Bester Freund von SFX (Tai & Sora, T.K. & Kari) ================================================================================ Kapitel 1: Schicksalsschlag --------------------------- Wütend knallte sie die Haustür hinter sich zu und verließ mit schnellen Schritten den Wohnblock, wobei sie deutlich die neugierigen Blicke der Menschen im Nacken spürte, die sich etwa in ihrem Umfeld aufhielten. Desinteressiert stampfte Sora weiter über den gepflasterten Boden, bis sie zu einer Ampel kam und mehrfach die Schaltung betätigte. "Dieser Idiot!", murmelte sie und selbst. Als die Ampel nach dreißig Sekunden noch immer nicht auf grün umgesprungen war, lief das aufgebrachte Mädchen einfach so über die Straße. Ihr Blut kochte vor Wut und sie glaubte noch immer einen schweren Kloß im Hals zu haben. Das schrille Hupen der Autofahrer überhörte sie im diesem Moment einfach. "Er versteht mich einfach nicht!" Sie entschied sich, den Weg durch den Stadtpark zu nehmen und der Kiesweg knirschte unter ihren Füßen. "Dabei war ich doch nur ehrlich… Idiot!", flüsterte sie den Tränen nahe und die Umrisse ihrer Umgebung verschwommen etwas. Langsam wurde sie sich dessen bewusst, was überhaupt geschehen war und obwohl sie bis vor einer Sekunde noch erheblichen Zorn verspürt hatte, so fühlte sie sich jetzt umso schuldiger und bekam schreckliche Gewissensbisse. Sora war verunsichert. Vielleicht war sie doch ein wenig zu weit gegangen? Ihr Tempo verlangsamte sich etwas. Flüchtig wischte sie sich mit der bloßen Handfläche über ihr Gesicht und ihr entfuhr ein schweres Seufzen. Sie hasste es, wenn sie sich mit Yamato stritt und jedes Mal gezwungen war, den ersten Schritt zu machen. Trotzdem entschied sie sich, eventuell später einmal bei ihrem Freund anzurufen und sich für den ganzen Trubel zu entschuldigen. Um Verständnis konnte sie immerhin noch oft genug bitten, aber ihre Beziehung zu retten war etwas anderes. Immerhin hatten die beiden sich in den letzten Wochen desöfteren gestritten und Sora ahnte, dass es so nicht hätte länger weitergehen können. Das war auch der Grund gewesen, wieso sie ihn überhaupt auf das Thema angesprochen hatte und trotzallerdem schien Yamato nicht zu verstehen, dass Sora sich allmählich vernachlässigt und einsam fühlte. Sie wollte ihre Liebe zu ihm nicht aufgeben, oder viel mehr konnte sie es nicht. Immerhin war sie sich sicher, dass er sie auch liebte und gerade deshalb war sie überzeugt gewesen, dass er sich ändern konnte. Ihr Kopf war wie leergefegt, als Sora von weitem ein Polizeiauto erkannte, welches vor ihrer Wohnung parkte. Sofort nahm sie die Beine in die Hand und rannte los, völlig erschrocken darüber, was wohl passiert sein könnte. Als sie schließlich total außer Atem die Wohnung erreichte, steuerten auch schon zwei Polizisten auf sie zu, die geradewegs aus dem Fahrzeug gestiegen waren. "Sora Takenouchi?", fragte einer von ihnen und sie erhaschte einen kurzen Blick auf den Polizeiausweis des Mannes. Sie atmete tief durch und schluckte. "Ja, das bin ich. Ist etwas… passiert?" Ihr Magen zog sich unangenehm zusammen. "Es tut mir Leid, das sagen zu müssen, aber Ihre Mutter hatte einen schweren Verkehrsunfall." Ihr Herz machte einen Hüpfer und es war so, als hätte man ihr den Boden unter den Füßen weggerissen. "Aber… Ich meine, ist sie…" Glücklicherweise wurde ihr Verdacht nicht bestätigt, denn der Polizist schüttelte mit dem Kopf. „Ihre Mutter hat den Unfall glücklicherweise überlebt, wurde aber mit mehreren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Ich habe hier Telefonnummer und Adresse, dann können Sie persönlich mit dem zuständigen Arzt sprechen." Sora nickte und nahm dankbar den Zettel an. Mit kaum lesbarer Schrift standen dort der Name des Krankenhauses, sowie auch die Telefonnummer geschrieben. Ihre Hände zitterten etwas, als sie sich jedes einzelne Wort durch den Kopf gehen ließ. "Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie alles Gute", verabschiedete sich der Mann und Sora bedankte sich noch schnell. Dann sah sie, wie die beiden Polizisten zurück in das Auto stiegen und der Wagen deutlich hörbar vom Grundstück fuhr. Sie wandte sich um und machte sich ohne weiter nachzudenken sofort auf den Weg ins Krankenhaus. Ihre Kehle fühlte sich trocken an, als Sora das Krankenzimmer ihrer Mutter betrat und ihr ein seltsamer Geruch in die Nase stieg. Das Zimmer selbst war klein und wirkte durch die helle Einrichtung trübe und ungemütlich, so wie man es aus typischen Filmen und Büchern kannte. An den Wänden hing ein einzelnes Bild und bei genauem Betrachten fiel Sora auf, dass selbst die Pflanze auf dem Nachtisch nicht einmal echt war. Leise zog sie einen kleinen Stuhl heran und setzte sich wortlos an das Bett ihrer schlafenden Mutter. Um ihre Stirn war ein dicker Verband gewickelt worden und Soras Augen füllten sich mit Tränen, als sie die vielen Schläuche sah. "Hallo Mama…", flüsterte sie mit erstickender Stimme. Es folgte eine kurze Pause. "Wie konnte das nur passieren…? Bitte, Mama, du musst das hier jetzt durchstehen, okay?" Unsicher bewegte Sora ihre rechte Hand auf die ihrer Mutter zu und berührte diese. "Bitte…" Gleichzeitig spukten in ihrem Kopf immer noch die Worte des Arztes herum, die ihr ganz und gar nicht gefielen. Es war ein typischer Autounfall gewesen und doch stand es nicht besonders gut um Toshiko. Neben etlichen Knochenbrüchen war ihr Körper außerdem noch von mehreren Prellungen und einer starken Platzwunde am Kopf übersät worden - von den inneren Blutungen ganz zu schweigen. Sora biss sich auf die Unterlippe, um ein lautes Schluchzen zu unterdrücken. "Du darfst nicht sterben, Mama..." Einige Zeit später klopfte es leise an der Tür und eine Krankenschwester trat in den Raum. "Es tut mir Leid, aber Sie sollten jetzt besser gehen. Ihre Mutter braucht nun viel Ruhe und auch Sie wirken ziemlich erschöpft… wenn Sie möchten, dann bestelle ich Ihnen gerne ein Taxi." Sora wischte sich die Tränen weg und wandte sich leicht zur Seite. "Ich möchte aber gerne bei meiner Mutter bleiben… Sie braucht mich doch jetzt!" Ihre Stimme bebte hörbar. Freundlich, aber dennoch auffordernd, legte die Krankenschwester eine Hand auf Soras Schulter. "Kommen Sie. Seien Sie doch vernünftig… im Moment können Sie doch sowieso nichts tun." - "Aber…" Ungewollt ließ das Mädchen sich aus dem Zimmer führen. Schnell warf sie noch einen letzten Blick auf ihre Mutter und die Angst, sie zu verlieren, war größer denn je. "Wir rufen Sie an, wenn es etwas Neues gibt…" Als Sora schließlich wieder zu Hause war, musste sie erst einmal tief durchatmen. Sie konnte noch immer nicht fassen, was die letzten zwei Stunden passiert war, da ihr sowohl der Streit mit Yamato, als auch der Unfall ihrer Mutter derartig auf den Magen geschlagen war, sodass sie gerade in diesem Moment keinen klaren Gedanken fassen konnte. Leicht benommen schlüpfte sie aus ihren Schuhen und ging rüber in die Küche, wo sie sich erstmal auf einem Stuhl niederließ. Ihre leicht angeschwollenen Augen wanderten durch den unveränderten Raum; alles war so, wie immer. Nichts machte den Anschein dessen, womit das Mädchen nun zu kämpfen hatte und es brachte sie beinahe um den Verstand. Sie konnte diese einsame Idylle nicht ertragen und griff leise schluchzend nach dem Telefon. Yamato in solch einer Situation anzurufen kam ihr falsch vor – immerhin hatte sie ihm erst vorhin noch schreckliche Vorwürfe gemacht und jetzt, wo sie selber mit Problemen zu kämpfen hatte, wollte sie sein Mitleid nicht. Es kam ihr nicht richtig vor, also wählte Sora eine andere Nummer. Nach mehreren Sekunden wurde am anderen Ende der Leitung der Hörer abgenommen. "Yagami?" "Tai…" "… Sora? Hey, was ist los?! Weinst du etwa?" Sie hielt sich die Hand vor dem Mund und versuchte sich etwas zu beruhigen. "Kannst du… bitte vorbeikommen?", fragte sie schließlich. "Ich bin in fünf Minuten bei dir, okay?" Seine Sorge war deutlich rauszuhören und Sora nickte mehr zu sich selbst. Dann legten beide auf. Kapitel 2: Gewissheit --------------------- Ein letztes Mal wischte sich Sora über das Gesicht, atmete tief durch und öffnete dann schließlich die Haustür. Wie nicht anders zu erwarten war es Tai, der sich seit dem Telefonat sofort auf den Weg gemacht hatte und wirklich fünf Minuten später vor ihrer Tür stand. Auf ihn konnte sie sich halt verlassen – schließlich waren sie seit Kindestagen beste Freunde gewesen. "Sora!" Er tat er einen Schritt vorwärts und schaute das Mädchen besorgt an. Ihre Augen waren stark angeschwollen und gerötet und selbst als sie ihn begrüßte, war deutlich zu hören, dass sie geweint hatte. "Danke, dass du so schnell gekommen bist…" Sie lächelte schwach und trat leicht zur Seite. "Komm doch rein." Er nickte und betrat die Wohnung, während Sora bereits wieder in die Küche verschwand. "Möchtest du etwas trinken?" Tai zog sich die Schuhe aus und folgte ihr schließlich. "Nein, danke." Seine Augen fixierten das Mädchen und ohne lange nachzudenken, hakte er auch schon nach. "Sora… was ist passiert?" Sie schloss den Kühlschrank wieder und verharrte einen Moment lang so, bis ein leises, dennoch hörbares Schluchzen die Stille durchbrach. "Meine Mutter… Sie hatte einen Unfall…" "Was?!", stieß er erschrocken los. "Ist sie…" "Sie lebt. Aber…" Sora stockte und senkte den Kopf. "… aber es sieht sehr schlecht für sie aus…" Fassungslos stand er da und sah, wie das Mädchen am ganzen Körper zitterte und bitterlich weinte. Zugegeben, er hatte schon damit gerechnet, dass es etwas Ernstes sein musste, aber dennoch hatte ihn diese Nachricht doch ganz schön schockiert. Vorsichtig ging Tai auf sie zu und legte eine Hand auf ihre Schulter, um ihr ins Gesicht sehen zu können, doch Sora kam ihm zuvor, indem sie sich umdrehte und sich ihm wortwörtlich an den Hals warf. "Ich habe Angst! Ich habe Angst, dass sie stirbt, Tai!", schrie sie. Ihre Finger krallten sich unbewusst in den weichen Stoff seiner Kleidung und Sora lehnte ihren Kopf gegen seine Brust. Sofort legte er beide Arme um sie und drückte das Mädchen mehr an sich. Ihm war so, als könne er beinahe schon ihren schnellen Herzschlag spüren. "Ganz ruhig, Sora…", flüsterte er beruhigend. "Es wird alles wieder gut. Deine Mutter schafft das, da bin ich mir sicher…" Seine Worte klangen so zuversichtlich und es schien tatsächlich so, als habe er sich in dieser Hinsicht am wenigsten von allen verändert. Schon früher konnte sie sich ihm ohne Hemmungen anvertrauen, egal worum es ging. Tai war immer für sie dagewesen und hatte, wenn sie ihn brauchte, alles stehen und liegengelassen, nur um sie zu trösten. Ein wahrer und bester Freund, auf den sie sich immer verlassen konnte… Die Zeit verstrich allmählich und das Schluchzen verstummte schließlich wieder. "Geht‘s?", erkundigte sich Tai und lächelte, als das Mädchen zu ihm auf sah. "Ja… danke…" Er schüttelte den Kopf und löste die Umarmung. "Du brauchst dich nicht zu bedanken, okay? Ist doch selbstverständlich, wo wir doch immerhin Freunde sind." Sora lächelte matt und wischte sich die Tränen weg. Im Nachhinein war ihr das Ganze doch schon etwas unangenehm gewesen - schließlich zeigte sie nicht jedem einfach so ihre Tränen, wobei Tai schon eine Ausnahme war. Selbst vor Yamato schämte sie sich deswegen. "Trotzdem… du musstest dir schon so oft mein Gejammer anhören. Dabei hast du dich nie beklagt und es einfach so hingenommen…" Sie ging an ihm vorbei und bot ihm einen Stuhl an. Beide setzten sich und Tai zuckte mit den Schultern. "Ich sehe kein Problem darin… und jetzt hör auf, dir deswegen Gedanken zu machen." Es wurde wieder still zwischen ihnen. "Was ist eigentlich mit Yamato? Du hast es ihm doch sicherlich erzählt, oder…?" Sofort war das Lächeln wieder verschwunden und Sora starrte traurig zur Seite. "Nein…", gab sie kleinlaut zu. Tai blinzelte verwundert. "Nein?", wiederholte er. "… hattet ihr Streit?" Sie seufzte tief und nickte. "Willst du darüber reden?" Das Mädchen begann mit einer Haarsträhne zu spielen und ließ den Blick durch den Raum schweifen. "Naja… es war nichts Großartiges. Ich habe ihm wieder mal Vorwürfe gemacht und er ist ausgeflippt..." Ihre Stimme klang noch immer brüchig und heiser, dennoch verstand er jedes einzelne Wort und hörte weiter aufmerksam zu. "Jetzt im Nachhinein könnte ich mich ja selber dafür ohrfeigen, aber ich war so enttäuscht, weil er mich erst letztes Wochenende wieder versetzt hatte…" Nun trafen sich ihre Blicke. "Ich akzeptiere sein Hobby ja… aber manchmal habe ich das Gefühl, er würde mich nicht mehr lieben." Tai nickte. "Ich versteh dich schon… umso mehr wundert es mich, dass Yamato das nicht auch so sieht." "Er hat sich verändert, aber das stört mich ehrlich gesagt nicht..." "Soll ich vielleicht mal mit ihm reden?" Sie schüttelte den Kopf und lehnte dankbar ab. "Das ist nett von dir… aber das muss ich wohl selber regeln." Pause. "Er soll von dieser Sache hier erstmal gar nichts erfahren…" Natürlich wusste Sora, dass sie ihm vertrauen konnte und er, wenn sie es so wollte, nichts weitererzählen würde. Da war sie sich eigentlich sogar ziemlich sicher. "Mach dir keine Sorgen", versicherte er ihr. "Ich werde dicht halten." Es war schon spät, als Tai die Wohnung wieder verließ und Sora sich ein letztes Mal bei ihm bedankte, wie schon so oft an diesem Abend. Für ihn war das Ganze relativ selbstverständlich gewesen und er hatte ihr zu verstehen gegeben, dass sie ihn jederzeit anrufen und um Hilfe bitten könne. Seine Worte berührten sie und Sora versprach, dass sie sich wieder bei ihm melden würde. Ein letztes Mal umarmte er seine beste Freundin und flüsterte leise: "Das wird schon alles wieder. Mach dir nicht soviele Gedanken…" In ihren Augen bahnten sich erneut die Tränen an und sie winkte ihm noch zu, als Tai schließlich um die Ecke bog und komplett aus dem Bild verschwunden war. Nun war sie also wieder allein… Sora atmete tief durch und schloss die Haustür hinter sich. Es war plötzlich so still in der Wohnung und das Lachen, was erst vor kurzem noch durch die Räume hallte, war erneut verstummt. Unruhig wanderte sie umher und überlegte, wie sie mit dieser Situation wohl in Zukunft zu kämpfen haben würde, sollte Toshiko noch etwas länger im Krankenhaus bleiben. Der Gedanke gefiel ihr ganz und gar nicht. Sie schlurfte die Treppen zu ihrem Zimmer hoch und öffnete leise die Tür. Achtlos ließ sie diese ungeschlossen und warf sich stattdessen erschöpft auf ihr Bett. Ihre Augen hatten sich geschlossen und Sora biss verkrampft die Zähne zusammen, um weitere Heulattacken gutmöglichst zu unterdrücken. Sie wollte den Worten ihres Freundes Glauben schenken und dazu gehörte, dass sie endlich aufhörte, sich selber zu bemitleiden… doch es funktionierte nicht. Sie schaffte es einfach nicht, die Tränen zu stoppen und vergrub ihr Gesicht in die Kissen. Ihr Kopf schmerzte fürchterlich, als Sora am nächsten Morgen in ihrer Schuluniform aufwachte und erschrocken in den Spiegel starrte. Tiefe Augenringe zeichneten sich unter ihren geschwollenen Augen ab und ihrem Gesicht fehlte jegliche Farbe. Sie sah schlichtweg schrecklich aus, wenn man es als so etwas überhaupt noch bezeichnen konnte. Schnell wusch sie sich so gut es ging das Gesicht, zog sich um und stolperte die Treppe ins Erdgeschoss hinunter, wo sie hastig die Kaffeemaschine startete und eine Schüssel mit irgendwelchen Cornflakes zubereitete. Ganze zehn Minuten später verließ Sora anschließend die Wohnung und machte sich aufgeregt auf den Weg ins Krankenhaus, um nach ihrer Mutter zu sehen. Die Eingangstür fiel zurück ins Schloss und Sora blieb einen Moment lang irritiert in der Lobby stehen, bis sie schließlich nach rechts abbog und nervös durch den Flur des Krankenhauses hastete. Ihre Augen huschten konzentriert über die durchnummerierten Zimmer und sie war erleichtert, als sie endlich das Zimmer ihrer Mutter gefunden hatte. Ein letztes Mal räusperte sie sich und versuchte sich keinerlei Sorge anmerken zu lassen - Dann klopfte Sora an. Vorsichtig öffnete sie die Tür und zwei Augenpaare waren auf das Mädchen gerichtet. "Oh, Takenouchi. Wie schön, Sie zu sehen", begrüßte sie freudig der Arzt, mit dem sie am Tag zuvor schon gesprochen hatte und der sich nun von Toshiko abwandte. "Ich komme später noch einmal, um nach Ihrer Mutter zu sehen. Es geht ihr heute aber schon weitaus besser." Diese Worte lösten in ihr eine komplette Erleichterung aus und Sora sah nur noch, wie der Arzt aus dem Zimmer verschwand. "Sora", riss sie stattdessen eine Stimme zurück in die Gegenwart. Es war Toshiko. Überglücklich bewegte sich das Mädchen auf das Bett ihrer Mutter zu, legte die zuvor gekauften Blumen beiseite und umarmte die Frau schließlich. "Ach Mama, ich bin so froh!" Diese erwiderte die Geste. "Ich wäre vor Sorge beinahe umgekommen!" "Beruhige dich, Sora… wie du siehst, geht es mir heute viel besser." Zuversichtlich lächelte Toshiko ihre Tochter an und strich ihr behutsam über ihre Wange. "Aber du siehst nicht wirklich gut aus. Bist du krank?" Sie schüttelte den Kopf. "Ich habe nur etwas schlecht geschlafen, geht schon. Viel wichtiger ist jetzt deine Gesundheit." Glücklich lächelte das Mädchen zurück und setzte sich auf die Bettkante, die Hand ihrer Mutter haltend. Ihre ganzen Sorgen waren wie vom Erdboden verschluckt. "Wann darfst du denn wieder nach Hause kommen?", fragte sie neugierig. "Das steht noch nicht fest. Ich soll wohl noch ein paar Tage hierbleiben…" Ein genervtes Seufzen entfuhr der Frau und sie warf einen kurzen Blick zum Fenster rüber. Die Vorhänge hatte bereits jemand zur Seite gezogen und grelles Licht fiel in den hellen Raum. "Hauptsache du wirst wieder gesund", fügte Sora schnell hinzu. "Und bis du wieder nach Hause darfst, werde ich dich jeden Tag besuchen kommen." Die Gesichtszüge der Frau entspannten sich und Toshiko lächelte. "Das ist sehr lieb von dir, Sora. Aber trotzdem solltest du durch mich nicht die Schule vernachlässigen." Sie räusperte sich und das Mädchen fühlte sich leicht ertappt. "Aber ich habe mir doch solche Sorgen um dich gemacht! Wie hätte ich da in die Schule gehen können?", versuchte Sora sich angespannt aus der Situation herauszureden. "Trotzdem möchte ich, dass du ab morgen wieder in die Schule gehst. Du kannst mich schließlich auch nachmittags besuchen kommen... und gerade jetzt, wo Prüfungszeit ist, solltest du so wenig wie möglich in der Schule fehlen." Letztendlich gab sie nach. "Jaja.." Am Nachmittag verabschiedete Sora sich von ihrer Mutter und ging, nachdem sie auf Wunsch dieser noch einige Besorgungen im Supermarkt erledigt hatte, wieder zurück nach Hause. Ihre Laune hatte sich in den letzten Stunden erheblich gebessert und die Gewissheit, dass ihre Mutter nicht länger in Lebensgefahr schwebte, machte sie einfach nur glücklich. Nun galt es nur noch, sich mit Yamato zu vertragen, aber auch da war sich das Mädchen sicher, dass alles wieder seinen gewohnten Lauf finden würde. Außerdem würde sie später noch einmal bei Tai anrufen, um ihn von der erfreulichen Nachricht zu berichten. Circa zehn Minuten später erreichte sie schließlich die Wohnung, zog ihre Schuhe aus und schlenderte müde in die Küche, um sich dort der schweren Einkaufstüten zu entledigen. Sie seufzte tief und begann nach einer kurzen Pause die Lebensmittel und Getränke in den Kühlschrank einzuräumen, während dabei eine leise Musik im Radio spielte. Nachdem Sora fertig war, griff sie auch schon nach dem Telefon und wählte aufgeregt Tais Nummer. Es klingelte. "Yagami?" Diesmal war es eine weibliche Stimme, die sich zu Wort meldete. "Hallo Kari", lächelte Sora mehr zu sich selbst. "Hier ist Sora. Könnte ich bitte mal Tai sprechen?" "Klar, warte. Ich hole ihn kurz." Das Gespräch wurde einen Moment lang unterbrochen und Sora hörte nur noch, wie mehrere Türen geöffnet wurden und Kari einige Worte mit ihrem Bruder wechselte, die sie allerdings nicht richtig verstehen konnte. "Sora?", vernahm sie plötzlich eine besorgte Stimme und schreckte dadurch leicht zusammen. "Ist alles in Ordnung bei dir?" Es war Tai. Sie setzte sich an die Küchentheke und begann mit dem Telefonkabel zu spielen. "Ja, alles Bestens. Ich war vorhin bei meiner Mutter und so wie es aussieht, darf sie die nächsten Tage wohl wieder nach Hause kommen", berichtete sie überglücklich und lächelte. "Ich bin so froh, dass alles wieder in Ordnung ist…" "Das freut mich sehr für dich, Sora. Ich habe dir doch gleich gesagt, dass du dich nicht unnötig verrückt machen brauchst…" Ein zaghaftes Grinsen stahl sich auf ihre Lippen. "Ja, ich weiß… du hattest wirklich Recht. Danke übrigens nochmal, dass du gestern so schnell vorbeigekommen bist", bedankte sich das Mädchen höflich und warf anschließend einen kurzen Blick auf die Küchenuhr. Es war mittlerweile kurz vor halb fünf. "Ich weiß nicht, wie oft ich dir das jetzt schon gesagt habe, Sora, aber du brauchst dich wirklich nicht dafür zu bedanken." "… kaum zu glauben, dass du immer noch derselbe Tai von damals bist", kicherte sie. "Was soll das denn heißen? Und ach, im Übrigen hat Yamato heute nach dir gefragt." Sofort wurde Sora hellhörig und das Lachen verstummte. "Was, wirklich?" "Er hat sich Sorgen gemacht, weil du nicht in der Schule warst", fuhr Tai langsam fort. "Vielleicht hat er das Ganze ja mit eurem Streit in Verbindung gebracht und glaubt jetzt, dass du dich deswegen von der gesamten Außenwelt abkapseln willst, oder so…" "Du hast ihm aber nichts… erzählt, oder?", hakte sie vorsichtig nach. "Nein, habe ich nicht." Ihre Gesichtszüge entspannten sich wieder und erleichtert seufzte Sora auf. Auf der einen Seite war sie glücklich darüber, dass Yamato sich wenigstens annähernd um ihr Wohlbefinden scherte, aber trotzdem wollte sie nicht zu viel riskieren - schon gar nicht, wenn er es von Tai erfahren hätte, wo er doch ohnehin schon desöfteren eifersüchtig auf diesen gewesen war. Völlig unbegründet, wie sie fand. Nachdem Sora etliche Stunden später dann nach den Hausaufgaben fragte und sich diese auf einem Zettel notiert hatte, war das Telefonat schließlich wieder beendet und beide verabschiedeten sich flüchtig voneinander. Toshiko hatte irgendwo schon Recht gehabt - Gerade in dieser Zeit, wo die Prüfungen in Hochtouren liefen, durfte sie einfach keinen wichtigen Stoff verpassen und dazu gehörte, dass sie die Hausaufgaben nicht vernachlässigte. Sie rutschte gerade von ihrem Stuhl und wollte in ihr Zimmer gehen, da klingelte das Telefon und Sora hielt verwundert inne. Ob das wohlmöglich Yamato war? Oder Tai? Etwas zögernd bewegte sich ihre Hand auf den Hörer zu und nach mehreren Sekunden nahm das Mädchen schließlich ab. "Takenouchi?", meldete sie sich mit freundlicher Stimme und horchte auf. "Takenouchi? hier spricht Fujiwara. Es geht um ihre Mutter! Ihr Zustand hat sich drastisch verschlechtert und es wäre schön, wenn sie schnellstmöglich hierher kommen könnten." Kapitel 3: Verzweifelt ---------------------- Entsetzen stand in ihren Augen geschrieben, als Sora die bittere Nachricht erfuhr und reflexartig das Gespräch beendet hatte, noch bevor sie selbst irgendetwas erwidern konnte. Es war einfach so passiert und es dauerte einen Moment, bis sie sich langsam wieder rühren, geschweige denn einen klaren Gedanken fassen konnte. Plötzlich schien es so, als würde der Boden unter ihren Füßen verschwinden und die doch so laute Musik des Radios immer leiser werden. Stattdessen hallte ein schneller Herzschlag in ihren Ohren wieder und ihre Hände zitterten vor Nervosität, als das Mädchen wie betäubt ihre Schuhe anzog und schließlich wie besessen aus der Wohnung rannte. Draußen zogen sich dunkle Wolken zusammen und von weit her grollte ein schwerer Donner heran, bis letztendlich die ersten Regentropfen vom Himmel fielen und sich kleine Pfützen auf den Straßen bildeten. Missachtend lief Sora leise keuchend weiter und ihre Kleidung wurde zunehmend schwerer, als diese den verstärkten Regen in sich aufsog und bei ihr eine leichte Gänsehaut verursachte. Sie strich sich die störenden Haarsträhnen aus dem Gesicht und nach wenigen Minuten war von weitem das riesige Gebäude zu erkennen, welches sich inmitten der Stadt hoch erstreckte. Hastig stürmte Sora das Krankenhaus und zog damit jegliche Blicke auf sich. Unbeirrt lief sie denselben Weg wie zuvor auch und ihr Puls raste, als das Mädchen schließlich erschöpft inne hielt. Ihre wackeligen Beine gaben langsam nach und völlig schockiert blieb Sora vor einer Menge Krankenschwestern stehen, die sich um das Zimmer ihrer Mutter versammelt hatten. Dann sah sie, wie das Bett hinaus geschoben wurde und eine Person auf sie zukam. Es war der zuständige Arzt ihrer Mutter gewesen. "Takenouchi", begann er und hielt das Mädchen zurück. Im Hintergrund sah man, wie sich die Menge langsam wieder auflöste und das Bettgestell laut ratternd über den Flur geschoben wurde. "Was soll das? Ich will zu meiner Mutter - Es geht ihr doch nicht gut?!" Sora versuchte sich mit aller Kraft aus dem Griff zu befreien, bis ihr Körper unbewusst zusammenzuckte. "Ihre Mutter ist leider verstorben…" ----------------- Gelangweilt stützte Tai seinen Kopf mit der Handfläche und beobachtete Izzy, wie dieser tief in sich gekehrt an dem Computer der Yagamis rumschraubte und sich gleichzeitig einen weiteren Keks in den Mund schob. "Kriegst du den wieder hin?", seufzte er schwer und legte dabei den Kopf in den Nacken. Schon seit Stunden saßen die beiden im Arbeitszimmer, nachdem Tai seinen Freund darum gebeten hatte, sich um den kaputten Computer seines Vaters zu kümmern. Ihm war dabei jedoch nicht bewusst gewesen, wie zeitaufwändig und verdammt langweilig der ganze Aufwand verlaufen würde und da beide auf dem bloßen Fußboden saßen, tat dem Jungen mittlerweile der Rücken weh. Izzy hielt seinen Blick starr auf den Computer gerichtet und antwortete: "Mach dir keine Sorgen, ich hab‘s gleich." "Das sagtest du schon vor zwei Stunden", murrte Tai genervt und hob den Kopf wieder. "Du kannst doch auch morgen weitermachen…" Es klopfte an der Tür und im nächsten Moment stand Yuuko, Tais Mutter, im Raum. "Tai", begann sie. "Sora ist hier - Sie wartet in der Küche." Er blinzelte leicht verwirrt. "Was, Sora?", wiederholte Tai und sein Körper richtete sich mühsam auf. Auch Izzy hatte von seiner Tätigkeit abgelassen und wandte sich einen Moment lang Yuuko zu. Diese verschwand bereits wieder, gefolgt von Tai. "Ich bin gleich wieder da", rief er noch schnell und schloss die Tür hinter sich. In der Küche angekommen, saß Sora halb durchnässt am Tisch und starrte leicht abwesend in die Luft. Tais Stimme riss sie zurück in die Gegenwart. "Sora?" Mit schnellen Schritten war er an sie herangetreten und sah sie mit großen Augen an. "Was ist passiert?!" Das Mädchen jedoch lächelte nur und stand auf. "Ist es denn so ungewöhnlich, dass ich meinen besten Freund mal besuchen komme?" Tai hielt überrascht inne und schüttelte schließlich den Kopf. "Nein, ich dachte nur…" - "Ich war eben noch schnell in der Stadt und habe ein paar Filme ausgeliehen, die wir uns anschauen können… so wie früher, weißt du noch?" Ohne auch nur eine Antwort abzuwarten, ging Sora an ihm vorbei und steuerte in die Richtung seines Zimmers. "Was…?" Schnell hatte er sich wieder gefasst, folgte dem Mädchen und versperrte ihr schließlich den Weg. "Moment, Sora! Hast du mal auf die Uhr geguckt…? Es ist gleich halb elf!" Ihre Blicke trafen sich. "Früher hast du dir nie Gedanken um sowas gemacht, Tai", murmelte sie enttäuscht und wandte langsam ihren Blick ab. Stirnrunzelnd sah er sie noch eine Weile lang an und war sich sicher, dass sie sich wirklich seltsam benahm - aus welchem Grund auch immer, doch sein Gefühl riet ihm, jetzt nur nichts Unüberlegtes zu tun. Er seufzte und trat zur Seite. "Ist ja schon gut… geh von mir aus schon mal ins Zimmer - ich komme dann gleich nach." Ihre Miene hellte auf und sie tat das, was er sagte. Im selben Moment öffnete sich eine weitere Tür und Izzy stand im Flur, einen Keks in der rechten Hand haltend. "Ich bin fertig", verkündete er freudig und sah sich dann um. "Ist Sora schon wieder gegangen?" Tai machte den Mund auf, um zu einer Antwort anzusetzen, hielt dann aber inne und stotterte stattdessen drauf los. "Nun ja… Also eigentlich… ja." Es folgte ein schweigsamer Blickkontakt. "Oh, na dann… Ich werd mich dann auch mal wieder auf den Weg machen." "Und danke nochmal für deine Hilfe. Mein Vater wird heulen vor Freude…" Izzy grinste und stopfte sich noch schnell den letzten Keks in den Mund. "Keine Ursache. Wir sehen uns dann." Nachdem sich beide noch kurz an der Tür verabschiedet hatten und diese dann erneut ins Schloss fiel, ging Tai zurück durch den Flur und hielt dort vor seinem Zimmer. Er machte sich ernsthafte Sorgen um Sora und konnte sich ihr Verhalten nicht ansatzweise erklären, denn, wie sie ihm ja am Telefon zuvor berichtet hatte, schien mit ihrer Mutter wieder alles in Ordnung zu sein… wo also lag ihr Problem, wenn es überhaupt eins gab? Oder hatte wohlmöglich Yamato etwas damit zutun gehabt? Er schüttelte den Kopf. Es war doch lächerlich, sich so viele Gedanken zu machen, wenn er jetzt genau in diesem Augenblick die Möglichkeit hatte, das Mädchen selbst zu fragen. "Also dann…" Seine Hand umfasste die Türklinke und er trat vorsichtig ins Zimmer, wo Sora mittlerweile am Fenster stand und gedankenverloren hinausschaute. "Sora…?", fragte er mit ruhiger Stimme und schloss die Tür hinter sich. "Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?" Verunsichert blieb er inmitten des Raumes stehen und wartete gespannt eine Antwort ab - vergebens. "Sora!", wiederholte Tai nun etwas lauter. Sie reagierte nicht. Wütend biss er die Zähne zusammen und setzte erneut einen Fuß vor den anderen, bis er schließlich hinter dem Mädchen stand und ihr Spiegelbild im Fenster betrachtete. Sora weinte. "Sie… ist gestorben…", flüsterte sie zaghaft. "Was..?" Nun drehte sich das Mädchen um, stieß ihn leicht von sich und schrie: "Sie ist tot! Meine Mutter lebt nicht mehr, Tai!" Tränen liefen ihr über das Gesicht und ihr Körper zitterte vor Aufregung. "Es ist überhaupt nichts gut! Nichts, absolut gar nichts!" Ihre Stimme bebte, geschwächt durch die Tränen und sie schluchzte lauthals, als ihre Beine nachgaben und Sora letztendlich auf die Knie fiel. Sie beugte ihren Oberkörper nach vorne und schlug mit beiden Fäusten auf den Fußboden. "Das ist nicht fair! NIEMALS!" Das Mädchen war außer sich. Schnell hatte sich Tai zu ihr hinunter gekniet und versuchte verzweifelt sie zu beruhigen, indem er fürsorglich seine Hand auf die ihre legen wollte. Sie versuchte seiner Geste auszuweichen, indem sie nach seiner Hand schlug, diese jedoch schnell nach ihrer griff und sie dazu brachte, ihm total verheult in die Augen zu sehen. "Sora…" Erst jetzt, wo er ihre zierliche Hand hielt, bemerkte er, wie sehr sie eigentlich zitterte. "Ich verstehe das nicht! Heute Nachmittag war noch alles in Ordnung gewesen!", schluchzte sie und es war schwierig zu verstehen, was sie meinte. "Sie sah so glücklich aus, als ich zu ihr ging… als würde es ihr wirklich gut gehen…" Ohne weiter nachzudenken zog er leicht an ihrer Hand und fasste sie im nächsten Moment an den Schultern. Sora fand sich in seinen Armen wieder und gab sich dem einfach hin, hoffte durch ihn Trost zu finden. Vorsichtig drückte Tai das Mädchen mehr an sich und streichelte sanft über ihren Rücken, während er unbewusst ihren süßlichen Duft einatmete und weit entfernt ein leichtes Kribbeln im Bauch spürte. Ein eigenartiges, dennoch aber schönes Gefühl… Tai löste wenige Minuten später beide Arme und hielt sie nun mehr an beiden Oberarmen fest. Sie schaute langsam zu ihm auf und konnte wegen der Tränen nur schlecht erkennen, wie sich ihr bester Freund ihrem Gesicht näherte. Erst als Sora seine Lippen auf die ihren spürte wurde ihr die Situation bewusst und sie hielt erschrocken inne. Kapitel 4: Gefühlschaos ----------------------- Ein bester Freund? Jemand, dem man all seine Probleme und Sorgen mit gutem Gewissen anvertrauen kann? Eine Person, die jemanden nimmt, so wie man wirklich ist und die selbst Fehler zu schätzen weiß? So jemanden kannte sie in jenen Zeiten nicht und sie hätte sich auch nie zu träumen gewagt, dass sich diese Tatsache einmal zum genauen Gegenteil wenden würde. Sora war glücklich mit ihrem Leben gewesen, alles lief reibungslos perfekt und abgesehen davon, dass jeder einmal seine Phasen hatte, in denen er sich von der ganzen Welt verbarrikadierte, konnte sie sich nun wirklich nicht beklagen. Sie war verliebt und hatte damals das große Los gezogen, dass diese Person ihre Gefühle erwiderte - Yamato Ishida. Niemals hatte sie sich getraut ihn anzusprechen, oder ihm wohlmöglich ein Geständnis zu machen und umso überraschter war sie letztendlich gewesen, als er eines Tages auf sie zuging und ihr klar machte, dass da weitaus mehr war, als nur eine einfache Freundschaft. Ihre darauffolgende Beziehung verlief blendend und Sora war insgeheim stolz gewesen, wenn ihnen jedes Mal neidische Blicke nachgeworfen wurden - hauptsächlich von Yamatos unzähligen Verehrerinnen. Sie liebte und wurde geliebt, doch war da auch noch etwas anderes, wofür sie noch lange Zeit dankbar sein würde. Sora hatte Freunde, um genauer zu sein einen besten Freund, dem sie vollstes Vertrauen schenkte und mit dem das Mädchen durch dick und dünn gehen konnte, egal zu welcher Zeit, oder Situation. Beide waren auf der genau gleichen Wellenlänge und selbst an jenem Tag, als sie gemeinsam mit fünf anderen Freunden in die Digiwelt gelangt waren, fühlte sie sich trotz der ihr völlig fremden Welt sicher und beschützt - Praktisch gesehen sah Sora in Tai einen älteren Bruder, den sie nie hatte. Und dann war da noch ihre Familie, die sie mit ihrer wunderschönen, wenn auch manchmal schwierigen Kindheit in Verbindung brachte. Mit Toshiko hatte sich das Mädchen relativ selten verstanden und sie hasste sich im Nachhinein dafür, dass sie lange Zeit in dem Glauben gelebt hatte, ihre Mutter würde sie nicht lieben, geschweige denn akzeptieren. Ganz im Gegenteil. Zu ihrem Vater, Haruhiko, hatte Sora nie wirklich eine Beziehung aufbauen können, da dessen Beruf eine Menge Zeit beanspruchte und er somit selten Zuhause war. Weihnachten, Geburtstage, Neujahr… Er war niemals der Vater gewesen, wie andere Menschen eine solche Person beschrieben, doch sie hatte sie sich mit den Jahren damit abgefunden und nahm es letztendlich einfach so hin, wie es war. Erschrocken starrte Sora in das Gesicht ihres besten Freundes und noch immer berührten ihre Lippen einander, während ihr Herz kräftig gegen ihren Brustkorb schlug. Auf ihren Wangen lag ein leichter Rotschimmer und obwohl es sich ungemein gut anfühlte, war da dennoch eine laute Stimme in ihrem Hinterkopf, die sie davon abhielt, sich noch länger diesem Gefühl hinzugeben. Schließlich war die Person, die sie da gerade küsste, schon seit vielen Jahren ihr bester Freund gewesen und dann tauchte auch noch Yamato vor ihrem geistigen Auge auf. Nein, es war einfach nicht richtig, was sich hier abspielte. "Nicht!", stieß sie heiser hervor und schubste Tai unsanft von sich. Er fiel rücklings nach hinten und starrte das Mädchen ebenso erschrocken an, verwundert darüber, was er gerade getan hatte. "Was… was sollte das…?", fragte sie leise und sah ihn dabei undurchdringlich an. Dieser stand vorsichtig auf und versuchte die unglaubliche Röte in seinem Gesicht zu verbergen. Tai wandte seinen Blick beschämt zur Seite und suchte verzweifelt nach den richtigen Worten. Auch Sora richtete sich langsam wieder auf und realisierte, wie sehr ihr Kopf eigentlich vor Scham glühte. "Es…", begann er nervös und schaute langsam wieder zu ihr rüber. „Es tut mir Leid - ich weiß selber nicht wie…" "Und ich habe gedacht, wir wären beste Freunde…", fiel sie ihm leise ins Wort. „Dabei interessiert es dich doch gar nicht, wie es mir geht, oder was ich fühle!" Mit jedem Wort wurde ihre Stimme lauter und die Situation geriet vollkommen außer Kontrolle. "Nein, das ist nicht wahr, Sora! Ich weiß selber nicht, wieso ich dich geküsst habe… ich…" "Du bist das Allerletzte! Wahrscheinlich schert es dich einen Dreck, dass meine Mutter tot ist!" Sie rannte an ihm vorbei, riss die Tür auf und verschwand schließlich aus seinem Zimmer, gefolgt von Tai. "Das ist doch nicht dein Ernst!? Du glaubst doch nicht wirklich, dass es mich nicht interessiert, dass…" "Lass mich in Ruhe! Mit dir bin ich fertig!" Laut fiel die Haustür ins Schloss und Yuuko schaute verwirrt zu ihrem Sohn rüber. "Was ist denn passiert? Habt ihr euch gestritten?" Er antwortete nicht, sondern stand einfach nur da und kämpfte mit der Wut auf sich selbst. Trotzallerdem konnte er ihre Reaktion irgendwie verstehen - schließlich wusste Tai selbst nicht einmal, wieso er ausgerechnet seine beste Freundin in solch einem Moment geküsst, oder was ihn auch nur annähernd dazu getrieben hatte. Sora hatte sich derweil auf den Weg zu ihrer Wohnung gemacht, während ein eisiger Wind um die Häuser zog und der Regen einige Pfützen auf den Straßen hinterlassen hatte. Tränen bahnten sich erneut über ihr gerötetes Gesicht und es tat weh, wenn sie im Nachhinein darüber nachdachte, was geschehen war. Sie hatte Trost und Verständnis bei Tai gesucht, nichts weiter - Sora liebte ihn nicht einmal, da war sie sich sogar ziemlich sicher gewesen und trotzdem hatte sie noch immer dieses starke Herzklopfen, wenn sie an den Kuss zurückdachte. Traurig wischte sich das Mädchen die Tränen weg und fasste für sich selbst zusammen, dass die Sache mit Tai vorerst ihr kleinstes Problem auf dieser Welt war. Es gab genug Sorgen, die in der nächsten Zeit nur so auf sie zukommen würden und Sora hatte keine Ahnung, wie sie auch nur annähernd damit fertig werden sollte. Überhaupt stellte sie sich die ganze Zeit die Frage, was aus ihr selbst werden sollte, da sich ihre Eltern erst vor einem Jahr scheiden ließen und das Mädchen seit her allein mit ihrer Mutter zusammen gelebt hatte. Unter Tränen biss sie wütend die Zähne zusammen und ihr war sofort klar, dass sie nicht ohne weiteres zu Haruhiko ziehen würde - nicht unter solchen Umständen und schon gar nicht mit seiner neuen Freundin unter einem Dach. Außerdem waren es nur noch wenige Monate bis zu ihrem achtzehnten Geburtstag und dann war sie sowieso nicht länger abhängig von ihm. Es galt einfach stark zu sein und die nächsten Wochen so gut wie möglich zu überstehen. Stark sein… War das überhaupt noch möglich? Schon lange hatte sich Sora nicht mehr so elend gefühlt und es war nichts im Vergleich zu den Problemen, die sie in der Vergangenheit gehabt haben mag. Es war schwer, nicht einfach loszuschreien und sich der Schwäche hinzugeben, aber es tat verdammt nochmal so weh. Die Fußgängerzone endete wieder und Sora marschierte verheult durch den Stadtpark, bis sie bei einer Bank urplötzlich stoppte und sich notgezwungen hinsetzte. Ihr Gesicht vergrub sie vollkommen aufgelöst in den Händen und das Licht der Straßenlaterne fiel auf ihren zierlichen Körper. Sie schaffte es einfach nicht. Das unkontrollierte Schluchzen war leicht gedämpft durch die Hände und sie zitterte wie Espenlaub, während ihr Puls unheimlich schnell raste. Sora fühlte sich auf einmal so kraftlos und einsam, zweifelnd an ihren eigenen Worten und schwach aufgrund dessen, wie sie hier jämmerlich zu Grunde ging. "Sora." Erschrocken hielt sie inne und verharrte einen Moment lang in ihrer Position, bis sie schließlich die Hände vom Gesicht nahm und zu Tai sah. Ihr fehlten die Worte. "Hör zu, Sora… es tut mir wirklich Leid." Es wunderte sie, dass er so offen und ehrlich war und ihr keine Vorwürfe machte. "Lass uns die ganze Aktion einfach vergessen, okay? Ich will mich deswegen nicht mit dir streiten." Ihr Blick fiel auf die Tasche, die er in der rechten Hand hielt. Anscheinend hatte sie diese in aller Aufregung vergessen mitzunehmen. "Wir sind doch Freunde, oder?" Er zögerte kurz und ging dann etwas näher auf sie zu. "Und ich möchte dir helfen…" Vorsichtig setzte sich Tai neben sie und hielt ihr schließlich die Tasche hin, die sie wortlos entgegen nahm. Es wurde wieder still zwischen ihnen und Sora war viel mehr damit beschäftigt, sich langsam wieder zu beruhigen. Wahrscheinlich sah sie in ihrem jetzigen Auftreten absolut schrecklich aus - immerhin brannten ihre Augen schon vom vielen Weinen. "Ist schon in Ordnung… ich habe etwas überreagiert, das tut mir Leid", hauchte sie mit leiser Stimme und sah ihm dabei nicht in die Augen. Tai schüttelte den Kopf. "Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Komm, ich bring dich nach Hause." Erst jetzt wandte Sora mutig ihren Blick zur Seite, um ihn anzuschauen. "Danke, aber ich gehe besser alleine…" "Bist du dir sicher?" "Ja." Sie stand auf, hang sich die Tasche über und machte sich erneut auf den Weg, während Tai ebenfalls aufsprang und ihr besorgt hinterher schaute, noch bevor er etwas erwidern konnte. Irgendwie hatte er in diesem Moment das Gefühl versagt zu haben und obwohl er ihr am liebsten nachgelaufen wäre, ließ er es letztendlich doch bleiben - warum, wusste er nicht. Als Sora zehn Minuten später endlich ihre Wohnung erreicht hatte, kramte sie nervös in ihrer Tasche und suchte in der Dunkelheit nach dem passenden Schlüssel, ohne dabei zu bemerken, dass jemand neben ihr stand. Erst als sich Sekunden später eine kalte Hand auf ihre Schulter legte, fuhr sie erschrocken zusammen, drehte sich panisch kreischend um und ließ dabei ihre Tasche, mitsamt Inhalt zu Boden fallen. "Hey, ganz ruhig! Ich bin‘s!" Anhand der Stimme erkannte sie, dass es Yamato war. "Was… machst du denn hier?", keuchte sie immer noch erschrocken. "Und das um diese Zeit…" Sora kniete sich hin, um die heruntergefallenden Sachen wieder in die Tasche zu stopfen und sah, wie sie dabei von zwei weiteren Händen unterstützt wurde. Schnell hatten die beiden alles wieder zusammengeräumt und das Mädchen bedankte sich mit einem leisen 'Danke'. "Ich wollte mich bei dir entschuldigen", beantwortete er die Frage und versuchte ihr, trotz Dunkelheit, in die Augen zu schauen. "Du warst nicht in der Schule und als ich vorhin hier her kam, war auch niemand da… ich habe mir ganz schön Sorgen um dich gemacht und… Sora?" Yamato hielt überrascht inne, als sich der Kopf des Mädchens leicht sank und sie zu schluchzen begann. "Was ist passiert?" Sora schüttelte den Kopf und klammerte sich im nächsten Moment an ihn, während ihr erneut die Tränen kamen. "Ich schaffe das nicht…", schluchzte sie leise und verstärkte ihren Griff panisch. „Bitte, hilf mir, Yamato!" "…Sora?" Es war mittlerweile nach Mitternacht und der Teekessel zischte leise. Sora saß mit einer Decke auf dem Sofa im Wohnzimmer und hatte beide Beine an ihren Körper herangezogen, als Yamato schließlich mit einer Tasse Tee zurückkehrte und ihr diese fürsorglich hinhielt. "Hier, trink das." Dankend nahm sie den Tee an und nippte ein, zwei Mal daran, bis sie die Tasse auf den kleinen Tisch abstellte. Er setzte sich dazu, legte einen Arm um sie und spürte, wie sich ihr Körper an seinen schmiegte. Ruhig streichelte der Blonde über ihren linken Arm und starrte dabei in die Luft. "Hast du eine Ahnung, was du jetzt machen wirst?", fragte Yamato leise. Ihre Augen wurden zunehmend schwerer und Sora hatte inzwischen starke Probleme damit wachzubleiben. "Ich weiß nicht…" Sie lehnte ihren Kopf an ihn und schloss die Augen. "Ich weiß es wirklich nicht…" Kapitel 5: Unsere Freundschaft ------------------------------ In den darauffolgenden Tagen verbarrikadierte Sora sich immer mehr in ihrer Wohnung, ließ sich in der Schule für ihr Fehlen entschuldigen und heulte sich praktisch vierundzwanzig Stunden lang die Augen aus dem Kopf, auch wenn sie die meiste Zeit Yamato bei sich hatte. Sie wusste seine Fürsorge und Liebe sehr zu schätzen, aber nichtsdestotrotz wollte sie nicht einfach so tun, als sei nichts gewesen. Die Trauer gab ihr in dieser Situation einen gewissen Halt und es fühlte sich auf jeden Fall besser an, als tagelang nur mit einem schweren Kloß im Hals herumzulaufen und sich ein falsches Lächeln auf die Lippen zu zwingen. Auch die Sache mit Tai machte ihr deutlich mehr zu schaffen, als das Mädchen zu Anfang geglaubt hatte, da sie seit ihrem letzten Treffen nichts mehr von ihrem besten Freund gehört hatte. Von Yamato wusste sie, dass er selbst in der Schule nicht nach ihr gefragt hatte und auch das Telefon blieb an den vergangenen drei Tagen still - sie fühlte sich miserabel und war sich nicht einmal sicher, was genau der Schwerpunkt der ganzen Sache war. Ob es am Kuss lag? Oder weil sie ihn an diesem besagten Abend hat einfach so stehen lassen? Ihr entfuhr ein tiefes Seufzen, als sie den Wasserhahn wieder zudrehte und sich selbst im Badezimmerspiegel betrachtete. Unter ihren Augen lagen dunkle Ringe und sie hatte sämtliche Gesichtsfarbe verloren, wodurch sie nur kranker wirkte. Auch gegessen hatte das Mädchen eher kaum und dementsprechend fehlte ihr auch der Mut auf die Waage zu steigen. Sora ging zurück in die Küche, machte sich einen wässrigen Tee und schaltete im Wohnzimmer den Fernseher ein. Ihr Interesse war selbstverständlich gleich null und wie auch kaum anders zu erwarten war, lief kein gescheites Programm, oder sie langweilte sich einfach nur. Zugegeben war es doch schon ziemlich schwer, sich alleine in dieser Wohnung, die ihr umso größer erschien, zurechtzufinden und mit der schrecklichen Einsamkeit fertig zu werden, aber ebenso wollte sie auch niemandem zur Last fallen und alleine damit klar kommen, dass ihre Mutter tot war. Sora schaute auf die Uhr - kurz vor halb drei. Die Zeit verging so wahnsinnig langsam… ----------------- Um fünf nach halb drei wurde die letzte Stunde schließlich durch ein erhofftes Klingeln beendet und die angespannte Stimmung löste sich sofort. Der Lehrer verabschiedete sich noch kurz von der unruhigen Klasse, bevor er anschließend aus dem Klassenzimmer verschwand und die Schüler das Schweigen der letzten fünfundvierzig Minuten brachen. Schnell wurden alle Sachen eingepackt und die Ersten stürmten bereits nach draußen, erleichtert darüber, dass endlich Wochenende war und sie von den Qualen wortwörtlich erlöst wurden. Tai stopfte seinen Füller zurück in die abgenutzte Federtasche und sah zufällig zu Yamato rüber, welcher geradewegs aus dem Klassenzimmer steuerte. "Hey, warte mal, Yamato!" Er griff nach seiner Schultasche, schob seinen Stuhl hektisch an den Tisch heran und lief zum Blondschopf. Dieser hielt kurz an und wandte sich um. "Was gibt‘s?" Aus seiner Tonlage heraus war deutlich zu hören, dass er genervt war. "Hast du schon mit Sora gesprochen?", fragte er hoffnungsvoll und verunsichert zugleich. Sein Gegenüber nickte knapp. "Ja, habe ich." "Sie hat sich aber gar nicht bei mir gemeldet. Irgendwie passt das nicht zu ihr." Yamatos Blick verfinsterte sich für einen Moment, dann drehte er sich wieder um. "Lass sie für die nächsten Wochen einfach in Ruhe. Immerhin ist ihre Mutter gestorben…" Er wollte weitergehen, spürte dann jedoch eine Hand auf seiner Schulter, die ihn unsanft davon abhielt. "Gerade deswegen möchte ich ja mit ihr reden", erwiderte Tai ernst. "Du sagtest zu mir, dass ich auf ihren Anruf warten soll, das habe ich auch getan. Aber es tut sich nichts und ich will nicht, dass Sora glaubt, es würde mich nicht interessieren wie es ihr geht." Sekunden später löste Yamato sich wieder aus dem Griff und ging einige Schritte vorwärts, was den Braunhaarigen nur noch wütender machte. "Ich rede mit ihr, okay?" Und der Blondschopf entfernte sich immer mehr, bis er schließlich die Etage verließ und Tai alleine zurückblieb. Unbewusst ballte dieser eine Hand zur Faust und biss die Zähne zusammen. Seit Yamato von dem tragischen Familienunglück Soras Bescheid wusste, verhielt sich der Blonde ihm gegenüber distanzierter, als er ohnehin schon tat und mied längere Gespräche. Eigentlich hatte er darauf vertraut, dass Yamato zuversichtlich genug war, um mit Sora zu sprechen, da Tai seit dem Kuss selbst zu verunsichert war, wie weit er eigentlich noch gehen durfte. Er wollte sie trösten, gewiss, aber ebenso wollte er sie auch nicht bedrängen und die Freundschaft ein weiteres Mal aufs Spiel setzen. Freundschaft… Wenn Tai so darüber nachdachte, dann war in den letzten drei Jahren wirklich eine Menge passiert und sein Leben hatte sich in dieser Zeit am meisten verändert, als je zuvor. Teil dessen war auch die Freundschaft zu Yamato gewesen, die längst nicht mehr mit damals zu vergleichen war, als sie noch gemeinsam in der Digiwelt gekämpft hatten. Vielleicht würde man behaupten, dass sich ihre Interessen einfach verändert und sie sich dadurch auseinander gelebt hätten, aber Kern der ganzen Sache war ein riesiger Streit gewesen, der mit Sora zutun hatte. Er seufzte tief und setzte einen Fuß vor den anderen, als er weiter in Gedanken schwelgte. Damals waren die drei beste Freunde gewesen und selbst nachdem Yamato und Sora ein Paar wurden, änderte sich relativ wenig an dieser Tatsache - so gesehen belastete es ihre Freundschaft nicht, vorerst. Die eigentlichen Probleme traten erst viel später auf, als die beiden bereits ein halbes Jahr lang zusammen waren und Tai seinen siebzehnten Geburtstag feierte, wodurch praktisch jeder unter starkem Alkoholeinfluss stand. Es wurde gefeiert, es wurde gelacht und gottverdammt kamen sich Tai und Sora an diesem besagten Abend näher denn je - nicht zu vergessen sah Yamato das Ganze mit an und ging letztendlich auch noch dazwischen, als Tais Hand unter ihr knappes Shirt rutschen wollte. Man könnte wohl sagen, dass dieser zu Anfang wundervolle Tag in einem schrecklichen Desaster endete und Tai mindestens zwei Wochen lang nichts mehr von Yamato zu hören bekam, geschweige denn würdigte dieser ihn auch nur eines Blickes. Selbstverständlich hatte Tai sich oft genug für sein Benehmen entschuldigt und auch Sora hatte längere Zeit versucht die Freundschaft der beiden zu retten, doch Yamato gab gut genug zu verstehen, dass er auch in Zukunft ein Auge auf ihn werfen würde und dass er Sora niemals wieder so nahe kommen sollte - es sei denn er wolle mit dem Feuer spielen. Seit her war die Atmosphäre zwischen den beiden deutlich angespannt und es wäre falsch, wenn man Tai und Yamato noch als beste Freunde bezeichnen würde, so wie einst damals. Für einen kurzen Augenblick huschte ein trauriges Lächeln über seine Lippen, dann machte Tai sich schließlich auf den Heimweg. Schließlich stand Yamato erneut vor Soras Tür und kramte den Ersatzhaustürschlüssel aus seiner Hosentasche, den er von dem Mädchen bekommen hatte, da der Blonde seit her vorrübergehend in ihrer Wohnung lebte. Er brauchte diese Bestätigung einfach und musste sich jeden Tag aufs Neue vergewissern, dass es ihr auch gut ging und es ihr an nichts fehlte - nicht in dieser Lage, in der sie sich momentan befand. Natürlich trauerte auch Yamato über tragischen Vorfall bezüglich Toshiko, aber er machte sich nichts vor, wenn er sich selber eingestand, dass seine Schmerzen nichts im Vergleich zu dem waren, was in Sora derzeit vorging und welche Qualen sie durchleben musste. "Ich bin wieder da!", rief er laut in die Wohnung und steckte den Schlüssel zurück in die Hosentasche, während die Schuhe ihren Weg in die nächste Ecke des Flures fanden. Die Schultasche stellte Yamato ebenfalls ab und er ging verwundert ins Nebenzimmer, nachdem selbst nach wenigen Sekunden keine Antwort von dem Mädchen kam - Vielleicht hatte sie ihn ja nicht gehört, oder sie schlief gerade. "Sora?" Yamato stand im Wohnzimmer und seltsamerweise lief der Fernseher, jedoch ohne eine Sora im Umfeld und aus einem ihm irgendwie undefinierbarem Gefühl wusste er sofort, dass etwas nicht stimmte. Schnell hastete er in die Küche, doch selbst dort war Sora nicht. Er begann panisch zu werden, drehte sich um und erschrak beinahe, als das Mädchen plötzlich vor ihm auftauchte. "Sora! Meine Güte, hast du mich erschreckt…" Seine aufgeregte Tonlage fuhr sofort zurück, als er einen seltsamen Geruch wahrnahm und sich schließlich die Nase rümpfte. "Hast du… etwa getrunken?" Sie lächelte breit und fiel ihm stattdessen nur um den Hals, wodurch Yamato den Geruch umso mehr einatmete und sein Verdacht sich praktisch von ganz alleine bestätigen ließ. "Ich doch nich'…", lallte Sora fröhlich in sein Ohr. Sie war wie ausgewechselt, so als hätte es diesen Todesfall nie gegeben. "Verkauf mich doch nicht für dumm!", stellte der Blonde fest, drückte das Mädchen leicht von sich und fasste sie dann bei den Schultern. Das Lächeln auf ihren Lippen verschwand nicht und sie wartete gespannt ab, was als nächstes passieren würde. "Sora, es ist nicht richtig… glaubst du, dass du deine Probleme mit diesem lächerlichen Alkohol beseitigen kannst?" "Welche Probleme… Ich hab' keine Probleme!", erwiderte sie etwas energischer. "Mir geht‘s gut!