder irgendetwas Sie erlöst. Gegen die Organisation kommen Sie nicht an, und das Leben – oder Gott, wenn Sie es so nennen wollen – lässt Sie weder in Ruhe, noch einfach sterben. Deshalb haben Sie Ai im Hafen freiwillig in Ruhe gelassen. Damit ich diese Drecksarbeit für Sie erledige und die Organisation beseitige, ohne Sie zu belästigen. Die Frage vorhin war übrigens rhetorisch gemeint. Es waren weder meine oder Akais Taten damals, die Sie bewegten, das Gift einzunehmen, sondern Rans. Sie hat, im Gegensatz zu Ihnen, nicht aufgegeben, als das Schicksal es so zu wollen schien. Sie hat auch im Angesicht der Schlechtigkeit dieser Welt an das Gute geglaubt und dem entsprechend gehandelt. Sie haben Menschen getötet, als Sie mit deren Fehlern und Untaten konfrontiert worden. Ran hat Ihnen hingegen die Hand ausgestreckt, nachdem Sie sie töten wollten. Deswegen haben Sie nach diesem fehlgeschlagenen Selbstmordversuch weiter gemacht. Hoffnung ist etwas sehr Wesentliches. Der Engel, der Sie damals laut eigenen Worten besucht hatte, war Ran, nicht wahr?“ Seine Augen wanderten langsam zur Seite, hin zum friedlich schlafenden Mädchen, zur Göttin, die in den Augen der geistig Anwesenden eher den Status eines Engels denn einer Göttin genoss. Ihr Blick wanderte zum Boden, dann ebenfalls zu Ran und verweilte dort. Tiefe Traurigkeit durchfuhr sie, Hoffnungslosigkeit im Angesicht dessen, wie er sie las. „Weißt du, Shinichi?“, begann sie ruhig, ohne ihm den Blick zuzuwenden. „Aufgrund dessen, was in meiner Vergangenheit passiert ist – und ich gebe zu, du hast mit allem Recht – habe ich mir einst etwas geschworen. Ich werde jeden, der versucht, mein Elend zu beenden und mich noch einmal einen freudigen Tag in diesem Leben sehen zu lassen, so gut es geht unterstützen. Ich hätte dir wirklich geholfen, die Organisation zu vernichten. Aber..., damit ich einen freudigen Tag erlebe... darf ich niemals... irgendjemanden mehr an meine Vergangenheit heran lassen!“ Aus ihrem Ärmel schwang blitzartig eine zweite Pistole hervor, die sie in Bruchteilen einer Sekunde auf ihn richtete. Der Junge zuckte nur kurz zurück, behielt aber sein Lächeln bei. „Es tut mir wirklich Leid, Shinichi. Du hättest diese Person sein können, die mir diesen Moment bringt, wie ihn Faust nannte, 'Verweile doch, du bist so schön!', doch offensichtlich... ist so ein Moment für mich nicht geplant. Und auch nicht für dich... und Ran. Leb wohl, Cool Guy.“ Sie entsicherte die Waffe, umklammerte den Abzug und sah in ein überlegen grinsendes Kindergesicht. Er hielt seine Hände ganz lässig in den Taschen und blickte ihr ruhig in die Augen, ohne eine Wimper zu bewegen. „Was?“, fauchte sie ihm gereizt, mit leicht verzweifelter Stimme entgegen. „Wollen Sie es nicht wissen?“ „Was ist denn noch, was ich wissen sollte?“ „Der wahre Grund für den Tod Ihres Mannes. Die Wahrheit, Sharon. Die eine Wahrheit, die Sie nicht kennen.“ Er ließ nicht locker in seinem grinsen, bewegte sich aber auch nicht zur Seite oder sonst irgendwie, um sich gegen den auf ihn gerichteten Pistolenlauf zu schützen. „Welche Wahrheit, du hast sie doch schon gänzlich erzählt?