“ "Das ist nicht wahr…" "Klar!" Ihre Augen funkelten und das Lächeln war verschwunden. "Tu nich' so, als würdest du mich kenn'! Einen Dreck weißt du!" Sie befreite sich nun mehr aus seinem Griff, wandte ihren Blick jedoch nicht ab. Es war erstaunlich, wie schnell sich ihre Laune geändert hatte, trotzdem war ihm diese Angelegenheit ernst und gerade solche Vorfälle hatte Yamato durch seinen mentalen Beistand verhindern wollen. "Und woher hast du überhaupt den Alkohol? Bist du aus dem Haus gegangen?", fragte er weiter und legte erneut eine Hand auf die Schulter des Mädchens, die diese jedoch reflexartig von sich schlug. "FASS MICH NICHT AN!" Er verstummte sofort. "Wieso bist du… überhaupt hier…", fuhr sie etwas leiserer fort. „Was hast du davon, wenn du… wenn du hier die liebe Mama spielst?!" Keine Antwort. "Lass' mich… endlich in Ruhe! Du… du weißt doch überhaupt gar nichts… gar nichts weißt du über mich!" Sora begann zu weinen und sank im nächsten Moment schluchzend in die Knie, gefolgt von Yamato, der sie sofort in den Arm nahm. "Hey…", flüsterte er und strich ihr zärtlich über den Kopf, als sie sich nun mehr an ihm klammerte und sich - wie schon so oft in diesen Tagen - die Seele aus dem Leib weinte. "Es ist alles in Ordnung… du bist nicht allein, Sora… ich werde nicht weggehen…" Er spürte deutlich, wie Sora am ganzen Körper zitterte und horchte auf, als diese ihm leise etwas zunuschelte. "Es tut mir Leid…" Er küsste liebevoll ihre Stirn und drückte sie nur noch fester an sich. "Ist schon okay, mach dir keine Vorwürfe…", versicherte der Blonde ihr. „Ich bin für dich da, Sora… ich werde immer für dich da sein." Stunden später war das Mädchen schließlich wieder eingeschlafen und Yamato hatte sie vorsichtig in ihr Zimmer getragen, sowie ins Bett gelegt und eine lange Zeit neben ihr gesessen, ihre Hand voller Sorge haltend. Das alles hatte ihm einen furchtbaren Schrecken eingejagt und er wollte gar nicht erst daran denken, was sonst noch alles hätte passieren können, als er nicht bei ihr gewesen war. Vielleicht hatte Yamato die Sache ein wenig unterschätzt und besonders ihr Befinden einfach auf die zu leichte Schulter genommen? Ihn plagten böse Gewissensbisse und der Blonde schwor sich, dass so etwas nicht noch einmal passieren würde - nicht solange er hier war. Er ging leise aus dem Zimmer und lehnte die Tür leicht an, als die Haustür im Erdgeschoss laut aufschrillte. Verwundert darüber, wer das um diese Uhrzeit noch sein könne, ging er die Treppe hinunter und marschierte geradewegs den Flur entlang, bis er die Haustür aufriss und sich seine Gesichtszüge verfinsterten. Es war Tai. "Was willst du hier?", fragte er monoton und ebenso auffordernd, als er seinen Schulkameraden eisern musterte. "Es ist schon spät…“ "Ich weiß", fiel Tai ihm schnell ins Wort. "Ich wollte zu Sora." Es war schwierig, die Anspannung untereinander zu ignorieren. Sein Gegenüber wandte sich leicht zur Seite und war kurz davor die Tür wieder zu schließen, doch Tai griff sofort nach dieser und schaute dem Blonden fest in die Augen. "Jetzt sofort", fügte er deutlich hinzu, was Yamato wiederum leicht stutzig machte. Er hielt einen Moment lang inne, bis er sich wieder gänzlich umdrehte und den Braunhaarigen böse anfunkelte. "Sie schläft, okay? Ich werde sie deinetwegen ganz sicher nicht wecken." Tai ließ nicht locker und begann auf ihn einzureden. "Ich weiß ja nicht, was dein Problem bei dieser ganzen Scheiße ist, Yamato, aber es kotzt mich verdammt nochmal an, wie du dich hier aufspielst! Tagelang bin ich dir nachgelaufen und habe dich darum gebeten mit Sora zu sprechen und du?! Für wen hältst du dich eigentlich?!" "Sora braucht dein Mitleid nicht, kapier es doch endlich! Sie ist nicht im Geringsten auf dich angewiesen! Also verzieh dich und lass sie in Frieden, sonst lernst du mich mal von einer ganz anderen Seite kennen!", brüllte Yamato beinahe, während er nach Tais Shirt griff und ihn drohend am Kragen packte. Dieser löste sich ruckartig aus seinem Griff und stieß den Blonden leicht erschrocken zurück. "Willst du mir etwa drohen? Du vergisst anscheinend, dass Sora neben dir auch noch andere Freunde hat!" "Pass auf was du sagst, Tai!" "Und was dann? Was passiert, wenn ich dir sage, dass Sora sich sowieso erst mir und dann dir anvertraut hat? Was sagst du dann?!" Es wurde kurz still, ein unschönes Geräusch folgte und der Braunhaarige fand sich auf dem Boden wieder - das Blut strömte aus seiner Nase und der Blick in seinem Gesicht war undefinierbar. Er war ganz einfach schockiert darüber, was gerade geschehen war und starrte Yamato mit großen Augen an. Der Blonde rührte keinen Finger, um Tai hochzuhelfen, geschweige denn folgte eventuell eine Entschuldigung für seine Überreaktion - es tat sich einfach nichts. "Und jetzt hau ab!", waren seine Worte. Danach wurde die Haustür lautstark zugeknallt und Yamato erschrak, als er sich umgedreht hatte und Sora auf der Treppe stehen sah. Ihre Augen fixierten den Jungen genauestens, während dieser kein Wort rausbekam und sie schließlich an ihm vorbeistürmte. Die Tür wurde aufgerissen und ihr Verdacht, dass es wirklich Tais Stimme gewesen war, die sie gehört hatte, bestätigte sich. Sofort eilte das Mädchen zu ihm, als sie seine Verletzung bemerkte. "Tai?!" Yamato hielt sich mehr im Hintergrund und beobachtete, wie Sora ihrem besten Freund leicht hoch half und den Blonden dann wieder - voller Entsetzten - ansah. "Was sollte das, Yamato? Wieso hast du ihn geschlagen?" Er antwortete nicht und nach mehreren Sekunden wandte sie sich erneut an Tai. "Alles in Ordnung?!" Der Braunhaarige stand mittlerweile wieder auf beiden Beinen und warf dem Blonden einen weiteren Blick zu, bis er auf die Frage des Mädchens einging. "Ja… blutet nur ein bisschen, sonst nichts…" Ihm fiel auf, dass sie viel schlechter aussah, als er selbst. "Das spielt keine Rolle, komm trotzdem erstmal mit rein! Wir haben noch etwas Verbandszeug im Badezimmer, dann kann ich die Verletzung behandeln…" Ohne lange zu warten zerrte sie ihn ins Haus und spürte dabei einen stechenden Blick im Nacken, als sie gemeinsam mit Tai an Yamato vorbeiging und diesen keines Blickes würdigte. Kapitel 6: Vierzehn ------------------- Yamato drehte sich um und musste einen Moment lang innehalten, um den unberechenbaren Zorn zu unterdrücken und nicht ein weiteres Mal auf den Braunhaarigen loszugehen. Er hasste es verdammt nochmal, wenn die beiden sich näher kamen - egal, ob dabei Gefühle eine Rolle spielten, oder nicht. Schließlich war Sora nach all dem immer noch seine Freundin und sie liebte ihn, den Blonden, mehr als alles andere auf dieser Welt. Wieso also musste sich Tai ständig in ihre Beziehung einmischen? "Sora", begann Yamato mit ruhiger Stimme und dennoch war ein seltsamer Unterton deutlich hörbar. "Du solltest dich besser wieder hinlegen… ich kümmere mich darum." Das Mädchen blieb stehen und wandte sich leicht um, sodass sie ihrem Freund in die Augen sehen konnte. Er wirkte angespannt und gereizt - noch dazu war er es gewesen, der in den letzten Minuten auf Tai losgegangen war und nicht umgekehrt, das stand fest. Sie wusste nicht genau warum, aber aus irgendeinem Grund war sie sich sicher, dass sie sich lieber selbst darum kümmern sollte. "Mir geht es gut", stellte sie zur Rede. "Mach dir bitte keine Sorgen." Kaum waren diese Worte ausgesprochen, verschwand sie auch schon ins Bad, während Tai sich stumm mitzerren ließ und Yamato wütend die Zähne zusammenbiss. "Das wirst du bereuen, Tai…" Nachdem die Wunde vorerst behandelt wurde, hielt Sora dem Jungen einen kühlenden Eisbeutel entgegen und lächelte matt. "Tut mir wirklich Leid, was da passiert ist…", entschuldigte sie sich bereits zum dritten Mal und Tai nahm den Eisbeutel dankend an. „Yamato kann ja manchmal ganz schön eifersüchtig sein, aber er hat noch nie jemanden geschlagen… ich weiß selbst nicht, was da in ihm vorgegangen ist." Ein tiefes Seufzen entfuhr ihr und sie begann das Desinfizierungsmittel und etliche Pflaster wegzuräumen, während Tai sie dabei viel mehr musterte. Eigentlich machte es ihn ja stutzig, dass sie überhaupt nicht auf den Gedanken kam, dass der Braunhaarige von sich aus mit der kleinen Auseinandersetzung angefangen haben könnte… "Du siehst… ziemlich fertig aus", nuschelte er mehr kleinlaut und besorgt. Sora zuckte mit den Schultern, biss sich leicht auf die Unterlippe und schluckte dann. "Natürlich tut es noch immer weh, aber ich bin auf dem Weg der Besserung." Dass ihr Kopf auch jetzt noch schrecklich dröhnte, erwähnte sie lieber nicht. "Bist du dir sicher?" Sie nickte, schloss den kleinen Verbandskoffer und drehte sich zu ihm um. "Ja." "Yamato scheint sich auch ziemliche Sorgen um dich zu machen…" "Es ist alles in Ordnung, Tai. Bitte lass uns nicht mehr darüber reden, okay?" Bereits im nächsten Moment fühlte er sich ziemlich schuldig, dass er das Mädchen mehr oder weniger dazu gedrängt hatte, sich zu diesem Thema zu äußern. Er wollte nicht mit ihren Gefühlen spielen, geschweige denn unachtsam mit ihnen umgehen. "Tut mir Leid", seufzte er und legte den Eisbeutel kurz zur Seite. "Aber eines muss ich trotzdem noch wissen." Sora wurde hellhörig und lauschte seiner Frage. "Hat Yamato dir erzählt, dass ich mich die letzten Tage nach dir erkundigt habe?" Sie blinzelte und spürte, wie all die Last von ihr verschwunden war, die sich die letzten Tage angestaut hatten. "Ähm… nein, hat er nicht…" Tai reagierte nicht weiter darauf, sondern seufzte ein weiteres Mal. Also hatte Yamato wirklich nichts erzählt… "Ich hatte schon Angst gehabt, dass du vielleicht sauer auf mich sein könntest, oder so… schließlich hast du nicht angerufen und mir selbst fehlte irgendwie der Mut dazu", murmelte das Mädchen leise und war noch mehr überrascht, als ihr Gegenüber den Kopf schüttelte. "Ich wollte dich anrufen, aber Yamato meinte, dass ich dich erst einmal in Ruhe lassen sollte. Er sollte dir das eigentlich auch ausrichten, aber…" "Aber er hat es nicht getan", beendete sie den Satz für ihn und er nickte zur Bestätigung. Sora war sichtlich geschockt über diese Kenntnis. Wieso hatte Yamato nichts erzählt? Natürlich wusste sie, dass er seit jenem Vorfall nicht immer besonders gut auf Tai zu sprechen war, aber ging es in diesem Fall nicht eher um sie? Immerhin hatte auch sie irgendwo den Kontakt zu ihm, dem Braunhaarigen, gesucht. Für Sora stand fest, dass sie diese Sache später noch einmal ansprechen und Yamato zur Rede stellen sollte, da war sie sich sicher. Tai beobachtete, wie das Mädchen in Gedanken schwelgte und sich anscheinend tausend Fragen durch den Kopf gehen ließ, bis er sich irgendwann aufrichtete und aufstand. "Ich werde dann mal wieder gehen, es ist wirklich schon spät und du solltest dich ausruhen…" Er warf einen kurzen Blick auf den Eisbeutel. "Und danke nochmal." Langsam erreichte sie die Gegenwart, die Gedanken verblassten und Sora sprang auf, besorgt aufgrund dessen, ob wirklich alles wieder in Ordnung wäre. Ihre Augen suchten die seine. "Es tut mir wirklich Leid was passiert ist… ich werde auf jeden Fall nochmal mit Yamato reden." Er lächelte. "Vergiss es einfach, die Hauptsache ist doch, dass es dir etwas besser geht." "Danke, Tai…" Sie versuchte das Lächeln so gut wie möglich zu erwidern und brachte ihn anschließend wieder zur Haustür. Von Yamato fehlte jede Spur - ob er gegangen war? Soras Magen zog sich für einen Moment lang unangenehm zusammen, wenn sie daran dachte, dass ihr wohlmöglich wieder eine etwas lautere Diskussion bevorstand. "Ich ruf dich an, okay?" Die Stimme des Jungen riss sie erneut in die Gegenwart zurück. "Ja, ist gut. Bis dann!" Sie hielt ihm höflich die Tür auf, wartete darauf, dass er hinausgehen würde und erschrak leicht, als Tai sie ein letztes Mal umarmte. "Pass bitte auf dich auf, Sora." Ihr Herz pochte ungewöhnlich schnell und sie wusste, dass Yamato Amok laufen würde, würde er dieses Szenario mit ansehen. "Ja…", hauchte das Mädchen kurz und war umso erleichterter, als er sich wieder von ihr löste und aus der Wohnung verschwand. Was zum Teufel war das…? Wieso hatte sich diese Umarmung gerade so ungewohnt seltsam angefühlt? Sora biss sich auf die Unterlippe. Nein, es war absurd, sich darüber Gedanken zu machen! Was war schon Großartiges dabei? Sie hatte in diesem Moment nun mal nicht damit gerechnet, dass er sie umarmen würde. Andererseits tauchten da wieder diese Bilder vor ihrem geisten Auge auf und Sora spürte, wie ihre Wangen leicht erröteten, wenn sie an den Kuss zurückdachte. "Ist er schon gegangen?" Erschrocken ließ das Mädchen die Haustür zurück ins Schloss fallen und drehte sich um. Yamato stand im Türrahmen und beobachtete sie genauestens, wahrscheinlich war er noch immer misstrauisch und enttäuscht, warum auch immer. "Ja", antwortete Sora knapp und versuchte dabei die Röte in ihrem Gesicht zu vergeben. Sie ging mit zügigen Schritten auf ihn zu und zwang ihn, ins Wohnzimmer zurückzugehen. "Wir sollten uns mal unterhalten…" Er stutzte. "Was ist los?" Wahrscheinlich hegte er nicht einmal annähernd die Vermutung, Tai könnte etwas ausgeplaudert haben. Sora setzte sich auf das Sofa und wartete, bis er es ihr gleich tat. "Also?", hakte der Blonde sofort nach, was das Mädchen umso nervöser machte, sie allerdings nicht davon abhielt, ihren Freund darauf anzusprechen. "Wieso hast du mir nicht erzählt, dass Tai sich nach mir erkundigt hat?", stellte sie ihn mutig zur Rede, während sie ihm tapfer in die Augen sah. Yamato verstummte für einen Moment und es passierte genau das, was sie befürchtet hatte: Er wurde wütend. "Es ging dir nicht gut und ich wollte dir Stress ersparen, okay? Außerdem bin ich doch bei dir! Du brauchst sein falsches Mitleid nicht!" Erschrocken weitete sie die Augen. "Falsches Mitleid? Yamato, Tai ist mein bester Freund! Ich kann seine Unterstützung genauso gut gebrauchen, wie ich dich im Moment brauche!" Bis vor wenigen Minuten war da noch dieses Minimum an Zweifel gewesen, von dem jetzt kaum noch etwas übrig war. "Du kannst doch nicht einfach so über meinen Kopf hinweg entscheiden… ich dachte immer, das würdest du wissen!" Sie war maßlos enttäuscht, während Yamato umso wütender wurde. "Wir haben doch gesehen, was heute Nachmittag passiert ist! Du warst stockbesoffen… und?! War dein toller Tai hier? Hat er auf dich eingeredet, als du aggressiv wurdest?! Hat er dich in den Arm genommen, als du völlig aufgelöst zusammengebrochen bist?! Ich verstehe dich nicht! Du weißt selber, was damals geschehen ist… wieso klammerst du dich nach all dem immer noch an diesen Idioten?! Liegt dir denn gar nichts mehr an unserer Beziehung?!" Völlig aufgebracht sprang Sora auf und lief einige Schritte umher. "Bist du noch ganz bei Trost? Er ist mein bester Freund, nichts weiter! Wie kommst du auf diese absurde Vermutung, ich würde unsere Beziehung durch ihn in Gefahr bringen? Das geht langsam zu weit!" Zu allem Entsetzen begann Yamato nun auch noch zu lachen, was sie nur noch mehr irritierte. "Bist du blind, Sora? Der Kerl hat sich in dich verliebt! Das müsstest du eigentlich schon seit dem Vorfall von damals wissen!" "Du vergisst, dass Alkohol im Spiel war… außerdem hast du dich doch selber nach Jeder umgedreht!" Sein Lachen verstummte und er stand ebenfalls auf. „Willst du mir jetzt etwa die Schuld in die Schuhe schieben? Hab ich mit meinem besten Freund rumgemacht, oder du?!" "Wir haben nicht rumgemacht!" "Erzähl mir doch nichts..." Das Maß war voll und Sora wandte sich enttäuscht um, während sie auf die Haustür am anderen Ende des Flures deutete. "Dann geh doch! Ich muss mir solche üblen Vorwürfe nicht anhören!" Bereits im nächsten Moment bereute sie ihre Worte und es versetzte ihr einen heftigen Stich ins Herz, als er ohne noch etwas zu erwidern wirklich ging, die Tür aufriss und sie mit ganzer Kraft zuschlug. Nun stand sie alleine da, sank zurück in die Knie und begann hemmungslos zu weinen. Wieso passierte das alles? Er konnte sie doch nicht wirklich zurücklassen - nicht jetzt, wo es ihr doch ohnehin nicht gut ging! Hatte sie sich etwa so in ihm getäuscht…? Und wieso musste verdammt nochmal alles in ihrem Leben schieflaufen? Das Mädchen schluchzte lauthals und starrte verzweifelt im Raum umher, während ihr klar wurde: Sie war wieder alleine und es würde diesmal niemand kommen, niemand würde sie tröstend in die Arme nehmen. Kein Yamato, kein Tai - Selbst ihre Mutter, Toshiko, war nicht mehr hier, sie war tot. Tot… Mit aller Kraft zog sich Sora wieder auf die Beine und steuerte orientierungslos durch die Wohnung. Heiße Tränen bahnten sich über ihre blasse Haut und sie wusste selber nicht mehr was sie tat, als sie in der Küche die halbleere Flasche Sekt entdeckte und sie ohne weiteres leer trank. Wohlmöglich hatte Yamato bei all dem Trubel vergessen sie zu entsorgen, aber was kümmerte sie das jetzt noch? Sie fühlte sich elend und brauchte diese Beruhigung einfach - zumindest vorrübergehend und auch auf die Gefahr hin, dass diese schlimmen Kopfschmerzen wieder auftauchen würden. ----------------- Es war mittlerweile kurz vor halb acht, als Tai endlich wieder zu Hause war und er bereits beim Betreten des Wohnblocks die heftige Auseinandersetzung seiner Mutter und Schwester wahrnahm. Er seufzte peinlich berührt und schlurfte die Treppen hoch, bis er seinen Haustürschlüssel rauskramte und mitten ins Geschehen einstieg. "Du verstehst mich einfach nicht, Mum! Ich… Ich hasse dich!!", schrie Kari mit Leib und Seele, woraufhin Yuuko erschrocken verstummte. Das junge Mädchen wandte sich mit Tränen in den Augen um und rannte aus der Küche, bis man kurz darauf das laute Zuknallen ihrer Zimmertür hörte. Hilflos schlug die Frau eine Hand vors Gesicht, atmete tief durch und versuchte vergebens sich zu beruhigen, während Tai sich ihr langsam näherte. Verwirrt blickte er sich einen Moment um. "Was… war das denn gerade?" Seine Mutter fasste sich kurz und hielt ihm wortlos eine leere Verpackung vor die Nase. Zuerst wusste Tai sich nichts damit anzufangen, doch als er die riesige Aufschrift las, entgleisten jegliche Gesichtszüge und er starrte Yuuko mit offenem Mund an. "Das ist nicht dein Ernst…" "Deine Schwester streitet nichts ab!", entgegnete sie ihm und begann nervös umherzulaufen. "Sie ist vierzehn, Tai! Vierzehn!" Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte. "Und wie soll ich das deinem Vater erklären? Er wird ausrasten!" "… was sagt Kari dazu?" Yuuko blieb stehen, riss die Schublade auf und griff reflexartig nach einer Zigarettenschachtel. "Mum!" Es war eine Ewigkeit her, seit dem er seine Mutter das letzte Mal hat Rauchen gesehen - eigentlich hatte sie schon seit vielen Jahren damit abgeschlossen. "Tut mir Leid, Tai, aber ich muss selber erstmal klar werden…" Sie fasste sich erneut an die Stirn und massierte die Schläfen. "In Ordnung…" Er drehte sich langsam wieder um und stellte die Schuhe ordentlich beiseite. Tausend Fragen gingen ihm vollkommen durcheinander durch den Kopf und er wusste sich zu keiner eine Antwort. "Aber vielleicht könntest du ja mal mit deiner Schwester reden", fügte Yuuko schnell noch hinzu. "Zu dir hat sie ein engeres Verhältnis…" Erst jetzt fiel ihm der unendlich traurige Unterton in der Stimme seiner Mutter auf. Tai nickte. "Werd ich…" Er schlurfte den Flur entlang und begab sich mit einem undefinierbaren Gefühl zum Zimmer seiner jüngeren Schwester. Ihre Augen waren wie benebelt und die lautstarke Musik ihrer Stereoanlage erreichte sie nur in ziemlich weiter Ferne - Kari fühlte sich mies, ihr Herz war auf einmal so schwer und sie war geplagt von großer Angst. Was würde passieren, wenn er davon erfahren würde? Das Mädchen schluckte und vergrub ihr Gesicht ein weiteres Mal in das Kissen, welches sie ganz fest an ihre Brust drücke. Dann ließ sie sich jedes einzelne Wort noch einmal durch den Kopf gehen. Ja, sie hatten Alkohol getrunken. Aber was war mit den unzähligen Treffen danach? An solchen Abenden, wenn nicht sogar Nächten, waren sie total klar gewesen und er hatte ihr so viele Worte ins Ohr geflüstert, dass Kari sich beinahe schon eine gemeinsame Zukunft ausgemalt hatte. Sie versuchte eine weitere Heulattacke krampfhaft zu unterdrücken, als sie daran dachte. Ja, sie liebte ihn… und nun musste sie die Konsequenzen dafür tragen - für ihre Liebe zu einem Jungen, der eigentlich schon eine Freundin hatte. Kari kniff die Augen zusammen und presste ihr Gesicht immer weiter ins Kissen. Es klopfte an der Tür und obwohl die Musik so laut war, nahm sie es umso mehr wahr. Trotzdem rührte sich das Mädchen nicht, sie wollte mit niemandem darüber reden. "Kari", hörte sich plötzlich die Stimme ihres Bruders. "Ich bin‘s, Tai. Bitte mach auf…" Was sollte sie jetzt tun? "Ich möchte nur mit dir reden", sprach er mit ruhiger Stimme weiter und klopfte erneut gegen die hölzerne Tür. Er versuchte vergebens gegen die Lautstärke der Musik anzukommen und glaubte, sie würde ihn wohlmöglich nicht hören. Das junge Mädchen richtete sich etwas auf. Ihre Augen waren rot angeschwollen und sie hatte noch immer diesen schweren Kloß im Hals. Trotzdem wusste sie, dass sie mit ihrem Bruder über alles reden konnte, vielleicht war er sogar der Einzige, der sie wirklich verstand. Sie stand leicht taumelnd auf und steuerte wie betäubt auf die Tür zu - Dann folgte das hörbare Klacken des Schlosses und der Türknauf wurde heruntergedrückt. Tai stand vor ihr und sah sie nur entsetzt an, während das Mädchen sich ihm völlig verheult um den Hals warf und bitterlich zu weinen begann. Der Braunhaarige legte sofort beide Arme um sie und schloss die Tür hinter sich. "Sssch… ist ja gut", flüsterte er. Sanft strich Tai seiner Schwester über den Rücken und drehte die Musik etwas leiser. "Ich weiß… ich weiß nicht, was ich machen soll… Tai…", brach sie unter Tränen hervor und sah ihm dabei nicht in die Augen. Noch immer klammerte sie so sehr an ihn, als stünde ihnen der Weltuntergang bevor. Einen Moment lang sagte er nichts, sondern strich ihr ganz einfach weiter über den Rücken und Kari war ihm unendlich dankbar dafür, dass er gekommen war. "… ist es Takeru?" Sie schluckte und zögerte. "Kari", wiederholte Tai erneut. "Bist du von Takeru… schwanger?" Angst überkam sie und das junge Mädchen schüttelte zaghaft den Kopf. Ihr Bruder war verwirrt. "Aber…" "Ich weiß es nicht…", sagte sie schnell und ihre Stimme bebte. Mit großen Augen starrte er seine jüngere Schwester an und löste den Griff wieder. Erst jetzt sah Kari ihm in die Augen. "Das ist nicht dein Ernst..." Voller Scham blickte sie zur Seite und kämpfte erneut gegen die Tränen an. "Ist es…" Es verschlug ihm die Sprache. Kapitel 7: Das, was damals war ------------------------------ "Alles Gute zum Siebzehnten!", rief Sora freudig und umarmte ihren besten Freund, während Yamato ihm gratulierend auf die Schulter klopfte und verschmitzt grinste. "Wie fühlt man sich so, altes Haus?", fügte er neckend hinzu und der Braunhaarige grinste zurück, während das Mädchen immer noch um seinen Hals hing. "Es könnte mir nicht besser gehen." Sie standen vor der Wohnung der Yagamis und es war das erste gemeinsame Treffen seit Langem gewesen - Tais siebzehnter Geburtstag. "Heeey!" Eine wohlbekannte und laute Stimme zog alle Aufmerksamkeit auf sich, als ein Junge die Treppen hoch geflitzt kam und schwerkeuchend zu den anderen hetzte. "Bin… bin ich zu spät…?" Sora konnte sich ihr Grinsen nur schwer verkneifen und musterte ihn ausgiebig. "Du hast dich überhaupt nicht verändert, Davis." Seine dunklen Augen weiteten sich vor Entsetzen und Tai bestätigte seinen Verdacht. "Drei Minuten und fünfundzwanzig Sekunden…" Er war wie immer der Letzte, der alljährig zu spät kam. Beschämt sank er seinen Blick und kratzte sich mit einem schiefen Grinsen am Kopf. "Naja, wie dem auch sei… alles Gute zum Geburtstag, Tai!" Eine ganze Weile später war die Party bereits im vollen Gange und Tai konnte im wahrsten Sinne des Wortes von Glück sprechen, wenn er daran dachte, wie sehr sich seine Eltern zu Anfang dagegen gesträubt hatten ihrem Sohn freiwillig die komplette Wohnung zu überlassen - wohl angemerkt nur für diesen einen Abend. Zwar hatte er nach einer endlosen Diskussion hoch und heilig versprechen müssen, keinen Alkohol ins Spiel kommen zu lassen, doch was war schon Großartiges dabei, wenn er dieses Versprechen brechen würde? Seine Eltern würden es doch sowieso niemals erfahren und selbst wenn… Es war Tais SIEBZEHNTER Geburtstag! Da war es doch eigentlich normal, dass jeder ein bisschen Spaß haben wollte, oder etwa nicht? Im Wohnzimmer wurde das Sofa beiseite geschoben, um möglichst viel Platz im Raum zu schaffen und während Izzy, Joe und Ken sich angeregt über die ernsten Dinge des Lebens unterhielten, tanzten die anderen ausgelassen miteinander, wobei Mimi mit ihrem Styling wohl am meisten auffiel und dementsprechend einige Blicke einkassierte. Der knappe Rock reichte ihr gerade mal über die Kniekehlen und das hautenge Shirt betonte ihre Oberweite genauestens, wenn nicht etwa zu genau. Die Zeit verging wie im Flug und bereits wenige Stunden später hallte ein lautstarkes Lachen durch die Wohnung und der Alkohol bahnte seinen Weg durch die Reihen der Gäste. "Hey, Taaaai!", rief Mimi und der Braunhaarige wandte sich nach ihr und Sora - die anscheinend nur wiederwillig mitgezerrt wurde - um. Er wusste nicht wieso, aber in ihm regte sich der Verdacht, dass mit ihr irgendetwas nicht stimmte. "Amüsierst du dich gut?", lallte das aufgedrehte Mädchen und Tai grinste. "Aber immer doch!" Interessiert sah er zu der Rothaarigen, die viel mehr in Gedanken versunken zu sein schien. "Und du, Sora?" Ihre Miene hellte schlagartig auf und sie nickte ihrem besten Freund zu. "Ach die… Sora ist nur ein bisschen beleidigt, weil…“ "Mimi!", ermahnte sie ihre Freundin mit böser Stimme und der Braunhaarige verstand nur Bahnhof. Also war an seiner Vermutung doch etwas dran gewesen und Sora bedrückte wirklich irgendetwas? "Ist doch wahr!", murrte Mimi mit gespielter Miene zurück und ließ dann von Sora ab. "Wie dem auch sei… damit unsere liebe Sora wieder etwas bessere Laune bekommt, überlass ich sie dir, Tai!" Dieser zuckte nur mit den Schultern und sah dann wieder zu seiner besten Freundin, die sich sichtlich für das vorlaute Mundwerk ihrer Freundin schämte. "Also dann… viel Spaß euch beiden!" Das Mädchen grinste nur und ließ die beiden wieder alleine. Sora seufzte schwer. "Was ist denn passiert?", wollte Tai nun endlich wissen, als Mimi außer Reichweite war. "Es ist nichts…" "Ach komm schon, Sora! Ich hab zwar etwas getrunken, aber blind bin ich deswegen noch lange nicht! Also, was ist los?", hakte er weiter nach Sie zögerte. "Oder bin ich nicht mehr dein bester Freund?" Seine Lippen verzogen sich zu einem leichten Grinsen und auffordernd stieß er sie leicht an. "Sonst können wir doch auch immer über alles reden…" Jetzt musste auch sie lächeln. „Ja, ich weiß… tut mir Leid, Tai." Der Braunhaarige schüttelte nur den Kopf, stellte sein Glas beiseite und legte anschließend einen Arm um seine beste Freundin. "Dann erzähl mal." Das Mädchen seufzte innig und warf gleichzeitig einen heimlichen Blick zu Yamato rüber, welcher inzwischen mit Mimi tanzte. Sie schluckte. "Er sieht sie so komisch an, Tai…" "Hä? Wen?" "Na Mimi… kaum hat er etwas getrunken, schon gibt es neben mir noch andere Mädchen in seinen Augen", flüsterte sie mit trauriger Stimme. Tai sah sich ebenfalls das Szenario an und musste feststellen, dass Sora schon irgendwo Recht hatte - immerhin war diese Form von Tanzen Grund genug, dass seine beste Freundin sich Sorgen machte. Yamato schien dabei gar nicht wirklich zu realisieren, wie nah die beiden eigentlich wirklich miteinander tanzten und das auch noch vor Soras Augen… trotzdem versuchte er ihr ein wenig Mut zuzusprechen. "Ach was.. Mach dir keine Sorgen", fing er an und lehnte seinen Kopf dabei mehr an ihren. "Dem bedeutet das überhaupt nichts, solange es dich gibt." Es war schwierig, das zu glauben, doch Sora nickte kurz. "Ja, du hast wohl Recht…" Sie drehte ihren Kopf mehr zur Seite, um Tai richtig anzusehen. "Danke…" Es erschien dem Mädchen selber ein wenig unheimlich, aber genau in diesem Moment fiel ihr erst auf, wie schön die Augen des Braunhaarigen doch waren. Dass er auch nicht weiter antwortete, machte die Sache nicht unbedingt leichter und Sora spürte, dass ihr langsam ganz anders zumute wurde. Bedächtig näherte sich sein Gesicht dem ihren... ----------------- Ihr Kopf dröhnte auf grausamste Art und Weise und es fiel ihr unglaublich schwer die Augen zu öffnen, als das schrille Läuten der Haustür sie am nächsten Morgen aus ihrem Tiefschlaf riss. Noch ziemlich schlaftrunken blinzelte Sora ein, zwei Mal und nur ungern richtete sie sich auf, verwirrt darüber, was eigentlich geschehen war. Jeder einzelne Knochen tat ihr weh, ihre Augen waren dick angeschwollen und so gesehen verspürte sie nicht ansatzweise den Drang aufzustehen, geschweige denn nachzusehen, wer sie schon so früh am Morgen wecken wollte. Das Mädchen nuschelte irgendetwas Unverständliches, ließ den Oberkörper zurück auf das Sofa sinken und realisiert erst jetzt, wie genau sie eigentlich die Nacht verbracht hatte und was die Ursache für diese bösen Rückenschmerzen waren. Langsam kehrten die Erinnerungen der letzten vierundzwanzig Stunden zurück und Sora fielen etliche benutzte Taschentücher auf, die auf dem Boden verstreut waren. Sie seufzte schwer, zog sich mit aller Kraft am Sofa hoch und fuhr sich gähnend durch ihr zerzaustes Haar - es klingelte noch immer an der Haustür und ihre Miene verfinsterte sich für einen Moment. Sie schwächelte kurz, fasste sich dann aber wieder und taumelte müde aus dem Wohnzimmer. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es mittlerweile zwölf Uhr war. "Ich komme ja schon…", säuselte sie gereizt und der Weg zur Haustür schien so unglaublich weit, bis der Knauf schließlich in Reichweite war. Das grelle Licht blendete sie ungemein, doch sie sah klar und deutlich wer da vor ihr stand. Haruhiko, ihr Vater. Sora brachte keinen einzigen Ton heraus, sondern verharrte vollkommen erschrocken in ihrer Haltung, während der ältere Mann sie abrupt umarmte und ihr ein vertrauter Geruch in die Nase stieg, sein Rasierwasser. Es war genauso wie damals… "Es tut mir Leid", hauchte der Mann so leise, sodass sie es beinahe nicht hören konnte. "Es tut mir so Leid, Sora…" Selbst seine Stimme erkannte sie wieder, vollkommen unverändert. Langsam begann das Mädchen, die Situation, in der sie sich befand, zu realisieren und ehe sie sich versah, stiegen ihr Tränen in die Augen. Ihr Vater drückte sie fest an sich und Sora ließ ihren Kopf willig gegen seine Brust fallen. Warum hatte sie sich so danach gesehnt? Wieso schrie sie ihn nicht an? "Papa…" Ihre Stimme zitterte so stark. Dann krallte das Mädchen sich an seiner Kleidung fest. "Papa…!" Erst diese Begegnung riss sie zurück ins wahre Leben und hielt ihr die grausame Wahrheit vor Augen: Soras Mutter war tot und das für immer. Der Teekessel zischte laut signalisierend auf und Haruhiko goss etwas Kräutertee in eine Tasse, die er anschließend an seine Tochter weiterreichte. "Hier, trink das…" Ihr war zwar nicht ganz danach zumute, griff dann aber doch nach dem Getränk und bedankte sich leise. Sora biss sich kurz auf die Unterlippe. Wieso erinnerte sie dieses Szenario so sehr an ihre Kindheit und warum ausgerechnet jetzt? "Sora…" Sie horchte auf und sah zu dem älteren Mann, der immer noch an der Küchentheke stand und sie aus seinen dunklen Augen heraus ansah. "Ich…", begann er unsicher. "Ich würde gerne mit dir über etwas reden…" Wieso? Wieso wusste Sora, was als nächstes folgen würde? "Nein, Papa", unterbrach sie ihn schnell und er fühlte sich leicht ertappt. "Ich werde nicht zu dir ziehen, wenn du mir das sagen willst…" "Warum nicht?" Laut zerbrach die Tasse in mehrere Scherben und es war fraglich, wer in jenem Moment erschrockener war. "Das ist doch nicht dein Ernst, oder?", vergewisserte sie sich und missachtete dabei den Tee, der in den Fugen der Küchenfliesen entlang floss. "Du willst, dass ich in dieses Haus ziehe? Zu deiner Neuen?!" Dass Haruhiko darauf zuerst nicht antwortete, beruhigte sie ungemein. Niemals in ihrem Leben würde sie nachgeben… nicht in diesem Fall! "Aber… ich bin dein Vater und trage die Verantwortung!", versuchte er die Diskussion zu retten und wischte mit einem Tuch kurz über den Fußboden. "Du bist nicht volljährig und bist eigentlich gezwungen zu mir zu ziehen… es ist das Beste für dich, glaub mir." Schnell wurde das heiße Wasser durch den dünnen Stoff aufgesogen. Das Beste? DAS BESTE? Sora sprang von ihrem Stuhl auf und schüttelte energisch den Kopf. "Nein, Papa! Du weißt gar nicht, was das Beste für mich ist!", schrie sie vorwurfsvoll. "Du hast Mama und mich im Stich gelassen, verstehst du? Für mich hast du in dieser Hinsicht als Vater versagt!" Das hatte deutlich gesessen. Haruhiko wandte seinen Blick getroffen von ihr ab. "Das ist nicht wahr…" "Doch, ist es!" "Du weißt, dass es zwischen deiner Mutter und mir nicht mehr geklappt hat… hätte ich euch denn irgendwelche Gefühle vorspielen sollen?" Langsam aber sicher tauchte da wieder dieser gemeine Kloß in ihrem Hals auf und Sora musste krampfhaft die Zähne zusammenbeißen. Es tat weh, so über die Vergangenheit zu sprechen, in der Toshiko noch gelebt hatte. Trotzdem ließen sie diese Behauptungen nicht kalt. "Es wäre gar nicht erst dazu gekommen, wenn du diese… Frau nicht kennengelernt hättest!" Noch im allerletzten Moment hatte sie sich mahnend auf die Zunge beißen und irgendwelche Ausdrücke verkneifen können. Nun sagte keiner der beiden mehr etwas und es blieb still. Verletzt drehte Sora sich um und hielt sich verzweifelt die Hand vor ihren Mund, um einen wohlmöglichen Heulkrampf zu verhindern. Das war einfach zu viel… Wieso hatte sie sich überhaupt darauf eingelassen, wenn sie doch ohnehin wusste, was ihr Vater von ihr wollte? Wieso hatte sie sich ernsthaft eingeredet, er würde sie verstehen? "Sora, bitte…", flehte der ältere Mann. „Das kann so doch nicht weitergehen!" Seine Augen sahen sich kurz im Raum um und fixierten schließlich die leere Sektflasche, sowie die vielen Taschentücher, die selbst im offenen Wohnzimmer verstreut waren. "Wieso bist du so unvernünftig? Ich will dich doch nur beschützen…" Beschützen… Es war ein Jammer. "Wieso kannst du nicht einfach wieder gehen… ich bin nicht auf dich angewiesen!", keifte sie mit tränenerstickender Stimme und hielt ihm auch weiterhin den Rücken zugewandt. "Verschwinde einfach und lass mich in Ruhe!" Mit jedem Wort wurde ihr bewusster, wie sehr sie sich eigentlich schon von ihrem Vater entfernt hatte… sie hatte gar keinen Bezug mehr zu ihm - aber war das nicht verständlich, nach all den Geschehnissen in der Vergangenheit? Mit Toshiko war Soras Familie ein für alle Mal gestorben. ----------------- "Ich bin dann mal weg…" Mit schnellen Schritten lief Kari an der Küche vorbei, griff ihre Jacke vom Haken und schlüpfte in ihre Schuhe, ohne auch nur eine Sekunde auf die Frage ihrer Mutter, wo sie denn hin wolle, einzugehen. Sie war in Eile und das nicht ohne Grund - Schließlich fiel die Haustür ins Schloss und Yuuko wollte erst noch hinterherhetzen, beließ es dann aber dabei. Tausend Gedanken kreisten sich in ihrem Kopf und Kari versuchte verzweifelt diese Bruchstücke zu einem Ganzen zusammenzufügen. Die ganze Nacht hatte sie kein Auge zu getan, so sehr quälte sie diese Gewissheit, die sie selbst ihrem Bruder verschwiegen hatte. Es fühlte sich unglaublich falsch an, aber ihr hatte in diesem Moment einfach der nötige Mut gefehlt und das junge Mädchen war sich nicht einmal sicher, ob es diesmal anders sein würde. Fest stand nur, dass sie keinen Tag länger mehr mit dieser Last alleine kämpfen würde, nicht ohne seine Stellungnahme dazu. Zum Glück war es zu Fuß nicht ganz so weit bis zu seiner Wohnung, sodass Kari bereits fünfzehn Minuten später dort war. Ihr Herz raste so unglaublich schnell. Wie würde er reagieren? Was würde er wohl dazu sagen? Ihre Beine fühlten sich unvermutet schwer an und jeder Schritt kostete sie enorme Überwindungskraft. Nun stand sie dort und las mehrere Nachnamen durch, bis sie stoppte und mutig seine Klingel betätigte. Es vergingen einige Sekunden und sie wurde beinahe wahnsinnig - wieso machte er nicht auf? Mit jedem Atemzug verließ sie der Mut ein Stückchen mehr und sie wollte gerade davonlaufen, als ein klingelartiges Geräusch ertönte und sie reflexartig die Tür nach innen drückte. Kari stand vollkommen erschrocken im Erdgeschoss und seine Wohnung befand sich in der ersten Etage. Jetzt gab es wirklich kein Entkommen mehr… Langsam ging sie die Treppen hoch und ihr Puls raste, als sie vor seiner Tür stand. Ein letztes Mal atmete Kari tief durch und ließ sich die Worte, die sie sich zurecht gelegt hatte nochmal durch den Kopf gehen. Sie durfte jetzt nur nicht die Fassung verlieren, ihren minimalen Anteil an Mut erst recht nicht! Doch dann war es bereits zu spät, denn die Tür ging unverhofft von selbst auf und das junge Mädchen traute ihren Augen nicht. Das durfte nicht wahr sein! "Oh, Kari?" Takeru war mindestens genauso überrascht wie sie, wenn vielleicht auch aus einem ganz anderen Grund und musterte sie kurz. "Wenn du zu Yamato willst, der ist gerade nicht da… Aber du kannst gerne reinkommen." Er trat einladend einen Schritt zur Seite und hielt ihr die Tür auf. "Er wollte nur kurz ein paar Einkäufe erledigen, dürfte also nicht all zu lange dauern." Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Kapitel 8: Soras Tränen ----------------------- "Wenn du zu Yamato willst, der ist gerade nicht da… Aber du kannst gerne reinkommen." Sie schluckte schwer. Ja, Kari hatte sich auf das Schlimmste gefasst gemacht, fürchtete sich ungemein vor seiner Reaktion. Vielleicht hätte sie auch so kein einziges Wort herausgebracht, ob Yamato nun hier war oder nicht. Trotzdem war ihr diese Situation verdammt unangenehm und das nicht zu knapp. Wieso also musste ausgerechnet heute Takeru bei seinem Bruder auftauchen, wo sie doch ohnehin schon am Ende mit ihren Nerven war? Er war der Letzte, der es erfahren durfte - wo sie doch seit einem Jahr schon ein glückliches Paar waren. Dieser Gedanke machte sie unglaublich panisch. "… Kari? Alles in Ordnung? Du siehst so blass aus…" Besorgt ging er einen Schritt auf sie zu und wollte eine Hand auf ihre Schulter legen. Irgendwie benahm sie sich seltsam und er fragte sich wieso. Ob sie krank war? Nervös biss sich das junge Mädchen auf die Unterlippe. "Nein, es… es geht mir gut", stammelte sie leise und drehte sich dabei behäbig um. Sie musste schnellstens weg, weg von ihm und dieser Wohnung. "Ich werde dann mal wieder gehen… bis dann!“ "Aber…!" Sofort stürmte Kari die Treppen hinunter und man hörte, wie die Tür aufgerissen wurde. Erschrocken hielt sie inne und hätte die Person beinahe um den Haufen gerannt. Yamato stand vor ihr, die Einkaufstüte in der rechten Hand haltend. "Hast du mich erschreckt, Kari!", grinste der Blonde verschmitzt und sah sie an. "Wohin denn so eilig?" Ihr Herz pochte so stark, dass sie glaubte, er könne es wohlmöglich hören. "I-Ich…" Schnell war sie seinem Blick ausgewichen und starrte stattdessen auf den Boden. Sollte sie es ihm sagen? Sollte sie ihm sagen, dass sie schwanger von ihm war und sich keinen anderen Ausweg zu helfen wusste, als es ihm so schnell wie möglich an den Kopf zu werfen? Andererseits musste er es so oder so erfahren - sei es jetzt sofort, oder in wenigen Monaten, wo sie wohlmöglich schon einen runden Bauch haben und es dann natürlich jeder sehen würde. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken… Yamato beobachtete sie und wartete darauf, dass sie weitersprechen würde. "Was ist denn los mit dir?" "Vergiss es", beendete Kari es schließlich. "Ist nicht so wichtig. Ich muss jetzt sowieso wieder gehen…“ "Was?" Nun war er vollkommen verwirrt, doch da rannte das junge Mädchen auch schon an ihm vorbei. Vollkommen durcheinander sammelte Sora die zerbrochene Tasse zusammen, während sie das Gespräch mit ihrem Vater nun schon zum zwanzigsten Mal durchkaute und irgendwann zu dem Entschluss kam, dass er sich nicht im geringsten verändert hatte - nicht einmal jetzt, nachdem Toshiko verstorben war. Es machte sie so haarsträubend wütend und ihr wurde zunehmend schlecht, wenn sie nur daran dachte, mit seiner neuen Freundin unter einem Dach leben zu müssen. Zugegeben, sie fühlte sich unglaublich mies und hätte wohlmöglich Unterstützung gebraucht, aber doch nicht unter solchen Umständen! Wieso konnte er das einfach nicht verstehen? Zitternd schob Sora die Bruchstücke mit dem Handfeger auf die Schaufel und warf das Ganze anschließend in den Müll. Es war eine der Tassen gewesen, die sie von ihrer Mutter einmal geschenkt bekommen hatte. Das Mädchen strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Was sollte sie nur tun? Früher oder später würde Haruhiko ein weiteres Mal aufkreuzen und sie dann wohlmöglich mit Gewalt zu sich holen, ob sie nun Widerstand leisten würde oder nicht. Das Schlimme an dieser Sache war aber, dass ihr Vater dieses gottverdammte Recht dazu besaß und sie nichts dagegen tun konnte. Zornig biss sie die Zähne zusammen und spürte, wie einzelne Tränen ihre Wange hinunterliefen. Sie war ganz einfach machtlos - Sei es nun gegenüber ihrem Vater, oder ihren Tränen. Wieso hatte sich ihr Leben nur so verändert? Sora sah sich in der riesigen Wohnung um und ihr wurde allmählich bewusst, wie sehr sie doch unter der Einsamkeit und den vielen Erinnerungen litt. An den Wänden hingen mehrere Bilder, in denen hauptsächlich Fotos von Toshiko eingerahmt waren und manche Gegenstände hatte das Mädchen seit dem Unfall her nicht mehr angerührt, sodass beispielsweise noch immer Toshikos Parfüm im Badezimmer stand, oder ihr Mantel am Kleiderhaken hing. Alles schien ganz einfach unverändert und doch hatte die Frau schlichtweg eine riesige Lücke hinterlassen, die nie mehr wieder gefüllt werden konnte. Sie schluchzte leise. Ihr Herz fühlte sich so schwer an und es tat einfach nur weh. So verdammt weh… Doch vielleicht war Abwechslung genau das, was ihr vorerst helfen würde, über die Schmerzen hinwegzukommen und den ganzen Kummer richtig zu verarbeiten. So hatte sie wenigstens die Möglichkeit, vorerst einmal von ihrem Vater fernbleiben und über alles weitere in Ruhe nachdenken zu können. Doch wo sollte sie hin? Mit Yamato hatte sie sich zerstritten und ehrlich gesagt war sie noch immer ziemlich verletzt von dem, was er gesagt hatte. Müde wischte sie sich die Tränen weg. Vielleicht sollte sie Tai fragen? Sora schaute auf die Uhr - Kurz vor halb zwei. Langsam ging Sora zum Telefon und hob den Hörer ab - dann wählte sie seine Nummer. Diesmal war es Yuuko, Tais Mutter, die sich am anderen Ende der Leitung meldete und das Mädchen räusperte sich sofort, da ihre Stimme noch relativ brüchig klang. "Yagami?" "Hallo, hier spricht Sora… dürfte ich bitte Tai sprechen?", fragte sie mit höflicher Stimme, so wie jedes andere Mal auch, wenn sie bei der Familie ihres besten Freundes anrief. "Oh, hallo Sora!" Die Frau schien ziemlich erfreut über den Anruf. "Natürlich, einen Augenblick, ich hole ihn…" "Okay, vielen Dank." Aufgelöst spielte sie mit dem Telefonkabel und überlegte, wie sie ihm die ganze Geschichte erzählen sollte. "Sora?" Sofort stoppte das Mädchen und horchte stattdessen auf, als Tais Stimme durch den Hörer drang. "Ist alles okay bei dir?" Unwillkürlich musste Sora lächeln, doch schon im nächsten Moment kullerten ihr erneut Tränen über das Gesicht. ... "Sora?!" "Tut mir Leid…", schniefte sie und wischte sich dabei schnell die Tränen weg. "Ich wollte dich einfach nur fragen, ob ich nicht vielleicht ein paar Tage zu euch kommen könnte… Ich halte das hier einfach nicht mehr aus." Heftig nickte er mit dem Kopf, was sie natürlich nicht sehen konnte. "Aber natürlich! Wieso fragst du überhaupt? Du kannst jederzeit vorbeikommen!" "Danke, Tai…" "Soll ich dich abholen?", fragte der Braunhaarige besorgt. "Nein, nein… ich werd den Weg schon finden…" Sie musste etwas lachen, was ihn wiederum beruhigte. "Gut, okay… Wir sehen uns dann später." "Ja, bis dann…" Beide legten auf und sie schlenderte aus der Küche, um erstmal eine ausgiebige Dusche zu nehmen, da sie noch immer vollkommen zerzaust war und sowieso eine leichte Alkoholfahne hatte - um es kurz zu fassen: Sora sah ganz einfach schrecklich aus und sie wollte niemandem diesen Anblick zumuten, schon gar nicht Tais Familie. Sie stutzte kurz. Waren seine Eltern überhaupt damit einverstanden? Natürlich hatte sie früher auch ziemlich oft unangekündigt bei ihm übernachtet, aber dieses Mal würde es wohl für eine etwas längere Zeit sein und konnte außerdem nicht mit damals verglichen werden. Aber ob seine Eltern auch so denken würden? Schließlich wollte sie niemandem irgendwelche Umstände bereiten. Sie seufzte innig und zog sich im Badezimmer aus, wobei ihr ein weiteres Mal auffiel, wie dünn sie doch geworden war. Ihr hatte nach all den vergangenen Ereignissen einfach der nötige Appetit gefehlt und es war fraglich, wann dieser Zustand sich wohl wieder ändern würde. Vorsichtig kletterte Sora in die Dusche, stellte den Wasserhahn an und ließ das lauwarme Wasser über ihren Körper ergehen, während sie dabei die Augen schloss und abrupt das Bild ihrer Mutter vor Augen hatte. War das, was sie tat, überhaupt richtig? Durfte sie einfach so… davonlaufen? Sora lehnte sich mehr zurück und sank automatisch in die Knie zurück, während die Tränen sich mit dem warmen Leitungswasser vermischten. "Ach Mama…" ----------------- Höflich verneigte sie sich ein wenig, als Sora die Wohnung der Yagamis betreten hatte und Yuuko sie freundlich lächelnd begrüßte. „Ach, ist das schön, dass wir dich ab jetzt öfters sehen werden, Sora!" Die Frau lächelte ihr beinahe schon mütterlich zu und wusste anscheinend Bescheid. "Fühl dich ganz einfach wie Zuhause, ja? Und sag Bescheid, wenn du etwas brauchst." "Danke, dass ist sehr nett, Frau Yagami…" "Aber, aber. Du gehörst doch so gesehen doch eigentlich schon zur Familie dazu…" Für einen Moment lang wurde Sora rot und fragte sich im selben Moment, was ihr da eigentlich durch den Kopf ging. Sie würde zur Familie gehören? Hieße das nicht etwa… "… schließlich kennt ihr euch seit Kindestagen an und da du ja seine beste Freundin bist…" "O-Oh… vielen Dank." Ihr waren diese Gedanken zutiefst peinlich. Was um alles in der Welt hatte sie da nur gedacht?! Tai, der sich das Szenario ansah, griff nach der mittelgroßen Tasche des Mädchens und ging voraus. "Dann komm mit, wir verstauen deine Sache erstmal…" Sie folgte ihm wie befohlen und beide bogen um die Ecke, während Yuuko sich zurück in die Küche begab. Auf dem Weg zu seinem Zimmer steuerte zufällig Kari über den Flur und wirkte im ersten Moment sichtlich entsetzt, als sie das Mädchen erkannte, welches direkt hinter Tai lief. "Hallo Sora…", begrüßte sie die beste Freundin ihres Bruders. Diese nickte dem Mädchen mit einem matten Lächeln zu. "Hey." "Wo du schon mal da bist, Kari…", begann Tai und das junge Mädchen bemerkte die schwere Tasche, die er trug. „Könntest du mir kurz das Bettzeug bringen? Sora wird für ein paar Tage bei uns bleiben…" Seine kleine Schwester starrte ihn zuerst mit großen Augen an, dann das Mädchen neben ihm. "Ähm… natürlich, mach ich sofort." Sofort huschte sie an den beiden vorbei, während Tai die Tür zu einem Zimmer öffnete und gemeinsam mit Sora hereinspazierte. Er stellte die schwere Tasche vorerst auf dem Fußboden ab und lehnte die Zimmertür leicht an. "So… ich hab noch etwas Platz im Schrank, wenn du deine Klamotten gerne einräumen möchtest." Das Mädchen nickte und gesellte sich dabei mehr zu ihm. "Okay. Ich kann dir ja helfen, dann geht‘s schneller…" Seine Hände bewegten sich gerade auf den Reißverschluss zu, als Sora panisch dazwischen ging. "Tai!", rief sie mit hochrotem Kopf und starrte ihn tadelnd an. Dieser verstand zu Anfang natürlich nichts und kratzte sich benommen am Kopf. "Was denn?" "… ich kann meine Sachen auch alleine einräumen." "Hä?!" Sie seufzte. "Ich lasse dich doch nicht an meine Unterwäsche, du Perversling!" Es kehrte Stille ein. "O-Oh..! Tut mir Leid! Das verstehst du vollkommen falsch, ich…" Nun nahm auch sein Gesicht etwas Farbe an und verzweifelt versuchte sich der Braunhaarige aus der peinlichen Situation zu retten. "Jaja…" Ein zaghaftes Lächeln umspielte Soras Lippen und sie sah zu, wie sich Tai peinlich berührt auf seine Schlafcouch setzte, während sie die Tasche öffnete und anfing, ihre Kleidung in seinen freien Schrank einzuräumen. "Sag mal…", begann er nun mit ernsterer Stimme. „Ist wirklich alles in Ordnung bei dir? Du hast doch vorhin am Telefon geweint… oder?" Sie nickte. "Mir wächst derzeit einfach alles über den Kopf…", antwortete Sora leise und ließ dabei nicht von ihrer Tätigkeit ab. „Vor allem macht mir Mamas… Tod zu schaffen… aber jetzt ist da nicht nur der Streit mit Yamato, sondern auch der mit meinem Vater…" Der Braunhaarige horchte interessiert auf. "Streit? Mit Yamato?" "Ja.." Vorsichtig hakte Tai nach. "Etwa… wegen der Sache gestern?" Das Mädchen nickte erneut. "Weißt du… er ist nach wie vor total eifersüchtig auf dich und behauptet doch tatsächlich, du würdest mir nur helfen, weil du… in mich verliebt wärst." Neugierig wandte sie sich um und ihm stand vor Entsetzten der Mund offen. "Wie bitte?! So etwas hat er dir vorgeworfen?", schrie er nun und spürte, wie in ihm die Wut aufstieg. Was bildete sich dieser Yamato eigentlich ein? "Jedenfalls ist er danach gegangen und er hat sich heute noch nicht bei mir gemeldet…" Mit jedem Wort wurde ihre Stimme leiser und Sora hielt einen Moment inne. "Dafür kam mein Vater vorbei und hat versucht mich dazu zu überreden, dass ich zu ihm ziehe." "Dein Vater hat doch eine neue Frau kennengelernt, oder?" Es tat nicht mehr so weh, wie damals, als Haruhiko gerade aus der Wohnung ausgezogen war. "Ja… und ich werde garantiert keinen Fuß in dieses Haus setzen, solange mein Vater sich mit dieser blöden Kuh vergnügt!", knurrte das Mädchen leise und die traurige Miene war für einen Moment verflogen. Dann sah sie zu Tai. "Ist es möglich, dass ich vorerst hierbleiben darf…? Ich brauche einfach Abstand von allem… und Zuhause erinnert mich einfach zu vieles an Mama…" Er nickte verständnisvoll, stand auf und ging langsam auf sie zu. "Aber natürlich… du kannst solange hierbleiben, wie du möchtest, Sora." Dann nahm er sie tröstend in die Arme, woraufhin sie zunächst etwas perplex reagierte, sich dann aber seiner Geste hingab. "Auf dich kann man sich halt immer verlassen…", flüsterte sie traurig und war ein weiteres Mal den Tränen nahe. „Danke." "Hey… wir sind Freunde, das habe ich dir doch schon mal gesagt!" Er drückte sie fest an sich und ließ sie los, als die Tür etwas mehr aufgerissen wurde und Kari mit dem Bettbezug und einem schnurlosen Telefon in der Hand reinkam. "Tai, für dich", murmelte seine kleine Schwester und reichte ihm das Telefon. Schnell hatte Kari noch das Bettzeug auf dem Boden ausgebreitet, da ging sie auch schon wieder aus dem Zimmer. "Ja?", meldete sich Tai zu Wort und er erschrak sofort. "… was willst du?" Interessiert beobachtete Sora das Gespräch, konnte allerdings nicht ahnen, um wen es sich bei dem Anrufer handelte. "Ja, sie ist hier, aber wieso sollte ich?", gab der Braunhaarige gereizt zurück. "Sie wird schon ihre Gründe haben." Und er wandte sich leicht an das Mädchen neben sich - ab da regte sich ein leiser Verdacht in Sora, der sich sekundenspäter bestätigen ließ, als Tai ihr widerwillig das Telefon reichte. "Es ist Yamato… er möchte mit dir reden", murrte er leise und sah ihr dabei fest in die Augen. "Nur wenn du möchtest." Ob er sich wohlmöglich für sein Verhalten entschuldigen wollte? Durfte sie sich etwa doch noch Hoffnungen machen? Sora wusste nicht, was sie davon halten sollte, griff allerdings nach dem Telefon und horchte schließlich auf. "… ja?" "Ich möchte mich kurz fassen", sagte der Blonde und sofort schwanden all ihre Hoffnungen. Wieso hatte sie plötzlich ein so schlechtes Gefühl? "Du wirst selber wissen, dass es zwischen uns nicht mehr so gut läuft wie früher… das wollte ich dir eigentlich schon vor einigen Tagen sagen, Sora." Aus ihrem Augenwinkel heraus konnte sie sehen, dass Tai mindestens genauso angespannt war wie sie selbst. "Ist das… alles?", hakte sie unsicher nach. "Nein… ich habe seit gestern sehr viel nachgedacht und eigentlich fühle ich mich dabei ziemlich schlecht, gerade jetzt, wo du mich wohl am meisten brauchen würdest…" Nein… bitte nicht… "Naja… oder auch nicht", schmunzelte er kurz. "Du hast ja Tai, oder? Er wird schon auf dich aufpassen." "Yamato…" "Ist dem etwa nicht so, Sora?" Sie biss sich auf die Unterlippe und war kurz davor aufzulegen. "Ich finde, wir sollten uns vorerst trennen… das wäre das Beste für uns beide und ganz besonders für dich." Erschrocken riss sie die Augen auf. "W-Was?! Aber… wie kannst du so etwas sagen? Ich dachte… ich dachte du liebst mich?!", rief das Mädchen panisch. "Ich finde das gar nicht witzig! Natürlich haben wir momentan nicht unsere beste Zeit, aber dennoch lieben wir uns doch noch… bitte sag mir, dass ich Recht habe, Yamato!" "Bitte akzeptiere meine Entscheidung vorerst… mehr wollte ich dir auch gar nicht sagen. Alles Gute!" Es folgte ein nerviges Tuten und der Blonde hatte aufgelegt. Vollkommen schockiert rutschte ihr das Telefon aus der Hand. "Bitte nicht…", stammelte Sora voller Entsetzen. Kapitel 9: Sonntag ------------------ Sora schlug die Augen auf und hatte sich schnell aufgerichtet, den Blick verwirrt durch den Raum schweifend. Es war stockfinster draußen, sodass sie beinahe nichts sehen konnte, wäre da nicht der helle Vollmond gewesen, dessen Licht schwach ins Zimmer fiel. Ihr Puls raste etwas und sie fasste sich erschöpft an die Stirn. Ein böser Traum? Und was war überhaupt geschehen? Das hier war definitiv nicht ihr Zimmer, das hatte sie ziemlich schnell bemerkt. Erschrocken zuckte sie zusammen, als ein leises Schnarchen in der Dunkelheit zu hören war und ihre Augen wanderten panisch umher, bis sie schließlich den Braunhaarigen erkannte, wie er friedlich auf der Schlafcouch kauerte und tief und fest schlief. Sora lächelte traurig, schlug die Bettdecke leise beiseite und tastete sich vorsichtig an der Wand voran, bis sie die Tür erreichte und Tais Zimmer verließ. Zum Glück kannte sie sich in der Wohnung noch ein wenig aus, sodass sie ohne weitere Probleme den Weg zum Badezimmer fand. Sie war also wirklich bei Tai… Das grelle Licht blendete sie ungemein und Sora kniff reflexartig die Augen zusammen, bis sich diese langsam daran gewöhnt hatten und sie sich erst einmal im Spiegel betrachten konnte. Ihre rötlichen Haare waren ein wenig zerzaust und wie nicht anders zu erwarten, waren ihre Augen selbst jetzt noch dick angeschwollen. Es war ein schlichtweg furchtbarer Anblick und sie schämte sich, wenn sie daran dachte, dass sie so Tais Familie unter die Augen getreten war. Der Wasserhahn quietschte etwas und kühles Leitungswasser prasselte ins Waschbecken, während Sora ihre Hände darunter hielt und sich das Wasser schließlich ins Gesicht spritzte. Wie spät es wohl war? Seufzend drehte sie den Wasserhahn wieder zu und starrte erneut ihr Spiegelbild an. Erschreckend… mehr fiel ihr dazu nicht ein und sie wusste nicht einmal, was sie dagegen tun konnte. Kaum war sie auf dem besten Weg der Besserung gewesen, schon kamen neue Probleme auf sie zu, gegen die sich das Mädchen nicht zu wehren wusste. Und dann auch noch die Trennung… Sora biss die Zähne zusammen und spürte, wie ihre Augen brannten und salzige Tränen sich darin ansammelten. Sie verstand nicht, wie Yamato alles einfach so wegwerfen konnte und sie letztendlich auch im Stich ließ. Ob wohlmöglich mehr dahinter steckte? Vielleicht hatte der Blonde ja ein Mädchen kennengelernt und sich in sie verliebt… Soras Magen zog sich unangenehm zusammen und die Tränen liefen ihr über das Gesicht. Das konnte er einfach nicht tun! Er war ihr eine Erklärung schuldig… oder? Sora wischte sich die Tränen vorsichtig weg, verließ das Badezimmer wieder und tappste leise den Flur entlang, bis sie die Tür zu Tais Zimmer erreicht hatte. Langsam drückte sie die Türklinke runter und schlich ruhig zu seinem Bett, welches er ihr großzügigerweise überlassen hatte. "Sora…?" Sie fuhr erschrocken zusammen und wandte sich um. "Oh…", stammelte das Mädchen, während sie sah, dass der Braunhaarige wach war. "Ich wollte dich nicht wecken, tut mir Leid." "Ist schon okay…" Peinlich berührt legte sie sich zurück ins Bett und starrte nachdenklich an die Decke. "Kannst du nicht schlafen?", fragte Tai leise. Sora seufzte nach einer kurzen, schweigsamen Pause und fühlte sich ertappt. Dann drehte sie sich zur Seite und schaute zu ihrem besten Freund rüber. "Ich bin total durcheinander…" ----------------- Sie verstand es einfach nicht. Was hatte ihn dazu getrieben? Hatte Sora irgendetwas falsch gemacht? Ihre Hände zitterten, als sie das Telefon ein weiteres Mal in die Hand nahm und auf die Wahlwiederholungstaste drückte, dann presste sie den Hörer an ihr Ohr. Es klingelte und klingelte, aber Yamato ging einfach nicht ran. Sora verstand die Welt nicht mehr und wartete, bis der Anrufbeantworter nach einer kurzen Ansage anspring. "Bitte geh ans Telefon, Yamato! Ich… ich kann das nicht einfach so hinnehmen! Bitte sag mir doch, wenn ich etwas falsch gemacht, oder dich irgendwie verletzt habe… Ich flehe dich an! Bitte!" Völlig aufgelöst ging Sora in die Knie und der Braunhaarige erschrak beinahe, als er ein leises Schluchzen vernahm. Sie weinte wegen ihm. Was war bloß geschehen? "Sora, hey…" Sofort setzte Tai sich neben seine beste Freundin und strich ihr vorsichtig über den Rücken, während das Mädchen auflegt hatte und das Telefon zurück auf den Boden legte. "Was ist passiert?" "Er hat Schluss gemacht…" Es traf ihn wie ein Schlag. "W-Was? Aber…", stammelte er entsetzt und fasste das Mädchen nun mehr an den Schultern, um ihr besser ins Gesicht sehen zu können. "Aber warum?!" Sora schüttelte verbissen den Kopf, als Zeichen dafür, dass sie keine Ahnung habe. Stattdessen beugte sie ihren Oberkörper nach vorne und begann bitterlich zu weinen, woraufhin Tai sie sofort in die Arme nahm. Er war mindestens genauso geschockt wie sie und war sich schnell sicher, dass er den Blonden selber noch zur Rede stellen würde. ----------------- Keiner von beiden sagte mehr ein Wort und die Rothaarige hatte erneut mit den Tränen zu kämpfen. Verbittert biss sie sich auf die Unterlippe, drehte sich auf die andere Seite und vergrub ihr Gesicht dabei mehr in die Bettdecke. "Gute Nacht…", nuschelte das Mädchen leise und schloss die Augen. Ihr war klar, dass sie kaum noch ein Auge zu bekommen würde, nicht in dieser Nacht. Tai beobachtete diesen Zustand nur und ballte seine rechte Hand wütend zur Faust. Wie konnte Yamato ihr das nur antun, wo er es schließlich doch gewesen war, der dem Mädchen eine riesige Szene gemacht hatte - und nun ließ er sie einfach hier sitzen? Je mehr Gedanken der Braunhaarige sich machte, desto zorniger wurde er. "Gute Nacht", murmelte Tai und sank gleichzeitig zurück auf die Schlafcouch, doch bereits im nächsten Moment horchte er interessiert auf. "Tai…" Man hörte, wie die Bettdecke ein weiteres Mal beiseite geschoben wurde und leise Schritte näher kamen. Schlaftrunken setzte er sich auf und erkannte nur schwer, wie sich die Umrisse des Mädchens auf ihn zubewegten. "Darf ich… vielleicht bei dir schlafen…?", flüsterte Sora kleinlaut, da es ihr anscheinend ein wenig peinlich war, zu fragen. Ihre Stimme klang ziemlich brüchig und wäre es nicht so stockfinster gewesen, hätte er wohlmöglich auch wahrgenommen, dass das rothaarige Mädchen weinte. Trotzdem machte ihn diese Bitte doch schon etwas nervös, da es schließlich einige Jahre her war, seitdem die beiden das letzte Mal gemeinsam in einem Bett geschlafen hatten. "Klar, kein Problem", war seine knappe Antwort und er hielt die Decke etwas hoch. Schüchtern krabbelte Sora zu ihm auf die Schlafcouch und scheute keinerlei Nähe - stattdessen kuschelte sich das Mädchen relativ eng an ihn und schloss sofort wieder die Augen. Tai spürte, wie ihm dabei mehr und mehr das Blut ins Gesicht schoss und dass diese Nähe nicht in geringster Weise mit damals zu vergleichen war. "Danke…", hauchte sie mit ruhiger Stimme. „Ich wüsste nicht, was ich ohne dich tun würde…" Er war sich sicher, dass seine Eltern ihn umbringen würden, würde dieses Szenario jemals ans Tageslicht gelangen. "Kein Problem… schlaf jetzt ein bisschen." "Mhm…" … "Sora…?" "Ja?" … …… "… schon gut, vergiss es. Gute Nacht." ----------------- Eine lautstarke Diskussion war deutlich zu hören, als Sora am nächsten Morgen relativ früh wach wurde und sich immer noch in Tais Armen befand. Sie gähnte leise, rieb sich verschlafen die Augen und musste nichtsdestotrotz grinsen, als sie den wohligen Gesichtsausdruck des Braunhaarigen bemerkte. Eigentlich war es schon irgendwie seltsam, denn obwohl Tai über die Jahre hinweg deutlich reifer aussah, so hatte er immer noch dieses kindliche und verspielte Wesen an sich, was er wohl niemals ganz verlieren würde, ganz im Gegenteil zu Yamato, der sich schon desöfteren über das 'peinliche' Verhalten des Braunhaarigen lustig gemacht hatte. Plötzlich spürte Sora wieder dieses unberechenbare Stechen in der Brust und schnell verwarf sie jegliche Gedanken an den Blonden. Es tat einfach zu sehr weh - zumindest jetzt noch. Vorsichtig setzte sich das rothaarige Mädchen auf und gähnte ein weiteres Mal, während sie sich mit der rechten Hand an die Stirn fasste und die Schläfen sanft massierte. Dann stand sie leise auf und öffnete knarrend den Kleiderschrank, in dem sich unter anderem ihre Kleidung befand. Sora schaute nochmal zu Tai rüber, doch dieser schlief nach wie vor tief und fest - ein Glück! Schnell hatte das Mädchen ein einfaches Shirt, einen knielangen Jeansrock, Socken und Unterwäsche gefunden, da huschte sie auch schon aus dem Zimmer, erschrak im nächsten Moment aber auch schon. "Wieso entscheidest du einfach über meinen Kopf hinweg?! Das ist nicht fair, Mum!", schrie Kari lautstark, während sie den Gast noch gar nicht bemerkt hatte. Yuuko lief aufgebracht in der Küche umher. "Bist du denn des Wahnsinns? Du bist erst vierzehn, Kari!" "Das weiß ich selbst! Trotzdem hättest du mich vorher fragen können, ob ich überhaupt zu diesem blöden Arzt hingehen möchte!" Sora fühlte sich reichlich fehl am Platz und doch war da in genau diesem Moment ein ziemlich seltsames Gefühl. Ob es daran lag, dass sie sich früher auch ziemlich oft von ihrer Mutter missverstanden gefühlt hatte? „Ich will doch nur das Beste für dich! Du wirst mir später noch reichlich dankbar sein, glaub mir!", versuchte die ältere Frau nun mehr beruhigend auf ihre junge Tochter einzureden. Diese schrie jedoch hysterisch weiter und war in ihrer Wut gar nicht mehr zu stoppen. "Tu doch nicht so, als würdest du mich verstehen!" "Kari!", ermahnte Yuuko sie und das Mädchen verstummte tatsächlich - peinlich berührt räusperte sich nun Sora. "Ähm… guten Morgen…" Für wenige Sekunden herrschte eine unangenehme Funkenstille. "O-oh… Sora… guten Morgen", stammelte die ältere Frau und warf Kari noch kurz einen bösen Blick zu, um ihr wohl deutlich zu machen, dass die Diskussion hiermit beendet gewesen war. Diese sagte kein Wort mehr und verschwand zurück in ihr Zimmer. "Hast du gut geschlafen?" Das rothaarige Mädchen nickte kurz. "Tut mir Leid, dass du das eben gerade mit ansehen musstest. Ich hoffe, wir haben dich durch unser Geschrei nicht geweckt?" "Nein, nein. Ich bin zufällig wach geworden", versicherte Sora ihr und zwang sich dabei ein freundliches Lächeln auf die Lippen, während sie gleichzeitig auf die Uhr schaute. Es war halb neun. Yuuko erwiderte das Lächeln und das Mädchen machte sich auf den Weg ins Badezimmer. Ungefähr eine halbe Stunde später war der Frühstückstisch fertig gedeckt und Tai gähnte herzhaft, während seine Haare in alle Richtungen abstanden und er nichts Weiteres als seine Boxershorts trug. Seine Mutter seufzte schwer und es schien ihr dem rothaarigen Mädchen gegenüber äußerst peinlich zu sein. "Könntest du dich wohl bitte erst einmal richtig anziehen, Tai? Wir haben immerhin Besuch!", tadelte sie ihn und der Braunhaarige murrte nur irgendwelches unverständliches Zeug. Sora, die neben ihm saß, konnte sich ein kurzes Grinsen nicht verkneifen und schaute belustigt hinterher, als Tai müde ins Zimmer zurücktorkelte. So kannte sie es schon seit vielen Jahren, in denen sie bei ihrem besten Freund übernachtet hatte. "Jetzt ist er schon siebzehn Jahre alt und ich muss ihn immer noch darauf hinweisen…" Ein weiteres Seufzen entfuhr der älteren Frau und sie goss sich etwas Kaffee in eine Tasse, während Sora dankend ablehnte. Susumu - Tais Vater - blätterte derweil angeregt in seiner Zeitung und nickte nur beifügig. "So ist er eben…" Yuuko schaute ihren Mann an. "Ich glaube viel eher, dass wir in der Erziehung zu nachsichtig mit ihm waren…" "Hey, das habe ich gehört!" Schnell hatte sich der braunhaarige Junge ein x-beliebiges Shirt und eine kurze Hose übergezogen, da kam er auch schon zurückgetorkelt und verzog leicht die Miene. "Wir haben schließlich Sonntag… Außerdem kennt Sora das doch schon." "Du könntest trotzdem ein bisschen an deinem Benehmen arbeiten, Tai", stöhnte Yuuko und nippte kurz an ihrem Kaffee. "Ach ja. Wärst du wohl so gut und könntest deine Schwester um dreizehn Uhr zum Arzt begleiten? Dein Vater und ich werden später nochmal wegfahren, um nach Oma zu sehen…" Der Braunhaarige wurde schlagartig hellhörig und auch Sora konnte ihre Neugier kaum zurückhalten. Zugegeben, es interessierte sie schon irgendwie, was mit Tais jüngerer Schwester los war - immerhin war dies ja auch der Grund für den Streit von vorhin gewesen. "Ähm… ja, kann ich machen." Er bemerkte den fragenden Blick seiner besten Freundin und im selben Moment hörte man, wie die Badezimmertür aufgerissen wurde. Kari ging zurück in die Küche und setzte sich als Letzte an den Tisch, während sie ihren Eltern keinen weiteren Blick zuwarf und sich nur stumm Brötchen schmierte. Sora war erstaunt, wie sehr sich das junge Mädchen verändert hatte, wenn sie auch nur ein paar Jahre zurückdachte. Desweiteren verlief das gemeinsame Frühstück entspannt und ruhig und es stimmte sie gleichzeitig auch traurig, wenn sie sich dabei ungewollt an ihre verstorbene Mutter erinnerte. Von nun an konnte sie dieses glückliche Familienleben also nur bewundern und Sora musste sich ziemlich zusammenreißen, um nicht urplötzlich in Tränen auszubrechen. Kaum hatte Tai wenige Zeit später seine Zimmertür geschlossen, schon seufzte er tief und innig. "Was ist denn los mit dir?", erkundigte sich Sora mehr oder weniger besorgt, während sie zum Bett ging und es sich etwas mehr zurecht machte. "Naja… die Sache mit Kari ist nicht ganz unkompliziert, weißt du", antwortete er langsam und lehnte sich nachdenklich gegen die Tür. Das Mädchen nickte. "Ja, ich habe schon mitbekommen, dass das eine ziemlich ernste Sache sein muss… ist sie denn krank oder so?" Es fiel ihm etwas schwer, doch Tai wusste, dass er Sora vertrauen konnte. Nach mehreren Minuten sprach er es dann letztendlich aus. "Sie… ist schwanger." "BITTE WAS?" Erschrocken rutschte ihr die Bettdecke aus der Hand. "S-schwanger…? Aber sie ist doch gerade mal… vierzehn…?!" "Ja, das ist es ja! Außerdem hat sie keine Ahnung… von wem." "Oh mein Gott…", flüsterte Sora nun mehr. "Das tut mir schrecklich Leid, Tai. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass euch das im Moment ziemlich zu schaffen macht." Sie drehte sich um und sah zu ihm. Ächzend stieß dieser sich von der Tür ab und kramte sich ein paar Sachen aus dem Schrank zusammen. "Ich glaube, dass meine Eltern am allerwenigsten damit fertig werden… wahrscheinlich wird Kari es abtreiben müssen." "Ihr wird das wohl auch nicht ganz so einfach fallen…" Tai nickte. "Deswegen werde ich sie auch unterstützen, egal was passieren wird." ----------------- Scharf sog er die Luft ein und sah zu seiner mehr oder weniger verängstigten Schwester, die seit her kein Wort mehr gesagt hatte. Zu zweit standen sie vor der Arztpraxis, während Sora bei den Yagamis geblieben war und dort wartete. "Da wären wir… hey, Kari." Das junge Mädchen erwiderte nun den Blick ihres Bruders und nickte zaghaft. "Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin doch bei dir!" Zuversichtlich lächelte Tai sie an und legte nur kurz eine Hand auf ihre Schulter, um ihr dadurch etwas Mut zuzusprechen. "Also dann…" Er lehnte sich gegen die schwere Tür und drückte sie dann ins Innere. "Komm." Kapitel 10: Vermisst -------------------- „Wir sind dann mal bei der Oma!“, sagte Yuuko, nachdem sie das Mittagessen vom Tisch geräumt hatte. Es war bereits 14 Uhr nachmittags, und Sora hatte es sich vor dem Fernseher gemütlich gemacht. „Geht klar! Ich pass schon auf, dass keiner einbricht“, grinste sie zurück. „Wer will denn bei uns schon einbrechen?“, lachte Susumu, „Pass auf dich auf, Sora! Bis nachher dann…“ Nun war Sora wieder alleine… der Fernseher schaltete gerade auf Werbung um. „Ach nee!“ Gelangweilt legte sie sich auf’s Sofa… und schnell machten sich wieder depressive Stimmungen in ihr breit. Dieses Gefühl von Einsamkeit… Sie zappte an den Kanälen im TV vorbei, jedoch konnte das nicht davon ablenken. „Mama, ich wünschte du wärst hier… ich fühl mich so verlassen…“, murmelte sie vor sich hin. Das Telefonat gestern machte sie noch schwer zu schaffen. Zugegeben, er hatte Recht damit, dass es in letzter Zeit immer häufiger zu Streitfällen gekommen ist. Und Sora war sich auch sicher, dass auch sie sich bei diesen ganzen Streitereien nicht beherrscht hatte. Ihr tat es immer noch Leid, dass sie Yamato vorgestern aus ihrer Wohnung nahezu rausgeschmissen hatte… Aber… war es das wert? War es wirklich wert, alles wegzuschmeißen und liegenzulassen? Es gab doch auch ein Sprichwort: „Streit ist der Beweis für eine gesunde Beziehung“… wieso traf das nicht auf die Beziehung von Sora und Yamato zu?? Und überhaupt, warum kam es zu diesen heftigen Auseinandersetzungen??? "Warum noch an die Vergangenheit zurückdenken...", dachte Sora und machte den Fernseher aus. Diese Langweile machte sie noch kirre! Sie lief in Tais Zimmer und schaute sich etwas um… in der Hoffnung, irgendetwas Interessantes zu finden. An sich war es nicht wirklich aufregend: Chaotisch, unkompliziert… eben Tai. Sie musste lachen beim Anblick seines Schreibtisches: „Oh Gott, da geht ja alles drunter und drüber…“ Wie man’s nimmt: Hefte lagen wahllos übereinandergestapelt, eine Chipstüte flog darauf rum, und unter den Heften schmückten Stifte aller Art die Tischplatte. Nun brauchte sie jedoch etwas, was sie von dieser Depression ablenken würde… der Teufelskreis wurde langsam unerträglich. Da fiel ihr eine Schublade auf, auf deren Öffner etwas eingeritzt war. Sie betrachtete das Eingeritzte von der Nähe… und machte große Augen. „Das Wappen des Mutes…“ Sie wunderte sich, warum sie es vorher noch nie bemerkt hatte. Immerhin war es nicht zu selten der Fall, dass Sora bei Tai zu Gast war. Doch sie erinnerte sich schnell an die Vorkommnisse auf Tais 17. Geburtstag, wo Yamato ihr klar machte, dass er ihn nie wieder so nah an sie ranlässt, wenn ihr die Beziehung lieb war. Dieser Gedanke verflog aber rasch, war er doch nebensächlich. Nun packte sie die Neugier und sie öffnete die Schublade. Heraus kam nichts, was Sora nicht kannte: Das Digivice erschien an erster Stelle; dann die Agumon-Karte, die er damals aus Myotismons Schloss hatte mitgehen lassen; auch sein Fernglas, das er immer dabei und die Gruppe oft vor unangenehmen Situationen gewarnt hatte; schließlich tauchte noch das Gruppenbild auf, das gegen Ende ihres ersten Abenteuers gemacht wurde. Letzteres nahm sie heraus und betrachtete es eine Zeit lang… „Da war noch alles gut…“ Auf dem Bild lachten viele bekannte Gesichter ihr entgegen. Das Gefühl einer Zusammengehörigkeit wurde ihr in der Digiwelt erstmals bekannt. Und heute… Was war los gewesen? Vieles war gleich geblieben im Vergleich zu früher, doch die Unterschiede fingen schon bei Tai und Yamato an… und nicht zuletzt noch auch bei ihr und Yamato. Nun ja… eine gescheiterte Liebesbeziehung bedeutete immerhin noch keine gescheiterte Freundschaft… die Hoffnung hatte Sora noch. Immerhin war Yamato Besitzer des Wappens der Freundschaft. Ob er es noch bei sich trug? Immerhin setzte diese Charaktereigenschaft bei ihm seit fast einem Jahr nahezu aus… Sora dachte an das letzte Jahr zurück, wo sie und Yamato zusammenkamen. Ihr Interesse an ihm begann durch seinen Durchbruch in der Musik… sie war seitdem auf jedem seiner Konzerte, nicht nur aus freundschaftlichen Gründen. Und angefangen hatte es, als sie ihm zu Weihnachten selbstgebackene Kekse schenkte und er sie vor einstürzenden Gerüsttrümmern am Weihnachtskonzert rettete. Seitdem waren die beiden ein Paar, und jeder wusste dies zu respektieren… auch Tai. Seltsam, dass ihn diese Nachricht vollkommen „kalt“ gelassen hatte, denn sie wusste schon lange, dass Tai in sie verschossen war. Doch wohl nicht zu sehr, als sie sich gedacht hatte; denn die Freundschaft zu Yamato bekam keinen Kratzer ab… Erst seit Tais 17. Geburtstag lief so allmählich alles aus dem Ruder… Sie legte das Gruppenfoto zurück und schloss die Schublade. Sie wünschte sich die Zeit zurück. Sie vermisste sie… und nicht nur sie, sondern auch Biyomon. Seitdem das Tor zur Digiwelt endgültig verschlossen wurde, hatte sie Biyomon nicht mehr gesehen. Sie hoffte immer noch, dass das Tor eines Tages wieder aufgehen würde und sie endlich das Vogeldigimon wiedersehen konnte… Plötzlich ging irgendetwas hinten an. Sora erschrak und drehte sich blitzschnell um. Es war nur der Radiowecker von Tai… er musste ihn gestellt haben. Wahrscheinlich, weil es Sonntag war – bei diesem Gedanken konnte Sora sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sie wollte den Wecker gerade ausstellen, als sie plötzlich hinhorchen musste. Der Radiosender ging gerade zu den Regionalnachrichten über… ----------------- Es war Sonntagnachmittag halb fünf, und die Sonne schien grell über allen Köpfen hinweg. Hier und da sah man Kinder spielen, im Park zwitscherten die Vögel vor sich hin und viele Menschen waren unterwegs, meist zum Strand oder zum Vorortschwimmbad. Die Kaufhäuser hatten dennoch offen, wie es in Japan üblich ist; somit gab es genauso viele Leute, die auf Shopping- und Bummeltouren unterwegs waren. Tai und Kari machten sich bereits auf dem Heimweg. Die Beratung und Untersuchung hatte anscheinend kürzer als erwartet gedauert. „Geht’s dir nun wieder etwas besser?“, fragte Tai seine jüngere Schwester. Kari reagierte erst nach einer Weile, war sie doch in Gedanken versunken. Irgendwie hatte sie kein so gutes Gefühl, egal was sie nun zu tun gedenken würde. Sollte sie den Rat aller - auch des Arztes – annehmen und das Kind abtreiben? Oder lieber das Kind bekommen? Die Qual der Entscheidung… „Nicht wirklich… ich weiß einfach nicht, was ich jetzt machen soll…“ Tai und Kari stoppten im Zentralpark und setzten sich auf eine der vielen Parkbänken hin. Während Tai seine jüngere Schwester ansah, schaute diese resigniert in die Luft. Ohne zu wollen fragte er plötzlich: „Hast du es schon Sora, Yamato und T.K. gesagt?“ Kari schluckte; diese Frage wollte sie nicht hören, auch nicht vor ihrem großen Bruder. Wieder machten sich Tränen in ihren Augen breit. Erst jetzt realisierte Tai, was er da gerade von seiner Schwester abverlangte und nahm sie liebevoll in seine Arme. Unter seiner Geste schluchzte Kari heftig, brachte aber ein Kopfschütteln zustande, was Tai auch mitbekam. Er nickte: „Ich denke, das ist auch besser so… die beiden sind wahrscheinlich jetzt sowieso auf Kriegsstimmung…“ Schließlich konnte Kari ihre Traurigkeit überwinden, aber eine Entscheidung gefallen hatte sie noch nicht. Obwohl alle, auch Tai, die Abtreibung empfahlen, konnte sie mit dieser Entscheidung nicht glücklich werden. Andererseits würde sie möglicherweise… nein, bestimmt große Probleme bekommen, wenn sie die 9 Monate abwarten würde… Tai bemerkte die nachdenkliche Miene seiner Schwester. Er legte seine Hand auf ihre Schulter: „Es gibt hier keine Entscheidung, die zu 100% gut oder 100% schlecht ist… du musst wissen, was für dich besser ist! Aber zumindest ich werde dich bei allem unterstützen!“ „Danke…“, murmelte Kari halbwegs verständlich. Mit diesen Worten beschritten sie weiter den Weg Richtung zu Hause. Um kurz vor fünf kamen die beiden zu Hause an. Sora machte sich gerade etwas in der Küche zu essen, als sie plötzlich Laute an der Tür wahrnahm. Sie schaute neugierig nach und freute sich über die Ankömmlinge. „Da seid ihr ja endlich wieder! Wie war’s denn?“ Kari verzog bei der Frage etwas die Miene, war jedoch zum Sprechen bereit: „Der Arzt überlässt mir die Entscheidung, was ich als Nächstes tun will… aber ich weiß nicht…“ Sora merkte ihre Unsicherheit deutlich. Sie wünschte sich gleich, dass sie nicht so überstürmisch gefragt hätte und versuchte nun, Kari etwas abzulenken: „Naja, zieh dich erst mal aus und komm ins Wohnzimmer!“ Kari winkte ab: „Danke, ich möchte aber erstmal ein bisschen alleine sein.“ Sie zog sich daraufhin in ihr Zimmer zurück und schloss die Tür. Sora seufzte tief. Tai bemerkte ihren niedergeschlagenen Gesichtsausdruck und hakte nach: „Hey Sora, was ist los? Kann ich irgendwas für dich tun?“ „Tut mir Leid, dass ich sie mit der Frage so überfallen hab…“ „Was? Wovon…“ „Kari. Ich musste ja so überstürmisch fragen… mir hätte doch klar sein sollen, dass es kein richtiger Zeitpunkt für so eine Frage war…“ Sie schaute ihn schuldig an… „Sora, Sora… du machst dir im Moment zu viele Vorwürfe. Ihr ging es schon die ganze Zeit so, du hast keine Schuld dran! Komm jetzt erstmal mit in die Küche und erzähl mir, wie du dich fühlst…“ Tai marschierte in die Küche und Sora folgte ihm. „Wer hat denn dieses Sandwich hier gemacht? Sieht ja noch relativ frisch aus…“ Sora bemerkte, wie Tai auf das Sandwich starrte, das sie sich vorhin zusammengelegt hatte. „Oh, das ist von mir… hab ich grad eben gemacht. Aber du kannst es ruhig haben, mir ist grad der Appetit verflogen.“ „Oh, na gut. Wenn du meinst…“, meinte Tai und machte sich über das Sandwich her. Sora beobachtete ihn dabei und musste lachen. Es war einfach typisch Tai: Ohne Manieren etc. zu zeigen sich über Speisen herzumachen. Da war allerdings noch eine Information, die Sora verschwieg. Sie wollte es allerdings erst heute Abend preisgeben, wenn alle Familienmitglieder wieder da sind… „Alle Familienmitglieder“… nun denkt sie auch schon so, wie Tais Mutter es gestern ausgedrückt hatte… eine Familie? Hatte Sora überhaupt noch eine? …… … ----------------- Abendessenszeit. Ausnahmsweise kochte diesmal Tais Vater Susumu das Essen. Yuuko musste sich erstmal beruhigen, nachdem wieder eine fetzige Diskussion mit Kari abgelaufen war. „Mum, gib ihr noch etwas Zeit…“, versuchte Tai einzulenken. „Da gibt es doch nichts lang zu überlegen! Denkst du ich hab Lust, ungewollt noch ein drittes Kind füttern zu müssen?!“ Yuuko war fast außer sich. „Mhm, waren wir beide als Kinder denn so schlimm?“, grinste Tai seine Mutter schief an. „Oooh, da erzähl ich lieber nichts!“, wandte sich Yuuko ab und ging in die Küche, um alles Nötige für das Abendessen vorzubereiten. Sora wandte sich an Tai: „Kann ich mit euch am Tisch etwas besprechen? Ist vielleicht auch nicht ganz unkompliziert…“ Tai sah sie fragend an, nickte jedoch kurz darauf: „Natürlich… immer doch, solange es halt das Fass nicht zum Überlaufen bringt. Du siehst ja, mit meiner Mutter ist derzeit nicht zu spaßen…“ Tai seufzte innig. „Ich hoffe es nicht… aber ausschließen kann ich auch nichts…“, meinte Sora und setzte sich zu Tisch. Diese Aussage beunruhigte Tai etwas, denn das kannte er nur von ihr, wenn irgendetwas Schlimmes wieder passiert ist. Nachdem alle zu Tisch gekommen waren und das Abendessen bereit stand, begann die große Futterei. Kari war relativ schnell fertig und zog sich auch wieder in ihr Zimmer zurück; sie wollte ohnehin nun etwas Abstand von ihren Eltern halten. Yuuko stieß einen kurz angehaltenen Atem aus und aß weiter. Nach kurzer Zeit waren alle fertig und Tai meldete sich zu Wort: „Mum, Dad…“ Die Eltern schauten neugierig auf. „Sora hat etwas zu berichten…“ Nun schauten die Eltern Sora an und sie wurde leicht rot. Susumu lächelte: „Nur nicht so schüchtern, immer raus damit! Wir sagen es auch nicht weiter, wenn du es nicht willst…“ Sora schaute Tai an, woraufhin der nur nickte. Immerhin interessierte es ihn selber, was nun Sache war. Sora holte tief Luft und begann: „Ich bin bei der Polizei als vermisst gemeldet worden. In den Radionachrichten erfuhr ich es heute nachmittags. Mein Vater war anscheinend am Samstagabend nochmal in – jetzt nunmehr meiner Wohnung gewesen und wollte mich gewaltsam zu sich holen. Da hat er wohl gemerkt, dass ich nicht da bin… und jetzt… ist er wohl nach der Suche nach mir…“ Kapitel 11: Der Alltag hat uns wieder… -------------------------------------- Der Sonntagabend verging in vollem Frieden und Sora legte sich schlafen… diesmal wieder alleine auf Tais Bett. So gesehen war es heute das erste Mal nach dem Tod ihrer Mutter, dass sie wieder ohne böse Gedanken ins Bett gehen konnte. Die Yagamis hatten versichert, dass sie Soras Aufenthalt bei ihnen nicht der Polizei preisgeben würden. Tai fühlte sich besonders verpflichtet, ihr beizustehen, da er wusste, dass sie ihren Vater mehr als verabscheute, seitdem dieser zu seiner neuen Freundin gezogen ist. Sora war am Essenstisch den Tränen nahe, als sie den Yagamis geschildert hatte, wie es um sie und ihrem Vater steht… … und Tai, der neben ihr saß, nahm sie in die Arme, womit sie nicht gerechnet hatte. Jedoch war sie in dem Moment viel zu sehr mit ihrer Trauer beschäftigt, als dass sie deuten konnte, was Tai da tat… „Gute Nacht Tai!“, sagte Sora und schloss die Augen. „Gute Nacht… Sora!“, gab Tai zurück und legte sich auch hin. Er war kein bisschen müde. Er war immer noch zu sehr geschockt von dem, was Sora seiner Familie offenbarte. Auch Soras Bitte ließ ihm keine Ruhe: Immerhin wollte sie bei ihnen unentdeckt „untertauchen“… bis sie 18 und dann somit von ihrem Vater nicht länger abhängig sein wird. Er dachte nach: Bis zu ihrem 18. Geburtstag waren es noch 4 Monate… eine lange Zeit. Ob das gutgehen wird? Das hieße ja, dass sie sich 4 Monate nur noch Undercover bewegen durften. Angesichts der Tatsache, dass man das kaum auf die Schule übertragen kann und man auf viele Unternehmungen verzichten musste, war Tai nun sehr unsicher… Unweigerlich kamen in ihm jedoch die Bilder wieder auf, die er heute beim Abendmahl erlebt hatte und er beschloss, alles Mögliche für Sora zu tun, damit sie sich in der nächsten Zeit wohlfühlen wird… und nicht wieder in Tränen ausbricht. Soras Tränen hatten schon seit langem eine gewisse Auswirkung auf Tai. Er konnte es nicht ertragen, dass sie in seiner Gegenwart weinte. Tai wusste, dass sie sehr verletzlich war, doch wenn er sie weinen sah, liefen in ihm alle möglichen Gedanken Sturm und er wusste nie zu handeln. Das war mal so gewesen… er erinnerte sich noch an das Ereignis in der Digiwelt, wo sie Sora nach langer Suche gefunden hatten und Sora eine Gefühlskrise durchlebte. Nun war er mit der Zeit reifer und auch – wenn man so will – „mutiger“ geworden und beherrschte nun erstklassige Beruhigungsmethoden, die auch bei ihr wirkten… so wie zum Beispiel heute Abend, wo er Sora in den Arm nahm und ihren Tränenfluss stoppte. Nach einer Weile ließ er die Gedanken los und legte sich hin… morgen war schließlich wieder Schule. Sora erklärte sich bereit, ebenfalls wieder hinzugehen. Ein weiteres Mal konnte sie sich es nicht leisten, zu fehlen… besonders deshalb, weil in 3 Wochen Prüfungen anstanden. Sie wollte ohnehin nach Yamato schauen und ihn zur Rede stellen. Tai hatte nach kurzem Hin und Her schließlich eingewilligt, vorerst die Sache mit Yamato und Sora auf ihrer Schulter belassen werde… solange nicht alles aus dem Ruder läuft. Kurze Zeit später fiel er auch schon in das Land der Träume… ----------------- Der darauffolgende Tag begann mit klarem Himmel und grellen Sonnenlicht aus dem Osten. Nachdem Tai, Sora und Kari gefrühstückt hatten, machten sie sich auf dem Weg zur Schule. Bis zur Schule verlief es relativ ruhig zwischen den dreien; als Kari sich von ihnen getrennt hatte, flüsterte Sora zu Tai: „Ich fühl mich irgendwie fremd hier…“ Tai lachte: „Verständlich, du warst ja schon seit einiger Zeit nicht mehr hier gewesen!“ „Hast du ihn schon gesehen?“ Tai guckte erst verdutzt, wusste aber gleich, was sie meinte: „Nee, noch nicht! Der wird sich bestimmt schon im Laufe des Tages zeigen!“ Der Schulgong ertönte und die beiden machten sich auf in den Unterricht. ----------------- „Komisch… keiner weiß, was mit ihm los ist!“ Sora aß ihr Pausenbrot auf und schaute in den Schulhof, wo sich viele Schüler tummelten. „Er war den ganzen Vormittag nicht da gewesen… und jetzt ist es gleich Nachmittag!“ Tai stieß einen Atem aus und meinte: „Ich glaube, für heute sollten wir uns keine Hoffnungen machen… vielleicht ist er krank!“ „Oder vielleicht ist er auch wegen mir daheim geblieben…?“ Tai schaute sie nachdenklich an: „Naja, immerhin kann er dir deinen heutigen Tag nicht mehr versauen! Dir geht’s doch wieder besser oder?“ Sora lächelte ihn an: „Irgendwie schon. Seit gestern ist vieles wieder ok…“ Sora hielt plötzlich inne. Die Klassenlehrerin marschierte auf sie zu: „Sora, könnten Sie bitte mal kurz mitkommen?“ Ihr Magen verzog sich, irgendwie hatte sie den Verdacht, dass es etwas Ernstes ist, was ihr nicht gefallen würde. „Ähm… ja, sicher doch!“, antwortete sie und folgte der Beamtin. Zu ihrer Erleichterung durfte auch Tai mitgehen und die beiden kamen in das Büro ihrer Klassenlehrerin. „So… jetzt erklären Sie mir doch bitte mal Folgendes…“, und sie holte einen Brief unter ihrem Papierkram auf ihrem Schreibtisch hervor. Beide Freunde sahen sich den Brief an und suchten nach dem Absender… vergebens, er stand nicht drauf. Die Lehrerin hakte ein: „Sora, der Brief stammt von Ihrem Vater…“ ----------------- Es war bereits Spätnachmittag, als endlich der erlösende Gong den Schülern den Schulschluss ankündigte und sie nach draußen in alle Richtungen strömen ließ. Tai und Sora liefen zur Bushaltestelle und warteten dort. Eine ewig lange Stille zog sich zwischen den beiden hin… kaum einer sagte ein einziges Wort. Das Getöse der Schüler nebenan, die sich gegenseitig auf die Fahrbahn schubsten, Karten austauschten oder über Gott und die Welt redeten, konnten die beiden nur mit Mühe ignorieren. Tai sah Sora an; sie wirkte auf ihn nun wieder so, wie er es vor ein paar Tagen erlebt hatte. Sora blickte auf; ihre niedergeschlagene Gestik machten Tai Sorgen. Der Bus kam, die beiden stiegen ein und ließen sich auf die hinterste Reihe nieder. Auf der ganzen Fahrt bedrückte Sora das Gespräch mit der Lehrerin. Sie konnte schließlich diese Stille nicht mehr ertragen konnte und schubste Tai vorsichtig. Er schaute zu ihr… und lauschte ihrem Flüstern. „Bist du sicher, dass es keiner von den Lehrern und Schülern erfahren hat?“ Tai verzog nachdenklich die Miene; die Lehrerin hatte sie gefragt nach dem ganzen Theater, das ihr Vater angezettelt hatte. Aus dem Brief, das Haruhiko an die Schule geschickt hatte, wurde recht schnell deutlich, dass ihr Vater wirklich unter allen Umständen will, dass sie zu ihm zieht. Sora hatte vor ihr ziemlich lange betteln müssen, damit die Lehrerin sich bereit erklärte, die ganze Angelegenheit zu vertuschen. Sie nahm sich dabei wohlgemerkt ihrer Rolle als Vertrauenslehrerin an. Jedoch konnte sie nicht sagen, ob die ganze Sache bereits an die Öffentlichkeit gedrängt wurde. Tai vermutete es jedoch nicht, da Sora nicht von Mitschülern auf diese Sache angesprochen wurde… „Ich weiß es nicht… aber immerhin hat dich heute keiner deswegen gefragt, oder?“ Beruhigt drehte sie sich wieder zur Fensterseite um: „Stimmt auch wieder…“ Zu Hause angekommen erwartete die beiden erst einmal ein leeres Haus. Nach einer Weile mussten Tai und Sora erkennen, dass die beiden sturmfreie Bude hatten. „Hat dir deine Mutter heute gesagt, dass sie wegfahren?“, bemerkte Sora verdutzt und schaute leer in das Wohnzimmer. „Nicht dass ich wüsste…“, gab Tai genauso ahnungslos zurück und blickte suchend durch alle Zimmer. Es herrschte überall gähnende Leere; kein Laut, kein Geräusch, keine Stereoanlage aus Karis Zimmer… Moment! Er stockte, denn das bedeutete, dass Kari auch nicht da war. Sie hatte aber immer früher Schule aus als er. Das heißt… In dem Moment öffnete sich die Haustür und herein kamen Kari und Tais Eltern. Kari schaute sichtlich traurig Tai und Sora entgegen. Tai sah zuerst sie und dann seine Eltern an. Ihm wurde nach deren Gesichtsausdrücken schnell alles klar und er zögerte nicht, zu seiner Schwester zu gehen und sie tröstend in die Arme zu nehmen. Kari ließ sich willig auf seine Geste ein und fing an zu schluchzen. „Schwesterlein, es ist alles gut“, meinte Tai zu ihr und versuchte, sie zu beruhigen. Sora sah sich das Szenario an und begriff nun auch, was vorgefallen war. Sie ließ sich seufzend auf das Sofa fallen und hörte nur noch Tai sagen: „Es freut mich, dass du dich unserem Rat angenommen hast…“ ----------------- Die nächsten Tage und Wochen vergingen sehr locker und entspannt… mal abgesehen davon, dass die Klausurenphase begonnen hatte und Tai und Sora wie Wahnsinnige am Lernen waren. Sora hatte sich vollkommen erholt von den ganzen Strapazen, die nach dem Tod ihrer Mutter auf ihrem Tagesprogramm standen, und auch den kompletten Schulstoff aufgeholt. Dabei gaben ihr die Yagamis Rückhalt, denn sie sorgten dafür, dass sich Sora wieder in ein Familienleben eingliedern konnte und sie wieder voll und ganz sie selbst sein konnte. In der Schule führte sie ihre gute Notenbilanz weiter fort und schaffte es noch nebenbei, Jahrgangsbeste zu werden. Yamato tauchte auch nach den ersten Fehltagen nicht auf und zunehmend verflüchtigten sich Soras Gedanken, die sich auf ihn bezogen. Einerseits konnte sie nun mit seiner Entscheidung langsam leben und sie wollte, gerade weil sie eine schwere Phase hinter sich gelassen hatte, so wenig Stress wie möglich haben. Andererseits war Tai immer bei ihr und brachte sie immer auf andere Pfade… nebenbei sorgte er für die eine oder andere lustige Unterhaltung, die Sora sehr zu schätzen wusste. Irgendwie nahm sie zur Kenntnis, dass Tai ein richtiger Ersatz für Yamato geworden war… aber sie hegte doch keine besonderen Gefühle zu ihm. Oder täuschte sie sich da? Die letzten Ereignisse waren schließlich doch etwas anders gewesen… sie hatte sich jedes Mal, als sie sich in Tais Nähe befand, seltsam gefühlt… und bei Tuchfühlung spielten ihre Gefühle noch verrückter. Hatte das etwas zu bedeuten…? – Fragen über Fragen, die Sora sich über die Zeit hinweg behielt – … Nachdem die erste Prüfungswelle vorbei war und nun quasi Pause war, stand auch schon Tais ACHTZEHNTER Geburtstag an. Aus Vorsorge für Sora hatte er sich entschlossen, die richtige Party zu verschieben und mit Sora zusammen zu feiern; trotzdem war es Anlass genug für seine Familie, wenigstens für den Tag ihn zum König des Hauses zu krönen und groß essen zu gehen. Yuuko bemerkte grinsend: „Ich hoffe, ich habe mich getäuscht, dass wir in der Erziehung mit dir zu nachsichtig waren…“ Tai verzog gespielt beleidigt das Gesicht und streckte ihr die Zunge heraus, worauf Sora sich vor Lachen kaum halten konnte. „Dein Geschenk heben wir uns für die Party auf… es würde – so denke ich –besser passen, wenn wir es dir dort überreichen!“, sagte Susumu. Tai schaute erst etwas enttäuscht, aber Sora wusste, was dagegen zu tun war. Sie legte ihren Arm um seinen Hals und küsste ihm auf die Backe: „Für meinen besten Freund!“ Für den Moment waren Tai alle Ereignisse auf der Welt nebensächlich. In ihm kam eine Wonne voller Gefühle hoch und die Hormone sprudelten ununterbrochen. Seine Familie lachte, als diese seinen verwöhnten Gesichtsausdruck zu sehen bekamen. Der Abend klang langsam aus und insgesamt verlief es für Tai – im Unterschied zum letzten Jahr – diesmal reibungslos ab. Jetzt musste nur noch bis zur nächsten Party alles reibungslos ablaufen… ----------------- „Da ist sie! Sie scheint ja voller Lebensfreude zu sein…“ „Ja, mein Herr! Sie war gestern zusammen mit einer Familie bei uns im Haus essen. Wenn ich mich nicht irre, war das eine Geburtstagsfeier…“ „Gut, dass Sie mich gleich angerufen haben. Wie war nochmal der Name der Familie?