“ War das nun nur ein Versuch, sie nochmal umzustimmen? Ein plumper Ansatz, nachdem er sich verkalkuliert hatte. Erneut fuhren seine Worte von einem Jahr in ihren Kopf: '... und dich in die Hölle stürzen, in die du gehörst!' „Sicher, er wurde mit der Testversion des Apoptoxins getötet. Und er war als Versuchskaninchen geeignet, da Agent Starling ihm nach spionierte. Aber trotzdem war das nicht der eigentliche Grund, warum Ihr Mann sterben musste. Nun, wenn Sie das jedoch nicht interessiert, sollten Sie jetzt abdrücken.“ Mit diesen Worten schloss er ruhig die Augen. Er wusste, sie würde es nicht tun. Es ging um die Person, die sie liebte, für die sie tötete. Hätte Sharon im Entferntesten geahnt, was jetzt kam, hätte sie es vielleicht getan. Aber die Hölle lockt die Dämonen immer an. Eine ungeahnte Helligkeit durchfuhr mit einem mal den Raum, die nächste Ebene der Spiegel wurde von den Sonnenstrahlen erfasst und ein gleißendes Licht umschloss die beiden Personen wie in einer eigens geschaffenen Welt. „Also schön, klär mich auf! Zu sterben, bevor man alles wesentliche gesagt hat, ist kaum besser, als dumm zu sterben.“ „Haben Sie jemals die Forschungsunterlagen zu Sherrys oder ihrer Eltern Arbeiten gelesen? Wohl nicht. Ich gebe zu, ich auch nicht, ich habe diese ja nicht. Ai hat mir von der Wirkungsweise erzählt, ähnlich wie Atsushi und Elena vor zwanzig Jahren Pisco. Es aktiviert die Apoptose, den programmierten Zelltod, wodurch alle betroffenen Gewebe im menschlichen Körper ihre Verbindungen untereinander kappen und absterben. Gleichzeitig wird aber auch die Telomerase aktiviert, die Zellteilung, welche die Anzahl lebender Zellen erhöht. Zwei gegenläufige Prozesse, da die Zellteilung auch immer mit neuen Verknüpfungen zu tun hat und die abgestorbenen Zellen ersetzt. Nun gibt es aber einen wesentlichen Unterschied. Der Apoptoseprozess ist ein einmaliger Vorgang, der stets gleich schnell funktioniert, ein rein physikalisch-chemisches Programm also. Die Telomerase hingegen ist ein stärker biologischer Prozess, er wird in seiner Geschwindigkeit vom Alter mit geregelt. Bei älteren Menschen läuft sie langsamer ab, bei jüngeren schneller. Natürlich wird die Beschleunigung durch das Gift gleichermaßen aktiviert, andersherum gibt es noch andere Einflusssubstanzen im Körper, aber die fundamentale Theorie von Atsushi, Elena und auch Shiho lautete so: Je jünger ein Mensch, desto wahrscheinlicher könnte das Gift nicht tödlich wirken. Ist Ihnen nun klar, worauf ich hinaus will?“ Der dumpfe Schmerz von vorhin verstärkte sich, wurde auch gleichzeitig zu einem inneren Schaudern. Ihre Gedanken rasten die Nervenbahnen entlang und wurden dennoch von Conan überholt. „Pisco nahm diese Theorie als Anlass, eine Testperson zu wählen, um diese alternative Möglichkeit auszuprobieren. Und er ging dabei nach genau diesem Kriterium vor.“ „Nein!“ Sie hauchte nur, ihre Stimme versagte fast bei dem Gedanken. „Doch: Chris war die eigentlich vorgesehene Zielperson, nicht ihr Vater. Da aber sowohl er, als auch die Miyanos sich vehement weigerten, an einem Kind das Gift zu testen, sie aber die Strafe durch die Organisation fürchteten, bot sich Ihr Mann freiwillig an, um Chris das Leben zu retten. DAS sind die Wege der Organisation.“ „Das kann nicht wahr sein! Niemals! Das ist unmöglich!