“ „Das weiß ich leider nicht, und ich dürfte es Ihnen sowieso nicht sagen. Aber vielleicht kennen Sie sie ja selber… schauen sie weiter auf das Video…“ … „Hm, also die Eltern kenne ich nicht… oh, Moment! Das ist doch… wenn ich mich nicht irre, ist das ein guter Freund von ihr… ja, ich habe ihn schon oft gesehen, aber ich komme nicht auf seinen Namen…“ Kapitel 12: Sommerjagd ---------------------- Soras 18. Geburtstag rückte von Tag zu Tag näher und mit jedem Tag wurde sie immer fröhlicher. Sie wohnte mittlerweile bei Mimi, da sie den Yagamis nicht noch länger zur Last fallen wollte. Zwar ließ Tai sich nur widerwillig überreden, aber er hielt es schließlich auch für besser, dass sie ihren Aufenthaltsort wechselte… es waren schon ganze 2 Monate, dass Sora mit Tai rumhing und es könnte sein, dass irgendjemand es Soras Vater gemeldet hätte. Mittlerweile war es Hochsommer geworden und Sora und Mimi marschierten knapp angezogen in Sandalen durch die Läden Tokios; Tai, Izzy und Joe vergnügten sich am Strand. Von Yamato fehlt immer noch jede Spur, er hatte sich seit der Trennung nicht mehr gezeigt. Ironischerweise war es er, der wirklich vermisst wird. Von der Schule hatte er sich offensichtlich abgemeldet, das wussten Tai und Sora, nachdem sie bei der Schulleitung nachgehakt hatten. Nicht, dass die beiden was dagegen hätten, dass er mal für eine längere Zeit Ruhe gibt, aber selbst für Tais Geschmack war es nun zu lang. Dennoch unternahm er nichts… für nichts auf der Welt würde er etwas machen, was Soras Psyche wieder zum Absturz bringen würde – erst recht nicht, nachdem sie sich wieder erholt hatte. ----------------- „Autsch, ich glaub, ich hab einen Sonnenbrand…“ „Kommt davon, wenn du dich nicht eincremst, Izzy! Sieh mal, ich hab genauso lang in der Sonne gelegen wie du und bei mir ist alles heil“, grinste Joe. „Dafür bin ich nun um einiges brauner als du!“, konterte Izzy zurück. „War auch nicht mein Ziel… hey Tai!“ Man sah nur zeitweise, wie Tai aus dem Meerwasser auftauchte und an der Oberfläche sich treiben ließ. Er genoss die Wellen, wie sie auf ihn zukamen oder ihn überfielen. Keinen Augenblick später tauchte er wieder unter. Folglich überhörte er Joes Ruf. „Mann, der treibt sich schon seit einer Stunde im Wasser rum…“ „Lass ihn doch“, meinte Izzy, „Ich stell’s mir nicht zu schlimm vor… muss bestimmt voll cool für ihn sein!“ „Also mir waren selbst die 20 Minuten, die ich im Meer verbrachte, zu lang. Es ist zwar nun Sommer, aber trotzdem ist das Wasser immer noch vergleichsweise kalt…“ „Du bist halt ein Weichei, Joe“, sagte Izzy und fing an, sich mit Sand überzuschütten. ----------------- „Und? Passt es mir?“, schaute Sora ihre Freundin erwartungsvoll an. „Es passt dir wie gegossen! Das ist ein wirklich geiles Teil! Die Jungs werden Sturm laufen“, lachte Mimi, die sich sichtlich amüsierte, wie Sora rot anlief. „Ach quatsch nicht herum! Komm lieber mit, es gibt noch einiges was ich mir angucken möchte!“, meinte Sora und lief weiter in die Bikini-Abteilung. „Komme ja schon“, antwortete Mimi und rannte hinterher. Wenig später hatte Sora sich ein entsprechendes Badenixen-Set ausgesucht… nur Mimi konnte sich nicht entscheiden. „Komm schon, es muss doch etwas geben, was auch deinem Geschmack entspricht, oder??“, wurde Sora ungeduldig, nachdem ihre Freundin nun das fünfte Teil ausprobierte. „Mensch, ich finde einfach nichts! Das ist hier alles out, die Auswahl in diesem Laden hier ist veraltet!“, rief Mimi verärgert. „Also ich finde, dass das hier was ich habe noch relativ…“ „Was?“, fragte Mimi und drehte sich zu ihrer Freundin um… doch aus dieser kam keine Antwort. Stattdessen begann Sora vor Entsetzen zu stammeln. Ihre Augen richteten sich auf jemanden, der 10 Meter weiter vor ihr mit einer Kassiererin redete. Mimi folgte ihrem Blick… und musterte den Mann von oben bis unten. Sie verstand nur Bahnhof. „Sora, was ist denn? Wer ist denn dieser Typ, den du da wie eine Katze anstarrst, die gerade ihre Beute wittert?“ Aus Sora kam weiterhin gar nichts. Stattdessen gab sie Mimi eine Geste zu erkennen, die unschwer zu entziffern war: Weg von diesem Ort! Gerade drehte sich Mimi um und wollte mit Sora zur Rolltreppe gehen, als sie gegen eine Modepuppe stieß, die sofort umfiel. Das Geräusch machte die Kassiererin aufmerksam und auch der Mann schaute neugierig auf. Plötzlich erstarrte dieser, als er auf der kurzen Entfernung sie – Sora – sah. Es brauchte keine 3 Sekunden, damit sich der Mann gefasst hatte und zu ihr lief. „Sora!!“ Ein hysterischer Schrei war in der 4. Etage des Kaufhauses zu hören. Die Überwachungskameras zeichneten eine Verfolgungsjagd auf, bei der die Rolltreppen wortwörtlich schepperten und 2 Einkaufstaschen mit Damenkleidern durch die Luft flogen. Die Mädchen konnten knapp entkommen; der Mann war vom Sicherheitsdienst an der Tür aufgehalten worden, nachdem er unschwer zu erkennen gab, dass er hinter den beiden Damen her war. Die beiden Mädchen rannten Richtung U-Bahn-Station. Eine U-Bahn sollte die beiden zurück zu Mimis Wohnung bringen und den heutigen Tag erst mal beschließen. Sora war immer noch entsetzt, ihr stand ihre Fassungslosigkeit ins Gesicht geschrieben. Ihr Versuch, ihrem Vater bis zu ihrem 18. Geburtstag aus dem Weg zu gehen, war durch den heutigen dummen Zufall gescheitert… ----------------- „Ich bin wieder da!“, rief Tai durch die Wohnung. Keine Antwort. Tai stutzte; waren sie wieder irgendwo ausgeflogen? Er zog sich die Schuhe aus und trat in das Wohnzimmer ein. „Oh!“ „Krisensitzung, Tai!“ Kari, Yuuko und Susumu saßen am Abendtisch und schauten sichtlich besorgt aus. „Was ist denn los?“, wollte Tai wissen und setzte sich hin. Er fühlte sich ziemlich überrumpelt. „Mister X war hier“, antwortete sein Vater ihm. Sein Herz machte einen Hüpfer; was wollte denn der hier? Dass Sora bei Tai wohnte, war doch schon 2 Wochen her, wieso kommt er denn ausgerechnet jetzt? „Was wollte er denn?“, fragte Tai. „Naja, ist im Grunde nichts Überraschendes: Er wollte, dass wir ihm „Sora“ aushändigen…“ Seine Mutter führte fort: „Unser Aufenthalt im Restaurant mit Sora an deinem Geburtstag hatte wohl ein aufmerksamer Kellner beobachtet… er hatte Soras Vater angerufen und der wusste anscheinend, wer wir sind…“ Tai hörte aufmerksam zu. „Nun… dadurch, dass er handfeste Beweise hatte, sind wir auf eine Notlüge ausgewichen und hatten ihm gesagt, dass Sora nur wegen deinem 18. Geburtstag freiwillig aufgetaucht wäre…“ „… aber dann hatte er uns vorgeworfen, dass wir es ihm verschwiegen haben. Er hatte uns rechtliche Konsequenzen gedroht…“ Nun sah Yuuko zu Boden. Sein Vater beendete den Bericht: „Naja… als wir meinten, dass wir nichts davon wussten, dass Sora vermisst wird, wurde er dann auch wieder still…“ Er stieß ein leises Pfeifen aus. Tai hatte keine Antwort parat. Es dauerte eine Weile, bis alles auf ihn ausreichend eingewirkt hatte und ihn wieder handelsbereit machte. „Verdammter Stalker…“, murmelte Tai verärgert. Es machte ihn rasend, dass sich wieder solche Probleme, die Sora angingen, breit machten. Warum kann ihr Vater sie nicht in Ruhe lassen, wenn dieser doch schon selber weiß, dass sie nicht zu ihm will? Und warum macht er noch dieses ganze Theater von wegen Vermisstenanzeige? Und, zum Teufel überhaupt, wieso sollte alles nun auch zum Problem seiner Familie werden? „Manchmal wünschte ich, ich könnte ihn auf den Mond schießen!“, gab Tai von sich und seine Eltern zuckten etwas zusammen. Sein Vater nickte jedoch kurz darauf. „Was sollen wir denn jetzt tun?“, fragte Yuuko ratlos. Susumu hatte keine Antwort darauf; Tai stand auf und marschierte Richtung Telefon. „Das Beste ist jetzt, dass Sora davon erfährt…“ Er wählte die Nummer von Mimi… ----------------- „Sora, ist alles wieder okay?“ Mimi schaute besorgt in das Zimmer von Sora hinein. Sora lag auf dem Gästebett und sah die Räumlichkeit leer an. Sie hatte seit der U-Bahn-Fahrt kein einziges Wort mehr von sich gegeben. Jetzt, wo ihr Vater sie gesehen hatte, wird er die Suche nach ihr sicherlich verstärken lassen. Auch das Haus von Tai könnte Haruhiko bereits aufgesucht und die Familie ihres besten Freundes verhören gelassen haben. Bei dem Gedanken schluckte sie… es könnte womöglich sein, dass… er… Nein! Er kann es nicht getan haben. Er kann sie nicht verraten haben. Sie konnte ihm immer vertrauen; er würde sogar sein Leben auf’s Spiel setzen, damit sie gerettet werden kann. Beim Aufstellen dieser These musste sie unweigerlich an die Rettungsaktion aus der Pyramide von Etemon denken. Sie lächelte… er hatte wirklich alles gegeben, um sie noch lebend rauszuholen… und es geschafft. Seitdem sind die beiden durch ein noch stählernes Freundschaftsband verbunden… Ob das nur dabei bleibt? In den letzten Tagen bei Mimi hatte Sora sich gedanklich intensiver mit der Zeit bei Tai auseinandersetzen können, da er nun nicht mehr in ihrer Nähe war. So stellte sie fest, dass sie sich zwar immer noch an Tai gebunden fühlte, aber es ganz anders war als vorher. Das neue Gefühl wirkte für sie wie eine… Erlösung… Verständlich, wenn man sieht, was sie alles seit dem Tod ihrer Mutter durchmachen musste; aber sie merkte, dass es zeitlich noch viel weiter hinausgeht. Sie griff in Gedanken ihre Beziehung zu Matt auf. Die Zeit war schön gewesen… aber irgendwas hatte sie an der Beziehung zu ihm vermisst… und auch vielmehr gehasst. Um Matt war immer Rummel gewesen, auch als bekannt wurde, dass Matt vergeben war. Die Fans gingen oft auf Tuchfühlung mit Matt… und er machte auch immer mit. Eifersucht machte sich oft breit… Sora hatte sich aber damit nach einer Diskussion abgefunden, weil Matt ihr dort klarmachte, dass er nur sie liebe… war die Aussage wahr gewesen? Vermisst… was hatte sie vermisst? Eigentlich gar nichts, dachte sie sich. Aber als sie genauer ins Detail ging, fiel ihr auf, dass Matt einer von der kühlen und sehr ruhigen Sorte war. Nicht zu selten erlebte Sora ihn als Bürokrat, was zu Streitereien führte. Und auch sein mangelndes Verständnis für manche Bedürfnisse Soras trübte die Beziehung nachhaltig. Das neue Gefühl musste irgendwas damit zu tun haben. Es kam zu dieser… Erlösung, weil… diese Punkte auf der Hass- und Vermisst-Liste… nicht mehr vorhanden waren… Die einzige verantwortliche Person kann nur Tai sein, weil sie sich schon monatelang mit ihm rumtrieb und sie erst seit ein paar Wochen dieses Gefühl mit sich rumtrug. Er ist spontan, lustig, verständnisvoll… und super tollpatschig. Das Beste ist, dass er seine Umgebung mit dieser heiteren Art ansteckt… Bleibt es lediglich bei der Freundschaft? Ist er nur ein „Bester Freund“? Früher hatte sie diese Frage von selbst sofort bejaht und auch nicht länger hinterfragt. Und auch er hatte sich keine Anstalten gemacht, ihr deutlich zu machen, dass er sie liebte… warum auch, war sie doch mit Matt zusammen und Tai die Beziehung zu respektieren wusste! Aber heute… es ist etwas völlig anderes nun… nichts ist mehr so wie früher… „Sora? … hörst du mich noch?“ Mimi meldete sich nun etwas lauter. Sora schrak hoch und drehte sich zu ihr. Mimi machte einen Satz zurück. „Tut mir Leid, dass ich dich erschreckt habe, aber Tai ist am Telefon!“ Soras Herz vollendete einen Hüpfer. Tai ruft an? Sie freute sich… aber… warum? Er hatte sie sonst immer morgens angerufen und nie abends… das kann nur bedeuten, dass es dringend war. Sie nahm den Hörer gespannt, aber fröhlich entgegen und meldete sich: „Hey Tai! Na, wie geht’s?“ „Mir geht’s so lala, und dir?“ „Hm, komisch dass es dir auch so geht wie mir! Was ist denn passiert?“ „Ein unangenehmer Vorfall. Dein Vater war hier!“ Eine ungewollte Pause entstand an beiden Hörern. Tai hörte Sora kurz seufzen, bevor sie darauf antwortete: „Hatte es was mit heute Nachmittag zu tun?“ „Heute Nachmittag? Nein, aber… was war denn heute Nachmittag gewesen? Du wolltest doch mit Mimi shoppen gehen oder?“ „Das waren wir auch… aber wir sind ihm fast in die Arme gelaufen…“ „Das ist nicht wahr, oder?!“ „Doch!“ Sora war schon fast am Schluchzen. „Er hatte uns gesehen und ist uns nachgelaufen wie ein Wilder!“ „Er hatte euch gesehen?? Oh nein, dann solltest du…“ „Ja, aber wir sind ihm noch entkommen, weil die Security ihn zum Glück aufgehalten hatte. Ich bin echt fertig mit den Nerven…“ „Ja, das ist klar! Aber jetzt solltest du…“ „Was sollte ich? Wieder eine neue Unterkunft zur Rate ziehen?!“, rief sie fast aufgebracht. „Nicht unbedingt, aber hör mir doch erstmal zu! Du bist ja wirklich fertig mit den Nerven…“, merkte Tai mit einem besorgten Unterton an. Es machte in Sora klick. Sie brauchte eine Weile um zu begreifen, was sie da gerade von sich gegeben hatte. Mimi ist inzwischen aus dem Zimmer gegangen und von der anderen Seite der Leitung vernahm Sora eine besorgte Stimme. Sie fasste sich schließlich wieder. „Tut mir echt Leid, Tai! Ich hab mich wieder nicht mehr beherrschen können…“ „Macht doch nichts! Ich weiß, du meinst es nicht ernst… eigentlich kann ich dir auch nicht böse sein; dafür kenn ich dich schon einfach zu lange!“, sagte er und lachte. Sora bekam ein warmes Gefühl in ihrem Herzen… warum hatte Tai das gerade gesagt? „Tut mir trotzdem Leid; aber was wolltest du mir jetzt nochmal sagen?“ „Sora, es wird wahrscheinlich so sein, dass dein Vater nach dem heutigen Vorfall in jedem Moment bei uns antraben und uns alles über Mimi ausfragen wird. Er war heute Vormittag schon bei uns und hatte meine Eltern sozusagen verhört. Dein Vater hatte nämlich das Video aus dem Restaurant, wo wir an meinem Geburtstag gefeiert haben, in die Finger bekommen. Wir mussten leider daraufhin eingestehen, dass wir mit dir in Kontakt waren, aber wir haben die Tatsache, dass du bei uns übernachtet hattest, abgestritten. Blöd ist, dass das Recht auf seiner Seite steht und er uns anklagen kann wegen Falschaussagen oder Geheimhaltung wichtiger Fakten…“ Sora schluckte. Jetzt bekommt ihr bester Freund noch wegen ihr Probleme. Sie fühlte sich mies… „Tai, bitte verzeih, dass du und deine Familie nur wegen mir noch große Probleme bekommt. Es tut einfach so weh… du hast schon so viel für mich getan und ich mache dir das Leben echt schwer…“ Sie weinte. Nun konnte sie ihre Tränen nicht verbergen. Tai merkte dies; er brauchte keinen Sichtkontakt, um festzustellen, dass Sora weinte. „Sora! Um Gottes willen, bitte weine doch nicht! Dir braucht dies doch nicht Leid zu tun, das ist nun mal Pech!“ Er fühlte sich hilflos in dieser Situation, da er Sora nicht in der Nähe hatte, um sie zu trösten… Vielleicht… wäre die Nähe zu ihr aber nun das Beste… „Pass auf, ich werde jetzt zu dir fahren! Danach sehen wir weiter!“ „Bitte?“ Sora glaubte nicht zu hören. „Du willst hierherkommen? Aber… was ist, wenn mein Vater dich erwischt? Und was wird aus deinen Eltern?“ „Die werde ich in alles einweihen! Und keine Sorge, ich hab für alle Fälle meinen Schleichweg! Da treffen nur Insider auf mich!“ Tai wirkte sehr selbstsicher und voller Zuversichtlichkeit. Das beruhigte Sora… und es beflügelte sie zudem auch etwas, dass er sich nun auf den Weg zu ihr machte. „Wie du meinst! Also, ich freu mich schon!“ „Ich freu mich auch, immerhin sehen wir uns endlich mal wieder! Bis nachher, du kleine Maus!“ Ohne zu reagieren und zu realisieren, was Tai gesagt hatte, gab sie ebenfalls ohne Bedenken zurück: „Bis gleich, du kleiner Spatz!“ Das Telefon verstummte. Maus? Spatz? Seit wann machten Tai und sie davon Gebrauch? Vor allem hatte sie ohne Bedenken bei dem kleinen Spielchen mitgespielt. Sollte da Höheres am Werk sein? Sie glaubte langsam ihren Gedanken nicht mehr… „Ist alles okay?“ Mimi war zurückgekommen und sah Sora besorgt an. „Mir geht’s schon etwas besser… aber Tai…“ „Was wollte Tai denn?“ Sora legte sich wieder auf das Bett hin und starrte wieder zur Decke… sie versuchte, das Telefongespräch innerlich zu verarbeiten. In Mimis Anwesenheit konnte sie aber keinen klaren Gedanken fassen. Sie meinte schließlich: „Er wollte mit mir wegen meinem Vater sprechen… Haruhiko ist bei den Yagamis erschienen.“ Mimi war förmlich entsetzt. Sie starrte Sora für eine Weile an… bis sie ihre Starre überwunden hatte: „Und… das heißt?“ Sora seufzte: „Dass er wegen mir nun in Schwierigkeiten steckt…“ Nun konnte Sora nicht anders, sie musste wieder weinen. Mimi setzte sich zu ihr hin und klopfte ihr auf den Rücken. „Alles wird gut, Liebes! Tai ist mit solchen Sachen doch immer locker umgegangen! Da musst du dir keine Last aufdrücken! Außerdem…“ Mimi machte eine Pause. „Außerdem… wirst du in anderthalb Wochen endlich 18! Dann bist du endlich erlöst von dieser ganzen Geschichte!“ Erlöst? Von allem? Ganz sicher nicht, dachte sie sich. Zwar hört sich das schön an, endlich von Haruhiko unabhängig zu sein… aber dafür war sie nun mit dem Rest… mit dem kläglichen Rest der Familie zerstritten. Haruhiko würde kein einziges Wort mehr mit ihr reden… und ihre Mutter war nun weg… für immer… Toshiko! Die einzige Person in der Familie, der Sora nahestand und über alles hinaus liebte! Erlöst? Das wäre zu schön… „Hey Sora? Hab ich was Falsches gesagt?“, fragte Mimi vorsichtig nach. „Ist schon gut, Mimi! Ich denke nur: Es ist etwas naiv zu behaupten, dass ich an meinem 18. Geburtstag von allem erlöst sein werde… meine Familie… meine Mutter…“, meinte sie bedrückt. Nun begriff es Mimi… und entschuldigte sich partout. Sora lächelte sie an: „Es ist schon okay, du meintest es ja nur gut damit.“ Sie schaute auf die Uhr. 10 Minuten seit dem Telefongespräch. Da Tai nun längst den Führerschein innehatte, würde es keine 15 Minuten dauern, bis er vor Mimis Haustür steht. „Mimi… Tai kommt gleich! Ich hoffe es macht dir nichts aus, dass er so spät noch hier ist…“ Mimi schüttelte den Kopf: „Ist doch kein Problem! Wir freuen uns über Gesellschaft!“ Sie überlegte kurz: „Was will er denn hier? Hat es etwas mit dir zu tun?“ Sora nickte: „Ich weiß nicht genau, was er wollte; aber ich denke schon, dass es was mit mir zu tun hat… er hatte wohl gehört, dass ich geweint habe…“ Sie wurde etwas rot und senkte verlegen den Kopf. Mimi grinste: „Aja! Wohl ein Gentleman…“ „Könnte man vielleicht so interpretieren“, lächelte Sora. Jedoch wurde Mimi jetzt neugierig: „Jetzt mal im Ernst: Ist da…“ *SCHRIIILL* Die Türklingel erwachte zum Leben. Mimi schaute auf… etwas enttäuscht, verbarg aber dies hinter einem Grinsen: „Das heben wir uns für später auf!“, und trottete zur Tür. Sora folgte ihr… und war froh, dass Tai ausgerechnet gerade jetzt auftauchte… Kapitel 13: Die Gedanken sind frei… ----------------------------------- „SIE WOLLEN ALLEN ERNSTES BEHAUPTEN, DASS UNSERE FAMILIE ETWAS MIT DIESER SACHE ZU TUN HAT?!?“ Aus der Wohnung der Yagamis donnerte es förmlich. Susumu fand seine Worte nicht mehr, sondern ließ seiner Wut freien Lauf. „Wie soll ich es sonst verstehen, dass sie vor mir schreiend davonläuft? Ich will doch nur das Beste für sie, aber jetzt könnte ich schon meinen, dass sie mich hasst! Das kann doch nicht nur an meiner Freundin liegen…“ „Herr Takenouchi! Ich habe keine Ahnung, wie es um Sie und Sora steht… und ich werde mich davor hüten, mich in solche Angelegenheiten einzumischen. ABER…“, und jetzt wurde Susumu laut, „SAGEN SIE NOCHMAL, DASS ICH ODER EIN TEIL MEINER FAMILIE FÜR SORAS VERHALTEN VERANTWORTLICH BIN ODER IST UND ICH WERDE SIE PERSÖNLICH ZUM MOND SCHIESSEN!! DAS SIND LEERE BEHAUPTUNGEN VON IHNEN… SIE HABEN ÜBERHAUPT KEINE BEWEISE!“ „Das werden wir ja noch sehen! Die einzige Person, die zu Sora Kontakt während den letzten Wochen hatte, ist doch wohl Ihr Sohn! Nur er konnte Einfluss auf sie ausüben!“ „Dann müssen Sie mir erklären, warum heute Ihre Persönlichkeit von der Security angehalten wurde und Ihre Tochter mit einer anderen Person vor Ihnen weggelaufen ist…“ Haruhiko verstummte jäh. „Woher wissen Sie von der anderen Person? Waren Sie etwa…“ „Nein, ich war nicht anwesend! Aber ich bin Geschäftsführer des Ladens, in dem Sie sich befanden! So kriegt man alles mit… vor allem, wenn es um Sicherheitsvorkehrungen geht!“ Zwischenzeitlich fing Susumu an, gemein zu grinsen. „Und wo wir schon dabei sind…“, sagte er und reichte Haruhiko einen roten Brief, „Herzlichen Glückwunsch für Ihre Leistung! Damit haben Sie sich einen Hausarrest von 2 Monaten erwirtschaftet!“ Haruhiko schaute sich den Brief an und kam sich veräppelt vor. Bevor er aber etwas sagen konnte, fiel ihm Tais Vater ins Wort: „Da ich heute Abend zu dieser späten Zeit keine weiteren Auskünfte geben möchte, muss ich Sie leider aus meiner Wohnung schmeißen! Und wehe, Sie kommen mir nochmal mit so einer Geschichte! Dann klage ich Sie an wegen Hausfriedensbruch! Gute Nacht!“ Mit einem heftigen „RUMMS!“ knallte die Tür zu. „Gut geschauspielert!“, lachte seine Frau vom Sofa aus. „Das war schon gar kein Schauspiel mehr! Er hatte mich förmlich dazu herausgefordert! War doch voll berechtigt oder?“ „Aber hallo! Sora hatte doch gesagt, dass es nur wegen seiner neuen Frau wäre, warum sie nicht zu ihm ziehen will… oder?“ „So habe ich es jedenfalls auch in Erinnerung! Wir können froh sein, dass Sora sich nicht mit so einem Blindfisch abgeben muss…“ „Na na! Jetzt hör auf zu lästern! Er ist immer noch ihr Vater…“, bemerkte Yuuko spitz. „Wenn es doch wahr ist! Er behauptet von sich, dass er nur das Beste für sie will… das Gegenwärtige schreit aber das Gegenteil heraus…“ „Aber du solltest nicht schlecht über ihre Familie reden…“ Susumu schluckte kurz, nickte dann: „Ja, du hast Recht… ein bisschen Moral muss ja schon sein…“ In dem Augenblick klingelte das Telefon. Susumu blickte sichtlich genervt entgegen: „Wer will denn jetzt noch was?“ Jedoch gab es kein Herumkommen, und er hob ab. Seine Frau ging derweil in die Küche, um noch ein Mitternachtssnack zu sich zu nehmen. Sie fand auch einen Müsliriegel im Schrank. Plötzlich hörte sie ihren Gatten im Wohnzimmer laut jubeln. Seine Stimmung wechselt ja ziemlich schnell, dachte sie sich und schritt zurück ins Wohnzimmer. Ihr Mann grinste sie nur an. „Was ist denn los? Haben wir morgen Vatertag oder was?“, scherzte Yuuko. „Nein, aber jemand von uns hat soeben eine neue Wohnung bekommen!“ … ----------------- Sora befand sich inmitten zweier Arme, die sie festhielten und nicht loszulassen vermochten. Sie weinte leicht, hatte sich aber sehr schnell wieder beruhigt. Tai hatte sie, als er bei Mimi angekommen ist, sofort erzählen lassen über den heutigen Nachmittag. Dabei brach das rothaarige Mädchen wieder einmal in Tränen aus, sodass Tai sie sofort tröstete und sie in seine Arme nahm. „Ihr seht ziemlich süß aus in dieser Stellung“, lachte Mimi, woraufhin die beiden Angesprochenen etwas rot anliefen. Sora fühlte sich etwas getriezt und streckte ihr die Zunge heraus, der Braunhaarige musste lachen. Um wieder schnell davon abzulenken, fragte Sora: „Tai, wolltest du nicht irgendwas mit mir besprechen?“ Tai nickte, ließ sie wieder los und begann zu reden: „Also. Als ich aus meinem Schleichweg herauskam, hörte ich, wie dein Vater bereits zu uns marschierte. Zwar weiß ich nicht, was jetzt bei dem Gespräch herauskommen wird, aber wir sollten auf der Hut sein!“ Sora und Mimi nickten und hörten gespannt zu. „Jetzt kommt das Problem: In 3 Tagen stehen Abschlussprüfungen an… und zur Schule ungesehen zu Fuß hinzukommen ist risikoreich, egal wie nah die Schule von uns liegt! Dein Vater wird sicherlich wissen, dass du die Abschlussprüfungen unmöglich sausen lassen kannst. Deshalb fahre ich ab morgen nur noch mit dem Auto dahin! Das wird sowieso nötig sein…“, er machte eine Pause, „Ich kann dann bei dir vorbeifahren, Mimi, und euch aufnehmen!“ Mimi lächelte: „Find ich echt nett von dir! Aber wo parkst du denn dann? In der nahen Umgebung gibt es doch keine…“ Tai unterbrach sie: „Ein Freund von mir wohnt direkt neben der Schule. Er hatte mir gestern grünes Licht gegeben, sodass ich mein Auto bei ihm abstellen werde. Das Gute ist, dass sein Hinterausgang direkt zum Schulhof führt und wir somit das große Eingangstor umgehen können… wo vermutlich dein Vater am ehesten anzutreffen wäre, Sora…“ Sora seufzte leicht. Sie wirkte leicht verängstigt, machte sie sich doch Sorgen, dass irgendwas schieflaufen könnte. Tai bemerkte ihre Unsicherheit: „Sora… ich weiß, worüber du gerade nachdenkst. Es wird die nächsten Tage zwar schwer für dich, aber wir unterstützen dich mit allem drum und dran. Alles wird gut…“ Sora stieß einen leisen Pfiff von sich: „Ich hoffe nur, dass alles klappt… genauer gesagt wünsche ich mir es. Und ich wünsche mir auch, dass wir es alle heil überstehen…“ Tai legte seine Hand auf ihre Schulter… sie fühlte sich so warm an. Wärme, die für Zuversicht und Zuverlässigkeit standen… „Izzy und Joe haben mir ihre Unterstützung versichert! Die beiden werden mit ihrer Geschicklichkeit… oder auch Ungeschicklichkeit“ – Tai musste lachen – „für die eine oder andere Ablenkung sorgen!“ Er zwinkerte ihr zu. Soras Miene hellte sich wieder langsam auf. Mimi stand auf und meinte: „Ich denke, du kannst auf uns zählen, Sora!“ Sie ging aus dem Zimmer, um sich in der Küche etwas zum Trinken zu holen. Sora und Tai waren nun alleine in Mimis Zimmer. „Tai…“, begann Sora zögerlich. Er sah sie fragend an… und war völlig verblüfft, als er im nächsten Moment ihre Nähe spürte. Sie hatte ihn fest umarmt. „Sora…“, flüsterte der nunmehr knallrote Junge nur noch. Sie redete, während sie ihn noch umarmte: „Du bist echt goldig… tust so viel für mich… ich weiß gar nicht, wie ich dir das zurückgeben kann…“ Sie flüsterte nur noch. Tai lächelte verlegen: „Ach Sora… ich habe dir das schon so oft gesagt: Freunde sind doch dazu da…“ Sie wusste nicht, zum wievielten Mal er diesen Satz vor ihr schon von sich gegeben hatte, aber es waren einige Male. Schon vor dem Abenteuer in der Digiwelt kannte sie diesen Satz von ihm. Und es war der Satz, den sie am meisten schätzte von ihm… „Du bist irgendwie mehr als ein Freund… ich erkenne dich wirklich nicht mehr wieder, Tai! Du bist so lieb und zuverlässig geworden…“, flüsterte sie, sodass Tai nur mit Mühe sie verstehen konnte. Sie ließ von ihm los, und nun konnte sie direkt ihm in die Augen sehen. Er blickte sie immer noch verträumt an. Sora hätte an diesem Blick dahinschmelzen können, hätte Tai sie nicht wieder sachte umarmt. Sora hob ihren Kopf und küsste ihm auf die Stirn… „Danke… danke für alles…“ Nachdem Tai sich bei Mimis Familie und Sora verabschiedet hatte, fuhr er mit dem Auto seiner Eltern wieder zurück nach Hause. Es war schon kurz vor Mitternacht geworden und draußen war es nun deutlich kühler als tagsüber. Trotzdem hielt er am Fujiyama, der auf seinem Fahrweg lag, nochmal an; es stimmte ihn nachdenklich, was Sora ihm vorhin offenbart hatte. Waren sie beide wirklich mehr als beste Freunde? Oder wollte sie nun womöglich was von ihm? Er hatte sich schon lange damit abgefunden, Sora hinterherzulaufen, wie er es früher – zur Zeit des 1. Abenteuers in der Digiwelt – getan hatte. Es war ihm zwar weiterhin wichtig gewesen, dass Soras Verfassung auf dem Beststand bleibt… davon konnte ihn keiner, auch Yamato nicht, hindern. Aber mehr als das hatte sich der Braunhaarige nicht in den Kopf gesetzt. Nun ist alles anders geworden… Sora ist seit Monaten wieder solo. Sollte sie Liebeskummer haben? Oder war das vorhin nur eine besondere Geste von Sora, sich zu bedanken? Diese Gedanken brachten seine Gefühle durcheinander… das darf nicht passieren. Er wollte ihre Freundschaft nicht schon wieder auf’s Spiel setzen, wie es damals nach dem Tod ihrer Mutter passiert war. Nein, er werde sich mit solchen Sachen erst beschäftigen, wenn Soras Probleme ein für alle Mal gelöst sind! Erst musste sie ihr Versteckspiel vor ihrem Vater bis nächste Woche Samstag heil überstehen… nur noch eine Woche! Nur noch 7 verdammte Tage und dann ist sie endlich von dieser Jagdgeschichte erlöst! Danach aber muss noch der wirklich Vermisste gefunden werden: Yamato, mit dem Tai noch ein Hühnchen zu rupfen hatte. Schweigend ließ er sein Auto wieder anfahren und fuhr in Richtung Westendviertel… ----------------- Mimi saß mit einem Orangensaft auf ihrem Sofa und genoss es sichtlich, Soras verlegene Miene zu beobachten. Das rothaarige Mädchen hatte sich inzwischen auf die Bettkante gesetzt und schaute zu Mimi hinüber. „Dir scheint es ja Spaß zu machen, mich zu beobachten… was ist denn so lustig daran?“ Mimi grinste: „Deine Gesichtsfarbe sieht ziemlich gesund aus! Sind vorhin zwei Glückliche zusammengekommen?“ Sora nahm die Frage ziemlich gelassen auf… immerhin waren die beiden nur noch unter sich. „Ach Mimi, ich habe keine Ahnung. Ich weiß einfach nicht, wie ich nun auf alles reagieren soll…“ „Erzähl mir doch, was vorhin beim Telefonat zwischen euch rauskam! Mir kannst du doch sonst immer alles erzählen, wir sind doch unter uns!“ Sora schaute sie gespielt finster an: „Jaja, und was war letztes Mal, als du eines meiner Geheimnisse vor anderen Freunden ausgeplaudert hattest? Da konnte ich mich tagelang nicht mehr vor ihnen blicken lassen!“ „Das war aus mir rausgerutscht! Außerdem war das doch vor 2 Jahren gewesen, da ist man noch ein kleiner Pupsi! Komm schon… ich erzähl’s diesmal auch nicht weiter…“ „Ehrenwort?“ „Du hast meins!“ Sora blickte sie misstrauisch an, lächelte aber kurz darauf wieder. Sie seufzte und ließ sich wieder auf’s Bett fallen. „Tai hatte mich vorhin beim Abschied „Maus“ genannt… und ich antwortete daraufhin mit „Spatz“… ich weiß nicht warum… aber irgendwie verging alles so schnell und ich konnte meine Wortwahl kaum kontrollieren…“ Sie musste unweigerlich lächeln… „Meinst du nicht, dass er etwas von dir will? Immerhin ging die Initiative von ihm aus…“ „Ich bin mir nicht sicher… vielleicht war das nur seine lustige Art gewesen, mich aufzumuntern…“ „Ich bin mir sicher, dass mehr dahinter steckt. Aber es geht mir eigentlich nicht darum…“ Sora schaute Mimi verwundert an. „… um was denn dann?“ „Es geht mir mehr darum, wie du deine Beziehung zu Tai siehst… ich meine… seit Yamato sich von dir getrennt hatte, hingst du eine Zeit lang nur noch mit ihm herum… hatte das einen konkreteren Sinn?“ Das rothaarige Mädchen blickte sie verwirrt an. Konkreterer Sinn? Klar gab es einen. „Naja, wie du weißt, ist mein Vater hinter mir her. Und da ich sowieso an dem Tag, wo ich als vermisst gemeldet wurde, bei Tai übernachtet hatte, schien mir das als vernünftigste Lösung für mein Problem.“ Die Antwort befriedigte Mimi sichtlich überhaupt nicht. „Aber hat sich eure Beziehung sich nicht irgendwie verändert… dadurch, dass ihr nun mehr miteinander zu tun hattet?“ „Nicht, dass ich wüsste… außer, dass sich Tai erheblich mehr um mich sorgte als früher…“ Nun wurde Sora etwas unsicher. Was wollte denn Mimi von ihr wissen? Etwa… dass sie nun Gefühle zu Tai entwickelt hatte? Oder dass sie Liebeskummer hatte? Sie musste nun Gewissheit erlangen… „Aber wieso fragst du nach all diesen Sachen? Glaubst du etwa, ich habe mich in Tai verliebt?“ Mimi blickte erstaunt. Dass sie die Frage so plötzlich stellen würde, hatte sie nicht mit gerechnet. Was sollte sie nun sagen? Ihr schöner Plan, Sora näher in ihre Gefühle blicken zu lassen, zerplatzte mit dieser jähen Fragestellung. Sie versuchte nun, einen Alternativweg zu finden… „War es das, was du wissen wolltest Mimi?“ Verdammt, dachte sich Mimi. Sie fühlte sich ertappt. Sie konnte nun nicht mehr anders… „Eigentlich wollte ich dich auf anderem Wege genau das fragen… aber du hast es erfasst. Ich möchte wissen… ob du in die Beziehung von Tai und dir mehr Wert legst als jede andere derzeit“, quetschte Mimi mühsam aus sich heraus. Sora musste etwas lachen… so unsicher hatte sie ihre beste Freundin noch nie erlebt. „Ehrlich Mimi, ich weiß nicht, wie ich unsere Freundschaft jetzt bewerten soll. Einerseits denke ich schon, dass mir die Freundschaft zu Tai jetzt um ein Vielfaches mehr bedeutet als früher… er ist wirklich eine total treue Seele! Er hatte sich prächtig um mich gesorgt! Ich wüsste nicht, wie ich das sonst überstanden hätte… du würdest mich vermutlich nie mehr lachen sehen, wäre Tai nicht gewesen…“ Das rothaarige Mädchen sah nun zum Fenster hinaus. Es war bereits Mitternacht geworden… und langsam begann die lichtreiche Nacht in Tokio abzuflauen. Trotzdem war es immer noch ein farbenfroher Anblick… und Sora kullerten ein paar Freudentränen über ihre Wange. Mimi bemerkte es zum Glück nicht. „Andererseits bin ich selber zu verwirrt… in meiner Gefühlswelt herrscht grad ziemliches Chaos! Ich denke, ich sollte jetzt besser nicht über solche Themen reden… es besteht sonst die Gefahr, dass ich Sachen unter- oder überbewerte…“ Sora senkte den Kopf… sie wollte lieber nicht über das reden, was vorhin in Mimis Zimmer geschah, als sie Tai nahe kam… und zwar richtig nahe. Sie konnte sich in keinster Weise ausmalen, wieso sie das getan hatte. Wollte sie doch etwas von ihm? Wenn nein, wie erklärte sich dann ihr Verhalten vorhin? Sie konnte diese Fragen nicht beantworten… Mimi hielt inne. Es war zwar schade, dass dieses Gespräch zu keinem Ergebnis führte, aber sie konnte es Sora auch nicht übelnehmen, nicht über diese intime Angelegenheit reden zu wollen. Sie stand auf und ging zu ihr… und klopfte leicht auf ihre Schulter. „Hab schon verstanden, meine kleine vernünftige Fee! Tut mir Leid, dass ich das Thema angesprochen habe…“ Sora drehte sich nun um und blickte ihr geradewegs in die Augen. „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich glaube sogar, dass du mir klargemacht hattest, in was für einer glücklichen Verfassung ich wieder bin…“ ----------------- Leise schloss Tai die Haustür auf und betrat den Eingangsflur mit minimalem Geräuschpegel. Genauso leise hatte er die Tür wieder geschlossen und blickte in das Wohnzimmer. Er konnte nichts erkennen… kein Wunder bei der Dunkelheit. Also ging er davon aus, dass alle bereits fest schliefen. Er zog sich die Schuhe aus und betrat die Küche. Sein Magen knurrte hörbar… seine nächtliche Hungerattacke eben. Im Schrank fand er schließlich noch eine Schachtel Butterkekse, die er aufriss und mit in sein Zimmer nahm. Auf das Waschen verzichtete er heute, dafür war es schon viel zu spät. Auf seinem Schreibtisch entdeckte er aber eine neue Notiz… die offensichtlich nicht von ihm stammt. Beim genauen Hinschauen sah er, dass die Notiz von seinem Vater verfasst wurde. Darauf waren ein Bild von einem Haus und ein großes „Abgehakt“-Zeichen abgebildet. Erst beim zweiten Blick erkannte er, um welches Haus es sich handelte… und der Haken daran gab ihm neuen Grund zum Jubeln… Kapitel 14: Umzug ----------------- „Herzlichen Glückwunsch! Ich darf Ihnen mit Freude mitteilen, dass Sie für diese Mission angenommen wurden! Ich möchte Ihnen von ganzem Herzen gratulieren! Einen solchen Menschen wie Sie haben wir noch nicht gesehen: Höchstkonzentriert, alle Tests meisterhaft bestanden, und mit was für einer Motivation! Die anderen sollten sich ein Beispiel an Ihnen nehmen!“ „Sie machen mich ganz verlegen! Aber ich möchte ehrlich sein: Es fiel mir wirklich sehr leicht! Immerhin war es schon mein Lebenstraum gewesen, seit ich sechs Jahre alt war! Das All hatte mich schon immer fasziniert!“ „Das hatte man Ihnen angemerkt! Das brauchen wir aber auch… nur die wenigsten haben die Ausdauer, eine so lange Prüfung zu bestehen; aber das haben wir bewusst so lange gesetzt… ich denke, Sie wissen auch warum!“ „Ja, Sir!“ „Nun, jetzt zu den organisatorischen Details: Der Start des Schiffs ist in 2 Wochen angesetzt! Ich denke, Sie werden nun alle Vorbereitungen treffen und eventuell Ihren Freunden für’s Erste auf Wiedersehen sagen müssen…“ „Das werde tun… auch wenn das – und jetzt lachen Sie mich bitte nicht aus, Sir – mir erheblich schwerer fallen wird als die Prüfung…“ „Ich kenne dieses Gefühl… das habe ich schon oft beobachten müssen! Ich verstehe Sie vollkommen und ganz!“ „Danke Sir! Doch meine Geschichte ist etwas anders… ich wünschte, ich kann sie zurückdrehen und dann zurechtbiegen…“ ----------------- Es ist Sonntag, 14. August 2005. In Tokio brannte die Sonne unerbittlich, mittlerweile waren über 40 Grad auf dem Tagesprogramm. Trotzdem sah man immer noch viele Menschen auf den Straßen, in den Parks, auf den Sportplätzen spielen oder vor allem im nächstliegenden Schwimmbad sich tummeln. Auf den hochaktiven Einkaufsstraßen suchten Frauen nach passenden Kleidern, während die Männer sich im High-Tech-Segment aufhielten oder den nächsten Cocktailladen überfielen. Jedoch konnte sich heute eine Gruppe von Menschen diesen Luxus nicht leisten. Zu diesen Leuten gehörten Tai, Sora, Mimi und eigentlich auch Yamato. Aber von Letzterem war weiterhin keine Spur gefunden worden. Trotz seiner Sorge wollte Tai sich davon nicht ablenken lassen, denn wie gesagt konnte er sich keinen Freiheitsluxus leisten. Die Gedanken mussten am Lernstoff bleiben, immerhin stand nun eine Woche voller Prüfungen bevor. Der Gedanke, dass ausgerechnet nach dem letzten Prüfungstag Soras 18. Geburtstag war, beflügelte ihn insgemein am Lernen, denn er wollte eine Überraschung für sie vorbereiten. Allerdings hatte er an der Überraschung selber keinen Gedanken daran vergeudet… nun gut, er hatte auch keine Ideen. Aber das konnte auf später verschoben werden… Wichtig war weiterhin, dass Sora die Prüfungen gut übersteht… sowohl psychisch aber als auch physisch, denn es würde schwierig werden, ihren Vater Haruhiko zu umgehen und auszutricksen. Wenigstens wird die Schule während der Prüfung abgeriegelt; keinem Elternteil war erlaubt, währenddessen auf das Schulgelände auch nur zu treten. Aber davon wird Soras Vater sich wahrscheinlich nicht abschütteln lassen. Womöglich könnte er auch einfach die Polizei rufen und die Schule kontrollieren und abriegeln… verdammt! An die Möglichkeit hatte Tai nicht gedacht! Das war ein großes Problem, die er noch nicht durchdacht und keine Lösung dafür parat hatte… Die Uhr schlug 12 Uhr. Tai reagierte darauf mit Entsetzen, da wartete noch ein Haufen Arbeit auf ihn… nicht nur für die Schule… um 16 Uhr ist außerdem Umziehen angesetzt… Auch Sora und Mimi lernten wie besessen… ein Großteil aller Themen hatten sie aber bereits abhaken können. Mimi blickte sichtlich genervt, während Sora sich noch einigermaßen konzentrieren konnte… obgleich die nächsten Tage die aufregendsten bisher werden. Aber sie vertraute auf das, was Tai gesagt hatte… er hatte schließlich immer alles gut geschaukelt… insofern konnte sie sich in Ruhe mit dem Schulstoff auseinandersetzen. „Maaaaaann!!! Ich brauch jetzt eine Pause!“, brach Mimi die Ruhe. „Blöde Chemie, ich wünschte es hätte dieses Fach nie gegeben!!“ Sie stand auf und streckte sich. „Bist du dafür, dass wir jetzt ein Eis essen?“ Keine Reaktion. „Haaaallooo, Sora?“ Nichts. „Sora?!“ Null. „Sora?!?“ Minus. „SORA!!!!!!!!!!!!!“ „Wie? Was?“ Sie schaute auf. „Ich bin doch grad am Lernen!“ „Streberin…“, murmelte Mimi und ging in die Küche. Sora musste lachen. Sie wusste, dass Mimi es nicht negativ gemeint hatte… es war eben schon immer ihre Art gewesen, Dampf abzulassen. Aber sie machte sich nun weiter an die Chemie… zugegeben, auch nicht ihr Lieblingsfach. Doch wie hieß es doch? „Wat mut, dat mut…“ ----------------- „Den Schrank bitte dahin!“ Tai dirigierte den Umzug mit Erfahrung. Er hatte zwar immer einen etwas chaotischen Schreibtisch, aber ansonsten war sein Stil zu wohnen sehr durchdacht. Nicht umsonst war seine Schwester Kari als Style-Expertin begeistert von der Ordnung seines Zimmers. „Wo kommt denn das Sofa?“ Tai musste eine Weile überlegen. Das Sofa würde gleich an mehreren Stellen infrage kommen, welcher war denn der beste? Das neue Wohnzimmer war ungeheuer groß… da war er sich noch nicht sicher, wohin das Sofa nun platziert werden sollte. Moment, der Fernseher! „Stellen Sie ihn erstmal hierhin und holen sie den Tisch und den nachher darauf stehenden Fernseher her… danach sehen wir es schon!“ Tai entschied sich schließlich für die Eckenwand; und da sich sein Sofa universell als gerades sowie als Eckenwandsofa benutzen ließ, war dies auch kein Problem. Tais neue Wohnung lag am westlichen Stadtrand. Es war ein mittelgroßes Grundstück, was er sich käuflich erworben hatte, wobei ihm die Hälfte des Kaufpreises von seinen Eltern finanziert wurde. Den Rest hatte Tai sich in Nebenjobs erspart. Dieses Haus verfügte zwar über keinen Garten, dafür liegt vor der Wohnung etwas weiter ein idyllischer Park, die auch als „Die grüne Lunge Tokios“ bezeichnet wird. Desweiteren beinhaltete die Wohnung einen Keller mit 2 Räumen, Wohnzimmer und Küche, 3 Zimmer mit Toilette und Bad im 1. Obergeschoss und schließlich noch ein großes Dachbodenzimmer, das alle Zimmergrößen des 1. Obergeschosses vereinte. Eigentlich viel zu groß, dachte Tai, aber man weiß nie, was in naher Zukunft noch passieren könnte… Die Uhr schlug 18 Uhr. Das Haus ist bis auf den Keller fertig eingerichtet. Die Küche war schon lange vor Tais Umzug fertig gebaut worden, und die Zimmer glänzten mit ihrem Inhalt. Während Tais Schlafzimmer nun unkompliziert aufgebaut war, weil sein Arbeitsplatz nun oben auf den Dachboden gelagert wurde, waren die 2 anderen Zimmer ebenfalls befüllt… allerdings wesentlich spärlicher als Tais Schlafzimmer: Jeweils ein Gästebett, ein Schrank und einem kleinen Schreibtisch mit Lampe gestalteten die Gästezimmer. Allerdings dachte Tai darüber nach, ob er nicht später mit mehr Komfort aufrüsten wolle… immerhin wollte er nicht den Eindruck bei seinen Besuchern erwecken, dass er geizig sei… Gerade in diesem Moment klingelte sein Handy wie wild. Tai sah auf das Display: Von zu Hause! Er nahm ab: „Ja? Tai hier!“ Die Stimme seiner Mutter meldete sich: „Hallo Tai, es gibt Neuigkeiten!“ „Moment, ich bin gleich wieder da!“ Tai legte das Handy auf den Tisch und ging zu den Arbeitern, um ihnen die letzten Anweisungen zu geben. Danach lauschte er neugierig: „So Mum! Ich bin da, was gibt es denn?“ „Dein Vater hat soeben einen Brief bekommen! Soras Vater hat uns angeklagt wegen Zurückhaltung von Informationen… naja, das ist halb so wild, da Soras Vater sowieso keine Beweise gegen uns hat…“ Tai stieß einen leisen Pfiff aus, genervt hakte er nach: „Wie? Keine Beweise? Hatte er nicht damals das Video vom…“ „Das Video sagt eigentlich so gut wie nichts aus, hatte unser Anwalt gemeint. Immerhin können wir behaupten, dass wir zu der Zeit nichts davon wussten, dass Sora vermisst wurde… das ist eine Aussage, die man uns nicht widerlegen kann. Unsere Chancen sind gut, dass wir diesen Prozess gewinnen würden… vielleicht wird der Prozess sogar vom Richter gänzlich abgelehnt…“ „Der Brief stammt also von ihm… und nicht vom Gericht?“ „Richtig! Mir unbegreiflich, warum er uns diesen Brief schickt… aber er steht auf verlorenen Posten“, sagte Yuuko und musste dabei lachen. „Naja, er versucht eben mit allen Mitteln, Sora in seine Hände zu bekommen.“ „In meinen Augen ist es eine leere Drohung… das einzige, was auf diesen Prozess draufgeht, ist nicht Sora, sondern das müde Geld.“ Tai verdrehte die Augen, was seine Mutter natürlich nicht sehen konnte. Als hätten die Leute nichts Besseres zu tun als ihrer Tochter unnötig das Leben schwer zu machen. „Was rät denn unser Anwalt?“ „Er kann uns zwar nicht gratis verteidigen, aber er plädiert dafür, dass die Kosten des Verfahrens an den Kläger gehen werden…“ „Dann ist’s ja gut… naja, gibt’s sonst noch was, was ich wissen sollte?“ „Ja! Sora hatte vorhin angerufen! Sie war sich wegen irgendetwas unsicher gewesen und bat dich nochmal zurückzurufen! Es geht irgendwie um die Prüfungen… oder eher darum, wie sie ungesehen dahin kommt…“ Tai dachte nach. Hatten sie das nicht schon besprochen? Es war doch alles klar…? „In Ordnung, werd ich machen! Du, ich muss mich jetzt um den Umzug kümmern! Wir sehen uns dann Mum!“ „Ok, Schatz! Pass auf dich auf, und viel Glück morgen bei den Prüfungen!!“ ----------------- „Das ist doch nicht so schwer! Du musst einfach den Kehrwert bilden und dann Koeffizientenvergleich betreiben!“, meinte Sora zu einer sichtlich verzweifelten Mimi. Nachdem die beiden mit Mühe und Not die Chemie hinter sich gebracht haben, stand nun Mathe auf dem Plan. Die Themengebiete Analysis und Analytische Geometrie hatten die beiden leicht hinter sich gebracht. Allerdings bereiteten die Differentialgleichungen Mimi erhebliche Kopfschmerzen und Sora versuchte, es ihr nach etlichen Versuchen noch einmal beizubringen. „Das ist einfach zu verwirrend! Man kann einfach keine Logik an dem Rechenweg erkennen!“, platzte Mimi der Kragen. Sora entfuhr ein Seufzen; Mimi hatte zwar irgendwie Recht, weil Differentialgleichungen wirklich stupides Formelauswendiglernen erforderten, aber da führte leider kein Weg dran vorbei. Soras Handy machte sich indessen bemerkbar mit einem nervigen Vibrieren, dass Sora schon fast ein wenig kitzelte. Sie sah auf das Display und nahm ab: „Huhu Tai!“ „Na du! Was macht ihr beiden denn gerade?“ „Na, was wohl?! Lernen bis zum Limit… wobei wir schon ziemlich nah dran sind…“ „Ich bin schon dort… ich hab den Stoff heute Spätnachmittag abhaken können…“ „Du Glücklicher! Ich hoffe, das sitzt bei dir morgen noch!“ „Da wäre ich mir nicht so sicher!“, lachte Tai. „Aber sag, warum hast du denn vorher bei mir angerufen?“ Sora hielt etwas inne, fuhr aber gleich wieder fort: „Weißt du, irgendwie krieg ich keine Ruhe! Die Sache mit den nächsten Tagen wird mir schlaflose Nächte bereiten, solange…“ „Was?“ „… solange ich nicht sicher sein kann, dass wir wirklich ungesehen zur Schule hin- und wieder rauskommen werden.“ Tai lächelte. Sora gegenüber war er viel geduldiger als bei anderen Menschen. Er sprach ruhig und gelassen: „Das werden wir aber! Ich habe alle möglichen Pläne geschmiedet, damit uns das garantiert wird! Wie gesagt, Izzy und Joey werden uns den Rücken freihalten!“ Sora beruhigte das noch nicht: „Aber… was ist, wenn er hier bei Mimi lauern könnte? Vielleicht hatte er schon längst Mimis Person identifiziert und wartet nur darauf, dass ich aus ihrer Wohnung rauskomme…“ Tai erinnerte sich an den Vorfall, den Sora ihm gestern geschildert hatte. Diese Sorge war berechtigt, dachte er, aber eines wusste sie noch nicht. „Sora, dein Vater hat in dem Laden, wo er euch gesehen hatte, Hausarrest bekommen!“ Dieser Satz ließ Sora stutzen. Sie musste lachen: „Echt?! Wie das denn? Und woher…“ „Weißt du denn nicht mehr? Mein Vater ist Geschäftsführer von dem Laden!“ Nun kam es ihr wieder in den Sinn: „Stimmt! Oh Mann, ist mir total entfallen…“ „Deshalb glaube ich nicht, dass er Mimis Person identifiziert hatte!“, meinte Tai zuversichtlich. Soras Zweifel verflüchtigten sich langsam. Die Nachricht mit dem Hausarrest tat sein Übriges. Außerdem brachte er einen gewissen Unterhaltungswert mit sich. „Na gut, du hast mich überzeugt!“ „Freut mich! Na dann sehen wir uns morgen in aller Frische!“ „Tun wir! Schlaf gut, mein Lieber… und vielen Dank für die erheiternden Nachrichten!“ „Kein Ding! Gute Nacht und bis morgen!“ Nachdem das Telefonat beendet war, machte sich Tai daran, seine Pläne noch einmal durchzudenken. Der Plan war, morgens um halb 8 Sora und Mimi mit dem Auto abzuholen. Danach ging es zu Kenzo… Tais Freund, der ihm seine Garage angeboten hatte. Dort würde man einen kleinen Snack mit Tee und Kaffee zu sich nehmen, um dann gestärkt durch den Hintereingang zur Prüfung anzutreten. Nach der Prüfung war es sowieso leichter, aus den drängenden Schülermassen sich zu lösen und wieder den Hintereingang zu Kenzos Hof zu nehmen. Falls Soras Vater auftauchen wird, würden Izzy oder Joey sich per SMS melden. Allerdings stand noch ein Problemfall aus, mit dem sich Tai immer noch nicht beschäftigt hatte. Was sollten sie denn tun, wenn die Polizei mit im Spiel war? Spätestens am letzten Tag würde Tai damit rechnen, dass Soras Vater mit der Polizei im Schlepptau die Schule überwachen würde. Und die Polizei zu umgehen war so gut wie unmöglich. An eine Verkleidung war ebenso so wenig zu denken wie an eine… Moment! Doch! Es gab einen Weg, die Polizei abzulenken! Zwar würde dafür ein Haufen Risiken mit hineinfließen, aber dafür wäre auf jeden Fall sichergestellt, dass sie die Polizei nicht am Hals hätten! Auf die Idee hätte er doch längst drauf kommen sollen! Und welches Gebiet wäre dafür besser geeignet als das Westendviertel?! Schließlich war es immer dieser Stadtteil, der von solchen Geschehnissen belastet wurde. Nun galt es Izzy und Joey anzurufen… Kapitel 15: Polizeieinsatz -------------------------- Tais Wecker erwachte montags um halb 7 zum Leben und gab eine Salve nerviger Pieptöne von sich. Tai rieb sich die Augen, griff ohne die Augen aufzumachen auf den Nachttisch und suchte das laute Ding. Nachdem er den Wecker ausgestellt hatte, machte er sich, seine Müdigkeit ignorierend, ins Bad, wo ihn eine Prise kaltes Wasser aus der Trance herausholte. So schlimm war es doch nicht… immerhin konnte er hier in seiner Wohnung etwas länger schlafen als er es in der Wohnung seiner Eltern tun könnte. Die Herausforderung begann aber schon damit, dass er sich sein Essen selbst machen musste. Nicht zu vergessen, dass er während der Prüfung auch noch etwas zu Essen brauchte. So begann er, seine Frühstücksbrote zu schmieren und er versuchte danach mehr oder weniger erfolgreich, eine Zwischendurch-Mahlzeit zu finden. Immerhin tauchte dann doch inmitten des Gewühls im Umzugskarton eine Packung Kitkat auf, die er in seine Tasche steckte. Die Kartons müsste ich langsam mal ausräumen…, dachte er sich und trank ein Schluck Apfelschorle. Um kurz nach 7 hatte Tai sich satt gefrühstückt und fertig gemacht. Nun konnte es losgehen! Das Auto brummte zufrieden auf und er machte sich auf den Weg zu Sora und Mimi… ----------------- „Sie wissen hoffentlich, dass Sie mir auf jeden Fall zu melden haben, wenn meine Tochter zur Prüfung erscheint! Seit Monaten geht sie mir schon aus dem Weg und bleibt unentdeckt, das kann so nicht weitergehen…“ „Beruhigen Sie sich, Herr Takenouchi! Ich bin sicher, dass Ihre Tochter heute erscheinen wird. Sie war zwar die letzten Wochen nicht hier in der Schule gewesen, aber die Prüfungen kann sie doch unmöglich umgehen, oder?“ „Da haben Sie Recht! Dafür ist meine edle Tochter zu ehrgeizig… und zu gut!“ Haruhiko verließ das Sekretariat und begab sich zum Haupteingang, wo er auf Sora wartete. Der große Schulhof war ungewohnt leer, was daran lag, dass während der Prüfungswoche schulfrei für alle anderen Klassen war. Der alte Mann lächelte: Kein Rumor und keine Menschenmassen. Ihm sollte es ein Leichtes sein, Sora unter den wenigen Leuten, die gleich ankommen würden, zu entdecken. Mittlerweile trafen die ersten Prüflinge ein. Die Eltern derer zeigten ihnen entsprechende Gesten und verabschiedeten sich vor dem Eingangstor… während der Prüfung war es den Eltern strikt untersagt, das Schulgelände auch nur zu betreten. Kurze Zeit darauf mischten sich immer mehr Menschen vor dem Eingangstor… Es war nun halb 7. Soras Vater schaute umher auf die ankommenden Jungen und Mädchen, die zumeist in Begleitung ihrer Eltern oder Geschwistern waren. Doch von Sora immer noch keine Spur. So langsam sollte sie doch kommen, dachte Haruhiko sich, immerhin fängt in einer halben Stunde die Prüfung an… Während Haruhiko da stand, bemerkte er nicht, wie sich mehrere Augenpaare auf ihn richteten… ----------------- „Vielen Dank für den Empfang, Kenzo! Ich werd‘ mich bei Gelegenheit revanchieren!“, dankte Tai seinem Freund. Auch Sora und Mimi wandten sich an ihn: „Auch wir möchten dir herzlich danken!“ „Keine Ursache, mach‘ ich doch gerne! Jetzt beeilt euch, es ist Viertel vor 8! Ich wünsche euch viel Glück!“ Tai, Sora und Mimi verließen Kenzos Haus und betraten den Garten. Da vibrierte es in Tais Hosentasche. Er nahm sein Handy raus und betrachtete es: „Joe und Izzy haben angerufen! Er ist da!“ Soras Puls beschleunigte sich; sie wurde etwas nervös, ließ es sich aber nicht weiter anmerken. Tai schaltete sein Handy aus und ging zur Hintertür, Sora und Mimi folgten ihm. Bevor er die Tür öffnete, wandte er sich nochmal an die beiden Mädchen: „Also dann: Auf dass wir alles erfolgreich bestehen!“ Die Mädchen reagierten darauf mit einem Lächeln: „Auf uns!“ Die Hintertür ging auf und die 3 Freunde liefen auf das Schulgebäude zu… ohne von den Anwärtern am Schulhof gesehen zu werden… Es war alles perfekt durchdacht. Die prüfenden Lehrer wissen alle über Soras Situation Bescheid und haben, wenn auch manchmal erst durch Überredung, ihre Unterstützung für Sora zugesagt. Selbst die oberste Leitung der Schule konnte Sora für sich gewinnen… verständlich, wenn man bedenkt, dass der Schulleiter ein guter Freund von ihrer Mutter Toshiko gewesen war. Jedenfalls wurde alles so vorbereitet, dass Sora ungestört ihre Prüfung absolvieren kann. Sora selbst hatte immer noch manche Bedenken, immerhin zog sie die Lehrerschar und auch den Schulleiter in die Sache mit rein, die ja nicht ganz ohne Risiken auskommt. Wenn Haruhiko auch nur Wind von ihrer Anwesenheit kriegt, sind die Leute ihren Beamtenposten los… Der Schulgong ertönte… an diesem Tag das Zeichen für den Beginn des Anwesenheitschecks. Haruhiko stand jedoch immer noch am Eingangstor und hielt Ausschau. Währenddessen waren auch die restlichen verbliebenen Eltern wieder heimgefahren, nur er stand noch vor der Schulmauer. Nach einer Weile kam die Sekretärin auf ihn zugelaufen. Er schaute neugierig auf; so, wie sie lief, konnte das nur gute Nachrichten bedeuten… Sie fing an zu sprechen: „Sie sind ja immer noch hier, Herr Takenouchi…“ Sofort schwanden Haruhikos Hoffnungen auf gute Neuigkeiten. „Haben Sie meine Tochter gesehen?“ Die Sekretärin schüttelte den Kopf: „Ich bedaure, aber Ihre Tochter scheint heute nicht anwesend zu sein.“ Diese Nachricht traf Haruhiko so, als wäre es ein Hinkelstein gewesen. Er konnte es nicht glauben. Nein, das konnte einfach nicht wahr sein! „Sind Sie wirklich sicher?“ „Wäre es anders, hätte der Protokollant etwas anderes aufgezeichnet…“ Haruhiko wurde wütend und stampfte umher: „Das kann nicht wahr sein! Er muss sich geirrt haben! Ich gehe jetzt rein und…“ Er bewegte sich auf das Schultor zu, doch die Sekretärin hielt ihn davon ab: „Ich verstehe Ihre Unsicherheit, aber bitte seien Sie doch vernünftig! Das Betreten des Schulhofs während der Prüfungen ist für niemanden gestattet und strafbar!“ Soras Vater ließ sich trotzdem nicht davon abbringen: „Und wenn schon, es geht hier immerhin um meine Tochter!“ „Wenn Sie auch nur den Fuß auf das Schulgelände setzen, muss ich Sie verhaften lassen!“ Haruhiko hielt inne; in ihm kochte eine ungeheure Masse an Wut auf, doch er beließ es dabei. Mit der Polizei wollte er es sich nicht verscherzen, immerhin würde er von ihrer Hilfe in den nächsten Tagen vielleicht noch Gebrauch machen. „Nun gut. Aber ich hoffe, dass Sie morgen bessere Nachrichten für mich haben!“ Der ältere Mann entfernte sich von der Sekretärin. Diese atmete auf… so leise, dass Haruhiko es nicht hören konnte. „Was bildet der sich eigentlich ein? Bin ich denn Gott persönlich oder wie?“, schnauzte sie in seine Richtung, aber er war schon zu weit weg… ----------------- „Was kam denn bitte in Aufgabe 3 raus? Ich hab gerechnet und gerechnet, es kam immer nur etwas raus, womit ich nicht weiterrechnen konnte…“, verdrehte Tai die Augen. „Also ich hab was Brauchbares mir errechnet…“, kratzte sich Sora am Kopf. Mimi blickte die beiden sichtlich genervt an: „Ach Leute, stresst doch nicht so herum! Ändern kann man doch sowieso nichts mehr dran. Seid froh, dass ihr durch die Prüfung gekommen seid…“ Tai nickte zustimmend: „Bin ich auch! Juhu!! Ich hab Mathe endlich überstanden…“ Sora neckte ihn mit mörderischem Grinsen: „… solang du nicht durchfliegst! Dann musst du nochmal an sowas ran!“ Diese Vorstellung war die Hölle. „Oh Gott“, durchfuhr es Tai nur, aber er war sich relativ sicher, dass es noch im grünen Bereich sein würde… Die drei Freunde waren wieder bei Kenzo im Haus. Nachdem die Prüfung vorbei war, konnten sich die 3 Freunde unbemerkt durch die Schülerscharen zu Kenzos Hintertür dringen. „Schön, dass es heute geklappt hat!“, freute sich Kenzo für seine Freunde, „Ich hoffe es geht die nächsten Tage so weiter.“ Tai lächelte: „Du trägst einen großen Teil dazu bei, mein Freund! Ich bin dir was schuldig…“ Sora lenkte ein: „Nein, nicht nur du: Ich bin froh, dass du es mir erst ermöglicht hast, die Prüfung mitzuschreiben!“ Sie umarmte Kenzo freundschaftlich, Tai fühlte jedoch einen kleinen Schlag ans Herz. War er gerade drauf und dran, eifersüchtig zu werden? Wieso? Warum? Sora war doch nur eine gute Freundin von ihm, sie konnte doch jeden einfach so umarmen… oder etwa nicht? Komisches Gefühl… aber so langsam kam ihm der Verdacht, dass Sora wohl mehr für ihn bedeutete als er es sich eingestehen wollte… ----------------- Der nächste Prüfungstag verlief absolut nach Plan: Soras Vater hatte sich wohl am Vortag noch nicht entschlossen, die Polizei einzusetzen. Umso ärgerlicher und entzürnter reagierte er auf die Beichte der Sekretärin, die ihn von einem weiteren Eindringungsversuch abzuhalten versuchte. Tai, der zufällig am Fenster saß, verfolgte das Spektakel mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht. „Taichi Yagami! Haben Sie sich da hinten auf der Schulmauer einen Spickzettel hingehängt oder wieso schauen Sie permanent raus?! Halten Sie Ihre Augen gefälligst auf das Arbeitsblatt!“ Der Lehrer hatte seinen Blick bemerkt. Genervt schaute er wieder auf sein Blatt Papier voller Fragen über Chemie… das Fach fiel Tai noch schwerer als Mathe. Er stöhnte kurz auf und kritzelte auf seinem Konzeptpapier nach einigen Sekunden Denkzeit weiter. Sora unterdrückte ein Lachen; was Tai gerade mitbekommen hatte, konnte sie sich unschwer vorstellen. Insgeheim tat ihr Leid, was ihr Vater nun mitmachen muss, aber er hat’s mit ihr verscherzt… selber Schuld! Nun widmete sie ihre Aufmerksamkeit wieder voll und ganz der Prüfung… ----------------- Mittwoch, 6 Uhr morgens. Tai wachte unfreiwillig auf. Er wusste zuerst nicht warum, aber er vernahm kurz darauf ein schrilles Piepen. Das Telefon klingelte Sturm und auf dem Display erschien Izzys Name. Er hob ab. „Morgen, Izzy“, gähnte Tai heraus. „Guten Morgen, Tai! Wie ich höre, warst du wohl noch nicht wach…“ Tai ließ sein Gähnen weiter freien Lauf: „Das kannst du laut sagen… warum rufst du mich zu dieser unchristlichen Zeit an?“ Man hörte ihm an, dass er seine Wachsamkeit nicht wirklich halten konnte, wenn Izzy jetzt nicht sofort die Fakten auf den Tisch legte. „Tai, die Schule wurde von der Polizei abgeriegelt! Es ist unmöglich, ungesehen da reinzukommen!“ Mit einem Schlag wurde Tai hellwach… ----------------- „Das sieht nicht gut aus“, bemerkte Sora leise, als sie Lage checkte. Alle waren mittlerweile wieder bei Kenzo versammelt und blickten auf den Schulhof runter von der oberen Etage des Hauses. „Allerdings…“, pflichtete ihr Mimi bei, „Was machen wir jetzt?“ Man konnte den beiden Mädchen deutlich die Unruhe anmerken. Tai jedoch sah entschlossen weiter auf den Schulhof runter, wo sich eine Unmenge an Polizisten aufhielt. Es war wirklich so, wie Izzy es gesagt hatte: In das Schulgebäude reinzukommen, ohne gesehen zu werden, wurde nun praktisch unmöglich. Die Schar bewachte alle möglichen Winkel des Schulhofes, in jeder Ecke standen mindestens 2 Wachen. Und im Schulgebäude liefen ebenfalls Polizisten hin und her. Sora schaute auf die Uhr… nur noch eine Viertelstunde, bis die Prüfung beginnen würde. Verdammt! Die Lehrer hatten zwar die letzten Wochen Courage zu Sora gezeigt, aber sie würden wohl wegen ihr kaum die Prüfungen abblasen können… das wäre zu verdächtig gewesen. Aber was sollte sie nun machen? Wenn sie auch nur von einer Prüfung fernblieb, bedeutete das ein Wiederholen der ganzen Abschlussklasse. Verzweiflung tat sich in ihr breit… Tai ließ währenddessen immer noch kein Auge vom Ort des Geschehens ab. Er schaute ebenfalls auf seine Uhr und blickte nervös. Auf einmal spürte er eine zitternde Hand auf seiner Schulter. Er drehte sich um… „Tai…“ Tai war unfähig, irgendein Wort zu sagen. Der Anblick Soras machte ihn nur noch nervöser. Sie schaute ihn mit einer traurigen und verzweifelten Miene an und war kurz davor, wieder in Tränen auszubrechen. Tai versuchte mit aller Kraft, die Ruhe in seiner Antwort zu bewahren: „Bleib ruhig, Sora, wir finden schon eine Lösung! Ich verspreche es dir!“ Ungläubig blickte sie ihn weiter an, nickte jedoch, nachdem sie kurz innegehalten hatte. „Tai…“, begann sie wieder mit leicht zitternder Stimme, „kannst du… mich eine Weile… nun ja… fest… festhalten?“ Tai drehte sich um. Er hatte in keinster Weise mit dieser Frage gerechnet. Aber er verstand, als er ihr Zittern in der Stimme bemerkte. Er ging auf sie zu und drückte sie leicht an sich. „Komm her, Süße…“, meinte Tai mit leicht verschmitztem Grinsen. Sora lächelte und ließ sich mit ihm vor dem Fenster nieder… Tai schaute auf sein Handy… Joey rief ihn immer noch nicht an. „Verdammt, langsam muss es doch mal soweit sein!“, murmelte er leise, ohne dass Sora nur ein Wort verstand. Er vertraute nun innerlich auf Izzy und Joey, denen er am heutigen Morgen den Startschuss für Plan S gegeben hatte. Auch wenn der Plan kompliziert war und Izzy und Joey dafür auf der Liste der Kriminellen landen würden, war dies der einzige und sichere Versuch, die Polizei von der Schule abziehen zu lassen… „Komm schon, wir haben nicht mehr viel Zeit“, sagte Tai nun etwas lauter. Diesen kleinen Ausbruch von Tai hatte nun Sora mitbekommen und sie schaute nervös zu ihm: „Was meinst du mit „komm schon“… “ Doch bevor Sora ihre Frage fertig stellen konnte, hörte sie ein seltsames Geräusch aus Richtung des Westendviertels… ---------------------------------------------------------------------------- Ich weiß, es ist ziemlich unrealistisch & aus der Luft gegriffen, was ich hier von mir gebe^^ Aber anders wusste ich nicht zu schreiben... Vorschläge? xD Vll änder ich's ja noch ab ;-) Kapitel 16: Gefunden -------------------- Mittwoch, 7:50 Uhr an der Odaiba-Oberstufenschule. Normalerweise sollte um diese Uhrzeit auf dem Schulhof gähnende Leere herrschen, doch heute war alles anders. Über die Kopfsteinpflaster liefen uniformierte Polizisten hin und her, als würden sie eine Sonderstreife an der Schule heute abgehen. In der Tat handelte es sich um einen Großeinsatz, doch der Grund lag nicht bei irgendwelchen kriminellen Vorfällen oder ähnliches. Soras Vater, Haruhiko Takenouchi, hatte die Polizei herbeordert, um seine Tochter bei ihrer Teilnahme an der Prüfung zu erwischen… Der Einsatzleiter saß mit Haruhiko außerhalb des Schulgeländes auf einer Bank nahe dem Haupteingangstor. Der uniformierte Mann musterte Soras Vater eindringlich, dieser machte einen hoffnungsvollen, aber auch geladenen Eindruck. Nach einer Weile durchbrach er die Stille: „Sie machen sich Sorgen um Ihre Tochter, nicht wahr?“ Haruhiko blickte auf, sah in den Himmel und fing an, Unverständliches zu murmeln. Der Polizist räusperte sich; ihm gefiel es sichtlich überhaupt nicht, wenn man vor ihm Selbstgespräche führte. Er wollte etwas erwidern, doch er wurde unterbrochen durch eine Frage des alten Mannes: „Haben Ihre Leute Sora noch nicht gefunden?“ Der Angesprochene seufzte und rief einen seiner Männer herbei. Nach einem kurzen Worttausch gab er die Antwort: „Ich fürchte… nein, Herr Takenouchi! Ihre Tochter wurde bis jetzt nicht…“ Doch er kam nicht zum Ende, denn plötzlich ertönte ein leises Geräusch, das jedoch immer lauter wurde. „Was ist das?“, fragte Haruhiko. Der Polizist sah auf den Boden; er wusste, was dieses Geräusch, das aus dem Westendviertel erklang, bedeutete. Dieser unverwechselbare, in unmittelbarer Nähe schon ohrenbetäubende Sirenenklang war das letzte Mal vor 13 Jahren erklungen… aus demselben Grund. Er holte stumm sein Funkgerät aus und drückte eine rote Taste. Haruhiko sah den uniformierten Mann verwirrt an, jedoch galt sein Blick kurz darauf den Polizisten auf dem Schulhof… oder vielmehr den Polizisten, die auf dem Schulhof waren, denn diese liefen wie eine treibende Horde durch das Eingangstor hinaus zu den Einsatzwagen. „Was zum…“, fluchte der alte Mann schon fast, als er von dem Einsatzleiter zurechtgewiesen wurde. „Entschuldigen Sie, Herr Takenouchi, aber wie Sie sicherlich wissen, ist dieser Bombenalarm aus dem Westendviertel ein Alarm höchster Priorität, dem sich alle anderen Einsätze unterzuordnen haben! Es tut mir Leid, aber wir können Ihre Wünsche leider heute nicht mehr berücksichtigen!“ Mit diesen Worten lief er eilends zu seinem Einsatzwagen und gab das Signal für’s Losfahren… ----------------- „Sie haben’s geschafft! Izzy und Joe haben’s geschafft!!!“, rief Tai freudig aus. Sora und Mimi trauten ihren Augen nicht, was gerade eben geschehen war. Alles, was sie sahen, waren eine trampelnde Menge Polizisten Richtung Eingangstor nach draußen und deren Abzug… und einen vor Wut fluchenden alten Mann, den jeder der drei Freunde gut kannte. Bevor die Mädchen alles zum Ende durch realisieren konnten, wurde sie aus ihrem morgendlichen Tagtraum gerissen: „Los, macht hin! Wir haben nur noch 5 Minuten, bis die Prüfung beginnt!!“ Tai war bereits an der Tür und wartete ungeduldig auf die Nachzügler. Sora und Mimi sahen ihn mit einer recht verwirrten Miene an, doch man merkte ihnen an, dass ihnen ein großer Stein vom Herzen gefallen war… ----------------- Im Westendviertel war die Hölle los. Die Sirenen heulten und es gab einen Tumult auf den Straßen. Nicht nur, dass zu dieser Zeit noch der morgendliche Rush Hour herrschte; es kam noch dazu, dass die Menschenmassen noch mehr ein Durchkommen schier unmöglich machten. Die Polizisten versuchten, sich durchzukämpfen, scheiterten jedoch an den Mengen an Autos, LKWs und Personen auf den Fahrbahnen und Gehwegen. Auch die Polizeisirenen brachten keine Erleichterung, waren sie doch nur einen Bruchteil so laut wie die Alarmsirenen der Stadt. Insofern konnte keiner zur Quelle des Alarms vordringen: Die zentrale Steuerungshalle der Elektrik. Izzy und Joey machten sich gerade dran, den Fluchtweg zur Kanalisation zu öffnen. Allerdings schaffte es keiner der beiden, die gepanzerte Tür aufzukriegen. „So ein Mist, sie ist elektronisch gesichert!“, stellte Izzy fest. „Dann knack den Code, Izzy! Darin warst du doch schon immer gut! Ich hab keine Lust, im Knast zu landen!“, rief Joey leicht entsetzt, „Nach draußen kommen wir jedenfalls nicht heraus…“ Izzy sah zur Eingangstür; man konnte förmlich spüren, dass sie unter der Erschütterung, die draußen durch die trampelnde Menge erzeugt wurde, deutlich vibrierte. Er sah beruhigt auf seinen Laptop und meinte: „Die Polizei müsste, um uns festzunehmen, erst einmal ins Gebäude reinkommen. Und die Eingangstür habe ich selber mit einem Code versehen. Die müssen ihn erstmal knacken können…“ Plötzlich donnerte es an der Tür. Izzy zuckte zusammen, das war kein Geräusch, was für die beiden gut klang. Joey sah zum Fenster hinaus und ihm war die Panik ins Gesicht geschrieben. „Die Polizei!“, rief er. Izzy tippte nervös auf der Tastatur rum, machte aber nur ein niedergeschlagenes Gesicht dafür, dass seine Versuche, den Code zu knacken, erfolglos blieben. Mittlerweile wurde das Donnern und Klopfen an der Tür immer heftiger. Man hörte dazu noch ein Megafon schreien: „Im Namen des Gesetztes! Ergeben Sie sich und kommen Sie widerstandslos aus dem Gebäude! Wir haben Sie umzingelt!“ ----------------- Tai schrieb eifrig seine Arbeit auf ein Konzeptpapier… doch kurz darauf zerknüllte er es wieder und schmiss es in den nahegelegenen Papierkorb. Schon mittlerweile das dritte. Er schaute aus dem Fenster hinaus und machte sich über Izzy und Joey Gedanken. Ob die beiden heil aus der Sache gekommen sind? Ein Blick auf die Uhr verriet, dass Tai jetzt nunmehr nur noch anderthalb Stunden hatte… verdammt! Seine Gedanken waren ganz woanders, nur nicht bei der Prüfung. Er versuchte schließlich, seine Konzentration gänzlich den letzten 2 Aufgaben zu widmen, die nun den krönenden Abschluss seiner letzten Englisch-Klausur bilden sollten. Das Fach war sein absolutes Lieblingsfach und sein einziges, worin er richtig gut war. Ihm war schon lange bewusst, dass er Diplomat werden wollte; das erforderte wiederum ausgezeichnete Englischkenntnisse… Beim Vorbeischweifen dieser Gedanken merkte er plötzlich, dass hier mit dieser Prüfung viel auf dem Spiel stand… seine ganze Zukunft würde von dieser Prüfung abhängen. Er rang sich schließlich durch und schaffte es, seine Konzentration unter Kontrolle zu bringen und sie gänzlich auf die Prüfung zu richten. Um Izzy und Joey würde er sich später erkundigen… jetzt hatte er, so egoistisch es klingen mag, Wichtigeres zu tun. ----------------- Die metallene Tür schlug mit lautem Poltern auf dem Boden. Spezialeinheiten strömten durch die kleine Tür und verteilten sich im Raum, die Sturmgewehre bereit haltend. Der Oberfeldmarschall trat ein und blickte in den Schalterraum. Keiner da. ----------------- „Abgabezeit!“, rief die Lehrerin in den Raum. Die Blicke der Schüler richteten sich auf die Lehrerin, die teils nervös, teils ängstlich und flehend, aber auch teils glücklich und zufrieden ausfielen. Tai gehörte zu letzteren, er hatte ein gutes Gefühl. Er war sich sicher, dass diese Klausur im hohen Prozentbereich landen würde. Sora und Mimi standen mit geteilten Gefühlen von ihrem Platz auf. Als Sora der Lehrerin ihre Klausur übergab, schaute diese auf. Sie zwinkerte ihr zu und flüsterte: „Das ist ja heute noch mal gutgegangen…“ Daraufhin reagierte Sora mit einem zaghaften Lächeln. ----------------- „Weißt du überhaupt, wo es lang geht?“ Izzy betrachtete den Plan, den er gestern ausgedruckt hatte. Er zeigte auf einen Punkt und forderte Joey auf, auf den Plan zu sehen: „Da ist die Stelle, wo wir unbemerkt auftauchen können! Da müssen wir hin!“ Ein Trampeln hinter ihnen machte auf die Spezialeinheit aufmerksam. Durch den dichten Nebel sah man Silhouetten, die langsam größer wurden. „Schnell weg hier!“, flüsterte Izzy und schob Joey in den nächsten Gang. ----------------- Im Musikraum der Stadthalle herrschte Stille. Inzwischen hatte auch die Alarmsirenen der Stadt aufgehört zu heulen. Einzelne Gitarren hingen an der Wand herunter… an den Saiten wurde monatelang nicht mehr gerührt, dementsprechend waren sie arg verstimmt. Und ein Mikrofon lag auf dem Boden… weit weg von dem Halteständer, auf dem es eigentlich seinen Platz sonst hatte. Eine ganze Menge Kartons fanden sich schließlich noch in dem Raum wieder. In ihnen lagen Dutzende oder sogar Hunderte von Plakaten gestapelt, die eigentlich schon längst überall angebracht werden sollten. Doch seitdem bekannt war, dass der Sänger der Teenage Wolves verschwunden ist, war die Band von heute auf morgen weg vom Fenster. Folglich blieben auch die Plakate in ihren Kartons stecken und keiner rührte sie mehr an… Fast keiner… Eine einzelne Gestalt trat in den Musikraum ein. Sein Blick glitt auf die Gitarre, die neben ihm auf dem Boden rumlag. Ein Seufzen entfuhr dem Jungen und er hob das Instrument auf. Er zupfte an einer Saite und verzog das Gesicht: „Die ist ja total verstimmt!“ Er legte das Instrument beiseite und betrachtete den Raum. Diesen Raum hatte er schon oft benutzt für Proben mit seiner Band… mit seiner Band, die außerorts großen Erfolg hatten… bis er schließlich untergetaucht war. „Für deinen Traum hast du alles andere aufgegeben…“, dachte sich der Blonde. Plötzlich hörte er ein schwaches Rumoren und ein Geräusch, das einer aufgehenden Tür ähnelte. Er horchte auf… es war außer dem Geräusch sonst nichts zu hören und somit konnte man es gut orten. Er schritt leise aus dem Probenraum und ging auf die Tür zu, die in den Keller der Stadthalle führte. Er presste ein Ohr an die Tür… Kein Zweifel! Da war jemand auf den Weg nach oben! Er machte einige Schritte zurück und stellte sich etwas abseits. Die Geräusche immer lauter… bis sie schließlich unmittelbar vor der Tür verstummten. Die Tür ging langsam mit einem lauten Knirschen auf. Yamato sah auf und wartete, dass eine Gestalt aus der Tür herauskommen würde… Doch es blieb nicht dabei… sollte heißen, nicht nur bei einer Gestalt. Zwei Gesichter schauten sich aufgeregt um und beide Blicke blieben bei Yamato hängen. Beiden klappte nahezu die Kinnlade herunter. Das gleiche war auch Yamato widerfahren, wobei er als erster die Sprache fand: „Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit euch zweien! Was macht ihr denn hier, Joey und Izzy?“ ----------------- Kari und T.K. hatten sich zum heutigen Tag im Park verabredet. Das Paar konnte seit ein paar Wochen wieder halbwegs normal miteinander umgehen, obwohl T.K. immer noch nicht wusste, was mit Kari in den letzten Monaten los gewesen war. Kari hatte sich so seltsam distanziert gegenüber T.K. verhalten. Hatte das womöglich etwas damit zu tun, dass er sie vernachlässigt hatte… kurz bevor die Gefühlskrise zwischen den beiden begann? Vielleicht hätte er sich mehr um sie kümmern müssen… vielleicht fühlte sie sich damals von ihm im Stich gelassen. Doch was es auch gewesen war, ihm war das nun völlig egal gewesen. Jetzt war Kari endlich wieder so offen wie früher und das liebte T.K. so an ihr. Ihr fröhliches Gesicht hatte wieder Farben und er spürte, dass sie ihre Beziehung zu ihm pflegen und nicht so schnell wieder rosten lassen möchte. Im Gegensatz zu T.K. wusste Kari die volle Wahrheit. Und sie trug diese Schuldgefühle bis heute mit sich rum. Seltsamerweise war Matt eines Tages spurlos verschwunden, aber seine Absenz brachte wenigstens etwas Positives mit sich: Sie vergaß zumindest die Geschehnisse und Ereignisse, die Matt betrafen. Es brauchte zwar eine Weile, doch schließlich konnte sie sie verdrängen. Und da sie den Embryo noch frühzeitig abgetrieben hatte, ohne dass es Ärger mit den Menschenrechtlern geben konnte, war auch die größte Sorge verpufft. Aber trotzdem… die Schuldgefühle gegenüber T.K. und auch gegenüber Sora trug sie immer noch. Sie hatte in den letzten Monaten gemerkt, dass deren Last immer erheblicher geworden war… lange würde sie nicht durchhalten können, ohne schließlich in Tränen auszubrechen und es den Betroffenen zu beichten, egal ob Matt wollte oder nicht. Schließlich durchbrach T.K. die Stille: „Es ist schon lange her, dass wir hier im Park miteinander verbracht haben…“ Kari wusste nicht wie sie darauf antworten sollte. Sie lehnte sich stattdessen noch enger an T.K. an; so durchliefen sie den Park an einem See vorbei, um schließlich auf einer Parkbank sich niederzulassen. Die beiden Verliebten sahen sich an und küssten sich sanft, aber leidenschaftlich. T.K. unterbrach den Kuss, Kari reagierte etwas verwirrt: „Was ist denn?“ T.K. wurde etwas nachdenklicher und schaute sie ernst an. „Tut mir Leid…“ Das machte Kari nur noch verwirrter: „Wieso? Was soll dir denn Leid tun?“ „Ich… es tut mir Leid… ich glaube… ich hatte dich vernachlässigt…“ Diese Beichte ließ Kari nicht schlecht staunen. T.K. war sich seiner Unschuld überhaupt nicht bewusst. Dabei war es doch sie, die alles so in die Wege geleitet hatte… ihr Verdienst war es, dass sie ihm wochenlang nicht in die Augen blicken konnte. Aber es rührte sie insgemein und sie lächelte: „Das muss dir nicht Leid tun. Im Übrigen bist nicht du an dem Schuld, was vor ein paar Wochen geschehen ist…“ T.K. wurde stutzig: „Was? Aber… was war denn geschehen?“ Kari zuckte zusammen; sie hatte sich verplappert. Aber sie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, die letzten Wochen hatten sie auf sowas abgehärtet: „Nicht so wichtig! Aber ich verspreche dir, dass ich es dir erzählen werde. Es würde nur unnötig… unsere Beziehung… belasten…“ Die letzten Worte hatte sie fast geflüstert, sodass T.K. nur mit Mühe sie aufnehmen konnte. Er wägte ab, ob er es erfahren wollte oder nicht. Einerseits würde ihm dann endlich klar werden, warum es dazu gekommen war, dass sie sich die letzten Wochen kaum noch gesehen haben. Doch auch T.K. hatte keine Lust, die Beziehung so schnell wieder bröckeln zu lassen. Er liebte Kari, sie war sein Ein und Alles. Er würde auf ihre Erklärung warten… „Schon gut, Liebes! Du brauchst es mir jetzt nicht sagen… heute ist unser Jahrestag, da soll erstmal alles andere vergessen werden!“ Und T.K. schloss sie in eine wohlige Umarmung. Diese Worte erleichterten Karis Herz um einen Stein. Sie hoffte, dass Gott ihr vergeben möge für ihre Schandtat, die sie vor ein paar Wochen vollbracht hatte. ----------------- „Geh schon ran! Geh endlich ran! Verdammt, er soll gefälligst… oh schönen guten Tag, Frau Izumi! Hier ist Tai! Ist Izzy da?“ Tai wäre beinahe vor Ungeduld geplatzt, als das Telefon mehrere Leertöne von sich gab, ohne dass jemand abgehoben hatte. Doch Frau Izumi war schneller, nahm das Telefon ab und somit auch Tais Ungeduld. „Bitte? Ach so, die Prüfung… die lief wunderbar! Nicht der Rede wert… aber können sie mir jetzt…“ Tais Miene verfinsterte sich augenblicklich. „Ich verstehe… er war also den ganzen Tag nicht da. Bitte sagen Sie ihm dann, dass er mich zurückrufen soll, wenn er wieder zu Hause ist! Schönen Tag noch, Frau Izumi!“ Mit diesen Worten landete das Telefon wieder auf seinen Platz. Tais Mutter Yuuko verbrachte momentan ihre Zeit in der Küche, um Kartoffeln zu schälen. Tais Schreien aus dem Wohnzimmer ließ sie aufblicken. „Mum! Wo ist denn Kari hin?“ „Kari hat sich mit T.K. verabredet! Sie sind im Park… glaube ich zumindest…“ Den 2. Satz hatte Tai nicht wirklich realisiert. Er hätte sie eigentlich schon längst dazu anspornen sollen, sich wieder T.K. nach der Panne mit Matt zu widmen und ihn irgendwann darauf anzusprechen. Stattdessen ging sie T.K. wochenlang aus dem Weg, weil sie ihm nicht in die Augen blicken konnte. Er fühlte sich für seinen Teil auch schuldig, da er ihr nicht in dieser schweren Zeit geholfen hatte, weil er seine Zeit mehr für Sora nutzte. Nun hoffte er, dass alles wieder normal sein würde… es sei denn, die Nachricht über ihre Affäre mit Matt würde für T.K. zu unerträglich werden. Aber selbst dann würde Tai noch einschreiten. Das war er seiner kleinen Schwester schuldig! Aber das war momentan Nebensache. Er widmete seine Gedanken wieder den nächsten Tagen zu. Morgen war zwar erst Donnerstag, aber dafür seine letzte Prüfung – Politik… sein absolutes Top-Fach! Und mit Abstand das wichtigste von allen! Denn diese Prüfung würde darüber entscheiden, ob er Diplomat werden konnte oder nicht. Im Wert war diese Prüfung noch wichtiger als die Englischprüfung, die er heute abgelegt hatte. Somit war klar, dass er keinen Gedanken an andere Sachen verschwenden durfte. Izzy würde sich schon melden, Sora würde morgen ebenfalls ihre letzte Prüfung schreiben und dann würde der Alptraum endlich vorbei sein! Der Haken war nur, dass sie sich in der Prüfung trennen mussten, weil Sora Kunst und Mimi Biologie schrieb. Jeder hatte für die letzte Prüfung die Fächer gewählt, die mit ihren zukünftigen Berufswünschen zu tun hatten. Glücklicherweise lagen diese Prüfungen alle donnerstags, am Freitag würden Japanisch-, Musik- und Geschichtsprüfungen stattfinden. Gerade wollte er wieder zu seiner neuen Wohnung aufbrechen, als plötzlich die Haustür aufging. Tai hob seine Augenbrauen, als er sah, wer hereinkam: „Kari!“ Sie hatte ihr Lächeln aufgesetzt. Ihr Lächeln, das ihr seit einigen Wochen gefehlt hatte, und das er seit einigen Wochen vermisste. Dass sie so wieder nach Hause kam, machte ihn zuversichtlich: „Lass mich raten: Es ist alles wieder ok!“ Kari antwortete nicht, stattdessen lief sie auf ihn zu, fiel ihm in seine Arme und lachte. Die Antwort war ausreichend genug, dachte sich Tai. ----------------- „Jetzt wisst ihr’s!“ Yamato hatte seine lange Erzählung beendet, wieso er verschwunden war und warum er sich von Sora getrennt hatte. Doch eines blieb er Izzy und Joey noch schuldig, was Izzy auch nicht vor ihm verbarg: „Aber wieso bist du dann verschwunden, ohne uns etwas zu sagen… und vor allem, WOHIN?!“ Yamato zögerte, dann zog er einen Ausweis hervor. Izzy und Joey blickten auf diesen. Zuerst sagte ihnen die Aufschrift nichts, doch als sie auf den Aussteller dieses Ausweises aufmerksam wurden, starrten sie Yamato mit offenem Mund an. „Wieso…?“ Yamato unterbrach ihn mit einer Handbewegung und zeigte auf den Eintrag, der unter den Personenangaben gemacht wurde. Joey und Izzy blickten ihn ernst an. „Dann wirst du… bald von uns weggehen?“ Der Blonde nickte nur. Kapitel 17: Gut gelernt ist ganz gewonnen ----------------------------------------- Der graue Donnerstagmorgen kam zum Vorschein und ließ die ersten Vogellaute erklingen. Unbeeindruckt davon schliefen Kari und ihre Eltern noch tief und fest, ein lautes Geschnarche kam aus dem Zimmer der Erwachsenen. Nur Tai war wach. Er konnte kaum richtig schlafen, da er sich noch Sorgen um Izzy und Joey machte. Keiner der beiden hatte sich am Vortag gemeldet. Entweder hieß das, dass die beiden nun den Sündenbock vor der Polizei spielen mussten, oder die beiden hatten das einfach im Eifer des Gefechts aus ihrem Gedächtnis verdrängt. Tai hoffte, dass es ihnen zumindest gut ging… doch es ließ ihm keine Ruhe. Mühsam ging er das schwach vom Taglicht beleuchteten Wohnzimmer und trank etwas warmes Wasser aus der Kanne. Er schaute auf die Uhr… es war gerade mal 5 Uhr morgens. Er sog scharf die Luft ein und atmete sie genauso kräftig wieder aus; in der Nähe hätte man damit problemlos einen Mitbewohner wecken können. Er ging zurück in sein Zimmer und wollte sich just wieder hinlegen, als sein Handy einen Piepton von sich gab. Er stutzte, aber seine Neugier rappelte ihn sofort wieder zum Handeln auf und er betätigte die Tasten. Eine SMS! Von Izzy: Hallo Tai! Ich hoffe die Prüfung ist bei dir gut verlaufen! Joey und ich sind wohlauf! Sollten wir uns nicht mehr melden -> bis zur Afterparty bei dir am Samstag! Wir haben eine Überraschung für dich! Mach’s gut & viel Glück! Izzy (Gesendet: 16.07.08 23:57) Tai spürte, wie eine Last von ihm abfiel. Er war aber anscheinend doch in einen tiefen guten Schlaf verfallen als er dachte. Schließlich kam die SMS noch gestern Nacht an und er hatte die vielen Wiederholungssignale nicht gehört. Wie dem auch sei, nun war also alles in bester Ordnung und Tai konnte endlich wieder ungestört schlafen. Er hatte gerade die Decke übergestülpt, als das Handy sich wieder meldete. Nur war das diesmal kein einzelner Piepton, sondern eine nervige Melodie. „Wer zum Teufel ruft jetzt an?!“ Tai warf die Decke zur Seite und griff nach dem lauten Ding. „Tai hier! Wissen Sie eigentlich, wieviel Uhr wir…“ „Hey du! Du schläfst ja auch nicht mehr, so schnell bist du rangegangen!“ Tai verstummte. Es war Sora. Tai hörte, wie sie ein lautes Gähnen von sich gab. „Hi Sora! Woher wusstest du, dass ich wach bin?!“ Tai war erstaunt über ihr Timing. Sora konnte sich ein Kichern nicht verkneifen: „Tai, ich mache mir Sorgen um Izzy und Joey! Und ich weiß, dass du dir auch Sorgen um sie machst. Außerdem hast du mir versprochen, dass du’s mir sagen würdest, wenn sie sich melden. Aber du hast nicht… und da dachte ich, dass du auch vor Sorge kaum schlafen könntest…“ Tai schmunzelte über Soras Erklärung. Sie kannte ihn schon so lange und konnte Tais Gedankengänge schon lang zu über 90% richtig deuten. „Tja… da hast du leider Recht! Aber nun brauch ich mir keine Gedanken mehr zu machen.“ Tai setzte ein Lächeln auf, was Sora natürlich nicht sehen konnte. „Izzy hat mir geschrieben. Die beiden sind wieder zu Hause!“ Auf der anderen Seite konnte man hören, wie Sora einen unbewusst angehaltenen Atem ausstieß. „Da bin ich aber froh… ich hätte es mir nie verzeihen können…“ „Sora, du weißt doch, Izzy ist ein kluges Kerlchen! Und jetzt schlaf lieber, wir müssen nachher fit sein!“ „Ist ok, Tai! Danke für die tolle Nachricht! Und…“ Sie zögerte. „Was?“, hakte Tai nach. „Ähm, wäre es für dich ok, wenn ich morgen Abend wieder zu dir rüberkomme? Ich möchte…“ Sie stockte. „Ähm… ich möchte meinen Geburtstag… bei dir… ähm… beginnen lassen…“ Würde Tai jetzt bei Sora sein, hätte er gemerkt, dass sie tomatenrot angelaufen war. Er machte sich jedoch keine Gedanken; er wollte, dass sie zu ihm kommt, und seine Eltern hießen sie sowieso jederzeit willkommen. „Klar doch, was fragst du eigentlich? Du kannst jederzeit kommen!“, meinte Tai lachend. „Wenn das so ist, freu ich mich auf morgen schon viel mehr“, gab Sora noch von sich, bevor die beiden sich verabschiedeten und auflegten. Tai machte ein ratloses Gesicht. Erst jetzt bemerkte er, wie warm sein Gesicht doch war. Er musste wirklich heiß auf den Freitag sein. Was empfand er nun für seine beste Freundin? Er hatte sie zwar geliebt, hatte sich aber damit abgefunden, seitdem sie mit Yamato zusammen war. Er wollte immer nur ihr Bestes, deshalb hatte er nichts dagegen unternommen. Auch wenn sie jetzt wieder solo war, hatte er sie immer noch so behandelt wie unter Freunden… nicht mehr und nicht weniger. Er wollte auch nicht so aussehen, als wollte er die Situation ausnutzen… der Vorfall, als Sora unmittelbar nach dem Tod ihrer Mutter bei ihm zusammengebrochen war und er sie geküsst hatte, brannte ihm noch im Gedächtnis. Das war damals richtig dumm von ihm. Er hatte sich geschworen, nie mehr so etwas zu machen. Aber untätig rumsitzen und abzuwarten war auch nicht seine Stärke. Also beschloss er, sie an ihrem 18. Geburtstag zu überraschen. Er wollte herausfinden, ob sie doch mehr für ihn empfand als nur reine Freundschaft. Gut, wahrscheinlich würde so eine Überraschung sie auch ein bisschen dazu veranlassen, mehr für ihn zu fühlen, aber sonst würde er es nie herausfinden. Und der 18. Geburtstag, so dachte er, sei ein schönes und unkompliziertes Ereignis, um so etwas auszutesten… ----------------- Ein schrilles Läuten riss den 18-Jährigen aus dem Schlaf. Tai rappelte sich auf und suchte den Ursprung dieses Geräuschs. Sein Blick stoppte beim Handy. „Nicht schon wieder“, murmelte er leicht fluchend und schaute auf das Display. Waren seine Augen noch vorher fast wieder zugefallen, so starrten sie jetzt offen und wach auf das Handydisplay, als der Name des Anrufers erschien. Er nahm ab: „Izzy, altes Haus! Mann, ich hab mir echt Sorgen um dich gemacht!“ Am Ende der Leitung hörte man ein leichtes Schmunzeln: „Hehe, Tai! Du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass die uns eingebuchtet haben, oder?!“ „Ich hatte dir doch gesagt, dass du mich so schnell wie möglich zurückrufen solltest, wenn alles vorbei ist, und du schickst deine SMS erst kurz vor Mitternacht!“ „Jaaahh, tut mir echt Leid, aber vorher ist noch etwas dazwischengekommen…“ „Bitte? Was dazwischengekommen? Seid ihr…“ „Ach, nicht so wichtig, erfährst du dann am Samstag, wenn die Party ist!“ Tai hielt inne. Das war nicht Izzys Art, er hatte doch sonst immer alles auf den Tisch gelegt und nie etwas verheimlicht, aber nun schien er Tai eine Information zurückzuhalten. „Izzy, ich weiß, dass du mir irgendwas verheimlichst! Sag schon, was ist passiert?!“ „Tut mir Leid, Tai! Aber sonst würde ja unsere Überraschung für Samstag auffliegen! Also… ich muss dann mal los…“ „Hä? Du musst los? Wieviel Uhr ist es…“ „Tai, du hast echt kein Zeitgefühl!“, lachte Izzy, „Wir haben kurz vor 7! Sonst hätte ich dich doch nicht angerufen!“ Tai riss die Augen auf; schon kurz vor 7!! „Mann, gut dass du mich geweckt hast! Ich muss mich jetzt beeilen, ich muss…“ „Ist schon gut, Tai! Aber eigentlich rufe ich nur an, weil ich dir sagen wollte, dass du dir keine Gedanken machen musst wegen der Polizei. Die sind noch zu aufgewühlt wegen gestern und bewachen wie eine Schildkrötenformation den Raum, wo ich den Alarm ausgelöst hatte!“ Tai musste lachen. Mit dieser Nachricht waren seine Sorgen gänzlich verschwunden. „Vielen Dank, Izzy! Du, ich muss jetzt mal! Also bis Samstag dann!“ Ohne eine Antwort abzuwarten drückte er den roten Auflegebutton. ----------------- Frau Matsuki sah sich den Schulhof vom Lehrerzimmer an. Da stand er wieder. Dieser alte Mann hatte wirklich einen am Hut; immerhin ist das nun sein vierter Versuch, ohne auch dabei annähernd Erfolg gehabt zu haben. Ihrer Meinung nach hätte er eigentlich schon längst aufgeben sollen; wenn die Tochter in den ersten 3 Tagen nicht erschienen ist, würde sie doch auch nicht am vierten Tag erscheinen. „Er ist halt ein sturer Dummkopf“, dachte sie sich und marschierte in den Prüfungsraum. Er war noch vollkommen leer. Aber sie brauchte einfach die Ruhe, die von dieser Leere ausging. Die gestrigen Vorkommnisse hatten ihre Nerven schon ausgezerrt und sie kam sich vor wie bei einer Belagerung. Doch nicht nur sie spürte dies, auch die anderen Kolleginnen und Kollegen hatten darüber geklagt, sich wie im Gefängnis vorzukommen. „Das alles nur wegen so etwas…“ Sie hätte es sich wirklich überlegen sollen, auf diese eine Bitte ihrer Schülerin einzugehen. Sie wusste ja nicht, was das alles für Folgen und Konsequenzen haben könnte, immerhin hatte sie erst kurz zuvor das Referendariat hinter sich gebracht. Ihren Job hätte sie dadurch auch schon wieder verloren und so schnell hätte sie bestimmt kein annähernd so gutes Angebot als an dieser Schule gefunden. Doch auch Beamte hatten menschliche Seiten, und so hatte sie eingewilligt. Eigentlich hätte sie nach Beamteneid dies strikt ablehnen müssen, aber Soras Geschichte hatte sie doch beträchtlicher mitgenommen als sie es sich jemals vorstellen konnte. Die Uhr schlug halb 8. So langsam kamen die ersten Prüflinge an, manche wieder in Begleitung ihrer Eltern, manche alleine und die Mehrzahl in den Gruppen ihrer Freunde. Das Schultor ging auf und die ersten Schülermassen strömten rein. Frau Matsuki richtete sich auf ging aus dem Raum hinaus. ----------------- „Hallo Tai!“, begrüßte Sora ihn mit einer Umarmung. „Hi Sora! Alles fit?“, fragte Tai und erwiderte ihre Geste. Sie nickte und stieg in Tais Auto ein. Mimi saß bereits hinten und kaute an ihren Fingernägeln. Sora bemerkte dies und versuchte sie mit Worten zu beruhigen: „Komm schon Mimi, Bio ist doch dein bestes Fach! Das schaffst du locker, da bin ich mir sicher!“ Mimi schaute sie nur ängstlich an: „Aber… was ist… wenn…?“ Sora schüttelte nur lächelnd den Kopf und saß wieder gerade. „Heute wird’s durchgezogen!“, kam nur von Tai, bevor er den Motor startete und in Richtung Schule davonfuhr. Bald erreichten sie schon Kenzos Haus und parkten ein. Als Tai und Sora am Hintereingang ankamen, gab Tai noch letzte Anweisungen: „Also: Da wir uns ja jetzt alle trennen, würde ich sagen, dass wir uns nach der Prüfung wieder hier in Kenzos Haus treffen! Einwände?“ Die beiden Mädchen schüttelten den Kopf. „Gut! Dann wünsch ich uns allen viel Glück… und jetzt sag ich nur noch: Letzte Runde!“ Mit diesem Satz wandte sich die Gruppe der Schule zu und verschwand unter dem Strom der Schülermassen. ----------------- Der bedeckte Himmel zog über Tokio hinweg. Nur vereinzelt konnte die Sonne ihre hellen Lichtstrahlen durch die Wolken hindurch senden. Trotz diesem tristen Wetter konnte T.K. nicht darauf warten, dass er seinen Bruder endlich wiedersieht. Sie beide hatten sich nahe einem Café verabredet, da Yamato immer noch bei seinem Vater wohnte. Es war unglaublich, wie Yamato diesen Test hinter sich gebracht hatte. Die ganze Familie hatte vor Monaten noch Skepsis an seiner Tauglichkeit geäußert, aber er hatte alle Prüfungen souverän bestanden. Er hatte somit seinen Kindheitstraum verwirklichen können, endlich das All auf eigene Faust erkunden zu können. Bei diesem Gedanken musste er seufzen, in weniger als 2 Wochen würde er nicht mehr zu Hause sein. Nicht nur, auch für die anderen würde er nicht mehr erreichbar sein. Was die anderen jetzt wohl dachten, fragte T.K. sich… immerhin war er mit seinen Eltern der Einzige, der in Yamatos Pläne eingeweiht wurde. Ob Yamato ihm nun sagen wird, dass er diese Nachricht den anderen noch weiter verheimlichen sollte? Oder würde er den anderen alles berichten? Nach T.K.s Meinung war Letzteres die vernünftigere Variante, sie alle hatten ein Recht darauf zu erfahren, was Yamato die letzten Monate getrieben hatte… Das Café rückte langsam in T.K.s Sehwinkel und er marschierte schnurtracks darauf zu. Schon von Weitem konnte er einen Blondschopf erkennen und er musste nicht raten, um zu wissen, wer es war. „Na, du Held!“, begrüßte T.K. ihn neckend. „Danke für die Blumen, kleiner Bruder!“, lachte Yamato. „Hehe, darf ich jetzt stolz sein? Wie geht’s dir überhaupt?“ „Wie soll’s mir schon gehen?“, meinte Yamato und lehnte sich im Stuhl zurück, „Ich schwebe wie auf Wolke 7! Es könnte nicht besser sein!“ Ein breites Grinsen bildete sich auf seinem Gesicht. T.K. versuchte, ein neues Gesprächsthema zu finden und hakte nach: „Wieso wolltest du eigentlich, dass wir uns hier treffen?“ Yamato schaute zu ihm: „Ich dachte, hier im Café lässt’s sich angenehmer reden…“ Er rückte seinen Stuhl etwas zurecht und wollte gerade weiter antworten, als auch schon der Kellner kam… ----------------- Mimi zerbrach sich gerade den Kopf voller Moleküle. Dass die Aufgaben so schwer wurden, hätte nun auch nicht sie gedacht. Aber sie liebte es, herausgefordert zu werden. Das erhöhte nur ihren Ansporn und sie probierte hin und her, bis sie meinte, schließlich die richtige Lösung gefunden zu haben. Obwohl auch Biologie strengen Naturgesetzen unterworfen war, hatte Mimi irgendwie die besondere Begabung, durch bloßes Herumexperimentieren zum selben Ergebnis zu kommen, wenn auch die Erklärung eine völlig andere war als die, die in den Schulbüchern drin stand. Und solche Fähigkeiten wurden nun in der Biologieprüfung erforderlich, um schnell und ohne Zeitverlust in der Prüfung voranzukommen. Die Zeit war mittlerweile knapp geworden. Nur noch eine halbe Stunde, dann hieß es wieder, abzugeben. Mimi wollte gerade ihr Ergebnis hinschreiben, als sie jäh durch ein Geräusch quasi aufgefordert wurde, nach oben zu schauen. An der Tür klopfte es zweimal, bevor zwei uniformierte Männer hereinkamen. Bei diesem Anblick blieb Mimi das Herz stehen und sie ließ den Stift auf den Boden fallen. „Was zum Teufel?!“, erhob sich Frau Matsuki und wollte den Grund wissen, als sie diesen auch schon aus dem Mund des Polizisten erfuhr: „Da nun der Schalterraum des städtischen Alarms abgesichert wurde, führen wir unseren Einsatz hier fort! Entschuldigen Sie die Störung, aber wir wollen weiterhin herausfinden, ob Frau Takenouchi hier anwesend ist oder nicht!“ Mit diesen Worten schritten die Polizisten hinaus in den Flur und machten die Tür zu. Frau Matsuki stand wie versteinert da. Ihr Gesicht wurde kreidebleich und sie setzte sich zitternd wieder hin. Auch einige Schüler wurden unruhig, aber keiner von ihnen wagte es, Frau Matsuki darauf anzusprechen. Die junge Lehrerin vergrub ihr Gesicht hinter ihren Händen. „Möge Gott uns helfen“, flüsterte sie nur, ohne dass es jemand hören konnte… Eine halbe Stunde später kontrollierte ein Dutzend Polizisten die Schar von Schülern, die aus dem Gebäude hinausgingen. Es bildeten sich am Ausgang des Gebäudes in den Schulhof zwölf Reihen, absolut jeder Schüler wurde erfasst von den Augen der Polizisten. Tai rannte derzeit so, als ginge es um sein Leben. Naja, ob Sora sein Leben war… er wusste es noch nicht, aber sie war auf jeden Fall mindestens genauso wichtig für ihn wie sein Leben. Er blieb allerdings in der Schlange stecken, die sich nur langsam nach vorne bewegte. „Verflucht! Hoffentlich haben sie Sora nichts angetan!“, dachte er. Als Tai endlich den Ausgang passiert hatte, wollte er gerade wieder zum Hintereingang in Kenzos Garten laufen, als ihm bewusst wurde, dass er dadurch die Blicke der Polizisten, die dort standen, auf sich ziehen würde. „Verdammt, das hieß also, dass Sora dort auch nicht vorbeigekommen ist!“, fluchte er innerlich und verließ deprimiert den Schulhof durch das Haupttor. Er schaute sich um, ob er sie nicht irgendwo finden konnte. Aber er sah sie nicht. Stattdessen sah er IHN. Der alte Mann unterhielt sich gerade mit dem Kommissar. Tai wollte sich gerade abwenden, als er das Gespräch auffing und lauschte, so gut es der Lärm ermöglichte. Er konnte aber annähernd nichts verstehen, doch er vermutete, dass der Polizist gemeint hätte, Sora noch nicht gefunden zu haben. „Das konnte doch nicht sein…“, dachte Tai sich und ging auf Kenzos Haus zu. Er drehte den Zweitschlüssel, den er von Kenzo bekommen hatte, ins Schloss und öffnete die Tür. Sogleich stand jemand nicht Unbekanntes vor ihm. „Gut gelernt ist ganz gewonnen!“ ----------------- „Du meinst, du willst wirklich mit ihnen reden?“ T.K. war überrascht über Yamatos Entscheidung, aber auch erfreut zugleich. „Ich weiß immer noch nicht, ob ich das tun sollte! Mann, ich hasse solche Entscheidungen!“ Man sah sichtlich an, dass Yamato mit sich selbst kämpfte. Die letzten Monate hatte er absolut alleine verbracht. Kein Kontakt zu seiner Familie, keiner zu seinen Freunden – sofern er sie noch zu „Freunden“ zählen konnte – und keiner zu den anderen Prüfungskandidaten… nur zu seinen Vorstehern wechselte er ein paar Worte. Yamato hatte zu dieser Zeit innerlich versucht, seine Einsamkeit zu unterdrücken. Das schaffte er auch… doch mit der Zeit stauten sich diese Gefühle an… nur um aus ihm jetzt auszubrechen. „Bist du sicher, dass sie mich sehen wollen?“ „Matt, ich bin nicht sie! Ich denke nur, dass… sie dich nur hassen werden, wenn du dich vor dem Abflug nicht von ihnen wenigstens verabschiedest!“ Yamato blickte auf. T.K. war der Einzige, der ihn noch „Matt“ nannte. Früher hatten ihn alle Digiritter so genannt, aus Zeichen der Freundschaft und Verbundenheit. Seitdem die Freundschaft zwischen Tai und Yamato gebrochen war, hatte Tai ihn nur noch „Yamato“ gerufen. Und an Freundschaft glaubte Yamato schon lange nicht mehr. „Aber sie hassen mich doch schon jetzt. Was würde das ändern an der ganzen Sache?