“ Sie war nun im Licht kreideweiß, der Schweiß rann ihr unaufhörlich über die Stirn, verursachte Kopfschmerzen, Bauchschmerzen. Etwas in ihr verkrampfte sich mit aller Macht gegen diese Möglichkeit. „Wundert es Sie denn nicht?“ Er holte die Kassette wieder heraus aus der Tasche. „Elena wusste, dass sie sterben würde. Das heißt, sie wusste, warum und durch wen. Sie war, vielleicht nicht unumstritten in der Organisation, aber ein vollständiges Mitglied. Warum haben Elena und Atsushi Miyano nicht ihren Schutz in Anspruch genommen? Warum sprach Elena Sie so direkt auf Ihre Tochter an, dass Sie Akemi und Shiho am Leben ließen? ... Schuldgefühle...“ „Du... lügst.“ Ihre Stimme drohte jetzt wirklich zu brechen. „Warum ist Ai zum Hafen gekommen? Sie wusste von Ihrer Anwesenheit, sie wusste ebenso, dass sie sterben würde, wenn sie kommt. Wieso wusste sie, dass Sie sich auf einen Deal einlassen und einen Detektiv, der über die Organisation Nachforschungen anstellte, verschonen würde? Was denken Sie denn, wie sie auf so eine verrückte Idee kam? Ich denke nicht, dass Ai ohne Grund diese Stelle auf den Kassetten wählte.“ Er spulte ein Stück vor und schaltete sie wieder ein: „...Ich werde dich immer unterstützen und wünsche dir alles Gute! Die nächste Kassette gibt es zu deinem 19. Geburtstag. Bis dann! Ach und noch was! Es ist jetzt an der Zeit, es dir endlich zu sagen. Also weißt du, ich...“ Ein heftiges schlucken auf dem Tonband unterbrach die Aussage, Elenas Stimme wurde deutlich leiser. „...und dein Vater..., wir haben einst... an einem sehr... gefährlichen Wirkstoff gearbeitet. Und dabei... dabei einen uns sehr wichtigen Menschen getötet. Ich weiß... ich glaube, zu wissen... wie du über uns denken musst. Und du hast recht, es war eine unverzeihliche Tat, ein Fehler, für den wir beide bitter werden büßen müssen, in dieser, und sollte es sie geben, auch in der nächsten Welt. Du hast eine Erklärung dazu verdient, du hättest wohl auch schon viel früher davon erfahren müssen. Beides erhältst du hier nur unzureichend und wohl zu spät. Wir wurden damals vor die Wahl gestellt, diese Person... oder... seine Tochter Chris... oder... oder... deine Schwester Akemi. Er... diese Person... er hat sich damals... für sie geopfert. Das kann keine Entschuldigung sein, ich weiß, lediglich... die versprochene... Erklärung. Ich kann nicht mehr machen, als dich zu bitten, irgendwann, wenn dein Herz über diesen Schock hinweg gekommen ist, wenn du mir noch einmal gegenübertreten kannst, mir in die Augen sehen willst... ich bitte dich, wenn es dein Herz dann zulässt, verzeihe deinen Eltern. Nicht... nicht unsertwegen... es gibt da noch jemanden, nicht ihn... den wir nie um Verzeihung bitten konnten, weil wir es nicht fertig brachten, ihr danach noch in die Augen zu sehen... seine Frau, Chris Mutter... Sharon. Wenn du sie... kennen solltest, bitte... urteile nicht über sie... sie ist daran nicht schuld. Wir sind es. Solltest du zu deinem nächsten Geburtstag noch meine Anwesenheit... akzeptieren, bis dann, meine geliebte Shiho!“ Ihre Hand wurde langsam, ganz langsam zittrig. Auf beiden Seiten ihrer Augen bildeten sich Tränen. Eine gewaltige Kraft lastete plötzlich auf ihrem ganzen Körper. „Nein, Elena. Das kannst du mir... doch nicht antun! Nicht... nicht wegen dieser Göre, die sich meine Tochter schimpfte!