“ T.K. schaute ihn ungläubig an: „Sie hassen dich nicht! Du denkst nur die ganze Zeit, dass sie dich hassen. Selbst Tai denkt schon lang nicht mehr so! Äußerlich wirkt er so, als würde er nichts mehr mit dir zu tun haben wollen, aber innerlich vermisst er dich auch!“ Yamato konnte nicht glauben, was er gerade hörte. „Wieso bist du dir so sicher?“ T.K. lächelte, denn er wusste darauf eine einfache Antwort, mit der Yamato überhaupt nicht rechnen würde: „Bisher… sind Tai und Sora… noch nicht zusammengekommen!“ ----------------- „SORA!“, rief Tai voller Überfreude, ließ seine Tasche fallen und schmiss sich in ihre Arme, was sie daraufhin erwiderte. Fragen zu stellen war in dem Moment dumm und unnötig, beide genossen die Wärme des jeweils anderen. Die beiden verharrten noch eine Weile in dieser Stellung, als Sora die Umarmung zögerlich löste und ihn ansah. Tai schoss das Blut ins Gesicht, zum ersten Mal hatte er ein seltsames Kribbeln im Bauch in ihrer Nähe. Sora erging es nicht anders, ihre Wangen zeigten ein leichtes Rot auf. Doch was danach passiert wäre, konnten beide nicht mehr erleben, denn sie wurden plötzlich durch das Aufgehen der Tür unterbrochen. Vor der stand niemand anders als… Mimi. Sie sah zuerst traurig aus, dann packte sie jedoch die Freude. „OH, ICH HAB MIR SOLCHE SORGEN GEMACHT!!“, rief sie nur, fing an vor Freude zu weinen und rannte auf Sora zu. Nachdem auch die folgende Szene zu Ende war, stellte Mimi die lang überfällige Frage: „Wieso bist du hier? Hat die Polizei dich nicht…“ Sora grinste: „Ich sagte doch, gut gelernt ist diesmal ganz gewonnen. Kunst war superleicht! Ich war schon eine Stunde früher fertig gewesen und bin daraufhin gegangen!“ Sie drehte sich ans Fenster und sah auf die tosende Menge im Schulhof und lachte: „Die erste halbe Stunde war hier richtig langweilig, bis das dort drüben begann…“ Tai und Mimi sahen sich an, nickten, gingen zu Sora und hoben sie hoch. „Hey!! Was soll das?!“, schrie diese daraufhin los. „Wir gehen jetzt feiern! Und du kommst mit, du kleine Streberin!“ Kapitel 18: Vergangenes ----------------------- „Wohin wollt ihr feiern gehen?? Ihr wisst doch, dass es noch zu früh…“ Sora wurde immer unruhiger und zappeliger, bis Tai und Mimi nachgaben und sie herunterließen. Sie schaute gespielt böse, aber trotzdem konnte das ihre Sorge nicht verbergen. „Keine Angst! Ist ‘ne ganz private Feier… mit meinen Eltern, Kari, Oma und Opa! Die warten schon sehnsüchtig auf mich!“, lachte Tai und zog sich die Schuhe an. „Achso… und ich dachte schon…“, stimmte Sora lachend mit ein. Ein paar Minuten später fuhren die drei in Tais Auto auch schon davon. Zu Hause bei Tai warteten seine Familienangehörigen schon ungeduldig, bis sich die Haustür öffnete und drei Gestalten eintraten. Kari zückte ihre Trillerpfeife und trällerte den Begrüßungspfiff ihnen entgegen. Lachend und grinsend liefen Tai, Sora und Mimi ins Wohnzimmer und ließen sich feiern, als wären sie die Besten unter allen Prüflingen. Tais Mutter Yuuko brachte schließlich einen Kuchen auf den Tisch, wobei sie ihren Sohn nur schwer abhalten konnte, sofort zuzugreifen und wie ein Berserker über den Kuchen zu fallen. Nachdem auch diese kleine Fete ihr Ende fand, gingen Tai, Sora und Mimi zur Haustür. Bevor die drei das Haus verließen, klopfte Yuuko Sora noch auf die Schulter: „Übermorgen ist es dann soweit! Dann beginnt hier die richtige Feierei!“ Sie zwinkerte der Rothaarigen zu und diese lächelte dankend. Nachdem alle im Auto waren, fuhr Tai die beiden Mädchen zu Mimi nach Hause… ----------------- „BITTE WAS HAST DU GESAGT?!“ Yamato schaute seinen kleinen Bruder entgeistert an. Erschrocken darüber, wie plötzlich sein Bruder ihn angefahren hatte, antwortete T.K.: „Wie ich doch sage: Tai und Sora hatten die ganze Zeit nichts miteinander am Hut! Er hatte zwar sich um sie gekümmert wie ein großer Bruder, aber er wollte nichts von ihr! Zumindest hatte Kari das immer wieder gesehen und behauptet!“ „Kari…“ Bei dem Namen spielten sich vor Yamatos Augen wieder einige Szenen ab. Er wusste nicht wie, aber eines Nachts nach einem alkoholreichen und heiteren Abend hatten sich beide in seinem Bett wiedergefunden – seiner Ansicht nach ziemlich ungewollt. Er wusste noch genau, wann das war: Das Wochenende vor dem tragischen Tod der Mutter seiner Ex… ----------------- Er hatte sich die letzten Wochen zu überanstrengt. Die letzte Tour durch Japan mit seiner Band forderte Tribut, aber nun war endlich mal wieder Ruhe im Haus. Er genoss nach dieser Tour die Einsamkeit… kein ohrenbetäubendes Gejohle der Fans, keine aufdringlichen Verehrerinnen und keine strapaziösen Proben! Manchmal stellte er sich die Frage, ob er mit der Musik wirklich so weit hätte gehen sollen. So etwas schien nun doch nicht so einfach zu sein, wie er sich vorgestellt hatte. Nicht nur, dass er mit einer riesigen Masse an Menschen nun konfrontiert wurde… nein, er fand auch immer weniger Zeit für all die anderen Dinge, die er liebte. Dieses Musikerleben war verbunden mit Stress, unendlichen vielen Proben für Auftritte und Gigs, Einbußen im Privatleben und vor allem auch nervigen Aufdringlichen wie Reportern, weiblichen Fans und Stalkern. Doch nun war die Tour vorbei, jetzt hatte er wieder Zeit für alles andere… allen voran seiner Freundin. Sora war immer überglücklich, wenn er mal wieder da war… denn sie hatte ihn in den letzten paar Wochen nicht wirklich in ihrer Nähe… nur der Fernseher sendete ab und zu Live-Übertragungen von den Konzerten der „Teenage Wolves“. Aber gleich die erste Gelegenheit nahm Yamato wahr, um sie zu sehen und mit ihr groß auszugehen. Auch die nächsten Tage genossen die beiden in herrlicher Harmonie. Doch irgendwann verblies auch diese Regelmäßigkeit, und Yamato fand sich desöfteren auf Partys wieder, die Sora nicht geheuer, dafür ihm umso attraktiver waren. So kam es die nächsten Wochen, insbesondere am Wochenende, dass er mit seinen Bandkollegen lieber auf Discojagd ging als mit Sora irgendwo zu schmusen… immer mit der Ausrede, dass die Band ihn sehr beanspruchte. Es folgten einige kleiner Streitereien, die aber meistens schnell und spätestens am nächsten Tag wieder vergessen und vergeben wurden. Aber an einem besagten Abend, kurz bevor die Polizei Sora diese teuflische Nachricht brachte, krachte es zwischen den beiden heftig in seiner Wohnung. Mittlerweile war das, soweit sie gezählt hatte, das vierte Mal, dass er seine Freundin am Wochenende alleingelassen hatte. Nachdem dieses Wortgefecht beendet worden war, weil Sora wütend und weinend aus der Wohnung ihres Freundes lief, kippte sich Yamato einen Jägermeister rein und ging leicht torkelnd in die nächstgelegene Disco. Zuerst schien ihm, als kenne er niemanden unter den wenigen Leuten, die sich um diese Uhrzeit schon in der Disco versammelten… doch sein Blick stoppte, als er T.K. und Kari sah, die leicht angeheitert auf der Tanzfläche zu bester Housemusik tanzten. Er ging auf sie zu und begrüßte das überraschte Paar. Dabei bemerkte er trotz seiner angetrunkenen Verfassung, dass T.K. sichtlich besoffen war und sich kaum noch unter Kontrolle halten konnte. Yamato schüttelte heftig den Kopf und wand sich seinem kleinen Bruder: „Ich hab doch gesagt, du sollst nicht immer so viel trinken! Wann bist du endlich mal vernünftig?!“ „Wasch hasch g’sackt?“ Kari schaute belustigt hinterher und ging nun in die kleine Menschenmenge sich austoben. Währenddessen brachte Yamato seinen Bruder heim und kam dann wieder in die Disco zurück. Kari saß bereits an der Bar und schaute sich um. Als sie Yamato entdeckte, sprang sie auf und lief auf diesen zu. „Hey Matt! Weißt du, wo T.K. ist?“ Yamato schaute ihr gegenüber mit unschuldiger Miene: „Er ist endlich zur Vernunft gekommen und ist nach Hause gegangen! Ich musste ihm dabei etwas helfen! Ich soll dir übrigens von ihm ausrichten, dass er sich dafür entschuldigt, weil er dir keinen Abschiedskuss mehr geben konnte!“ Das war zwar halb gelogen, aber er wollte nicht noch einen Streit provozieren. „Schon ok! Das passiert ihm mittlerweile häufig! Ich frage mich allmählich, was ihm überhaupt wichtiger ist…“ Kari war sichtlich enttäuscht und Yamato beobachtete sie. „Frauen haben doch alle dasselbe Problem“, dachte er sich. Trotzdem ging auf Kari zu. Zumindest war sie, im Gegensatz zu Sora, partyfreudig. „Wollen wir etwas tanzen?“ Kari schaute überrascht, aber auch erfreut auf. „Gerne!“ Die Stunden vergingen und mit der Zeit stieg auch der Alkoholpegel der beiden an, bis sie die rote Grenze überschritt und beide sich kaum noch kontrollieren konnten. Doch zumindest Yamatos innere Uhr war anscheinend von der Menge an Alkohol im Körper unbeeindruckt geblieben und veranlasste den Blonden, nach Hause zu gehen. Unbewusst, dass Kari sich von ihm hatte mitziehen lassen, schlenderte er schließlich durch die Gassen, bis er an seiner Wohnung ankam und beide in seinem Zimmer auf das Bett plumpsten. Kari war noch kräftig genug, um noch ein Gespräch anzufangen: „Das… war heut… echt lustig!“ Lachend warf sie die Decke über sich und kuschelte sich in Matts Kissen. „HEY! DASCH ISCHT MAN PLATSCH!“, schrie Yamato und zog ihr halb liegend die Decke weg. Nach einigem Hin und Her fielen die beiden erschöpft ins Bett und teilten sich die Decke und das Kissen. Mit dem Duft und der Wärme des jeweils anderen war auch die Hemmschwelle war endgültig gebrochen. Ohne es zu merken, näherten sich unter der Decke ihre Körper… ----------------- Yamato nahm an, dass er sie noch mitten in der Nacht heimgebracht hatte, nachdem sein Alkoholpegel so abgenommen hatte, dass er realisieren konnte, mit wem er es in seinem Bett zu tun hatte. Im Gegensatz zu ihm war Kari selbst noch dann so betrunken gewesen, dass sie von all dem nichts mitbekommen hatte. Was danach mit ihr geschah, wusste er nicht mehr… „Hey Matt! Was ist los? Du siehst so nachdenklich aus!“ T.K. schaute ihn besorgt an. Yamato schien die ganze Zeit an etwas gedacht zu haben. Der ältere Blonde schreckte auf: „Öhm… nichts ist los! Ich habe nur gerade an früher gedacht!“ Zumindest erzählte er seinem jüngeren Gegenüber etwas Wahres und nichts Gelogenes. „Wo waren wir denn? Achso, bei Tai und Sora…“ Yamatos Blicke senkten sich wieder. Dass die beiden sich immer noch nicht näher gekommen sind, damit hatte er überhaupt nicht gerechnet. Er hatte erwartet, dass die beiden, gleich kurz nachdem er mit Sora Schluss gemacht hatte, sich in kürzester Zeit zusammenfinden würden. Aber wieso war das nicht geschehen? Er hatte die beiden doch so eingeschätzt! Und außerdem hatte er ja an dem einen schwarzen Tag gesehen, was mit den beiden passiert war, wenn man sie zusammen alleine ließ. T.K. fand wieder seine Worte: „Ich fürchte, du hattest dich verschätzt…“ Dabei brachte er noch ein leichtes Lächeln zustande, was Yamato aber nicht mitbekam. „Da hast du wohl Recht…“, begann Yamato langsam, „Ich glaube, ich habe den beiden echt Unrecht getan…“ „Und deshalb finde ich, dass du mit ihnen drüber reden solltest“, fügte T.K. leise, aber verständlich hinzu. Yamato stand auf und rief den Kellner zu sich. Er bezahlte seinen Kaffee und T.K.s Shake und wollte gerade gehen, als er von T.K. aufgehalten wurde. „Wo willst du hin? Hast du dich entschieden?“ Der Blonde schaute ihn zuerst ohne jede Mimik an, doch dann lächelte er etwas und meinte: „Wir sehen uns dann am Samstag bei Tai!“ ----------------- Am Freitagnachmittag durchwühlte ein braunhaariger Wuschelkopf ein Kaufhaus nach dem anderen. Er hatte immer noch kein passendes Geschenk für Soras 18. Geburtstag gefunden. Und irgendwie meinte das Glück heute auch nicht gut mit ihm. Schon zum zweiten Mal schnappte jemand vor seiner Nase etwas weg, was er als passendes Geschenk für Sora empfunden hatte. Mittlerweile war er schon geschlagene vier Stunden unterwegs und so langsam sackte seine Geduld auch in den Keller. Am Rande der Stadthalle entschied er sich dafür, dass er eine Weile pausieren sollte. So ließ er sich auf einer Parkbank im Teichpark der Stadthalle nieder und genoss die Sonnenstrahlen, die durch die Bäume glitzerten. Sein Kopf entspannte sich und er ließ seine Beine hängen. Irgendwie kam ihm das bekannt vor. Vor gut dreizehn Jahren hatte er sich genau hier richtig ausgetobt und hatte jemand besonderes kennengelernt… ----------------- „Ich bin dann mal im Park Fußball spielen!“, rief der damals 5 Jahre junge Taichi Yagami durch die Wohnung und schloss die Haustür. Er freute sich, dass endlich mal wieder ein geeignetes Wetter für’s Fußballspielen vorherrschte; die letzten Wochen waren sowas von langweilig gewesen, der andauernde Regen schien nicht enden zu wollen. Doch zu seiner Überraschung hatte er aufgehört und nun war das die beste Gelegenheit, seine Ballkünste wieder unter Beweis zu stellen. Im Park angekommen hatte er es sich zunächst auf einer Parkbank gemütlich gemacht. Er genoss die Natur, sie war eine willkommene Abwechslung zum alltäglichen Trubel in der Stadt. Außer Smog, Autos, Motorlärm und ohrenbetäubende Hupgeräusche war dort oft sonst nichts wahrnehmbar… auch nicht die eigene Stimme. Hier war endlich die Ruhe, die er brauchte, um sich für ein Fußballspiel zu konzentrieren. Obwohl es hier kein richtiges Spiel war, betrachtete er selbst ein Treiben mit dem Ball alleine wie ein Spiel zu elft… auch wenn wenigstens ein Spieler mehr ihm lieber gewesen wäre. Aber sein Vater musste an diesem Samstagnachmittag leider arbeiten und Kari war auf einer Geburtstagsfeier. Er stand auf und begab sich zum Rasen, den die Bürger Tokios oft als Picknickplatz benutzten. Überraschenderweise war heute niemand da… nein, fast niemand. Zwei einzelne Gestalten, ein Mädchen und offensichtlich ihr Vater spielten ebenfalls auf dem Rasen, zu Tais Erstaunen, Fußball. Er beobachtete sie noch eine Weile, als er auf einer freien Fläche ebenfalls anfing zu kicken. Die ersten fünf Minuten hatte er ohne große Mühe den Ball in die Luft gekickt und wieder mit dem Fuß aufgefangen, nur um ihn wieder in eine nicht unheimliche Höhe zu schießen. Von der Ferne schoss er den Ball zwischen den Stämmen zwei eng aneinandergewachsener Bäume hindurch, ohne sie zu berühren. Er lobte sich gerade innerlich, als er merkte, dass ihn von hinten etwas traf. Ohne zu realisieren, was es war, flog er durch die unglaubliche Wucht des Aufpralls einen Meter weiter und landete nicht gerade sanft auf dem Gras. „Was zum Henker war das?!“, fluchte Tai und schaute sich – immer noch liegend – um. Das einzige, was er entdeckte, war ein Fußball… aber nicht seiner. Im Hintergrund hörte er eine männliche schimpfende Stimme, die immer näher kam. „Entschuldige, mein Junge! Meine Tochter hatte den Ball wohl leider in eine ungünstige Richtung geschossen… hast du dich verletzt?“ Tai wollte seinen Ohren nicht trauen. Diesen Ball… hatte das Mädchen geschossen?! Mit dieser Wucht?!? Sowas war doch nicht möglich! „Hey, geht’s dir gut? Hast du dich…“, wollte der Mann weiter nachfragen, doch Tai unterbrach ihn: „Ich… mir geht’s gut, aber wiederholen Sie das bitte nochmal: War das gerade Ihre… wirklich Ihre Tochter???“ Der ältere Herr nickte. Tai konnte es nicht glauben. Er schritt langsam auf das rothaarige Mädchen zu, die wegen der vorherigen Predigt ihres Vaters etwas rot angelaufen war. Sie schaute ängstlich zu Tai, der immer näher kam, bis er vor ihr stand. „Ähm… ich wollte nicht…“, sagte sie ängstlich zu ihm, während er sie immer noch ernst ansah. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte… ihre Angst hinderte sie, klare Gedanken zu fassen… Doch auf einmal lachte der Braunhaarige. Er lächelte sie freundlich an: „Willst du mit mir Fußball spielen?“ In seinen Augen funkelte es vor Freude. Sie war ein Naturtalent! Anders kann er es sich nicht erklären, wie man mit so jungen Jahren einen derartig derben Tritt draufhaben kann wie sie. Schon lange suchte er nach solchen Leuten, mit denen er wieder richtig Fußball spielen konnte. „Ähm… was?“ Sie schaute ihn etwas verwirrt an. „Bist du… ähm… mir nicht böse?“ Tai winkte ab: „Ach was, ist halb so schlimm wie’s scheint!“ Er zögerte, aber dann fragte er sie: „Wie heißt du?“ Das kleine rothaarige Mädchen schaute verschüchtert ihn an, doch sie gab ihm eine Antwort: „Ich bin Sora Takenouchi. Und wie heißt du?“ „Ich bin Taichi Yagami, du kannst mich aber gerne Tai nennen. So nennen mich nämlich alle. Und jetzt komm! Lass uns spielen!“, meinte Tai und rannte los. Sora schaute Tai immer noch etwas verdutzt hinterher, doch schließlich gab sie sich selber einen Ruck und rannte hinter ihm her. Die beiden spielten noch einige Zeit Fußball, bevor Soras Vater kam und seiner Tochter sagte, dass sie nach Hause mussten. Sora verabschiedete sich von ihm, doch nicht ohne ihm ihre Telefonnummer zu geben. Tai nahm sie dankend an und schlenderte heimwärts. Das war wohl der Beginn einer neuen Freundschaft, die in den folgenden Jahren zu etwas Besonderem wurde… ----------------- Tai dachte über diesen goldenen Tag nach. Ja, genau hier war das. Hier hatten er und Sora sich kennengelernt und seit diesem Tag war sein Leben um einiges mehr bereichert worden. Sie gingen beide durch dick und dünn, saßen seit der Grundschule bis heute in einer Klasse und spielten erfolgreich im selben Fußballverein. Nicht zu vergessen hatten beide zusammen das wohl größte Abenteuer ihres bisherigen Lebens, die Digiwelt, erlebt. Und morgen würden beide einen bedeutsamen Teil ihres Lebens, das Teenageralter, abschließen. Er freute sich, dass Sora diesen wohl schwersten Teil ihres Lebens gemeistert hatte und nun endlich unabhängig von ihrem Vater sein konnte. Er schmunzelte, als er wieder an Haruhiko dachte; der sah heute Mittag nicht wirklich glücklich aus, nachdem die Polizei festgestellt hatte, dass sie zur Prüfung nicht anwesend war… Kunststück, wenn man an jenem Tag keine Prüfung hatte. Doch das mussten die Lehrer ja nicht preisgeben, weshalb die Polizei Soras Absenz bestätigten und Haruhiko auf verlorenen Posten stand. „Geschieht ihm nur recht“, dachte Tai dösend und stand wieder von der Parkbank auf. Beim Vorbeigehen an der Stadthalle fiel ihm der Probenraum auf. Das wiederum rief erneut ein Ereignis in Tai hervor… ----------------- Die Teenage Wolves bereiteten sich auf ihren ersten Auftritt in der Stadthalle vor. Die einzelnen Bandmitglieder überprüften ihre Instrumente und stimmten je nach Gegebenheit nach. Auch Yamato nahm sich diese Zeit und unterzog seiner Gitarre einer Stimmkur. Doch nicht nur mit der Verstimmtheit hatte er zu tun; auch die Nervosität machte ihn zu schaffen. Es werden heute definitiv mehr als 500 Zuschauer und Fans den Auftritt verfolgen. Vor so vielen Leuten hatte die Band noch nie gespielt. Seine Hand zitterte etwas und er war gerade dabei, die letzte Saite zu stimmen, als die Tür aufglitt und ein bekannter Wuschelkopf hineinspazierte. Sein Blick galt Yamato und er lächelte: „Wohl nervös, was?“ Yamato grinste: „Kannst du laut sagen, Mann! Ich sag dir, dass wird echt ein Hammer! Ich bin noch nie vor so vielen aufgetreten!“ „Das wird schon… du bist doch immer mit allem fertig geworden!“ Tai legte seine Hand auf Yamatos Schulter. „Und zur Not hilft immer noch eins: Wir sind alle bei dir!“ Yamatos Mimik hellte deutlich auf und er schlug mit Tai ein: „Danke! Du bist echt ein wahrer Freund!“ ----------------- „Du bist echt ein wahrer Freund…“, hallte in Tais Ohren immer und immer wieder. Wie sehr wünschte er sich diese Zeit zurück; wie sehr wünschte Tai sich, dass er und Yamato sich wieder so behandeln konnten wie nach dem Abenteuer in der Digiwelt. Er wusste noch, die Geschehnisse dort hatten die beiden zusammengeschweißt… nach anfänglichen Meinungsverschiedenheiten, Auseinandersetzungen und Prügeleien. Doch beim Kampf gegen die Meister der Dunkelheit, spätestens seit Piedmon, wurde beiden klar, dass die Freundschaft die stärkste Waffe der Digiritter ist. Doch diese Waffe zu halten hatte sich anscheinend in der realen Welt nicht mehr gelohnt… und so zerbrach die damals so fest zu scheinende Freundschaft zwischen Tai und Yamato von einem Tag zum anderen… aufgrund eines Vorfalls, wobei Tai sich seiner Schuld bewusst war. Und seit dato glaubte Tai nicht mehr, dass Yamato ihre ehemalige Freundschaft wieder aufpolieren möchte… erst recht nicht seit den Vorfällen nach dem Tod von Soras Mutter. Tai seufzte und schaute nachdenklich in den blauen Himmel. „Denkst du auch an die alten Zeiten?“ Tais Reaktion ließ nicht lange auf sich warten, er blickte um sich. An der Tür, die in den Probenraum führte, stand ein Blondschopf und schaute ihn an. Tai riss die Augen auf: „Ich glaub’s einfach nicht! Was…“ „Komm mit, wir sollten reden!“ Kapitel 19: Dialog ------------------ Yamato führte Tai in den Probenraum und setzte sich dann auf eine Kiste, die er bereit gestellt hatte und bot Tai die gegenüberliegende Kiste voller Plakate an. Tai nahm Platz und wunderte sich immer noch über Yamatos plötzliche Anwesenheit. Er schaute Yamato erwartungsvoll an. Der blickte sichtlich verwirrt. „Was ist? Du guckst so, als hättest du mich noch nie gesehen!“, meinte der Blonde und lachte dabei. Tai war immer noch wie erstarrt und schaute wie eine Eidechse. „Hey, ich hab dir was gesagt!?!“ Yamato wurde energischer, bevor er aufstand und sich vor ihm stellte. *PAFF!* Bevor Tai realisieren konnte, was Yamato da tat, wurde er von einer mehr oder weniger heftigen Backpfeife umgeworfen. Der Braunhaarige landete unsanft auf dem Boden, doch sofort war er wieder auf den Beinen und stürzte sich auf ihn. Für Außenstehende sähe das Ganze, was Tai und Yamato nun betrieben, wie eine Schlägerei aus, doch Insider wussten es besser. Nachdem Tai und Yamato eine Weile ihr „Spielchen“ getrieben hatten, fand Tai als Erster wieder seine Worte: „Ich glaub, ich hab das hier wirklich vermisst…“ Yamato grinste: „Du hast immer noch einen Schlag drauf, Kumpel!“ „Du auch…“ Die beiden richteten sich wieder auf und setzten sich wieder auf die Kisten. Tai wurde nun wieder deutlich ernster: „Ich würd‘ mal sagen, du hast mir einiges zu berichten… du weißt selber, dass…“ Yamato unterbrach ihn: „Ich weiß, ich weiß… aber ich konnte einfach nicht anders. Es war eine einmalige Chance…“ Tai verstand nur Bahnhof: „Wovon redest du? Werd‘ mal konkreter!“ Yamato grinste: „Du bist immer noch ungeduldig wie früher…“ „Jetzt lass die blöden Bemerkungen!“, fuhr Tai böse zurück. In ihm hatte sich in der Zeit eine Menge Wut auf den Blonden angestaut und er gab das auch von sich zu verstehen. „Schon gut, ich leg ja schon los…“ ----------------- „ER IST WIEDER DA?!?“ Ungläubig schaute Kari ihren Freund an. Diese Nachricht traf sie wie ein Schlag. „Ähm, ja… Matt ist wieder da…“ T.K. war etwas erschrocken, wurde er doch schon zum zweiten Mal nach Yamato einfach so angefahren. Zudem wunderte er sich über die Reaktion seiner Freundin, aber er deutete sie nicht weiter. Unterdessen fingen Karis Gedanken wieder an, wilde Bahnen einzuschlagen. Denn dadurch, dass Matt wieder da ist, musste sie unweigerlich an den Vorfall vor Matts Verschwinden denken. Erst gestern hatte sie gedacht, endlich diese schaurige Geschichte für eine Zeit lang verdrängen zu können. Aber nun schien alles wieder darauf zurückzulaufen, dass Kari sich in Kürze Sora und Matt mit einer Erklärung stellen muss… „Was ist denn, Kari? Bist du denn nicht froh?“, fragte T.K. ratlos von Karis Miene. Diese blinzelte verwirrt: „Wie? Achso, nein, das bin ich doch…“ Sie schaute ihn entschuldigend an: „Tut mir Leid, ich war etwas in Gedanken versunken…“ T.K. meinte, ihre Gedanken deuten zu können: „Machst du dir Sorgen darüber, was wohl jetzt dein Bruder macht?“ Das braunhaarige Mädchen schluckte, aber eher gespielt; sie war froh, dass T.K. ihre Gedanken falsch wertete. „Hoffentlich kloppen sie sich nicht wieder…“ T.K. lachte: „Das wird nicht passieren. Mein Bruder will keinen Streit mehr mit ihm!“ „Woher weißt du das?“ „Ich hab mich gestern mit ihm unterhalten. Aber erzähl den anderen noch nichts, morgen sollte das eine Überraschung werden…“ Kari blickte ihn verdutzt an: „Morgen? Was ist mit morgen?“ „Morgen ist doch Tais Party. Ich hoffe, du hast nichts gegen einen ungeladenen Gast…?“ Klick! Äußerlich tat sie so, als hätte sie nichts, aber innerlich ließ diese Aussage mehrere Steine auf Karis Herz plumpsen. Morgen sollte er da sein? Das bedeutete ja, dass sie ihm schon morgen begegnen wird!!! Nicht auszumalen, was danach passieren würde… alle würden sie hassen!! Ja, HASSEN!!! Was sollten sie denn sonst tun? Die Aktion hätte doch niemand von ihr erwartet, jeder hielt sie für ein liebes Kind. Sie hielt das nicht mehr aus… Sie merkte, dass die Last, die sich in ihr angestaut hatte, zu groß geworden war. Urplötzlich brach Kari zusammen und ein erschrockener T.K. fing sie erst auf und verfiel dann selber in Panik. ----------------- Yamato erzählte Tai seine Sicht der Dinge, die nach der Zeit, als die beiden bei Sora zum letzten Mal aufeinandertrafen, sich vor seinen Augen abspielte: „Nachdem ich aus Soras Wohnung rausging, hatte mich nichts anderes als der Gedanke beschäftigt, mich von Sora zu trennen… es lief in letzter Zeit einfach so schlecht mit ihr! Sie wusste, dass die Band mich stark beanspruchte; aber sie wollte es nicht akzeptieren. Ich kann zwar verstehen, dass sie sich vernachlässigt fühlte, aber sie kann nichts Utopisches von mir erwarten; die Band nimmt einfach viel Zeit in Anspruch!“ Den letzten Satz hatte Yamato mit viel Nachdruck gesprochen, obwohl er selber wusste, dass auch dieser Nachdruck eine Lüge nicht zu einer Wahrheit umformen würde. Aber gut, das musste Tai ja nicht wissen… Eine lange Pause verging, als Yamato seine Erzählung wieder fortsetzte: „Naja, als ich dann zu Hause ankam und die tägliche Post öffnete, war mein Kampf der Gedanken, ob ich mich von ihr trennen sollte oder nicht, quasi von alleine entschieden.“ Yamato nahm einen Zettel heraus: „An dem Tag bekam ich nämlich DAS!“, und er überreichte den Zettel an Tai. Dieser nahm ihn etwas ratlos an und begann zu lesen. Nach einem Lesedurchgang sah er Yamato mit einem Blick an, den der Blonde allerdings nicht wirklich deuten konnte. Spiegelte sich darin Verwunderung wieder? Oder eher Entsetzen? Wie dem auch sei, er fuhr fort: „Diese Einladung zu den Eignungsprüfungen der U.S.-Raumfahrtbehörde war der Schlüssel für die Verwirklichung meines Traumes… aber zufälligerweise auch leider der Schlüssel für meine Entscheidung.“ Tai schaute zur Seite und stieß einen leisen Pfiff aus. Yamato konnte zwar dessen Gedanken nicht deuten, aber er meinte, er konnte in seiner Gestik eine Spur Fassungslosigkeit erkennen. Er versuchte sich zu rechtfertigen: „Mir war mit diesem Brief klar gewesen, dass die Beziehung sowieso nicht mehr zu halten gewesen wäre. Es war für mich unannehmbar, die Eignungsprüfungen sausen zu lassen… das müsstest du gerade eigentlich am besten wissen, Tai! Ich wollte schon immer Astronaut werden… und dir hatte ich das sogar mehrere Male gesagt!“ Tai schüttelte den Kopf; er hatte das immer für schlechte Scherze gehalten. Er hatte nicht geglaubt, dass Yamato das ernst meinte. Er wusste noch genau: Äußerlich hatte Tai Yamato nichts von sich anmerken lassen, aber innerlich hatte er ihn ausgelacht. Yamato und Astronaut? Das hatte Tai sich schnell aus dem Kopf geschlagen… er hatte Yamato nie dafür geeignet gehalten. Für Tai war sein Wunschtraum schon fast lächerlich gewesen… „Hast du die Eignungsprüfung bestanden?“ „Als einziger! Die anderen hatten an irgendwelchen Kinderkrankheiten gelitten oder ähnliches…“ Der Braunhaarige schaute auch jetzt nicht auf; er hatte noch zu viel Stolz, um Yamato gegenüber seine Denkweise über seinen Wunschtraum zu äußern. Außerdem zählte für ihn jetzt sowieso nur ein Thema: Sora! Und anschließend müsste auch noch etwas anderes geklärt werden! „Bist du sicher, dass du die richtige Entscheidung getroffen hast? Ich meine… eure Trennung?“ Yamato starrte ihn entsetzt an: „Pass mal auf: Glaubst du, dass Sora Lust hätte, mich 3 Jahre lang nur auf dem Fernsehbildschirm zu sehen? Ich hab dir doch erzählt, dass sie sich immer schon darüber aufgeregt hatte, wenn ich mal 2 Wochen oder so nicht da war! Würde sich das ändern, wenn aus diesen 2 Wochen auf einmal x-fach so viele werden? Es ist doch sonnenklar in diesem Fall!“ „Aber Sora hätte doch viel verständlicher auf deine Situation reagiert, wenn du ihr wenigstens die Wahrheit gesagt hättest!“ „Ja… schon… aber…“, Yamato schüttelte den Kopf, „Ich… es war einfach ‘ne richtig blöde und ungünstige Zeit gewesen. Wir hatten uns davor oft gestritten und ich dachte halt, ich könnt’s ihr damit mal heimzahlen…“ Tai unterdrückte das Gefühl, auf den Blonden loszugehen, doch der Grenzwert seiner Selbstbeherrschung war nahezu erreicht. Seine Hände zitterten und ballten sich zu Fäusten, die bereit waren für alles. So fahrlässig und rücksichtlos hatte Yamato gehandelt! Er hatte doch selber gewusst, dass Sora damals in einer wirklich richtig angeschlagenen Verfassung gewesen war! Dann ihr noch so eine reinzuwürgen… das war schon heftig unmenschlich! „Du Idiot!“, würgte Tai nur raus, „Du bist ein wirklicher Vollidiot!“ Yamato nickte nur; er verstand, was in dem Braunhaarigen vorging. Um die Lage etwas zu entspannen und um Tai auf andere Gedanken zu bringen, berichtete er weiter: „So ist es halt dann gekommen. Nach dem Tag, wo ich bei dir angerufen hatte, hatte ich mich von der Schule abgemeldet und bin abgereist…“, Yamato atmete leicht aus und brachte es doch fertig, ein Lächeln zustande zu bringen, „In dem Camp wurde mir erst nach Monaten langsam bewusst, wie töricht und rücksichtlos gehandelt hatte… an einem Tag hatte ich mich nämlich mit einer alten Frau unterhalten, die eine ähnliche Geschichte wie ich durchmachen musste…“ ----------------- Es war schon Spätabend; die Straßenlaternen leuchteten schwach und ein schwacher, aber immerhin angenehm kühler Wind blies den Leuten auf der Straße entgegen, die mit leicht erfreuter Mimik auf ihn aufmerksam wurden. Yamato ging mit aufgezogenen Kopfhörern durch die Straßen zu seinem Wohnheim. Für den Blonden schien es so, dass alle Leute um ihn herum Geister waren… er behandelte sie jedenfalls so, als würde sie es nicht geben. Yamato wusste auch, warum er das tat: Seine früheren Freundschaften zu Tai, Sora und all den anderen war zerbrochen. Diese Erfahrung hatte ihn zutiefst verletzt und er war fest davon überzeugt, dass er nicht die Schuld bei sich trug. Somit hatte er sich geschworen, nie mehr mit irgendwelchen Leuten zu kommunizieren, wenn es nicht nötig war. Plötzlich hörte der Blonde, wie ein Stock auf dem steinigen Weg aufschlug… und ein Geräusch, als würde jemand hingefallen sein. Er drehte sich um: Da war tatsächlich jemand hingefallen! Beim näheren Betrachten sah er, dass es eine alte Frau war, die über die Bürgersteigabsenkung gestolpert war. Sollte er zu ihr laufen und ihr helfen? Würde sie ihn nicht auch wieder enttäuschen und ihn einfach so ohne Dank zurücklassen, nachdem er ihr aufgeholfen hätte? Er schaute sich um… weit und breit niemand sonst da, der ihr helfen könnte. Schließlich gab sich Yamato doch einen Ruck und half ihr auf. Zu seiner Verwunderung bedankte die alte Dame sich bei ihm… er war erstaunt. Die alte Frau bemerkte es und fragte ihn, was denn sei. Yamato schüttelte nur den Kopf, aber die alte Frau kam ihm zuvor: „Ah… ich kenne den Ausdruck auf Deinem Gesicht! Den hatte ich auch oft in meinem Leben gehabt! Du fühlst dich einsam, nicht? Aber Du verdrängst dieses Gefühl, indem Du alles auf der Welt ignorierst und Dich nur auf dich selber konzentrierst! Ich glaube aber nicht, dass Du wirklich einsam bist!“ Yamato blickte sie fragend und verdutzt an, aber sie beachtete seinen Blick nicht. „Du tust nur so, als würdest Du keine Freunde haben! In Wirklichkeit hast Du aber Freunde! Und Freunde sind das größte Gut in Deinem Leben! Vielleicht haben sie Dich ja in irgendeiner Weise enttäuscht oder Du glaubst, nicht mehr ihre Freunde zu sein! Das ist aber ein großer Irrtum, denn Freunde vergeben und verzeihen… es ist besser, nicht alles auf die eigene Hand zu nehmen!“ Yamato schaute sie nachdenklich an; woher wusste sie von seinen Gedanken? „Du willst wissen, wie ich darauf komme, was Dich derzeit plagt? Wie gesagt, Deiner Mimik zufolge habe ich Deine Gefühle deuten können. Ich selber habe nämlich eine Zeit durchmachen müssen, in der ich mich einsam vorkam. Im Gegensatz zu dem, was ich Dir eben erklärt hatte, hatte ich aber meine Freunde selber vergrault und ich habe es für eine lange Zeit nicht zugegeben… ich war immer überzeugt davon, dass ich keine Schuld hatte. Aber eines Tages hatte mir jemand die Augen geöffnet und ich hatte meine Schandtat Gott sei Dank noch wiedergutmachen können. Deswegen sage ich: Freunde vergeben und verzeihen!“ Fassungslos blickte Yamato zur Seite. Sie erzählte eine Geschichte, die haargenau zu der von ihm passen würde. Aber hatte sie wirklich damit Recht, dass er selber die Schuld trägt? War er es selber, der die Freundschaften zerbröckeln ließ?? „Danke für Deine Hilfe, mein Junge! Ich muss jetzt aber los, ich wünsche Dir einen schönen Abend!“ „Halt, warten Sie doch bitte…“ Aber die Frau war schon verschwunden… ----------------- „Seitdem habe ich lange überlegt und ich bin zum Schluss gekommen, dass sie doch Recht hatte… und nun bin ich hier, um es ihr gleichzumachen…“, endete Yamato mit seiner Erzählung. Wieder stieß Tai einen unbewusst lang angehaltenen Atem aus. Er wusste nun nach dieser Geschichte, dass Yamato wirklich die Absicht hatte, die alten Freundschaften wiederherzustellen. Allerdings war das trotzdem leichter gesagt als getan, denn Tai hatte noch eine andere Sache mit ihm zu klären, die er so einfach nicht verzeihen konnte. Doch bevor Tai ihn mit dieser anderen Sache konfrontieren konnte, redete der Blonde weiter: „Es war dumm von mir zu glauben, du wolltest Sora mir vor der Nase wegschnappen wollen. Ich hätte es mir eigentlich denken sollen: Du und Sora, ihr beide seid ja schon seit Kindertagen befreundet und sorgt für euer Wohl, als wärt ihr Bruder und Schwester…“ Yamato strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Der schwache Wind blies durch die Bäume hindurch und nun ertönte ein Konzert des raschelnden Laubes. Leicht lachend fuhr er fort: „Umso überraschender war es für mich zu erfahren, dass ihr beide immer noch nicht zusammen seid…“ Der Blonde grinste den Braunhaarigen an. Nun war es Tai, der rot anlief. „Ich glaube, du bist mir nun deine Geschichte schuldig!“, endete Yamato seine Rede und schaute gespannt auf sein Gegenüber. „Was soll das heißen, ich bin immer noch nicht mit ihr zusammen gekommen?“ „Jeder Blinde erkennt doch, dass da zwischen euch was läuft! Schon damals hatte ich es ja bemerkt!“ „Du vergisst, dass du damals mit Sora zusammengekommen bist und ich meine Gefühle zurückgestellt hab! Ich will ja nicht ihr Glück zerstören…“ „Nein, das habe ich nicht vergessen! Ich hab dir doch schon gesagt…“ Tai schaute ihn etwas tadelnd an, lehnte sich an die Kiste hinter ihm zurück und erzählte weiter: „Naja… ich weiß selber nicht, wie ich jetzt meine Beziehung zu ihr sehen soll. Einerseits habe ich inzwischen mir viele Gedanken darüber gemacht, andererseits bin ich nie zum einen Schluss gekommen. Wir haben uns beiden die eine oder andere Geste gezeigt, aber nie mehr als das…“ Nachdenklich schaute Tai auf: „Vielleicht wäre es zu etwas gekommen, aber ich hatte mich nicht bereit dafür gefühlt. Da war auch noch dieses Katz-und-Maus-Spiel mit ihrem Vater, das uns ständig Sorgen bereitete. Zusammen mit den Abschlussprüfungen ließ das vorerst alle Beziehungsgedanken verfliegen.“ „Hm ok, das leuchtet ein! Aber was war denn davor? Davor war doch genug Zeit! Ich war immerhin fast 4 Monate weg, da wär doch alles drin gewesen!“, grinste Yamato und schaute Tai erwartungsvoll an. Tai lächelte verlegen: „Ja schon… aber ehrlich: Ich wollte es nicht so aussehen lassen, dass ich die Situation ausgenutzt hätte…“ Diesen Satz nahm Yamato wahr wie kein anderer. Er hatte Inhalt und bedeutete viel, sehr viel! Auf einmal wurde ihm bewusst, mit welchen Ausmaßen er seinen ehemaligen besten Freund falsch eingeschätzt hatte. Diese alte Frau hatte ohne Zweifel Recht gehabt; der Fehler, den er begangen hatte, war schwerwiegender, als er es sich bisher eingestanden hatte. Nun brauchte er sein Gewissen nicht mehr lange fragen: Er MUSSTE es nun wiedergutmachen! Egal für welchen Preis! Und wie er es tun würde, wusste er auch! „Tai… ich glaube, nun wird es langsam an der Zeit!“ Der Braunhaarige blickte seinen besten Freund ahnungslos an: „Wie meinst du das?“ „Ich verrate dir nun, wie ich es damals gemacht habe!“ Und unter einem Flüstern tauschte Yamato seinen Plan mit Tai aus. ----------------- Sora war mittlerweile schon bei den Yagamis ansässig. Sie war froh darüber, dass alles nun vorbei war und freute sich wie ein kleines Mädchen auf den bevorstehenden Tag, an dem sie endlich volljährig wird. Die vergangenen Tage hatten ihre Nerven auf eine Härteprobe gestellt, doch sie war erfolgreich damit fertiggeworden… durch seinen Verdienst. Bei dem Gedanken lächelte sie wieder: Tai ist in dieser Hinsicht einfach klasse gewesen. Nicht nur, dass er vieles für sie aufopferte, damit es ihr gut ging, sondern auch, dass er seinen Plan erfolgreich durchgezogen hatte. Nur ihm war es zu verdanken, dass sie heute und morgen unbeschadet feiern könne… Sora dachte aufgeregt nach; wie sollte sie sich bei ihm bedanken?? Das war in der Tat eine gute Frage, denn jeder Bedankungsversuch würde doch so aussehen, als würde sie etwas von ihm wollen… Aber wollte sie wirklich etwas von ihm? Plötzlich kamen all die Fragen über ihre Beziehung zu Tai wieder auf… und irgendwie hatte Sora das Gefühl, dass nun plötzlich alles ganz anders sei. In der Tat hatte sich ihre Freundschaft zu Tai zu etwas Besonderem entwickelt in den letzten Jahren… und mit der Zeit ist er ihr noch mehr ans Herz gewachsen, als er es ohnehin schon war. Tai hatte sich in ihren Augen stark verändert… rundum zum Positiven. Doch ihr war das erst aufgefallen, nachdem sie mit Yamato zusammengekommen war. Vielleicht, so dachte sie, wäre er dann genauso attraktiv für sie gewesen, wenn er diese Seite schon früher vor ihr gezeigt hätte… Aber jetzt, da sie nun wieder seit Langem solo war, sah die Sache ganz anders aus, dachte sie weiter. Aber sie war immer noch unsicher mit der Situation! Empfand auch Tai wirklich mehr für sie als nur beste Freundschaft? Mimi hatte zwar diese Frage vor einer Woche bejaht, doch überzeugte das Sora noch nicht wirklich. Schließlich hatte Tai in der letzten Woche auch keine riesengroßen Anstalten gemacht. Und solange sie diese Unsicherheit nicht abschütteln konnte, wusste sie keine Antwort auf die ein und alles entscheidende Frage: Ist es nur beste Freundschaft… oder ist es Liebe??? So wie Sora noch möglicherweise minuten- oder gar stundenlang über diese Fragen nachgrübeln könnte, umso plötzlicher riss sie ein Klingeln in die Gegenwart zurück. Das Telefon meldete sich mit einer üblichen Marschmelodie, die den Geschmack von Tais Vater Susumu genau traf. Genervt verdrehte Yuuko die Augen und hob ab: „Yagami?“ „Guten Tag, Frau Yagami! Hier ist Notarzt Hiro Katasawa! Bitte kommen Sie schnellstmöglich zum Odaiba-Notarztzentrum. Ihre Tochter ist bewusstlos im Park zusammengebrochen!“ Yuukos Augen weiteten sich vor Entsetzen. Unfähig etwas zu sagen, ließ sie den Hörer ohne ein weiteres Wort fallen und schritt eilends zum Flur, zog die Schuhe an und stürmte aus der Wohnung. Sora schaute ihr verdutzt hinterher, doch sie hatte den entsetzten Blick von Tais Mutter bemerkt. Sie wollte gerade zurückgehen, als sie eine Stimme aus dem fallengelassenen Hörer wahrnahm: „Hallo? Frau Yagami, sind Sie noch dran?“ Sora überlegte nicht lang und hob den Hörer auf und schob ihn an ihr Ohr. „Frau Yagami ist schon außer Haus! Mit wem spreche ich?“ Der Notarzt gab sich zu erkennen und schilderte nun auch Sora den Vorfall. Und genauso verlief das Ganze auch wie vorhin: Sora blickte entsetzt geradeaus in die Leere des Raumes und ließ den Hörer fallen… nur dass dieses Mal der Hörer sich von selbst ausschaltete, da die Batterien des schnurlosen Telefons bei dem Aufprall herausgeschleudert wurden. ----------------- „Ich weiß nicht, ob ich das ehrlich machen soll, Matt! Ich weiß noch nicht mal, ob sie dasselbe für mich fühlt! Ich kann sie doch nicht einfach so überfallen…“ „Hör auf, dir so viele Gedanken zu machen! Mach einfach das, was ich dir sage! Ich muss sowieso nochmal mit ihr reden, so wie ich es nun mit dir mache!“ Yamato schaute gespielt beleidigt Tai an: „Oder willst du, dass ich mich mein Leben lang mit einem schlechten Gewissen rumplage? Ich bin dir immerhin etwas schuldig!“ Tai überlegte kurz; Yamato war ihm tatsächlich noch etwas schuldig… aber kein Geschenk oder so, sondern eine Erklärung! Er wurde wieder ernst: „Ähm… sorry Matt, aber da ist… ähm… noch eine andere Sache, die ich mit dir einfach noch bereden muss…“ Bei Tais Anblick verschwand jeglicher Funken Spaß von Yamatos Gesicht und er erwiderte Tais ernsten Blick: „Worum… geht es?“ Irgendwas sagte dem Blonden, dass ihm die folgende Frage nicht gefallen würde. Es war ein Hin und Her; seitdem Tai klar war, dass Yamato wirklich die Absicht hatte, die Freundschaften wiederherzustellen, fragte er sich, ob er den Blonden wirklich mit dieser Frage konfrontieren sollte. Schließlich bedeutete das wieder eine Belastung der Freundschaft, die doch gerade wieder langsam ins Laufen kam. Aber er musste einfach Gewissheit erringen! „Ist Kari von dir schwanger gewesen?“ „Kari… ist schwanger gewesen??“ Dem Blonden war das Entsetzen ins Gesicht geschrieben worden. „Ja… und anscheinend weißt du noch nichts davon… hatte sie es dir nicht gesagt?“ Yamato schüttelte den Kopf. „Nein, aber… wie kommst du darauf, dass ich…“ „Sie hatte mir gesagt, dass sie so eine Vorahnung habe, dass sie von dir schwanger wäre… und jetzt würde ich gerne mal deine Meinung dazu wissen!“ Tai schaute ihn immer noch mit einem ernsten Blick an, jetzt mischte sich auch die Kühle mit in diesen Blick ein. Yamato wusste nicht, wie er antworten sollte… dass ausgerechnet wieder dieses Thema an das Tageslicht rückte! Er hatte es zwar irgendwie erahnt, dass es vielleicht noch Schwierigkeiten nach diesem „Unfall“, wie er es nannte, geben könnte. Aber er hatte gehofft, dass es dazu nicht kommen würde. Anscheinend wusste Kari jedoch auch nicht, ob sie von ihm schwanger war oder nicht. Sollte er es vertuschen, nur um sich selber zu retten? Sollte er Tai anlügen, damit keine neuen Schwierigkeiten auf ihn zukommen würden? Würde sich so eine Lüge noch auszahlen? „Freunde verzeihen und vergeben…“ Er erinnerte sich an diesen Satz der alten Frau. Aber konnte er ihr wirklich vertrauen? So langsam kamen ihm wieder Zweifel auf, ob die Worte wirklich stimmten, denn Tai hatte ihn mit dieser Sache konfrontiert. Wieso bereitete er ihm so eine Schwierigkeit, wo ihm doch eigentlich nun klar sein müsste, dass er wirklich in guter Absicht kam? Aber… zumindest was Sora angeht, hatte der Braunhaarige ihm doch verziehen… wenn Yamato sich nicht getäuscht hatte, hatte er auf Tais Gesicht ein leichtes Lächeln erkannt, nachdem er seine Geschichte erzählt hatte. Und auch am Anfang des Gespräches… nachdem die kleine Kloppaktion endete, hatte er doch gemeint, er habe das wirklich vermisst! Das würde doch auch heißen, dass Tai IHN vermisst hatte! Ja, das musste es heißen! So schnell, wie seine Zweifel gekommen waren, waren sie auch wieder weg. Er wollte nicht wieder lügen! Er hatte schon genug schlechte Erfahrungen mit Lügen gemacht! Er wollte eine alte Sünde hinter sich bringen! Es war auch Tais Recht, die Wahrheit zu erfahren! Mit diesem Gedanken überwindete Yamato seine innere Starre und er beschloss, ihm die Wahrheit zu erzählen. Er berichtete von diesem unliebsamen Abend, wo er im Vollsuff die ebenfalls sternhagelvolle Kari aus der Disco mit zu sich zog und es zu diesem „Unfall“, wie Yamato es nannte, in seinem Bett kam… ----------------- Grelle Lichter blendeten ihre Augen und es roch verdächtig nach Medizin. Langsam kristallisierte sich ein Bild in ihren Augen und Kari wachte auf. Man hatte sie in ein Notarztzentrum gebracht. Sie gab ein leichtes Stöhnen von sich und wollte sich aufrichten, als sie plötzlich jemand wieder sanft runterdrückte. Kari drehte ihren Kopf und erkannte die Hand ihres Freundes. Sogleich wurde sie von dessen Armen umschlungen und man konnte spüren, wie T.K. weinte und dadurch zitterte. „Bin ich froh, dass du aufgewacht bist…“, schluchzte T.K. hervor. Kari nahm seine Aussage kaum wahr. Seit ihrem Zusammenbruch hatte sie nur eines beschäftigt… oder eher verfolgt. Sogar in ihrer Bewusstlosigkeit konnte sie diesem wahnsinnigen Schuldgedanken nicht entkommen; er fraß sich kontinuierlich in ihre Seele hinein. Und jetzt hatte er ihre Sicherung aufgefressen. Ohne dass es Kari bewusst war, flüsterte sie monoton: „Ich war Schuld… ich war an allem Schuld…“ T.K. hörte augenblicklich auf zu weinen. Was hatte seine Freundin da gerade gesagt? Schuld? Sie Schuld? Wieso hatte ausgerechnet SIE Schuld?? „Was redest du da, Kari?“, fragte T.K. ratlos. Ungeachtet seiner Frage fuhr Kari weiterhin im monotonen Tonhöhe fort: „Ich bin immer noch Schuld… ich habe alle angelogen und betrogen…“ T.K. hörte sich ihre Worte mit immer größer werdender Sorge an. Er packte sie an ihren Schultern und schüttelte sie: „Bitte Kari, wovon redest du? Sag doch so etwas nicht, das stimmt doch gar nicht!“ Diesmal zeigte Kari Reaktion, allerdings nicht so, wie T.K. es sich erwünscht hatte: Sie wurde energischer in ihrem Wortlaut. „Doch, ich bin Schuld! Ich habe unsere Beziehung ruiniert und dich betrogen!! Ich verdiene es einfach nicht, dein Mitleid zu erhalten!! Ich will nicht mehr… ich kann nicht mehr!!!“ Die letzten Worte hatte sie unter einem Bach von Tränen herausgeschrien. T.K. war unterdessen über ihre Worte erstarrt. Er fand seine Worte nicht mehr. Das kann ja wohl nicht wahr sein! Sollte das etwa der Grund gewesen sein, warum sie sich die letzten Monate von ihm so entfernt hatte? Jetzt fügte sich das Ganze langsam zu einem passenden Bild zusammen… ja, das muss der Grund für ihre Krise sein! Er war sich nun vollkommen sicher. T.K. wollte sie beruhigen, doch Kari schlug seine Hand weg: „Hast du nicht gehört?! Ich verdiene dich nicht!! Lass mich in Ruhe!!!“ Und dann brach Kari in Tränen aus und schluchzte heftig. T.K. war entsetzt über ihre Reaktion… sie glaubte, er würde sie hassen. Aber in Wirklichkeit tat er das doch nicht; was er wollte war nur etwas Aufklärung. T.K. versuchte, seine Verfassung zu beherrschen und wollte Kari nach dem ominösen Jemand fragen, mit dem sie ihn anscheinend betrogen hatte. Doch Kari kam ihm zuvor; sie flüsterte unter einem Anfall von Schluchzern: „Ich… Matt… wir beide… nach dieser Party…“ T.K. blickte sie fassungslos an. Jegliche Gesichtszüge entgleisten… das hatte er nicht erwartet! Sie und SEIN BRUDER?!? Das konnte nicht sein! Er versuchte, alles, was er gerade aufgenommen hatte, zu ordnen. Sie hatte ihm gerade eine Affäre gebeichtet… das war klar. Aber was hatte denn Matt damit zu tun? Er war doch mehrere Monate weg gewesen! Doch bevor er Kari fragen konnte, was es mit seinem Bruder in dieser Geschichte auf sich hat, brach sie wieder zusammen. Sogleich kam der Notarzt hereingeplatzt und schickte T.K. aus dem Raum. Dieser ging mit gemischten Gefühlen hinaus. ----------------- Tai, der den Blonden die ganze Zeit über angesehen hatte, bemerkte, dass dieser während seiner Erzählung nicht aufgeschaut hatte. Auch als er geendet hatte, regte er sich gar nicht. Tai war unterdessen in Gedanken versunken… Wie sollte er Yamato nun behandeln? Sollte er ihm die Freundschaft nun ein für alle mal aufkündigen, auch wenn er jetzt Anstalten machte, sie wiederherstellen zu wollen? An sich wäre das die einfachste Lösung: Ihm eine reinzuhauen; ihm deutlich zu machen, dass er nichts mehr mit ihm zu tun haben zu wollen; und fortgehen. Das war gleich sein erster Gedanke, nachdem er die Geschichte gehört hatte. Doch die Courage in Tai verlangte, dass er sich mal seinen Lebenslauf näher mit allen, wirklich ALLEN Ereignissen aus seinem Leben anschauen sollte. Und da stieß ihm sofort sein 17. Geburtstag ins Auge… Die Courage redete auf ihn ein. War das damals nicht genauso gewesen? Alkohol im Spiel, und ZACK! Schon nahm eine ungewollte Situation seinen freien Lauf und entwickelte sich destruktiv! Die beste Freundschaft zwischen Tai und Yamato war im Eimer, und auch Sora konnte er wochenlang nicht in die Augen blicken. Und bei Matts und Karis Geschichte hatte dasselbe Prinzip geherrscht. Insofern konnte Tai spüren, wie ein Gefühl des Mitleides in ihm aufrollte. Aber hatte Yamato ihm damals verziehen? „Nein, hatte er nicht!“, dachte Tai weiter und ihn überflog wieder ein Gefühl der Ablehnung… Aber hatte er jetzt nicht seine Fehler zugegeben? Und war diese Absicht nicht deutlich genug geworden? Doch, war sie! Tai merkte, wie seine Courage die Oberhand gewann. „Sie hat es abgetrieben! Insofern ist es minder schlimm…“ Der Blonde horchte auf. Er war verwundert über diese Aussage… eigentlich hatte er sich auf alles gefasst gemacht… nur nicht auf dies, was Tai ihm gerade offenbarte. Hatte er grad in einem verzeihlichen Ton gesprochen? Tai sah, wie Yamato seinen Kopf hob und sich über seine Reaktion auf die Geschichte wunderte. Er erklärte es ihm: „Es ist nicht so schlimm für mich, wie du vielleicht denkst. Wie du weißt, war der Alkohol schon oft der Verursacher unserer größten Probleme! Du erinnerst dich an meinen 17. Geburtstag?“ So langsam leuchtete es Yamato ein. Er blickte Tai an: „Heißt das, du… vergibst mir?“ Ja, dachte der Braunhaarige erst für sich. Doch wie würden die anderen auf diese Geschichte reagieren? Würden sie ihm auch vergeben wollen? Na gut, Sora würde ihm noch am ehesten verzeihen, da sie ja dieselben Erfahrungen mit Alkohol gemacht hatte. Aber was die anderen dann von Yamato halten würden, da machte er sich nicht viele Hoffnungen. Und insbesondere eine Person würde danach mit Sicherheit ihm gegenüber nicht wirklich wohlgesonnen sein: T.K., sein Bruder und gleichzeitig Karis Freund. Tai zögerte nicht lange, ihm das klarzumachen: „Matt, von meiner Seite aus soll es nun keine Krise mehr geben! Aber wie du das den anderen mitteilst, überlass‘ ich dir! Ich kann höchstens bei Sora ein gutes Wort für dich einlegen… das ist das einzige, was ich dir anbieten könnte…“ Yamato lächelte: „Danke, dass du das machen würdest!“ Er dachte kurz nach; er konnte es T.K. unmöglich erzählen! Das würde ihm die geschwisterliche Verbundenheit kosten! Auf keinen Fall darf er davon erfahren! „Ähm, Tai! Ich weiß, es ist nicht ganz richtig, aber… kannst du dafür sorgen, dass T.K. es nicht erfährt?“ Tai sah ihn schief an und überlegte. Sollte er verneinen und ihm so weitere Schwierigkeiten bereiten? Früher hätte er wahrscheinlich seine Bitte gnadenlos abgelehnt, aber mittlerweile zeigte er für vieles Verständnis… So wie in diesem Fall… Tai willigte schließlich ein. Yamatos Miene hellte sich deutlich auf: „Danke! Du bist echt ein wahrer Freund!“ Tai erkannte diese Worte. Das letzte Mal hatte er diese Worte bei diesem Teenage-Wolves-Konzert aus seinem Munde gehört. Er war gleichzeitig etwas gerührt, unterdrückte dies aber mit einem Grinsen: „Ui, das von dir mal wieder zu hören… hätt ich echt nicht gedacht!“ Yamato war unterdessen aufgestanden und sah Tai gespielt ernst an: „Ach, halt doch die Klappe! Und geh jetzt lieber endlich das tun, was ich dir vorhin gesagt hab!“ „Jaja, schon gut…“ Auch Tai stand auf; beide standen sich nun gegenüber. Tai ergriff die Initiative: „Wieder Freunde?“ Yamato ließ die Antwort nicht lange auf sich warten: „Aber sowas von!“ Man hörte, wie zwei Hände aneinander klatschten. ----------------- Yamato verabschiedete in die andere Richtung und ging aus dem Park hinaus. Mit Tai hat das soweit alles gut geklappt, dachte er sich… und er war auch zugegebenermaßen froh, dass sie sich endlich wieder als beste Freunde ansehen konnten. Er musste sich in den letzten Monaten wirklich einsam gefühlt haben… und das Ausmaß der Einsamkeit wurde ihm erst jetzt bewusst, nachdem er seine Freundschaft zu Tai wiederhergestellt hatte. Nachdenklich, aber zufrieden kam Yamato in der Straße an, wo er wohnte. Er bog kurz darauf in eine Gasse ab… und blieb abrupt stehen. Vor ihm stand T.K. und dieser starrte ihn aufgebracht und wütend an. Yamato musterte ihn und verstand den Grund seiner Wut nicht. Er hakte nach: „Was ist los? Hab ich was verbrochen oder wieso bist du so aggressiv?“ T.K. unterdrückte den Drang, sich auf ihn zu stürzen und versuchte, so ruhig wie möglich zu sprechen: „Was hast du mit Kari gemacht?“ Yamato schluckte. Das bedeutete anscheinend wieder Riesenärger. --------------------------------------------------------------------------------- Schlussbemerkung: So, das ist nun das Ergebnis meiner Umschreibung! Ich hoffe, dass das Kap. nun deutlich verbessert vorliegt & dass ich Eure Kritik an der Vorversion, die ich alle für sehr angebracht hielt, in der Umschreibung berücksichtigen konnte. Dadurch musste ich aber unweigerlich den Dialog auffächern, sodass das nun doch ziemlich lang geworden ist... ich hoffe, Ihr könnt den Überblick noch behalten^^ Wenn Ihr noch weitere Anmerkungen habt: Immer her damit ;-) Auf jeden Fall vielen Dank für die vorherige Kritik! =) P.S.: Sorry, dass ich die Kommentare zum vorigen Kap.19 gelöscht hab... wollt ich eigentlich gar nicht o.O Aber ich hab ohne Bedenken auf den "Kapitel löschen"-Button geklickt... SORRY!!! 0=) Kapitel 20: Es war doch alles so schön gewesen... ------------------------------------------------- Seine Laune war derzeit auf dem Nullpunkt… und sie drohte, langsam in den Minusbereich abzurutschen. Kari lag da drinnen bewusstlos und er wusste immer noch nicht den vollständigen Hintergrund für ihr Zusammenbrechen… das war ja mal eine tolle Ausgangssituation, eine Beziehung nach einer Krise wieder neu pflegen zu wollen! Warum muss alles ausgerechnet jetzt passieren?! Warum kann nicht alles vorbei sein und einfach mal wieder ein ruhiges und schönes Liebesleben geführt werden können? Es war doch alles so schön gewesen… „Takeru!“ Der junge Blonde sah auf… „Hallo, Frau Yagami“, gab T.K. nur monoton zurück. Er hatte jetzt nicht wirklich Lust zu reden, aber Tais Mutter rannte schon auf ihn zu. „Was ist mit Kari? Was hat sie?!“, rief sie in einer verzweifelten Tonlage. T.K. sagte nichts… er wollte ihr etwas sagen… etwas, was sie wenigstens hätte beruhigen können. Aber er wusste selber nicht, was seine Freundin hatte. Er wusste noch weniger, was die Ursache für ihr Problem war. „Takeru! Ich bitte dich, SAGE MIR, WAS PASSIERT IST!“ Yuuko wurde noch verängstigter. Verdammt, es war einfach zum Jammern!! „ICH WEISS NICHT, WAS SIE HAT! GOTT, SIE WILL ES MIR NICHT SAGEN!!“ Yuuko schreckte zurück. Sie hatte den Freund ihrer Tochter noch nie so wütend und verärgert gesehen; er hatte sich gerade die Seele aus dem Leib geschrien. Sie starrte ihn immer noch erschrocken an, aber T.K.s vergrub bereits seinen Kopf in seine Hände. Er hatte so viele Gedanken im Kopf, war völlig überfordert mit der Situation… was sollte er denn jetzt machen? Kari wollte ihm nicht sagen, was Sache war… und wer sollte es denn noch wissen, was in ihr vorging… Plötzlich hob T.K. den Kopf. Er schaute Yuuko an. Sie könnte es wissen! SIE MUSSTE ES SOGAR WISSEN! Ohne zu zögern überfiel er sie mit der Frage: „Können Sie mir sagen, was genau hat Kari?“ Yuuko blickte ihn ratlos an. Sie könne es doch am allerwenigsten wissen, da sie erst von Karis Zusammenbruch erfahren hatte. Sie schüttelte leicht den Kopf: „Was meinst damit, T.K.?“ „BITTE SAGEN SIE ES MIR! ICH MUSS ES WISSEN!!“ T.K. wurde in seinem Tonfall immer lauter. Yuuko wusste nicht, was er wollte… sie wusste doch von nichts! Das hat doch alles keinen Sinn! Auch ihr Tonfall änderte sich langsam in ein Schreien und in dem Durchgang hallte das Echo ihres Geschreis: „Takeru, wovon redest du? Ich weiß es nicht! Du musst es doch wissen; du warst doch die ganze Zeit bei ihr! Und du bist ihr Freund! Sie muss es dir doch erzählt haben!“ T.K. wurde langsam ungeduldig, Yuuko hatte es anscheinend immer noch nicht verstanden! Und wieder hallte es im Flur: „NEIN, SIE HAT MIR ES NICHT GESAGT!“, rief er weinend aus sich heraus, „SIE HAT MIR NUR KLARGEMACHT, WAS SIE BELASTET, ABER NICHT DEN GENAUEN GRUND DAFÜR!“ Yuuko schaute seinem Ausbruch dieses Mal wortlos nach. Immerhin hatte T.K. gerade eine Information herausgegeben, womit auch Yuuko etwas anfangen konnte! Kari hatte ihm also etwas gesagt. Sie muss T.K. wenigstens einen Teil an brauchbarer Information mitgeteilt haben. Und dieses Stück Information musste Yuuko nun von ihm wissen, immerhin war sie schließlich Karis Mutter! Und vielleicht konnte sie T.K. dann auch helfen. „Takeru, teile mir auf der Stelle mit, was sie dir gesagt hat!“ Ihre Stimme bebte immer noch. T.K. hörte auf zu weinen. Ein kleiner Schimmer Hoffnung bildete sich; auch ihm war nun bewusst, dass Karis Mutter ihm vielleicht helfen konnte, wenn er ihr wenigstens Karis Wortfetzen mitteilen würde. Er hob den Kopf etwas und fing an zu sprechen, wobei seine Stimme immer noch von dem Schreien und Weinen deutlich mitgenommen war: „Sie meinte, dass… sie mich nicht verdient hätte und… dass… sie unsere Beziehung ruiniert hätte und… ach, ich weiß nicht!“ T.K. senkte den Kopf und vergrub wieder sein Gesicht in seinen Händen. „Ich… sie meinte immer, sie sei Schuld gewesen und so weiter… aber sie hat mir nicht gesagt, woran sie Schuld habe… Sie. Wollte. Es. Mir. Einfach. Nicht. Sagen!!“ Den letzten Satz sprach er mit einer holprigen Art an Selbstverzweiflung aus. Er blickte rüber zu Yuuko. Sie schaute ihn immer noch mit einer ratlosen Miene an. „Sie weiß also auch nicht den Grund…“, dachte sich T.K. und sah weg. Weit gefehlt! Yuukos Miene war nicht ratlos, sondern eher war sie starr vor Entsetzen. Aber sie wusste nun ganz genau, was Kari ihm verschwiegen hatte. Kari hatte ihm verschwiegen, dass sie schwanger war. Diese wichtige Information hatte Kari ihrem Freund also monatelang zurückgehalten… und anscheinend haben die Schuldgefühle in ihr die Maximallast überschritten. Jetzt verstand Yuuko den Grund, warum Kari zusammengebrochen war… Von wem sie schwanger war, wusste Yuuko allerdings auch nicht; Kari wollte ihr es partout nicht verraten. Tai jedoch hatte versichert, dass es auf jeden Fall nicht T.K. wäre; zumindest das hätte Kari gesagt. Zwar verließ Yuuko sich seit dem Zwischenfall nicht mehr wirklich auf die Worte ihrer Tochter, aber innerlich konnte sie sich genauso wenig vorstellen, dass T.K. der Sündenbock dieser Geschichte war… er war immer ein rücksichtsvoller, liebenswürdiger Mensch und auch ein weiser Junge gewesen. Er hatte zudem die gleiche Vorliebe wie sie, philosophische Dinge zu betreiben. Nein, er konnte nicht der Verantwortliche sein! Sie ging auf ihn zu und legte ihre schmale Hand auf T.K.s Schulter. Dieser schaute immer noch nicht auf. Mit zittriger Stimme fragte Yuuko ihn: „Hat sie dir nicht gesagt, dass sie mal… schwanger war?“ Äußerlich zeigte T.K. keine Reaktion, aber innerlich löste diese Nachricht einen neuen, gewaltigen Gedankenstrom aus… allerdings hatte dieser im Unterschied zu den vorherigen Strömen eine klare Zielrichtung und nicht eine, die einfach wild Sturm lief. Jetzt schien es eine Logik zu geben in dieser ganzen Geschichte. Sie war schwanger gewesen? Das würde einiges erklären. Das hatte Kari also mit „Beziehung ruiniert etc.“ gemeint. Und deswegen war sie ihm wohl die letzten Monate aus dem Weg gegangen. VOR ALLEM: DESWEGEN KAM ES ZU DER BEZIEHUNGSKRISE! Aber von wem war sie denn schwanger?? Von ihm ganz bestimmt nicht! Er hatte sich geschworen, das erste Mal nicht vor dem sechzehnten Geburtstag zu haben! Also musste es jemand anders sein… Kari hatte ihm ja auch gesagt, dass sie ihn betrogen habe! Aber mit WEM? WER HATTE ES GEWAGT, IHM SEINE FREUNDIN AUSZUSPANNEN?!? Just in dem Moment fingen seine Gedanken den richtigen Wortfetzen aus Karis Beichte auf, den er für die Lösung dieser Frage brauchte. Es dauerte eine kleine Weile; er ordnete die Informationen so, dass sie passten; er zählte eins und eins zusammen; und… Yuuko schaute ihn gespannt an. Der junge Blonde hatte nichts mehr von sich gegeben, seitdem sie ihm diese Frage gestellt und somit die Karten auf den Tisch gelegt hatte. Sie glaubte schon, er hätte gar nicht zugehört… so steif war der junge Mann vor ihr. Plötzlich erwachte T.K. aus seiner Starre und stürmte an ihr vorbei. Sie drehte sich erschrocken um und sah ihm nach. „Takeru, was ist mit dir?“, rief sie noch, doch sie erhielt keine Antwort. Stattdessen verhallte das Echo ihres Rufes. So rasch war T.K. vorbeigelaufen, doch Yuuko meinte, sie konnte eine entschlossene und wütende Miene auf seinem Gesicht erkennen… Unterdessen schlugen T.K.s Gedankenströme wieder wilde Bahnen ein. Er wollte alles wissen! Er wollte ALLES von diesem Schuldigen wissen, den er gerade eben mit seiner Kombinationsgabe im Innern entlarvt hatte. Alle möglichen Fragen flogen durch seinen Kopf, doch vor allem eine Frage beschäftigte ihn gerade am meisten: „WO IST MATT?!!“ ----------------- „Wie konnte das bloß passieren?“ Ein mittellautes Piepen verkündete, dass das Telefon auf dem Aufladesockel der Telefonanlage seine wieder eingesteckte Energiequelle zufrieden auflud. Doch was vorhin aus dessen Hörmuschel herauskam, lud eher Spannung auf. Die Spannung der Gemüter. „Wie konnte das bloß passieren?“ Schon seit einer Stunde stellte sich Sora diese ungnädige Frage. Sie lief unruhig auf und ab und wartete. Ja, sie konnte jetzt nur noch warten… Kari lag bewusstlos im Krankenhaus… und sie konnte nichts tun. Absolut nichts! Nur warten… WARTEN! Und darin war sie nicht besonders gut. Anderseits wäre darin aber auch kein anderer Mensch in so einer Situation gut gewesen. Sie machte sich tierische Sorgen um Kari. Tais kleine Schwester lag ihr schon immer am Herzen, obwohl sie nie groß miteinander zu tun hatten. Im Beisammensein unter Digirittern entwickelte sich zwar eine Verbundenheit aller Teamangehörigen, aber das bedeutete nicht, dass alle mit allen anderen gleichviel am Hut hatten. Zum Beispiel hatte Tai noch lange nicht soviel mit Jolei oder Cody zu tun wie mit Yamato oder mit ihr selbst. Und sie selber hatte kaum mit Davis oder Ken zusammengearbeitet wie mit Mimi. Auch Kari spielte in ihrem Freundschaftskreis keine große Rolle… Doch Kari war nicht irgendjemand, sie war die kleine Schwester von ihrem besten Freund! Und Sora weiß, dass Kari Tais Ein und Alles war. In ihrem ersten Abenteuer wusste sie noch zu genau, was sich damals in der Stadt von Machinedramon abgespielt hatte: Kari mit hohem Fieber… und Tai der Panik und Verzweiflung nahe. In dem Moment wurde ihr bewusst, dass sie alles für Karis Wohlergehen tun musste, wenn sie Tai jemals wieder lachen sehen wollte… Kari war unter den Digirittern eine der Wichtigsten gewesen. Sie trug das Wappen des Lichtes… also das krasse Gegenteil der Dunkelheit. Egal wo die Gruppe sich aufhielt, Kari war immer die Anlaufstelle für Erleuchtung in der dunklen Kälte. Sora erinnerte sich an die Numemon, die Karis Licht gefolgt waren… solche Kräfte gingen von Tais kleiner Schwester aus, die sich keiner von den Digirittern vorstellen konnte. In gewisser Weise war sie unter allen Digirittern die Stärkste gewesen… Jetzt so von ihr zu hören… Ein vertrautes Quietschen der Tür ließ Sora aus ihrer Trance erwachen. Sie hoffte, dass es Tais Mutter war, die mit Kari wieder nach Hause kam… dann würde alles wieder gut werden! Doch es war „nur“ ihr bester Freund Tai; seufzend erhob sich Sora und schritt auf ihn zu. Tai hielt eine Tüte in der linken Hand. Soras Blick wanderte auf die Tüte: Sie beinhaltete offensichtlich einen großen roten Karton. Und sie bemerkte, dass dieser Karton eine Schleife oben enthielt; den Rest dachte sie sich. Der Braunhaarige bemerkte ihren neugierigen Blick und ließ sogleich die Tüte hinter seinem Rücken verschwinden: „Eh-eh! Daaas darfst du noch nicht sehen! Sonst wär ja die schöne Überraschung für morgen verdorben!“ Sora verzog das Gesicht: „Du bist doof! Erst lässt du mich das Geschenk im Rohbau sehen und dann lässt du mich mit meiner nun noch höheren Neugier bis morgen warten!“ Tai grinste sie schelmisch an: „So bin ich halt!“, und ging in sein Zimmer, wo er, unter Ausschluss des neugierigen Blickes seiner besten Freundin, das Geschenk versteckte. Anschließend ging er in die Küche… Sora schaute ihm nachdenklich hinterher. Wie soll sie ihm das bloß sagen? Sie wusste, dass Tai ein Theater machen würde, wenn er davon erfuhr. Er und sein Beschützerinstinkt… manchmal dachte sie, er würde damit gnadenlos übertreiben. Immerhin war Kari schon vierzehneinhalb Jahre alt! Andererseits hatte er als Karis großer Bruder auch ein Recht darauf, es zu erfahren. Sie wollte gerade zu ihm gehen, als Tais Kopf aus der Küche Richtung ihr schaute: „Du Sora, wo ist eigentlich meine Mutter? Sie wollte doch heute groß kochen…?“ „Wenigstens hat er schon mal den Anfang gemacht“, dachte sich Sora und seufzte. Sie antwortete ihm mit einer verbitterten Miene: „Deine Mutter ist im Krankenhaus… Kari wird dort gerade behandelt…“ Man hörte, wie der Teller, den Tai gerade in der Hand hielt, mit einem lauten Knall auf dem Boden zerschepperte. ----------------- Warum konnte sie nicht mal stark sein? Wieso konnte sie diese Geschichte nicht einfach mal verdrängen? So schwer war es doch nicht! Man konnte es sich selber doch sagen, dass es einfach vorbei war und jetzt ist nichts mehr! Warum konnte sie es dann nicht?! WARUM?!? Es war doch alles so schön gewesen… Sie hatte auf ganzer Linie versagt. Jetzt hatte sie mit dieser Geschichte ihren Freund vergrault; Kari konnte sicher sein, dass T.K. nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. Er sah sowas von entsetzt aus, wie sie es noch nie gesehen hatte. Sie hätte es ihm nicht sagen sollen! Sie hätte sich längst mit der Vergangenheit abfinden sollen! Dann wäre es nicht zu dem, was vorhin alles geschah, gekommen… aber sie war zu schwach, um die Gefühle zurückzuhalten. Sie war zu schwach, um diese Geschehnisse für sich zu behalten und musste es ihrem Freund erzählen… Und dann war sie auch noch zu schwach, um ihm die ganze Wahrheit zu erzählen, nachdem sie mit ihrer Beichte angefangen hatte… Warum sollte sie denn jetzt noch sich bemühen für irgendetwas, wo es sowieso schon sinnlos genug war? Es läuft doch alles schief… ----------------- „Was ist mit Kari? Was hat sie?“ Tai fing an, Sora mit seinen wohl berechtigten Fragen zu bombardieren, wobei er immer unruhiger wurde. Die Orangehaarige bemerkte seine Unruhe; das kannte sie von ihm, wenn die Sache irgendwas mit seiner Schwester zu tun hatte. Aber das beunruhigte sie ebenfalls, weil sie wusste, dass Tai dadurch zu unüberlegten Taten neigte. Sie fasste ihn, ohne zu zögern, an seine Hände… Und augenblicklich entspannten sich Tais Bewegungen. „Seine Hände fühlen sich so warm an…“ Stopp! Das war wohl kaum der richtige Zeitpunkt, um über solche Sachen nachzudenken! „Wenigstens hat es gewirkt“, dachte Sora weiter und versuchte nun, Tai mit ruhiger Stimmlage in alles einzuweihen: „Sie… ist… im Park zu… zusammengebrochen. T.K. hatte sie daraufhin in ein Notarztzentrum getragen und den Notarzt gerufen. Sie… wissen noch nicht, warum Kari auf einmal ohnmächtig geworden ist…“ Tai spürte, wie Soras Hand zitterte, während sie ihm die Lage geschildert hatte. Er hatte noch nicht ganz realisiert, was sie gerade gesagt hatte… in ihm drehte sich alles. Kari… wenn mit ihr was passiert war, dann war er der Panik nicht mehr weit. Schon seit Kindestagen hatte er sich geschworen, sie immer zu beschützen und immer für sie da zu sein. Das hat sich bis heute gar nicht geändert; noch immer war dieser Beschützerinstinkt in ihm vorhanden. Sie war jetzt zwar schon fast 15 Jahre alt, aber er wollte dennoch seine Rolle als großer Bruder nie oder zumindest nicht ganz ablegen. Sofort quellte der Gedanke auf, dass jemand Kari missbraucht hätte haben können. Und er formte diesen Gedanken auch sofort in Worte: „War da noch jemand gewesen? Hatte dieser Jemand Kari überfallen und missbraucht?“ Sora, etwas erschrocken über seine plötzliche Regung und auch teilweise verwundert, wie ihr bester Freund auf diesen wüsten Gedanken gekommen war, gab ihm hektisch zur Antwort: „Nein, nein… es war nur T.K. da gewesen. Die beiden hätten geredet und dann plötzlich dieser Vorfall…“ Die Orangehaarige schluckte. Sie sah ihren besten Freund an und fürchtete, dass er nun in seiner Ungeduld T.K. die Schuld gibt. Er würde dann sofort aus der Wohnung rennen, den Schuldigen aufsuchen und ihm den Hals umdrehen. Überraschenderweise wurde der braunhaarige Wuschelkopf aber ruhiger und nachdenklicher… Sora schaute ihn etwas beruhigt, aber trotzdem gespannt an. Nach einer Weile stieß Tai einen langen Seufzer aus und Sora regte sich auch wieder. Sie fragte sich, über was Tai die letzten anderthalb Minuten gedacht hatte. „Tai, was ist los? Du bist… so nachdenklich…“ „Ich weiß… ich weiß…“, meinte der Braunhaarige und fuhr fort, „Ich weiß, warum Kari ohnmächtig geworden ist.“ Sora glaubte, sich zuerst verhört zu haben. Bitte woher weiß ihr bester Freund auf einmal, was mit seiner Schwester los war? Als wäre die Nachricht eben grad vom Himmel gefallen und er hatte diese Information schnell aufgefangen… Aber sie war neugierig auf seine Auflösung für Karis Problem: „Und… was ist es?“ Tai wollte gerade etwas sagen, als ihm jäh der Mund wieder zufiel. Er wusste, dass Kari ihrem Freund ihre Schwangerschaft, die schon fast 4 Monate her war, gestanden hatte… allerdings konnte er nicht wissen, ob sie T.K. auch verraten hatte, von wem sie schwanger war. Vermutlich nicht… und vermutlich deshalb war sie auch zusammengebrochen. Das passte zu Kari: Sie hielt oft Informationen zurück zu Gunsten anderer; aber sie konnte das auf Dauer selber nicht verkraften. Und deshalb wäre es wohl jetzt sinnvoller, die ganze Wahrheit rauszulassen, anstatt weiter alles im Hinterkopf zu behalten… man sah ja bei Kari, wie sich das auswirken würde… Und es würde, wenn jetzt die Wahrheit nicht sofort ans Licht kommt, noch ständig mit ihr so weitergehen. Deshalb musste Tai sich nun dazu entschließen! Auch wenn das Sora wahrscheinlich nicht gefallen würde… „Kari… hat T.K. anscheinend gestanden, dass sie… schwanger war…“ Sora riss die Augen weit auf; das sollte also der Grund gewesen sein, weswegen sie zusammengebrochen war? Dieser Vorfall war doch schon ewig her! Hat Kari ihm das jetzt erst gestanden? Sie hatte also alles die ganze Zeit über für sich behalten… zu ihrer eigenen Last. Das kannte sie auch schon früher von ihr… vor allem seit dem ersten Abenteuer in der Digiwelt. Sie hat sich darin kein bisschen verändert. Die arme Kari! „Bist du… wirklich sicher?“, wollte Sora noch wissen. „Nein, aber es wär die treffendste Lösung…“, gab Tai resigniert zurück. „Da ist was dran“, meinte Sora und sie umarmte ihn sanft, „Tai, das tut mir echt Leid. Ich wusste nicht, dass… Kari das die ganze Zeit für sich behalten würde“, bekundete die Orangehaarige ihm ihr Mitleid. Tai erwiderte die Umarmung, löste sie aber auch schnell wieder und sah sie genauso mitleidig an: „Sora, mir tut es auch Leid… aber mir tut es vor allem Leid… weil… weil du nicht die ganze Wahrheit weißt…“ Er hatte es gesagt. Er hatte nun den Anfang gemacht! Es gab keinen Rückweg mehr! Er musste es ihr nun sagen! Sora schaute ihn reichlich verwirrt an. „Was meinst du… damit?“ ----------------- Ein leichtes Stöhnen riss Yuuko aus ihrer Müdigkeit. Sie wartete schon seit einer kleinen Ewigkeit darauf, dass ihre Tochter aufwacht. Doch nun schaute sie auf das Patientenbett, wo Kari sich regte. Blitzschnell stand sie auf und rannte zum Bett. „Kari! Bist du… wach?“ Das braunhaarige Mädchen öffnete die Augen und schaute sich im Raum um. Ihr Blick fing sich bei ihrer Mutter. Als Yuuko am Bett ankam, nahm sie ihre Tochter in eine wohlige Umarmung. „Gott sei Dank, Kari! Endlich bist du aufgewacht!“ Ihr fiel wieder ein, was ihre Tochter alles durchmachen musste und sie versuchte, Kari zu trösten: „ Es ist ok, mein Schatz! Du solltest dir nicht zu viele Gedanken machen…“ Kari fühlte sich aber überhaupt nicht ok. Ihre Erinnerung, was vor ein paar Stunden passiert war, kam wieder. Sie hatte T.K. ihre Affäre gebeichtet… und zum Schluss hatte sie ihn auch noch angeschrien, dass er sie nicht verdient hätte. Sie spürte nun eine tiefe Reue… sie hätte ihm das nicht sagen dürfen. Sie hätte es zurückhalten sollen, sie hätte mit aller Kraft diese Ereignisse aus dem Kopf werfen müssen! Aber sie war nicht stark genug gewesen… Und nun war er weg! Ihr Freund war nun nicht mehr hier… Wohin er wohl gelaufen war… Wo war denn T.K. jetzt überhaupt? „Mum… wo ist… T.K.?“, fragte sie mit gebrochener Stimme. Diese Frage hatte Yuuko schon erwartet. Ohne ihre Tochter loszulassen meinte sie: „Ich weiß es nicht… er war vorhin einfach aus der Klinik rausgelaufen… er war wohl sehr wütend.“ Kari fing an zu weinen. Das hatte sie befürchtet; T.K. wollte jetzt wohl nichts mehr mit ihr zu tun haben. Sie hatte nun alles zerstört! Die Beziehung zu ihm konnte sie nun in die Tonne treten. „Wütend… auf mich?“ Yuuko hob die Schultern: „Ich weiß nicht… ich habe ihm nur gesagt, dass du schwanger gewesen warst und dann…“ „DU HAST WAS?!?“ Kari befreite sich mit einem Ruck aus der Umarmung ihrer Mutter und schaute sie entsetzt an. Nun war sie sich sicher: T.K. war jetzt wirklich wütend auf sie! Wieso sollte er denn sonst so plötzlich davonrennen? In ihr kochte nun eine gewaltige Menge Trauer und gleichzeitig Wut auf. „Schatz beruhige dich… was ist denn…“ „WIESO HAST DU IHM DAS GESAGT?! ER SOLLTE DAS DOCH NICHT WISSEN! JETZT HASST ER MICH WIRKLICH!!“, schrie Kari ihre Mutter an. „Kari…“ Yuuko wusste nicht mehr weiter. Ihre Tochter vergrub ihr Gesicht unter einem Bach von Tränen in ihre Hände. Sie weinte heftig und rollte sich zusammen. Ihre Mutter fühlte sich hilflos. Sie überlegte aufgeregt, wie sie Kari jetzt noch beruhigen könnte. „ER HASST MICH, ER HASST MICH…“, hörte Yuuko ihre Tochter die ganze Zeit hervorschluchzen. Doch auch der heftigste Ausbruch der Emotionen flaute irgendwann mal ab und Karis Schluchzer wurden immer weniger. Zögernd nahm Yuuko Kari dann wieder in ihre Arme, und diesmal wehrte sich ihre Tochter auch nicht. Aber sie weinte immer noch und Yuuko tröstete sie, indem sie ihr sanft über den Rücken fuhr. Ihr kam schließlich ein rettender Einfall. Da Kari nun wieder aufgewacht war, konnten sie eigentlich nun wieder heim. Und das wäre wohl jetzt auch wirklich das Beste. „Schatz, es tut mir Leid“, versuchte Yuuko, ihre Tochter anzusprechen, „Komm mit nach Hause, dein Bruder macht sich bestimmt schon Sorgen um dich…“ Kari wollte zwar sich auf nichts mehr einlassen, doch von ihrem großen Bruder wollte sie trotz allem nicht loslassen. Ihm konnte sie immer vertrauen, das wusste sie. Und er würde ihr bestimmt nicht in den Rücken fallen. Im Prinzip war Tai wie ihr Schutzengel. Und sie dankte Gott dafür, dass es ihn gab. Sie schaute unter freiem Lauf ihrer Tränen wieder auf und stieg von der Patientenliege. Ihre Mutter nahm sie beruhigt und gleichzeitig etwas erfreut an die Hand und ging mit ihr aus dem Behandlungszimmer. Sie verabschiedeten sich vom Notarzt und machten sich auf den Weg nach Hause. Den ganzen Weg lang weinte Kari und sprach kein Wort mit ihrer Mutter. ----------------- Währenddessen hatte Tai mit seiner Erzählung vom vorherigen Treffen mit Yamato geendet. Der Braunhaarige sammelte während seines Berichtes die Tellerscherben vom Boden auf und entsorgte sie in der Küche. Am Schluss hatte er seine beste Freundin über alles informiert… und auch darüber, dass Kari von Yamato schwanger war. Die Reaktion der Orangehaarigen ließ nicht lange auf sich warten: Sora war zuerst entsetzt, doch dies schlug schnell in Wut um. „Dieses Arschloch! Wenn ich damals schon gewusst hätte, was er mir angetan hatte!!“ Ihr Ton wurde langsam hysterisch; das hatte sich Tai nicht wirklich gewünscht. „Sora, bitte! Jetzt beruhige dich doch…“ „Er hatte mich betrogen! Und dann auch einfach so mit mir Schluss machen und mich mit meinen Schuldgefühlen alleine lassen!! DIESER IDIOT!!“ Sora konnte sich vor Wut kaum noch kontrollieren. „ICH HASSE IHN! ICH WILL NICHTS MEHR MIT IHM ZU TUN HABEN!! ER IST FÜR MICH GESTORBEN!!!“ Tai sah sich das Ausmaß ihrer Wut verzweifelt mit an. Es lief alles aus dem Ruder; er hatte ihr noch nicht sagen können, dass Alkohol mit im Spiel war. Yamato war das gleiche Schicksal widerlaufen, wie es ihn selber damals an seinem siebzehnten Geburtstag getroffen hatte. Dafür müsste Sora doch Verständnis haben! Immerhin verstand sie auch, was die Folgen von zu viel Alkohol waren. Er musste es ihr also schnell beibringen… Doch Tai kam nicht mehr dazu, es ihr zu erzählen, denn Soras Hysterie folgte ein gewaltiger Traurigkeitsanfall und sie ließ ihren Tränen freien Fluss. „WARUM MUSSTE ER DAS TUN? ES WAR DOCH ALLES SO SCHÖN GEWESEN!“ Sora brach auf dem Sofa der Yagamis zusammen und schluchzte heftig. Tai reagierte abrupt, schloss sie in eine Umarmung und versuchte, ihr alles zu erklären und zu schildern. Das machte aber die Sache nicht besser. Sora hörte kaum noch hin; zu groß waren ihre Wut und ihre Trauer. Tai musste einsehen, dass Worte hier kaum noch was ändern würden; stattdessen streichelte er ihr mit der einen Hand über den Rücken und fuhr ihr mit der anderen Hand sanft durch ihre Haare. Sora gab sich willig seiner Geste hin und so langsam hörten die zahlreichen Schluchzer auch auf. Schließlich beruhigte sie sich vollständig, doch Tai entschloss sich, nicht weiter auf sie einzureden… das würde nichts mehr bringen, sondern die ganze Sache wieder den Bach runtergehen lassen. Er würde es aber irgendwann nochmal versuchen, ihr es zu erklären… hoffentlich nicht zu spät. ----------------- „Was hast du mit Kari gemacht?“ Yamato schluckte. Das bedeutete anscheinend wieder Riesenärger. Er stand wie erstarrt da und senkte seinen Kopf. T.K. funkelte seinen älteren Bruder immer noch wütend an. „Ich wiederhole nochmal: WAS HAST DU MIT KARI GEMACHT?!“ Yamato wusste keinen Ausweg. „T.K., hör zu… ich weiß nicht, was passiert ist, aber ich…“ „SIE IST IM PARK ZUSAMMENGEBROCHEN; DAS IST PASSIERT! UND NUN WEISS ICH AUCH, WARUM!!“, schrie sein jüngeres Gegenüber und Yamato zuckte zusammen. Ohne eine Reaktion abzuwarten, erfüllten T.K.s Schreie weiter die Gegend um den Häuserblock: „WEGEN DIR IST KARI MIR WOCHEN- UND MONATELANG AUS DEM WEG GEGANGEN!! DU HAST MIT IHR FREMDGESEXELT!! NUR WEGEN DIR IST DAS ALLES PASSIERT!! UND DU WILLST MIR NOCH ERKLÄREN, WAS LOS IST?!?!“ „T.K. bitte, du verstehst das falsch“, versuchte Yamato mit schon fast flehender Stimme, die Aufmerksamkeit seines jüngeren Bruders zu erhalten, „Es war nicht so, wie du denkst! Ich würde sowas niemals tun!“ Doch T.K. glaubte ihm kein einziges Wort: „DU BIST DOCH ECHT DAS ALLERLETZTE! IN DIESER SACHE HAST DU’S ECHT MIT MIR VERSCHERZT! ICH NEHME DICH NICHT MEHR ALS GROSSEN BRUDER WAHR, DAMIT DAS KLAR IST! DU HAST MICH SCHWER ENTTÄUSCHT!!“ Mit diesen Worten lief T.K. weg, ohne Yamato noch eines Blickes zu würdigen. Yamato sank auf die Knie. Alles lief nun schief. Nun war sein Plan gescheitert, in vollständigem Frieden sich von seinen Freunden und Verwandten zu verabschieden und zu seiner Mission aufzubrechen. „Bitte nicht…“ Er war doch so nah dran… Tais Freundschaft hatte er gerade eben erst zurückgewonnen. Es war doch alles so schön gewesen… Kapitel 21: Es läuft doch alles schief -------------------------------------- Mittlerweile lag Sora schon geschlagene 20 Minuten zusammengekauert und immer noch ein bisschen zitternd in Tais Armen. Zwar hatte Tai sie weitgehend beruhigen können, doch diese Nachricht hatte in Sora eingeschlagen wie eine Bombe. Das hatte sie mit Sicherheit nicht hören wollen… Ihr gingen die Fragen immer noch nicht aus dem Kopf. Sie war fassungslos darüber, was für ein Unmensch damals aus Yamato geworden war. Sie war fassungslos, was für Sachen er damals getrieben hatte… so hatte sie ihn damals überhaupt nicht eingeschätzt. Sie hatte ihn für seine Art und Weise doch geliebt! Sie hatte seine Ausstrahlung, seine innere Besonnenheit, seine Lässigkeit und vor allem seine Freundlichkeit geschätzt! Und dann hatte er so etwas Respektloses getan… Unfassbar! „Das kann doch nur ein schlimmer Traum sein…“, dachte sie sich. Doch das war kein Traum gewesen. Es war die Realität. Die harte Realität. *KLICK-KLACK!* Das Geräusch ließ Tai aufzucken und er bewegte seinen Körper erstmals nach diesen 20 Minuten. Er merkte selber, dass die Last trotzdem noch nicht abnahm, denn Sora hing immer noch an ihm. Mühsam streckte er den Kopf und schaute zum Eingangsbereich der Wohnung. Dort stand jemand, auf den er die ganze Zeit gewartet hatte. „KARI!“ Tais kleine Schwester stand im Flur, ihre Schuhe ausziehend, und lächelte ihren Bruder an. Doch Karis Lächeln erstarb abrupt, als sie sah, mit wem Tai gerade auf dem Sofa kuschelte. Sie stammelte vor sich: „Ha… hallo Tai… hallo… So… Sora…“ Nun richtete sich auch Sora auf, ließ von Tai ab und sah Kari lächelnd an: „Hallo Kari. Schön, dass es dir gut geht…“ Kari schaute beschämt auf den Boden und schritt langsam aus dem Flurbereich in das Wohnzimmer. Sie hatte Angst. Angst vor… vor ihr! Vor Sora! Es war absurd, aber sie hatte Angst vor ihr! Ausgerechnet vor derjenigen, die eigentlich die Liebe in Persona war und vor der man eigentlich am Wenigsten zu fürchten hatte. Plötzlich beschleunigte sie ihren Gang, wandte sich aber statt dem Wohnzimmer ihrem eigenen Zimmer zu und schloss nach dem Hineingehen die Tür. Tai blickte reichlich ratlos zu seiner Mutter, die ebenfalls in das Wohnzimmer kam. Dann schaute er wieder zu der Tür, die Kari soeben verschlossen hatte. „Was ist denn mit ihr los?“ Yuuko schüttelte nur den Kopf: „Frag sie lieber selber. Mir will sie ja mittlerweile nichts mehr erzählen…“ Traurig wandte sich die ältere Frau ab und ging in die Küche. Sie hatte ihren Plan, heute Abend groß zu kochen, nicht vergessen… vielleicht war das aber auch eine willkommene Abwechslung zum Trubel von vorhin… Tai ließ sich wieder in das Sofa sinken und drehte seinen Kopf zu seiner besten Freundin, die sich gerade eben wieder aufgerichtet hatte. Sie erwiderte seinen Blick mit einer genauso verwirrten Miene, die er selber eben aufgesetzt hatte. „Meinst du, es hat was damit zu tun, weshalb sie vorhin im Park zusammengebrochen war?“, fragte Sora. „Weiß ich nicht… möglich wäre es…“, meinte Tai immer noch ahnungslos. „Vielleicht solltest du wirklich mit ihr reden…“, meinte Sora schließlich, „Du bist doch immer diejenige Person, die Kari am meisten schätzt und braucht. Und dir vertraut sie auch immer…“ Bei der Aussage brachte Sora doch noch ein Lächeln zustande… aber sie hatte allen Grund. Sie bewunderte Tais Fürsorge für seine kleine Schwester… und auch seine Fürsorge für andere jüngere Personen. Sie schmunzelte etwas, als ihr wieder ein paar Szenen aus der Digiwelt einfielen. Zu der Zeit, als die Gruppe sich getrennt hatte und Tai mit Sora, Izzy, T.K. und Kari zu fünft unterwegs war, hatte er sich neben Kari auch für T.K. prächtig gekümmert… auch wenn seine Augen meist auf seine kleine Schwester fixiert waren. Das war auch unter anderem ein Grund gewesen, weshalb die Freundschaft zwischen Tai und Yamato etwas Besonderes war. In dieser Sache waren die beiden sich zu 100% einig gewesen. Ihre Auffassung, jüngere Geschwister zu beschützen und immer für sie da zu sein, war vollkommen dieselbe. Tai überlegte nicht lange, seine beste Freundin hatte eindeutig Recht. Sie brauchte ihn, so wie sie ihn damals während ihrer ungewollten Schwangerschaft gebraucht hatte. Er stand auf und wollte gerade zu Karis Zimmertür schreiten… Da überfiel ihn aber ein Geistesblitz! Er drehte sich um und fixierte seinen Blick auf die Orangehaarige. Die zeigte sich wiederum überrascht über die plötzliche Wendung seiner Tat. „Sora… ich bin nicht der Richtige für sowas! Geh‘ du zu Kari!“ Überrumpelt von dieser Aufforderung, blickte Sora ihn entsetzt an: „Was? Wieso denn auf einmal ich?“ „Solidarität unter Frauen!“, grinste Tai, ging zum Sofa, hob seine beste Freundin vom Sofa und schubste sie in Richtung Karis Zimmertür. „Tai, lass das…“, versuchte Sora sich zu wehren. „Sora, merkst du‘s nicht? Du bist es, die ihr gerade am meisten helfen kann, nicht ich! Du musst sie trösten… sie braucht jetzt gerade DEINE Fürsorge!“ „Warum gerade mein…“ „Ich bitte dich, das ist doch ganz klar! Sie hat Angst vor DIR! Sie hat Angst vor deiner Reaktion auf diese unliebsame Geschichte, die sich zwischen ihr und Matt in seiner Wohnung abgespielt hatte!“ Soras Gesichtsausdruck klärte sich und sie hörte auf zu zappeln. Nun schien sie es zu kapieren. Tais Erklärung leuchtete ein und sie glaubte auch, dass er Recht hatte. Allmählich bewunderte Sora die Fähigkeit ihres besten Freundes, Dinge so sicher und selbstbewusst deuten zu können… „Hm… wenn du das so meinst…“ Sora wandte sich von dem Braunhaarigen ab und schritt langsam auf die Tür zu, die Kari von dem Rest des Hauses trennte. Tai stand da und hoffte, dass seine beste Freundin die Lebensfreude von seiner kleinen Schwester, die sie einst so auszeichnete, wieder erwecken könne… ----------------- In einer dunklen Ecke seiner Wohnung hatte er sich verkrochen. Er hatte die Hausbeleuchtung seit Betreten nicht eingeschaltet… und er wollte es gerade auch nicht. Es war inzwischen schon 22 Uhr abends und der Abend war hereingebrochen. Das helle Licht einer hohen Straßenlaterne schien trotzdem in sein Wohnzimmer rein und erhellte es wenigstens, um noch klar genug zu erkennen, wer und was im Raum war. Stumm hielt er ein Bild vor seinen Augen. Er hielt das Bild so, dass das reflektierende Licht im Raum das Bild traf und es in Dunkelheit ein wenig sichtbarer wurde. Es war kein bedeutungsloses Bild. Im Gegenteil: Es war eigentlich DAS bedeutendste Bild, das jemals in seinem Leben gemacht wurde. Es wurde zu dem Zeitpunkt gemacht, wo er noch 11 Jahre gewesen war. Darauf waren auch alle seine engsten Freunde… genauer gesagt wurden sie erst ab damals zu den engsten Freunden. Auch sein kleiner Bruder T.K. war auf dem Bild zu sehen. Dieser Anblick schmerzte in seiner Seele unheimlich… vorhin war das Schlimmste passiert, was ihm passieren konnte. T.K. wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben… T.K. hatte ihm die Bruderschaft aufgekündigt. Einfach so. Das konnte er aber auch… so gesehen… Und das war seine eigene Schuld. Er hatte sich diese Suppe selber eingebrockt… eigentlich hatte er nun diese Situation verdient. Und dennoch wünschte er sich, es wäre anders gekommen. In ihm brach vorhin eine Welt zusammen. Gerade T.K. wusste doch, dass er nur wiedergekommen war, um sich mit allen anderen zu versöhnen. Und ausgerechnet er machte seinen Plan zunichte und fiel ihm nun in den Rücken. Aber er hatte auch allen Grund dazu… Was macht das jetzt alles noch für einen Sinn? Man gestand sich die Schuld an diesem Vorfall zwar ein, aber was brachte das, wenn dem Schuldigen nicht vergeben wurde? Es läuft doch alles schief… Er erhob sich, legte das Bild wieder in die Schublade rein, zog sich dann die Schuhe an und verschwand aus der Wohnung… ----------------- „Kari… kann ich mit dir reden?“ Das Quietschgeräusch der Tür und das plötzliche Hereintreten Soras verunsicherten die Braunhaarige, die auf dem Bett sich zusammengekauert hatte. Sie hatte sichtlich Probleme, sich zu beherrschen und nicht zu zittern… „Verdammt… konnte ich denn meine Anrede nicht sanfter beginnen…“, dachte sich Sora gleich und bereute ihren kühlen Ton. Sie versuchte noch einmal, Kari in einem sanfteren Ton anzusprechen: „Ähm… du brauchst keine Angst zu haben… ich bin dir nicht böse, wenn du das denkst… ähm…“ Ihr fehlten die richtigen Worte, denn sie bemitleidete Tais kleine Schwester gleichzeitig. Sie sah in dieser Verfassung sehr mitgenommen und ohne Lebenslust aus… ein schrecklicher Zustand, den Sora von Kari noch nie erlebt hatte. Ohne lange zu überlegen näherte sie sich der Braunhaarigen und setzte sich zur ihr auf’s Bett. Währenddessen hatte Kari ihren Kopf gesenkt… nicht ganz ohne Grund: Sie weinte. Sie wollte nicht, dass Sora das sah… denn sie fürchtete, dass sie das als feigen Fluchtversuch deutete. In Wirklichkeit waren aber ihre Nerven wegen dieser Geschichte so aufgezerrt, dass sie es nicht mehr aushielt. Sora bekam jedoch sofort mit, dass sie weinte. Schließlich kannte sie diese Geste von ihr selber… wie oft hatte sie schon ihren Kopf gesenkt und vergraben, wenn sie geweint hatte. Sora zögerte keine Sekunde: Sie schlang ihren einen Arm um Karis Rücken, den anderen Arm um ihren Bauch und zog die Braunhaarige ganz eng zu sich. „Sssch! Du brauchst nicht weinen… ich bin nicht sauer…“, versuchte die Orangehaarige, das zusammengekauerte Mädchen zu beruhigen. Mittlerweile wurde aus Karis anfänglichem Weinen ein großes Drama: Unaufhörlich heftige Schluchzer und ein Bach von Tränen bestimmten die folgende Szene, wo Sora Kari jedoch nicht keinen Moment losließ, sondern sie ununterbrochen festhielt. Sie spürte, mit wieviel Last die kleine Schwester von Tai zu kämpfen gehabt hatte; so groß war der Traurigkeitsfaktor und vor allem so lange hatte es gedauert, bis überhaupt die Schluchzer nachließen. Sora kam es so vor, als hätte sie eine halbe Stunde mit ihr auf dem Bett gesessen. „Es… *schnief* tut… mir so… *schnief* … Leid…“, brachte das jüngere Mädchen zwischendurch immer wieder hervor. Sora strich ihr beruhigend über den Rücken. Die Orangehaarige hatte noch überhaupt keinen Gedanken daran verschwendet, Kari die Schuld an dem, was geschehen war, zu geben. Einzig und allein Yamato war der Sündenbock! Er hatte es Kari angetan! Nicht nur, er hatte es Kari und auch IHR angetan! Jawohl, Kari hatte keine Schuld, Yamato – ihr Ex spielte das schwarze Schaf in dieser Geschichte! Sie zweifelte überhaupt nicht mehr daran; schließlich kannte sie nun seine unmenschliche Ader. Hass flammte in ihrer Seele auf. „Dieses Schwein!“, dachte sie und ballte ihre Hände zu Fäusten. Kari hatte immer noch nicht aufgehört zu weinen, da löste sich Sora von ihr. Kari schaute mit ihrem verweinten Gesicht auf. Sie sagte zwar nichts, aber ihr Blick verriet sofort ganze Bänder: Sie flehte schon nahezu um Vergebung. Ihre Augen waren schon ganz rot geworden. Kari musste wirklich gnadenlos unter der Vergangenheit gelitten haben; so viele Tränen hatte sie gerade vergossen. Sora kannte dieses Gefühl. So hatte sie sich genau auch nach dem Tod ihrer Mutter gefühlt, auch wenn es sich dabei um einen völlig anderen Sachverhalt handelte. Aber sie hatte damals sehr gelitten… genauso wie es Kari erging. Sie hatte damals auch enorm viele Tränen vergossen… und sich tagelang verbarrikadiert. Sie wollte zu der Zeit öffentlich nicht gesehen werden… und ihre Gesundheit verschlechterte sie sich dabei auch noch, was sie sich selber eingebrockt hatte. Es war wirklich schlimm gewesen… Wären nicht ihre Freunde, und vor allem ihr bester Freund Tai da gewesen… Es hätte ja vielleicht noch was Schlimmeres passieren können! Diese Erkenntnis überzeugte Sora in der These: Wenn sie Kari jetzt nicht zur Hilfe stehen würde, würde ihr Psyche endgültig in den Keller rutschen! Ihre schwere Vergangenheit würde sie niederdrücken in die dunkle Tiefe der Verzweiflung! Niemand sonst konnte ihr helfen, auch T.K. nicht! Nur sie! Nur Sora konnte eingreifen und Kari davon befreien! Sora lächelte die junge Braunhaarige an, wischte ihr die Tränen mit einem Taschentuch ab und umarmte sie wieder. „Kari…?“ Die Angesprochene hob ihre Schultern… ein Zeichen, dass sie auf die Aussage oder Frage der Orangehaarigen wartete. „Lass… uns diese Sache vergessen… du trägst keine Schuld. Ich glaube… es ist besser, wenn wir nun diese ganze Geschichte hinter uns bringen…“ Kari traute ihren Ohren nicht… traute dem nicht, was sie da gerade gehört hatte… mit diesen Worten hatte sie am allerwenigsten gerechnet! Auch nicht, wenn sie von Sora kommen würden… Aber sie war überglücklich. Sie konnte nun endlich sicher wissen, dass alles vorbei war. Sie wollte schon seit Monaten, dass alles vorbei sein würde… und nun war dieser Moment endlich da! Sora merkte, wie Kari sich noch fester an sie klammerte… und sie spürte auch, wie das jüngere Mädchen wieder anfing zu weinen. Die Orangehaarige tätschelte ihr beruhigend auf den Rücken. Man hörte unter den neu aufgekommenen Schluchzer nur häppchenweise, wie Kari versuchte, einen Satz zu formulieren; aber Sora konnte darunter nichts Verständliches wahrnehmen. Aber sie war froh darüber, dass sie nun Kari die Last der vergangenen Geschehnisse abgenommen hatte. Auf einmal tat Sora etwas, was sie sich selber nicht erklären konnte: Sie schmiegte ihren Kopf an Karis und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Wie, als würde eine Mutter ihre Mutterliebe an ihrem Sohn oder ihrer Tochter zeigen wollen… Kari nahm den Kuss zwar nur flüchtig, aber dennoch augenblicklich wahr. Ihre Schluchzer verstummten. Dieser Kuss hatte etwas Warmes… er war so beruhigend, so liebevoll… und so gnädig. Sora hatte an sich schon immer etwas Warmes gehabt. Und diese Wärme spürten auch ihre engsten Freunde. Eine Welt baute sich in ihrem Inneren wieder auf… Sie versuchte, ihren vorigen Satz nun verständlicher wiederzugeben: „Danke… Sora… du bist wirklich wie eine… liebevolle Mutter…“ ----------------- Der späte Abend war nun hereingebrochen und ließ die Menschen langsam wieder in ihre Häuser verschwinden. Auch Mimi zählte zu diesen Menschen… sie war den ganzen Tag nur durch irgendwelche Kleiderhallen oder Schmuckwarengeschäfte gerannt und gestolpert. Aber am Ende des Tages war sie zufrieden damit gewesen, dass sie doch noch etwas für Soras Geburtstag gefunden hatte. Mit einer großen Einkaufstüte wandte sie sich nun Richtung nach Hause. Der Weg führte auf eine große Brücke, die sich über die Sumida spannte. Diese Brücke war tagsüber sehr stark befahren… durch den argen Smog, der dadurch entstand, betrug die Sichtweite oft keine 100 Meter. Und ein Überqueren der Brücke war als Fußgänger ein gewagtes Spiel mit der Gesundheit… Doch wie an jedem Abend ließ auch der Verkehr irgendwann noch und man konnte etwas bedenkenloser darüber spazieren… Zumindest dachte es sich Mimi so… Doch nicht mal nach dem halben Weg der Brücke stoppte sie. Aber nicht wegen dem Smog oder dergleichen, die die Sicht einschränken würden… nein! Die Sicht war richtig gut! Wenigstens so gut, dass man eine Silhouette auf dem Brückengeländer erkennen konnte. Diese Silhouette stellte sich nach weiterem Annähern als Mensch heraus. Dieser Mensch stand still und nahe am Rand der Brücke… Gefährlich nahe! EIGENTLICH SCHON ZU NAHE! „Soviel zur Bedenkenlosigkeit“, dachte sich Mimi, ließ ihre Einkaufstüte auf den Boden fallen, nahm ihre Beine in die Hand und lief auf die Person zu. Angekommen, schnaufte sie erstmal durch und schrie dann mit voller Kraft: „Was machen Sie da eigentlich?! Es ist richtig gefährlich, was Sie da treiben… hören Sie?!?“ Die Person gab kein Lebenszeichen von sich. Sie stand immer noch reglos auf dem Geländer, als würde sie jeden Moment von selber gleich fallen. Aufgrund der angezogenen Jackenkapuze konnte Mimi auch nicht erkennen, um wen es sich zum Teufel handelte. „Das reicht!“, dachte sich Mimi und ging auf die Person zu. Mit einem Ruck zog sie die Person vom Geländer runter auf den sicheren Fußgängerweg. Der Person fiel die Jackenkapuze runter. Mimi schreckte auf. „MATT?!“ Sie war sprachlos, dass sie ausgerechnet um diese Uhrzeit und zu dieser gegebenen Situation auf Yamato treffen würde. Sofort schossen ihr gleich 20 oder 50 weitere Fragen durch den Kopf… so viel wollte sie nun von ihm wissen! Doch ihr Gedankengang stoppte plötzlich, als Mimi Yamatos Blick bemerkte. Dieser Blick war so leer… und so tot… als würde er von einem Begrabenen höchstpersönlich stammen. Es spiegelte sich darin keinerlei Gefühl wieder. Auch seine Pupillen regten sich nicht… sie schauten Mimi noch nicht mal an. Plötzlich ertönte Yamatos Stimme… aber genauso wie sein Blick konnte man diese Stimme nur als völlig emotionslos bezeichnen: „Er will nichts mehr mit mir zu tun haben… er hat mit mir nun endgültig abgerechnet…“ Mimi verstand nur Käse: „Was hast du da gesagt? Wovon redest du…“ „Ich existiere in seiner Welt nicht mehr… ich habe alles kaputtgemacht…“ Die Monotonie in seiner Stimme bemerkte Mimi ohne Mühe. Sie wurde langsam ungeduldig. Sie packte Yamato an seine Schulter und schüttelte ihn kräftig durch. „Jetzt hör mal auf mit dem Unsinn! Erstmal von wem redest du?! Und zweitens blas doch keinen Trübsal rum! Weißt du, was du da gerade gemacht hast? Du hast gerade mit deinem Leben gespielt! Was wäre passiert, wenn… iiieeek!