“, hauchte sie verzweifelt nach vorne, in das bittere Gesicht des Jungen, der sie soeben in die Hölle gestürzt hat. „Ich hatte wohl doch nicht ganz recht. Man hatte wohl sogar in Erwägung gezogen, wenn sich die Miyanos weigern würden, Chris das Gift zu verabreichen, Akemi und Shiho stattdessen zu wählen. Ihr Mann, Misses Vineyard... war wirklich ein guter Vater und Elena und Atsushi wohl sehr gute Freunde von Ihnen...“ Mit diesen Worten sackte sie, die Arme immer noch ausgestreckt, auf die Knie. Erst als sie unten ankam, ließ auch deren Kraft der Gravitation ihren Lauf und fielen schlaff nach vorne. „Warum... konntest du mir das nicht vor zwanzig Jahren sagen, Shinichi? Oder vor achtzehn, oder vor neun?“ Es klang flehend, ohne innere Kraft. Sein Blick war voller Trauer und Mitleid. „Nun, ich will keine philosophische oder theologische Diskussion anfangen, aber vielleicht hat eine höhere Macht gehofft, dass Sie von selbst darauf kommen, wie es wirklich war. Warum Sie das Leben so strafte. Einzig, weil Sie es nie wahrhaben wollten. Das Leben war sicher einige Male ungerecht zu Ihnen, aber... oft genug haben Sie es dann auch ebenso ungerecht quittiert und in der Summe, im Rückblick, denke ich nicht, dass Sie mehr unverdiente Dunkelheit abbekommen haben, als jeder andere auch, Sharon... Vineyard.“ Sie antwortete nicht, kniete, die Hände auf den Boden als Stütze, weinte bitterlich. 'Das... das kann doch nicht alles so umsonst und falsch gewesen sein!' Die Stimme des Jungen holte sie noch einmal zurück. „Da Sie mich... momentan wohl doch nicht erschießen, würde ich Sie noch etwas fragen wollen.“ Zu Widerstand war sie längst nicht mehr fähig, sie hatte sich wohl selbst aufgegeben, endgültig. Die Frage, warum er es getan hatte, obwohl es ihm selbst scheinbar nichts brachte, konnte Conan Edogawa nur für sich beantworten. Sharon würde es... später einmal, an einem stillen Abend mit einem gekühlten Glas Sherry verstehen, für den Moment aber fühlte sie nur die Wut und Hilflosigkeit des Unterlegenen. „Warum haben Sie den Tod von Akemi nicht verhindert? Die Geldübergabe damals hätte, wenn sie funktionierte, sie und Shiho aus der Organisation entfernt und Ihnen die Freiheit beschert, nach der Sie so sehr lechzen.“ „Tse. Glaubt du, das wäre so einfach gewesen? Wie sehr ich darauf gehofft hatte, vor allem, nachdem Sherry doch tatsächlich erfolgreich mit dem Mittel war. Dass die beiden den höheren Nutzen für die Organisation verloren hätten, dass bei einem solchen Angebot die Geldgier überwiegen würde. Aber genau wegen des Giftes war es unmöglich. Weil Sherry so gut geworden war. Alles war nur Spiel mit Akemi. Ich habe es wirklich versucht, auch von Amerika aus. Ich sagte ihnen, das eine Milliarde mehr wäre, als diese Mädchen uns je einbringen würden, aber umsonst. Und dann... dann tötete ausgerechnet Gin sie, was für eine Ironie, nicht wahr? Der Freund von Sherry, die Person, die am ehesten wissen müsste, wie sie reagierte, bringt ihre Schwester um. Und zerstört einmal mehr meine Hoffnung.“ Nun wurde Conan wieder hellhörig. 'Was... Gin? Aber... aber das macht doch überhaupt keinen Sinn, außer...' „Das war keine Ironie, Misses Vineyard!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)