“ Mimi hatte geschrien, denn es schien so, als wären Yamatos Augen gerade wieder zum Leben erwacht. So plötzlich war sein Blick auf Mimi gewandert und blieb jetzt fest an ihr haften. Mimis Herz machte einen Hüpfer; redete sie da noch mit ihrem altbekannten Yamato?? Seine Stimme ertönte wieder… genauso monoton wie vorher: „Wozu noch leben? Es läuft doch alles schief…“ Mit diesen Worten erwachte auch der körperliche Rest von Yamato zum Leben. Er riss sich von Mimi los und rannte auf den Rand der Brücke zu. Kapitel 22: Was muss, das muss… ------------------------------- In ihm wollte nichts mehr leben. Dieses Leben war es nicht mehr wert. Alle hassten ihn… auch wenn er seine ehemals beste Freundschaft zu Tai wiederhergestellt hatte, würde es nichts mehr dran ändern, dass die anderen ihn weiterhin hassen würden. Allen voran T.K. und Sora… aber besonders Ersterer hatte ihm ins Herz zurückgestochen. T.K. wollte ihn nicht mehr als Bruder wahrnehmen. Er hatte mit ihm endgültig abgerechnet. Wie sollte er das denn noch in seinem Leben unterbringen? Das war doch nicht auszuhalten! Und deshalb wäre es jetzt besser, dass er alles Hoffnungslose ein jähes Ende bereiten würde… Yamato erwachte. Er war noch nicht ganz bei Bewusstsein… ob er noch überhaupt zu Bewusstsein kommen würde, weiß er selbst im Inneren nicht. Aber spüren könnte er etwas. Eine warme Decke hatte man auf ihn gelegt. Und er lag auf irgendetwas… Flüssigem? Er versuchte, das angeblich Flüssige zu identifizieren und fasste den Boden an, worauf er lag… Es fühlte aber Stoff… Es war ein Wasserbett, worauf er lag. Das Wasser, das bei jedem seiner Bewegungen leicht schwappte, löste ein Gefühl von Leichtigkeit bei der im Bett liegenden Person aus. Ja… so würde man sich doch fühlen, wenn man tot war, oder? Aber er war definitiv nicht tot. Sein Bewusstsein kam langsam zurück… doch er erinnerte sich nur dunkel daran, was passiert ist. Er blickte um sich. Um das Wasserbett waren Vorhänge gespannt… wo zum Teufel war er?? Sowas kannte er doch nur aus Schlössern oder Märchen. Sollte er sich doch im Paradies befinden? Ein leises Knirschen ließ ihn aufmerksam werden. Hinter dem Vorhang konnte man erkennen, wie die Zimmertür geöffnet wurde. Und herein kam… „Mimi…?“, flüsterte Yamato fast unhörbar. Mimi blickte ihn erstaunt an: „Matt, du bist ja schon aufgewacht… geht’s dir gut?“ Yamato wusste selber nicht, wie er darauf antworten sollte… anscheinend hatte er doch nichts das Zeitliche gesegnet. Aber er konnte sich das selber nicht erklären… „Wo bin ich?“, stellte er die erste Frage, die ihm durch den Kopf schoss. „Du bist bei mir zu Hause… ich hab‘ dich hierhergebracht, nachdem du bewusstlos geworden bist…“ Er richtete sich langsam auf und schüttelte den Kopf, um seinen leichten Schwindelanfall zu beseitigen. „Ich weiß nicht…“ Der Vorhang wurde zur Seite geschoben und Mimi kam mit ernstem Gesicht an ihn heran: „Du hast mir echt einen großen Schreck eingejagt… was wolltest du da überhaupt auf der Brücke tun?“ Brücke! Genau, die Brücke! Dort wollte er doch seinem Leiden ein Ende bereiten! Er wollte seine gerechte Strafe dort erhalten! Er war doch auch gerade dabei gewesen, in den Sumida zu springen… Aber wieso zum Teufel ist er statt im Wasser nur auf einem Wasserbett gelandet?? „Du wolltest… du wolltest dich doch nicht wirklich… um… bringen… oder?“, stammelte Mimi hervor. Yamato schaute zu ihr rüber; doch, das wollte er… aber er konnte es nicht vor ihr sagen, da sie auf einmal ihr verängstigtes Gesicht bemerkte. „Was war… passiert?“ Ein leises Seufzen erfüllte den Raum. Mimi begann stammelnd zu erzählen: „Ich hatte dich auf meinem Heimweg auf der… Brücke entdeckt und gesehen, was du gerade… zu tun vorhattest. Und als ich dich von dem Brückengeländer runtergerissen hatte, wolltest du dich tausendmal von mir losreißen… und als ich dich nicht länger aufhalten konnte, da…“ Sie konnte nicht mehr weiterreden. Die schrecklichen Bilder gingen ihr beim Erzählen durch den Kopf… er hatte sich von der Brücke gestürzt. Aber er war nicht im Wasser gelandet… sondern unverständlicherweise auf etwas Weichem. Mimi holte tief Luft; der Zufall hatte ihn gerettet. Hätte sie ihn nicht eine Weile zurückhalten können, wäre er jetzt von ihnen gegangen… „Du bist auf einem Boot gelandet… der glücklicherweise eine Ladung Matratzen transportierte.“ Sie fing an zu weinen… Yamato nahm die Geschichte stumm auf. So war das also gewesen. Reiner Zufall… man könnte meinen, der Zufall wollte nicht, dass Yamato von der Welt geht. Aber er glaubte schon lange nicht mehr an Zufälle… Eher wollte das Schicksal nicht, dass er stirbt. Das Schicksal wollte, dass er sich den Tatsachen stellte. Durch den Tod alles hinter sich zu bringen war feige und unverantwortlich. Das war nun die Erkenntnis, der er jetzt machte. Er blickte auf… und bemerkte erst jetzt, dass Mimi weinte. Plötzlich schlug ein Teil von ihm Alarm; er wollte nicht, dass sie weinte. Sie weinte wegen ihm, das war klar. Er hatte ihr durch seine Tat einen Riesenschreck eingejagt. Er fand es bedauerlich, dass sie so bitterlich weinte und wollte sie am Besten jetzt in die Arme nehmen und sich entschuldigen… Aber Yamato konnte das eine nicht tun. Sie würde es eventuell falsch interpretieren und vielleicht denken, dass er von Mimi etwas wollen würde. Ob er wirklich etwas für die durchaus hübsche 17-Jährige empfand, war die eine Sache, aber in seiner Situation wäre es wirklich falsch, noch eine Beziehung einzugehen. Seine zukünftigen Raumfahrtmissionen würden später die meiste Zeit beanspruchen… genauso wie früher es die Musik getan hatte. Und er wollte Mimi nicht das antun, was er Sora damals angetan hatte… Und so blieb ihm nur das andere übrig… „Tut… tut mir Leid, Mimi…“, würgte er hervor, „Ich wollte dich… nicht erschrecken…“ Mimi schaute zu ihm mit ihrem verweinten Gesicht. Sie schüttelte den Kopf: „Wieso hast du das getan? Was ist denn los gewesen? Bitte erzähl es mir…“ Schweigend betrachtete Yamato ihr Trauerspiel. Schließlich entschied sich Yamato auch, ihr die ganze Geschichte zu erzählen. Ohne zu viel zu erzählen, schilderte er ihr schließlich alle Ereignisse, die sich vor ihm seit Erhalten des Schreibens von der Raumfahrtbehörde abgespielt haben… ----------------- Kari saß alleine in ihrem Zimmer. Sie hatte sich auf das Bett hingelegt, um in Ruhe über alles Vergangene nachzudenken. Da Sora ihr die Last, die sie seit Monaten mit sich trug, fast vollständig abgenommen hatte, konnte sie auch um einiges leichter mit dieser Geschichte umgehen. Sie war enorm froh darüber, dass Sora ihr diese Schandtat vergab und ihr auch noch helfen würde, wann immer sie von ihr Hilfe brauchte. Immer mehr fühlte sie, dass Sora so etwas wie eine große Schwester für sie geworden ist. Irgendwie aber verwunderte sie das nicht weiter… Warum? Eine Sorge blieb Kari immer noch: Was würde T.K. sagen, wenn sie ihn das nächste Mal treffen würde? Sie wagte es sich nicht, im Kopfe vorzustellen, dass er mit ihr Schluss machen würde… das war eine schreckliche Vorstellung. Nein, das konnte er einfach nicht tun. Sie liebte doch nur ihn! Niemanden anderen! Sie musste das auch mit ihm abklären… und jetzt fand sie auch den Mut dazu. Mit Tai und Sora als Rückendeckung fühlte sie sich schon um einiges fähiger, alles Schlimme einem Ende zu bereiten. Ja, sie musste es tun… und sie durfte nicht länger warten… Sie wollte gerade sich aufrichten und vom Bett hüpfen, als die Türklingel den typischen Schrillton von sich gab. Man hörte, wie Tai seine Zimmertür aufriss und zur Tür hin sprintete. Nach einer Weile hörte man ihn schreien: „Kari! Besuch für dich!“ „Besuch?“, dachte sie sich. Sie erwartete doch niemanden. Als sie sich aufgerichtet hatte, ging ihre Zimmertür von alleine auf. Hinter ihr stand niemand anderes als… „Hallo Schatz! Ich… wollte sehen, wie’s dir geht…“ Schüchtern kam T.K. in ihr Zimmer rein. Hinter ihm sah Kari ihren großen Bruder noch, wie er ihr einen Zwinker gab und sich wieder in sein Zimmer zurückzog. Kari schluckte… wie sollte sie sich ihm jetzt gegenüber verhalten? Wusste er schon von allem Bescheid, oder war T.K. immer noch im Unwissen darüber, was in der Vergangenheit passiert war? Laut der Schilderung ihrer Mutter müsste er aber zumindest wissen, dass sie schwanger gewesen war… aber was war mit dem Rest? „Oh Mann, leichter gedacht als getan…“, dachte sie sich, sprang vom Bett und ging auf ihn zu. Angekommen auf seiner Höhe, umarmte sie ihn erstmal und atmete tief durch. Sie hatte ihn wirklich vermisst… seine Nähe fühlte sich so warm an. Nie mehr, absolut nie mehr würde sie ihre Beziehung wieder auf’s Spiel setzen, wie sie es früher vielleicht einmal getan hatte… „T.K…“, stotterte Kari, „Ich hab… ich hab…“ T.K. wurde stutzig: „Was ist denn? Was hast du?“ „Ich… ich muss… ich muss etwas mit dir bereden…“ T.K. schaute sie erst verwundert an, lächelte aber dann… zu ihrem Erstaunen. „Ich weiß schon Bescheid… du musst es mir nicht sagen…“ Karis Gesichtsausdruck verriet, dass sie seine Aussage noch erstaunter auffing als vorher. Sie war platt… woher wusste er denn… von wem?? „Woher… woher?“, fragte sie nur. „Von deiner Mutter… und von… Matt!“ Diesen Namen sprach er mit einem Ton aus, den Kari dem Hass zuordnen würde. „Von… Matt? Hast du…“ „Ich hab ihn in seiner Wohnung gestellt! Und er hatte es zugegeben! Er hat’s endgültig mit mir verscherzt!“ T.K. konnte seine Wut nicht unterdrücken. Kari spürte, dass er sie immer fester umarmte. „Was heißt das?“ „Das heißt, dass er für mich gestorben ist! Ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben! Er soll nie wieder einem von uns Schaden zufügen! Das ist unverzeihlich!“ Woher… woher kam nur seine Wut? Die letzten Worte kannte Kari von ihrem Freund schon irgendwoher. Aus der Digiwelt! Dort hatte er diese Worte auch benutzt… mit einem genauso großen Maß an Wut und Hass, die sie jetzt gerade vor ihm erlebte. Das war kein gutes Zeichen… wenn T.K. so drauf war, neigte er immer zu unüberlegten Taten, die manchmal sogar noch schlimmer ausfallen, als wenn Tai manchmal so tickte. Doch sie konnte nichts dagegen tun. Oder besser gesagt: Sie wollte auch nichts dagegen tun. Denn diesmal stimmte es, was er gesagt hatte: Yamato hatte eindeutig Sora und ihr wehgetan. Ob er es mit böser Absicht getan hatte, wusste sie nicht. Aber die Menge an Leiden, mit der er beide Mädchen alleine gelassen hatte, war ungeheuer groß gewesen… So beschloss sie, nicht gegen ihren Freund zu sprechen; sie war ohnehin überglücklich, dass T.K. ihr keine Schuld gab und somit auch nicht mit ihr Schluss machen wollte. Und ihrer Beziehung zuliebe wollte sie das Thema Yamato auch nicht länger antasten… „T.K bitte, nicht so fest… du erdrückst mich fast…“ T.K. erschrak. Er bemerkte, wie sich seine Wut darauf übertragen hatte, dass er seine Freundin immer fester in seinen Armen einschloss. Schnell löste er die Umarmung und Kari stand nun locker wieder vor ihm. „Danke Schatz… ich glaube, ich muss… muss mich bei dir entschuldigen…“ Kari schaute etwas schüchtern zur Seite. Ihre Backen wurden sichtbar rot; T.K. musste schmunzeln bei dem Anblick. „Kari, du bist nicht Schuld, du musst dich nicht entschuldigen! Ich glaube eher… ich muss mich bei dir entschuldigen…“, meinte er in einem versöhnlichen Ton. Kari blickte fragend auf: „Wieso du…“ Wieder ging T.K. auf sie zu und umarmte sie wohlig. „Ich hätte mich früher einfach mehr um dich kümmern müssen… ich hätte einfach nicht so viel Party machen dürfen oder mich sinnlos besaufen. Vielmehr wärst du es gewesen, der ich meine Zeit hätte widmen müssen… ich…“ Doch T.K. kam nicht zum Ende seines Satzes, denn urplötzlich hätte Kari ihre Lippen auf seine gelegt. Was er ihr gerade offenbart hatte, ließ ihr Herz ins Paradies katapultieren. Er hatte alles so süß formuliert… Kari war vor Freude nicht mehr zu halten. Sie ließ von ihm los und schaute ihm ins Gesicht. Sie könnte an seinem Blick verschmelzen. Es stand für sie fest: Sie wollte ihn nicht mehr loslassen. „Danke! Danke für alles! Ich liebe dich über alles in meinem Leben! Ich will nie mehr von dir gerissen werden!“ ----------------- „Ist… das dein Ernst?“, stammelte Mimi hervor. Die Nachricht, dass Yamato nun für mehrere Monate, eventuell sogar länger als ein Jahr weg sein sollte, schlug in ihr wie mehrere spitze Zacken ein. „Ja, Mimi… auch wenn es mir Leid tut, ich kann nicht anders! Es war schon seit Kindestagen mein Traum gewesen, den Sternen nah zu sein.“ Yamato schaute resigniert zur Seite. Mimi hatte unterdessen wieder Tränen in den Augen. Warum, wusste sie auch. Er war der Grund gewesen, weswegen sie nach dem Abflug in die USA heftig geweint hatte. Sie empfand für den blonden Musiker schon damals sehr viel, als er gerade mit der Musik begonnen hatte. Erstens sah er gut aus, zweitens sang er geradezu phänomenal und drittens wirkte er mit seiner lässigen Art besonders cool. Doch wie das Schicksal es wollte, musste sie Japan verlassen… und sie wollte keine Fernbeziehung mit ihm eingehen. Und als sie wieder nach Japan zurückkam, war Yamato schon an Sora vergeben… und sie war keine Person gewesen, die Beziehungen zu spalten vermochte… schon gar nicht die ihrer engsten Freunde. Und nun, als er endlich wieder „frei“ war… hatte er sich etwas vorgenommen, was ihn wieder nicht mehr „frei“ machte… Seine Mission, längerfristige Experimente auf dem Mars durchzuführen, wird seine Freizeit bestimmt mehrere Jahre beanspruchen. Dieser Gedanke zerriss Mimi innerlich… es war wirklich zum Jammern… Yamato schaute auf die Uhr; 3 Uhr morgens. Mimi musste wirklich eine Nacht durchgemacht haben… und er wollte ihr nicht weiter zur Last fallen… „Mimi… es tut mir nochmals Leid, dass du meinetwegen so viele Sorgen machen musstest. Ich denke, es wäre besser, dass ich jetzt gehe… ich möchte dir nicht länger zur Last fallen…“ Mimi schüttelte leicht den Kopf: „Das macht schon nichts. Aber ich bitte dich… mach bitte nie mehr so etwas Wahnsinniges. Es hätte uns alle…“ Sie pausierte. Sollte sie ihm eine Andeutung machen? Sie wagte einen Versuch: „… und besonders mich… hätte es stark getroffen, wenn du das…“, sie schluckte, „durchgezogen hättest…“ Yamato hob die Augenbrauen. Anscheinend lag er ihr besonders am Herzen. Diesmal konnte er nicht anders: Er ging auf sie zu und nahm sie in einige wohlige Umarmung. Mimi erwiderte sie sofort; ihre Hände krallten sich nahezu in seinen Mantel, den er angezogen hatte. „Mimi… ich kann mir denken, wie hart dich das trifft… aber gib mir bitte die Zeit, die ich brauche. Glaub mir, mir fällt das genauso wenig leicht wie dir…“ Er versuchte ein Lächeln zustande zu bringen, doch Mimi kam ihm zuvor. Sie drückte ihm einen kurzen, scheuen Kuss auf die Lippen. Und als sie wieder von ihm losließ, bemerkte sie sein verwundertes und ratloses Gesicht, doch sie ignorierte es weitestgehend. „Mach das, was du für richtig hältst. Ich… wünsche dir dabei viel Glück dabei. Und… ähm…“ Sie war völlig durcheinander. Aber sie musste ihm es einfach sagen. „Und… ich werde auf dich warten.“ Yamato bewunderte ihre Ehrlichkeit. Und das, obwohl er keine Person mehr war, vor der man noch ehrlich sein musste. Nun zerriss es ihn auch, dass er gehen musste… Mimi war so ein liebes Mädchen. Ein Teil von ihm wünschte, er könnte seine Entscheidung rückgängig machen… Aber was muss, das muss… Der Blonde huschte aus ihrer Wohnung und lief die Straße hinunter. Mimi blickte ihm noch ewig hinterher. Der meiste Teil von ihr trauerte heute Nacht… Doch zumindest ein Teil von ihr freute sich für ihn… Und vielleicht würde es einen Tag geben, wo sie sich voll und ganz für ihn freuen konnte… ----------------- Unrühmliche Schnarchlaute ertönten in der Wohnung der Yagamis… hauptsächlich aus Tais Zimmer dröhnte das überlaute Spiel im Schlaf. Sora, die mal wieder wie so oft, wenn sie bei ihrem besten Freund übernachtete, von dem Radau geweckt wurde, überlegte hin und her. Wie soll es zwischen ihr und ihrem besten Freund weitergehen? Sie war sich immer noch nicht sicher, ob sie mehr von ihm wollte oder nicht. Außerdem musste sie vorsichtig sein; sie wollte auf keinen Fall wieder ihre Freundschaft zu ihm fahrlässig auf’s Spiel setzen; dafür war sie viel zu wichtig! Diese zu verlieren würde ihr wieder genauso einen Schlag ins Gesicht versetzen wie einst damals, als Yamato mit ihr Schluss gemacht hatte. Bei diesem Gedanken kochte in ihr wieder Wut auf. Yamato… so ein Arschloch! Wie konnte er das nur tun!! Völlig außer jeglicher Kontrolle hob sie die Hand, zu einer Faust zusammengeballt, und ließ auf den Glastisch neben ihrem Bett fallen. KLIRR! Die Orangehaarige zuckte zusammen. Dieses Geräusch war leider kein leises gewesen. Es würde eventuell reichen, um Tai zu… „Sora?“ …wecken. Sie seufzte. „Tut mir Leid, dass ich dich aufgeweckt habe…“ Tai gähnte herzhaft und drehte sich auf seinem Bett, das sich über Soras befand. Früher hatten Tai und Kari in einem Zimmer gewohnt. Seit Kari ein eigenes Zimmer bekommen hatte, wurde das Hochbett, das immer noch in Tais Zimmer stand, nur noch von Tai benutzt. Normalerweise schlief er immer unten, aber für Sora machte er eine Ausnahme, da es – aus welchen Gründen auch immer – ihr Wunsch war, unten schlafen zu können. „Ist minder schlimm… aber, was ist denn? Bedrückt dich irgendetwas?“ Sora winkte ab: „Ach, ist nicht wichtig. Ich habe gerade nur an… IHN gedacht…“ Ihr Ton klang irgendwie verachtend. Tai seufzte. Dass sie sich immer noch nicht dazu überreden ließ, endlich mal mit Yamato zu reden, machte die Sache nicht einfacher. Er musste sich da morgen noch etwas einfallen lassen, wenn sie am Partytreffpunkt ankommen würden… Apropos: Morgen war ja schon heute! Tai richtete sich auf, immer noch ein bisschen müde, und bewegte sich Richtung Leiter. Sora bemerkte, dass das Hochbett hin und her wackelte. „Tai, was machst du da?“ Ohne Antwort zu erhalten hörte sie, wie Tai die Leiter herunterstieg und nun auf dem Boden angekommen war. In der Dunkelheit war nichts zu erkennen, doch sie spürte etwas auf sich zukommen. Plötzlich ergriffen sie zwei Hände an der Seite und sie merkte, wie eine gewisse Person auf ihr Bett stieg. Ein leises und kurzes Quieken Soras erfüllte den Raum, bevor Tai zu ihr in die Decke schlüpfte. Sora lief hochrot an; Tai war ihr nun so nahe! Und gerade hatte sie sich noch Gedanken über ihre Zukunft mit ihm gemacht… „Tai, was soll das? Was… hast du vor? Wieso…“ Sie merkte, wie zwei Arme sie umschlungen hatten. Die Orangehaarige meinte, sie könnte fast explodieren vor innerer Wärme, die sich mehr und mehr in ihr bildete. Und nun konnte sie auch Tais Atem spüren. „Sora…“, hörte sie ihn leise sagen, „Vergiss ihn einfach erstmal für ‘ne Weile… und widme dich lieber dem Gegenwärtigen! Weißt du nicht mehr, welchen Tag wir nun haben?“ Er lächelte, aber das konnte sie natürlich nicht sehen. Sora lächelte ebenfalls verlegen; natürlich hatte sie es nicht vergessen. Heute war endlich der Tag gekommen, an dem sie all ihre Sorgen abwerfen konnte, die sie die letzten Monate mit sich trug. Sie war nun endlich 18 Jahre alt… ein einfach wunderbares Alter, wie sie sich dachte! „Doch, du Dummchen! Ich weiß, was heute für ein Tag ist…“, erwiderte Sora und kuschelte sich mehr an ihren besten Freund heran. Er wiederum nahm sie liebevoll auf… und meinte noch dazu: „Wenn du nichts dagegen hast, kann ich dich… den Rest der Nacht so halten…“ Sora errötete noch heftiger, aber sie freute sich zugleich um ein Vielfaches mehr. Sie wünschte sich derzeit nichts anderes als seine Nähe. „Bitte… bitte bleib hier… bei mir“, flüsterte sie nur noch. Sie könnte an seinem Angebot zergehen. Und keinen Augenblick später war sie wieder eingeschlafen… Tai, der mindestens genauso erfreut an ihrer Zusage war, war sich nun vollkommen sicher, dass Yamato Recht hatte. Er fühlte, dass er viel mehr für die hübsche Orangehaarige empfand, als er es sich bisher eingestanden hatte. Aber er merkte noch, wie unsicher seine Angebetete war… und er wollte nichts riskieren. Es wäre schlauer, den folgenden Tag ablaufen zu lassen… einen Versuch könnte man eventuell abends nochmal unternehmen, dachte er sich… Und mit diesem Gedanken fiel auch er wieder zurück in das Land der Träume… Kapitel 23: Entscheidungen -------------------------- Ein einzig hellblauer Streifen war im Himmel an jenem Samstagmorgen zu sehen, der vielversprechend sein könnte. Jedenfalls könnte man sich bei dem Anblick wünschen, dass man sein eigenes Zimmer auch in dem gleichen hellblauen Ton so gestrichen hätte… die Folge wäre eventuell: Gute Laune an jedem Tag! Aber selbst dann, wenn es anders gewesen wäre, hätte man einer Person die überaus gute Laune nicht verderben können. „HAPPY BIRTHDAY TO YOUUU! HAPPY BIRTHDAY TO YOUUUUU…“ Im Hause der Yagamis erklangen 4 Stimmlagen, als würde ein kleiner Kammerchor im Konzert auftreten. Tai, Kari, Susumu und Yuuko hatten Sora am Morgen mit einem Ständchen überrascht, als sie noch müde aus Tais Zimmer kam. Leicht erschrocken hüpfte sie einen Schritt zurück, bis sie schließlich erleichtert realisierte, was gerade geschehen war. Alle Familienangehörigen gratulierten der Orangehaarigen herzlich; Tai setzte noch eines drauf und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, wobei Sora statt rot anzulaufen leicht kicherte, als wäre sein Umgang mit ihr gerade schon normaler Alltag. Doch Zeit, um sich über ihr Verhalten zu wundern, blieb ihr nicht, denn die Türklingel erwachte zum Leben und kündigte Gäste an. „Sora, der Besuch ist für dich!“, lächelte Susumu Sora an. Die blickte reichlich verwirrt: „Für… für mich?“ Zögernd ging sie auf die Tür zu und öffnete sie. Draußen befanden sich nichts weiter als… Urplötzlich wurde sie mit einer stürmischen Umarmung ihrer besten Freundin überfallen. „ALLES GUTE ZUM GEBURTSTAG, SORA!!!“ Während Mimi immer noch um ihren Hals hing, kamen auch Joey, Izzy und T.K. auf sie zu und gratulierten ihr herzlich. „Danke, meine lieben Freunde… Mimi, du erdrückst mich noch…“, quetschte Sora hervor. Endlich ließ Mimi von ihr los, alle lachten. Nun meldete Tai sich zu Wort: „Wie steht’s? Wollen wir losfahren?“ „Was ist mit den Geschenken?“, hakte Joey nach. „Die gibt’s erst da oben! Und wenn wir jetzt nicht aufbrechen, kann Sora noch Tage darauf warten. Also, was ist?“ Sora kicherte. Sein typischer Anführerinstinkt hat immer noch zwischen all den Jahren gehalten. Zwar kam sie immer weniger zum Vorschein, weil die Gruppe sich nicht mehr wirklich oft getroffen hatte, aber die wenigen Momente genoss Sora. „Gehen wir!“, mischte sie sich nun mit ein. „Eure Majestät hat gesprochen! Los, ab auf den Berg!“, dröhnte Tai gespielt durch die Menge. Alle lachten lauthals und die Gruppe inklusive Tais Eltern machte sich auf den Weg. ----------------- Etliche Gemälde der Wohnung waren abgehängt worden. Auch viele der Schränke wurden ausgeräumt… die gefüllten Schränke blieben mit Sachen zurück, die er für unnütz hielt. Im Ganzen konnte man sagen, die Wohnung hatte an Lebendigkeit verloren… die einzigen Sachen, die zurückblieben, waren größtenteils leere Schränke, eine E-Gitarre, Schubladen mit einem Inhalt, die an seine bisher wichtigste Lebensstation – die der Digiwelt – erinnerten, und weiße Wände. Und heute würde diese Wohnung den Rest an Lebendigkeit verlieren, wenn er Japan verließe… Draußen auf dem Flur standen Umzugkartons… in denen befanden sich Bücher, Musik-CDs und Fotoalben. Fotoalben… Besonders die waren ihm von wichtigster Priorität, damit er in seine Vergangenheit zurückblicken konnte. Er hatte etliche Stationen seines Lebens hinter sich gebracht… und noch eine ganz große stand ihm jetzt bevor. Doch durch die Bilder seiner Erlebnisse würde er immer im Kopf behalten können, welche Taten er vollbracht und wie viele Freunde er gehabt hatte… Und nicht zu vergessen… welche Fehler er bis jetzt in seinem Leben gemacht hatte… Das würde er alles mitnehmen… nach oben… ganz weit oben! Was Höheres gab es für ihn nicht. In wenigen Tagen würde er endlich das erreichen, worüber er die ganzen Jahre lang geträumt hatte. Nie im Leben hätte er sich vorgestellt, jemals zu diesem Genuss zu kommen. Und auch niemand hätte ihm es zugetraut, sollte er eines Tages die Chance bekommen, seinen Lebenstraum zu verwirklichen. Er erinnerte sich noch dunkel daran, wie seine Bandkollegen johlend und vor Lachen nicht mehr halten könnend auf dem Boden gerollt hatten, als er ihnen das geschildert hatte. Er ließ sich nichts zwar nichts anmerken, aber hätte seine Wut überhand genommen, wüsste er nicht, wie das geendet hätte… zumindest nicht glimpflich für die anderen… Und heute war jeglicher Kontakt zu ihnen abgebrochen worden… jedoch nicht aus seiner Initiative heraus. Er vermutete, dass ein gewisser Grad an Stolz oder mangelnder Selbsteinsicht der anderen dafür verantwortlich war. Umso mehr war er froh, dass er sich nicht mehr mit solchen Leuten abgeben musste. Er schaute sich in seiner Wohnung um. Soweit er beurteilen konnte, hatte er nun alles für seinen Abgang vorbereitet… und alles stand bereit, um aufbrechen zu können. Auch das Taxi, das er gerufen hatte, tauchte in diesen Minuten auf. Nach ein paar Runden Kartons schleppen war alles Gepäck im Auto verstaut und das Taxi machte sich auf den Weg zum Flughafen. Es war keine leichte Entscheidung für ihn gewesen. Letzte Nacht hatte er sich vor den wenigen Stunden, die ihm zum Schlafen zur Verfügung standen, noch den Kopf darüber zerbrochen, ob er es doch tun sollte oder nicht. Sollte er einfach so verschwinden, ohne sich von den anderen zu verabschieden und sie alleine lassen… ohne jegliche Aufklärung oder Entschuldigung? Wahrscheinlich war es unaufrichtig… aber in dieser Situation mochte er keine weiteren Risiken eingehen. Seine Psyche war schon so weit in den Keller gesackt, dass er sich nun nicht mehr traute, sich vor den anderen nochmal blicken zu lassen… geschweige denn vor IHM und IHR. Und ein weiterer herber Rückschlag könnte das ohnehin schon randvolle Fass zum Überlaufen bringen… er konnte sich schon ausmalen, was dann passieren würde… Er hatte sich nun für das eine entschieden! Eine halbe Stunde Fahrt verging und langsam kam der Flughafen in Sichtweite. Man hörte schon das Donnern der Flugzeuge, die über das Taxi brausten und zur Landung am Flughafen ansetzten. Plötzlich vibrierte es in seiner Jackentasche. Der Blonde stutzte und griff darin hinein: Es war sein Handy. Er nahm es heraus… auf dem Display stand in Großschrift: „UNBEKANNTE NUMMER“. Er entschied sich abzunehmen; vielleicht war es ja einer seiner Vorgesetzten. „Ishida?“ Eine ihm bekannte Stimme ließ ihn erstarren: „Matt! Wo zum Teufel bleibst du?“ ----------------- Auf dem Berg war es durch den wehenden Wind nicht so heiß wie in der Stadt. Tais Eltern Yuuko und Susumu waren in der Hütte mit den Abstellen der Getränke und dem Essen beschäftigt. Izzy und Joey reinigten den dort befestigten Grillständer für den späteren Einsatz. Mimi und Sora schmückten die Hütte mit Partydekoration… und Kari und T.K. verstauten die zahlreichen Geschenke in den Abstellraum. Die Hütte war durch das einstige Abenteuer der Digiritter ein von ihnen gerne besuchter Ort. Unzählige Male wurden hier oben gemeinsame Treffen abgehalten oder einfach Urlaub gemacht. Die Natur bot hier alles, was das Herz begehrte… man konnte wandern, klettern oder auch einfach nur feiern… so wie heute. „Tai! Bring mir mal bitte die Tiefkühlbox her!“, rief Susumu kurz nach draußen und wandte sich wieder den Getränkekisten. Yuuko blickte kurz zu den Mädchen rüber. „Sieht hübsch aus, was die da gerade aufhängen… findest du nicht?“ Ihr Mann nickte: „Allerdings… die neue Jugend von heute weiß wohl, was in ist…“ Yuuko verdrehte die Augen: „Soll das heißen, dass ich etwa damals, wo wir noch so alt waren wie sie jetzt, nicht wusste, was angesagt war und was nicht?!“ Susumu lachte: „Nein, das wollte ich damit nicht sagen! Aber ich kann mich nicht erinnern, dich jemals auf einer Party gesehen zu haben…“ Er grinste und erntete für diesen schlechten Scherz einen bösen Blick seiner Frau. Susumu drehte sich wieder zurück zur Tür, um die Tiefkühlbox in Empfang zu nehmen. Allerdings erblickte er im Gang immer noch nicht jenen Gegenstand, auf das er die ganze Zeit wartete. „Tai! Wo bleibst du denn? Ich brauche die Kiste jetzt… das ganze Zeug muss in den Kühlschrank!“ Keine Antwort. Genervt schritt der alte Mann aus der Hütte und schaute sich um. Kein Tai weit und breit. Eilends marschierte er ein paar Meter weiter weg auf eine minimale Erhebung, um eine bessere Aussicht zu haben. Da erblickte Susumu seinen Sohn… Es stellte sich heraus, dass Tai gerade sein Handy am Ohr hatte… „Die Jugend von heute…“, seufzte er und ging zum Auto, um die Tiefkühlbox herauszuholen. ----------------- „Was soll das heißen, du hast dich entschieden?“, schallte es aus Yamatos Handy. „Tai, es hat keinen Sinn mehr! Ich habe dir die Sache eben gerade geschildert! Ausgerechnet T.K. will mich nicht mehr sehen… und damit ist ein Strich durch meinen Plan gezogen worden! Ich musste einsehen, dass alles vergebens war und…“ Yamato konnte nicht sehen, wie Tai am anderen Ende der Leitung drum und dran war, verrückt zu werden. Wie konnte Yamato nur so etwas behaupten? „Matt, jetzt mach keinen Theater! T.K. mag von mir aus so etwas gesagt haben! Aber ich kann nicht glauben, dass er das ernst meint! Er hat bestimmt aus Wut seine Wortwahl nicht kontrollieren können…“ Yamato schenkte Tais Trostversuch keinen Glauben. Selbst einem großen Bruder hätte man so eine Schandtat nicht vergeben können. Nein, das wäre zu schön, um wahr zu sein! „Tai, ich kenne T.K. besser als du… und er sagt immer das, was er meint, egal in welchem Gemütszustand. Es tut mir Leid, dass ich dir das so sagen muss, aber ich denke, dass es besser ist, ohne mich…“ „MATT!“ Yamato zuckte zusammen. Diesmal hatte Tai seinen Namen ins Handy geschrien. „Was du dir da einbildest, ist hochkarätiger Blödsinn! Glaubst du etwa, T.K. könnte dich bis ans Ende seines Lebens wortlos ignorieren? Schließlich hat er ebenfalls vieles in seinem Leben durch dich zu verdanken! Vergiss nicht: Alles Hoffnung, was er in sich trägt, ist nur durch seinen großen Bruder entstanden! Erinnerst du dich nicht, was in der Digiwelt passiert war?!“ Yamato brauchte mehrere Sekunden, bis er realisierte, was Tai meinte. Sein bester Freund deutete auf die erstmalige Digitation Angemons zu Magnaangemon hin. T.K. hatte einst gemeint, diese Digitation wäre nur durch Yamato zustande gekommen, weil er ihm Mut gemacht und die Hoffnung zurückgegeben hatte… Ein kleiner Funken an Hoffnung kehrte auch in diesem Moment wieder in Yamato zurück. Aber es war nicht viel… es musste noch einiges mehr an Hoffnung kommen… „Glaubst du, er würde mir vergeben? Ich weiß nicht so recht…“ „Matt, man muss seine Sachen durchziehen! Das habe ich doch schon so oft vor euch anderen rumposaunt! Du kannst doch nicht bei einer Niederlage dein komplettes Handtuch werfen! Meinetwegen reiß ein Stück ab, aber doch nicht das Ganze!“ Mehr Hoffnung keimte in Yamato auf. Tai hatte Recht. Auch wenn er es oft nicht gerne realisieren wollte, Tai hatte eindeutig Recht. Das hatte er oft genug bewiesen… sei es in der Digiwelt oder in Fußballturnieren. Yamato konnte nichts dagegen einwenden… „Und schließlich hast du doch noch uns… die, die dir immer zur Seite stehen! Und auch wenn einige sich von dir jetzt abgewendet haben… du kannst zumindest auf deine vorhandenen Freunde zählen!“ Diese Worte riefen eine Erinnerung hervor, die ebenfalls aus der Digiwelt stammte. Es waren zwei seiner Sätze gewesen, die ihn zu einer wichtigen Erkenntnis gebracht hatten: „Freundschaft ist das stärkste Band! Es lebe die Freundschaft!“ Yamato wollte antworten, aber er konnte nicht. Er hatte sich doch bereits entschieden! Sollte er seine Entscheidung zurücknehmen? Oder unwiderruflich den Weg durchziehen, den er gestern Abend gewählt hatte? Tai meldete sich nochmals zu Wort: „Matt… ich kann dich zu nichts zwingen, und deshalb überlass ich dir den Weg deiner nächsten Tat! Ich hoffe du entscheidest dich nun für das Richtige! Alles Gute!“ Klick! Und damit hatte der Braunhaarige aufgelegt. Auf dem Flughafengelände waren viele, zum Teil orientierungslose Menschen unterwegs und kämpften sich gegen den stauenden Verkehr. Auf den Haltezonen drängelten sich Busse und Taxen, um nach bereitwilligen Passagieren zu suchen. Bei einem anderen Haltebereich am Straßeneingang des Flughafenbereiches standen die Menschen in Schlangen, um nacheinander von vorbeifahrenden Taxis aufgegabelt zu werden. Man hörte einen Passagier fluchen, an dem gerade ein Taxi einfach vorbeifuhr… wieder in Richtung Straßenausgang, als hätte der Fahrer sich gerade verfahren. Dieses Taxi nahm nun Kurs in Richtung Fujiyama… ----------------- Tai hatte sein Handy wieder zurück in die Hosentasche gesteckt. Ihn durchzuckte ein leichtes Gefühl der Kälte. Er hatte eigentlich vorhin eindringlich darauf bestehen müssen, dass Yamato nochmal hierher kommt! Stattdessen hatte er ihm die Wahl offen gelassen… und womöglich würde er in den nächsten Minuten sogar schon im Flugzeug sitzen. Dem Braunhaarigen blieb nur noch die Hoffnung, dass Yamato es sich doch noch anders überlegen würde… „Tai! Was machst du da? Ich suche dich schon überall!“ Der Angesprochene drehte sich um. Er erblickte seine pinkhaarige Schulkameradin. „Hey Mimi! Ich… ich hab gerade telefoniert. Da wollte ich alleine sein und…“ „Hast du mit IHM telefoniert?“ Tai starrte sie mehrere Sekunden lang stumm an. Dann nickte er schließlich. Mimi nahm ihren Ton etwas zurück: „Ich hatte mir es ehrlich gesagt schon gedacht. Genau deswegen wollte ich dich ja sprechen…“ Tai hob die Schultern. Dass Mimi wieder mit ihm über Yamato sprechen wollte, löste leichte innere Erleichterung aus. Sie war es schließlich gewesen, die ihm gestern am Telefon unter einem Bach von Tränen über ihr Aufeinandertreffen mit Yamato auf der Brücke berichtet hatte. Tai war über ihre Erzählung regelrecht schockiert gewesen. Nicht nur, dass Yamato so weit gegangen war, sich umbringen zu wollen; er würde, wie sich vorhin beim Telefonat mit dem Blonden gezeigt hatte, jegliche Versuche, sich mit den anderen wieder versöhnen zu wollen, über Bord werfen… Derzeit war Mimi die Einzige unter allen, mit der er normal und ohne Geheimnisse über Yamato reden konnte. Und sie würde außerdem noch eine große Hilfe für das Schwierigste sein, was zu seinem Plan heute gehörte: Sora! Sie musste unbedingt dazu gebracht werden, mit Yamato reden zu wollen! Aber Tai hatte in den letzten Tagen realisiert, dass dies nicht mit einfachen Mitteln zustande kommen würde. Heute musste es irgendwie geschehen! Vorausgesetzt, Yamato würde heute noch irgendwann auftauchen… „Kommt er heute?“ Mimi holte ihn wieder aus den Gedanken raus. Tai wusste nicht recht, wie er antworten sollte. Er war ja selber schließlich nicht Herr der Lage. „Ich weiß es nicht, Mimi. Ich hatte ihn gerade im Taxi auf den Weg zum Flughafen erwischt. Er war gerade drauf und dran gewesen, ohne „Bye-Bye“ zu sagen Japan zu verlassen…“ Mimi wurde sichtlich blass. Diese Nachricht schockierte sie genauso, wie Tai es vorhin am Telefon widerfahren war. „Und… was jetzt?“ „Jetzt… heißt es warten und hoffen…“ Mit diesen Worten beließ es Tai bei diesem kurzen Gespräch. Er stieß einen laut Pfiff aus, die seine verbitterte Stimmung darstellte. Mimi erging es nicht anders; sie wünschte sich so sehr, ihn vorerst noch ein letztes Mal sehen zu können… die Geschichte gestern trübte immer noch ihre Welt. Aber beide konnten jetzt nichts Weiteres tun… „Komm, Mimi! Gehen wir zu den anderen zurück…“ Tai setzte sich wieder in Bewegung; und Mimi folgte ihm mit leicht gesenktem Kopf… ----------------- Mittlerweile war die Party etwas weiter vorangeschritten. Auch die anderen Digiritter der 2. Generation waren eingetroffen und feierten ausgiebig mit, wobei Davis seinen Fluch, zu spät und schwer keuchend als Letzter aufzutauchen, auch dieses Mal nicht ablegen konnte. Die Nachmittagssonne brannte sich über die Köpfe der Partymacher hinweg und sorgte für eine heitere Stimmung bei allen Beteiligten. Auch Tai und Mimi konnten für eine Zeit lang den Trubel um Yamato vergessen und sich mit den anderen amüsieren. Da an dem heutigen Tag neben Soras auch Tais Geburtstag unter Freunden nachgefeiert wurde, staute sich die Abstellkammer voll mit Geschenken, die jetzt am frühen Nachmittag ausgeteilt wurden… mit besten Glückwünschen der Freunde. Von Izzy und Joe bekamen beide jeweils einen hochwertigen PDA, über den beide Geburtstagskinder nicht schlecht staunten. Davis und Ken schenkten Tai ein Abenteuer-Ausrüstungsset, wobei besondere Utensilien wie Fernglas und Fliegerbrille nicht fehlen durften; Sora bekam von Yolei und Kari ein Ohrringset, die eine kunterbunte Auswahl beinhaltete. T.K. und Cody stellten einen neuen Pokerkoffer mit Spielfläche auf den Geburtstagstisch, um auf die unzähligen Männer-Pokerrunden zu pochen, die Tai regelmäßig bei sich zu Hause veranstaltete. Schließlich hatte Mimi noch eine Überraschung für Sora parat: Das sündhaft teure Badenixen-Set, das Sora und Mimi damals im Kaufhaus gesehen und bewundert hatten, aber es aufgrund des einen Vorfalls mit Haruhiko nicht kaufen konnten. Seitdem hatte Sora keinen Fuß mehr in irgendeinen Laden gesetzt, und deshalb beschloss Mimi, ihr das Set unter die Füße zu legen. Nachdem alle Geschenke verteilt waren, löste sich die geschlossene Runde wieder und feierte gelassen. Tai und Sora betrachteten das Geschehen etwas von der Ferne. Sie lehnte sich zu ihm… und Tai nahm das gelassen hin. Er konnte sich gut vorstellen, wie sich Sora nun fühlte: Um Massen erleichtert, das Leben nun wieder in vollen Zügen genießend und… einfach froh! Und wem verdankte sie das zum größten Teil? Sora durchbrach die Stille: „Tai…“ „Hm?“ „Ähm… was… was schenkst du mir jetzt eigentlich?“ Tai schaute sie frech an: „Bekommst du erst heut Abend zu sehen!“ Sora blickte griesgrämig zu ihm rüber: „Du bist wirklich doof! Du lässt mich schon seit gestern so im Unwissen sitzen! Weißt du, wie blöd das sich anfühlt?“ Der Braunhaarige lachte und schlang seinen Arm um ihren Hals: „Pass mal auf, Sora! Wenn ich dir jetzt mein Geschenk geben würde, dann stünde es doch nicht mehr im Unterschied zu den Geschenken der anderen. Du würdest es in so einem Moment bestimmt so behandeln wie alle anderen Geschenke auch. Nein, mein Geschenk ist etwas Besonderes… es ist eigentlich mehr eine Überraschung! Und… ich will eben erst, dass du es erst am Ende der Party aufmachst!“ Sora spürte, wie ihre Neugier verpuffte. So ehrlich war Tai ihr gegenüber noch nie gewesen. Wirklich… noch nie! Früher hatte er zwar immer auf ihre Freundschaft betont, aber das Gesagte eben ging schon weit darüber hinaus. Es war einfach goldig, wie er sich gerade eben aufgeführt hatte. Sora kicherte: „Weißt du, dass du süß bist, Tai?“ „Keine Ahnung, nie probiert!“ Für diese billige Antwort erntete der Braunhaarige ein schiefes Lächeln seiner besten Freundin. Dieses schiefe Lächeln aber, dachte sich Tai, würde spätestens im Laufe des Abends wieder gerade gebogen werden… Sora richtete ihren Blick wieder auf die feiernden Digiritter… und dann in die Richtung der fernen Wälder und des Fujiyama. Ein herrlicher Anblick… und ein naturfrohes Erlebnis. Sie liebte es, im Freien zu operieren… vor allem in der freien Natur. Ihr Blick glitt weiter und blieb an Tokio hängen. Von hier war der Smog deutlich zu sehen, der sich über der Stadt bildete. Unerträglich… dieses Bild, dachte sie sich und wendete ihren Blick ab. Plötzlich nahm sie eine Reflexion der Sonnenstrahlen in der Ferne war. Ein gleißend heller Punkt, der sich unweit vom Ort der Party entfernt aufhielt… und der immer größer wurde und näher zu kommen schien. Beim genauen Hinschauen erkannte sie ein Auto… die Windschutzscheibe spiegelte die grellen Sonnenlichter. Je mehr sich das Fahrzeug näherte, desto mehr nahm man auch das Motorgeräusch war. Es hielt direkten Kurs zum Ort des Geschehens… … bis es schließlich kurz vor der Hütte stoppte. Es entpuppte sich als ein Taxi. Kapitel 24: Jene Wahrheit ------------------------- Die Beifahrertür öffnete sich quietschend. Währenddessen waren auch alle anderen gekommen, um den neuen unbekannten Gast zu sehen. „Erwartest du noch jemanden, Tai?“, stellte Davis die überfällige Frage. Der Angesprochene aber antwortete nicht, sondern starrte weiter wie alle anderen auf die offene Beifahrertür. Ganz im Inneren hatte er eine leichte Ahnung, wer der Angekommene sein könnte… Eine einzelne blonde Person stieg aus dem Taxi aus und gab sich dem Rest zu erkennen. Die Reaktion der vorher feiernden Gruppe fiel sehr gemischt aus: Erfreut und erleichtert, erstaunt und verwirrt… aber auch verbittert und entsetzt! Aber keiner rührte sich oder sagte etwas… Yamato stand auf wackeligen Füßen; ihn verunsicherte das Verhalten der anderen sehr. Wieso zum Teufel hatte er sich eigentlich doch umstimmen lassen?! Man sah jetzt doch, dass es nicht gut gehen konnte! Dieses unerträgliches Schweigen und das gegenseitige Anstarren bedeutete jedenfalls nichts Hoffnungsvolles! Außerdem kamen noch jene entsetzten Blicke dazu, die keine guten Aussichten auf das stellten, was er mit diesem Treffen erreichen wollte. Jetzt kann alles passieren… nur nichts Vorteilhaftes… „MAAATT!“ Ein schriller Ruf unterbrach jäh die peinliche Stille. Aus der Menge stürmte Davis hervor und lief auf den Blonden zu… und stoppte direkt vor ihm. Erst jetzt bemerkte Yamato, dass dessen Gesicht ein Lachen beinhaltete. „Ist das toll, dass du da bist! Oh Mann, wo bist du denn so lang nur gewesen? Tai hatte gesagt, du wärst einfach so verschwunden und…“ Davis plapperte einfach drauf los; er realisierte nicht, dass sich jetzt alle Blicke auf ihn richteten… auch diesmal teils erstaunt und teils entsetzt. Yamato aber war ihm für seine Reaktion unendlich dankbar. Der vorerst schwierigste Teil – der Anfang! – war somit schon mal gemacht. Tai, ebenfalls erleichtert und erfreut über Davis‘ Reaktion, ging auf die beiden Jungs zu: „Schon gut, Davis! Ich denke, dass du alles nacheinander von ihm erfahren wirst. Und um jetzt klarzustellen…“ Der Braunhaarige ging auf Yamato zu, stellte sich zu ihm und wandte sich wieder an die Menge. „Ich habe Matt zu der heutigen Party eingeladen. Er ist hier, um euch einiges zu erzählen… und um einige Gerüchte aus der Welt zu schaffen. Die Gelegenheit dazu wird er später nicht mehr haben… einige wissen bereits warum! Auf jeden Fall bitte ich euch, ihn so zu behandeln, wie ihr es früher mit ihm auch getan habt!“ Einige ratlose Gesichter gingen in der Menge umher. Das, was Tai gerade gesagt hatte, machte für einige gar keinen Sinn. Zu was sollte er später keine Gelegenheit mehr haben? Und wieso sollten sie ihn anders als früher behandeln? Das war doch eine Selbstverständlichkeit, ihn als einen Freund und Dazugehörigen anzusehen… Für 2 Personen jedoch nicht mehr… T.K. und Sora wandten ihre Blicke von ihm ab. Gerüchte… pah! Was sie von ihm kennen, waren reine TATSACHEN und keine Gerüchte! Und Tatsachen kann man nicht aus der Welt schaffen… das wäre ja zu schön, um wahr zu sein! T.K. setzte sich in Bewegung und ging auf seine Freundin zu. „Kari, komm! Wir gehen!“ Seine braunhaarige Freundin war überrascht über seinen wütenden Ausdruck: „Aber T.K., was hast du…“ „Keine Widerrede! Ich will, dass du mit mir gehst und…“ „T.K.!!“ Seinen Namen hatte Tai überdeutlich gebellt… man konnte sogar ein leichtes Echo aus dem Wald hören. Der junge Blonde schaute zurück… ohne Respekt gegenüber dem Älteren. „NEIN! Ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben! Auch du kannst mich nicht dazu zwingen, Tai!“ Mit diesen geschrienen Worten verließ T.K. mit Kari im Schlepptau den Platz und lief mit ihr in den Wald. „T.K.! Kari! Kommt sofort…“, rief Tai. Eine Hand wurde dem Braunhaarigen auf die Schulter gelegt. Er drehte sich um und blickte den Besitzer dieser Hand an; Yamato schüttelte leicht den Kopf und deutete auf die andern. Tai verstand zuerst nicht, was er damit sagen wollte, doch schließlich nickte er. Mit T.K. zu reden brachte jetzt nichts, also sollte man erst einmal mit dem anfangen, was zu machen war. Tai drehte sich wieder zur Gruppe um; die sah regelrecht geschockt aus von der Szene, die gerade eben ablief. Er wies die Gruppe zurecht: „Gehen wir in die Hütte… dort wird Matt uns von allem berichten…“ Zögernd setzte sich die Menge in Bewegung und huschte durch den schmalen Eingang. Yamato folgte der Menge mit nachdenklicher Mimik; hinter ihm ging schließlich Tai, der ein ebenfalls nachdenkliches Gesicht machte. Das hätte nicht sein müssen, was gerade eben geschehen war; es machte die Sache unnötig schwieriger, als es ohnehin schon war… Andererseits war das zu erwarten gewesen… Yamato hatte es ihm in aller Ernsthaftigkeit geschildert, dass T.K. sehr wohl all seine Worte so gemeint waren, wie sie von ihm kamen. Allerdings hatte Tai so ein Ausmaß von T.K.s Wut nicht vorausgesehen. Er dachte, dass auch T.K. Yamato nun zumindest etwas glimpflicher behandeln würde als vor ein paar Tagen… Doch dem schien nicht so… Schließlich waren alle in der Hütte versammelt und hatten einen Kreis gebildet. Tai wollte gerade die Tür der Hütte schließen, als er eine Gestalt draußen erblickte, die reglos stehen blieb. „Auch das noch…“, dachte sich der Braunhaarige, als er erkannte, um wen es sich handelte. Seine beste Freundin hatte anscheinend nicht das Bedürfnis, Yamato seiner Geschichte zuzuhören… Immerhin war sie nicht wie T.K. einfach so gegangen… das war der einzige Schimmer Hoffnung in dieser Sache. Er wollte gerade wieder aus der Hütte laufen und zu ihr gehen, da wurde er wieder abrupt von einer Hand an seiner Schulter aufgehalten. Diesmal war es Mimi; sie hatte bemerkt, dass Sora in der Hütte gefehlt hatte. „Ich werd‘ mit ihr reden…“, flüsterte sie ihm zu. Tai wusste zuerst nicht recht, stimmte aber dann zu; vielleicht hatte Mimi mehr Chancen, Sora zu überreden… er selbst war schließlich schon zwei Mal mit dem Versuch gescheitert. Hoffentlich würde sie das schaffen, was er nicht geschafft hatte… ----------------- „Warum hatte er das getan? Warum nur??“ Eine einzelne Träne kullerte auf ihrem Gesicht herunter. Sora stand steif in der gerade untergehenden Sonne. Sie konnte es immer noch nicht fassen, wer gerade aus dem Taxi gestiegen und zu der Gruppe gestoßen war. Sie konnte allerdings noch mehr nicht fassen, dass es ausgerechnet ihr bester Freund war, der Yamato eingeladen hatte. Wieso hatte er das getan? Sie hatte ihm doch ausdrücklich gesagt, dass sie den Blonden nicht mehr sehen wollte! Die Geschichte um ihre Vergangenheit hatte doch schon das Fass zum Überlaufen gebracht… was sollte also das Ganze jetzt?! Geräusche von knirschendem Kies ließen Sora aufhorchen. Sie wurden immer lauter; jemand kam auf sie zu. „Tai, bitte lass mich alleine…“, sagte Sora mit dem Gedanken, dass es sicherlich ihr bester Freund war. „Sora… ich bin’s!“ Das Mädchen stutzte; mit Mimi hatte sie nicht gerechnet. Sie drehte sich um: „Mimi… was… was machst du denn hier?“ Mimi kam auf ihre orangehaarige Freundin zu und setzte sich neben ihr hin. „Ich weiß seine Geschichte schon. Er hatte sie mir gestern erzählt…“ „Achso…“ Mimi blickte Sora besorgt an. Diese hatte ihren Kopf gesenkt und weggeschaut. Aber irgendwie musste sie mit ihr reden. Es würde vielleicht weh tun, über das eine oder andere zu sprechen, aber sonst würde sie nicht erkennen, das Yamato noch eine gute Ader besaß. Sonst würde sie in ihm nur noch einen schamlosen Schuft sehen, der sich einen Dreck um andere scherte. „Sora…“, meinte Mimi nach einer Weile, „Warum gehst du nicht rein und hörst ihm zu?“ Die Angesprochene regte sich nicht. Sie saß still und hatte ihren Blick immer noch nicht zu ihr gewendet. Mimi glaubte nach mehreren Sekunden, sie würde nicht antworten wollen… „Ich… ich will… ich will ihn nicht sehen! Und außerdem weiß ich seine Geschichte auch schon… und… und das ist mir auch genug…“ Soras plötzliche Antwort ließ Mimi innerlich zusammenzucken. Ihre Stimme war so kühl und klang auch verabscheuend. In ihr musste sich schon ziemlich viel zusammengestaut haben… und das Zusammengestaute drohte auch, gewaltsam aus ihr auszubrechen. Also musste sie ihre beste Freundin schnellstens irgendwie überzeugen… „Sora… ich glaube nicht… dass du seine Geschichte wirklich kennst!“ So! Nun war es raus! Diese Behauptung hatte sie nun ausgesprochen. Sie wusste keinen anderen Ausweg. Es war ihr wichtig gewesen; sie musste das Risiko eingehen, dass die Bänder und Stricke in Soras Innerem endgültig reißen könnten… Es war ihr wichtig gewesen, dass sie sofort auf den Punkt kommt, denn sonst würden sie noch den ganzen Nachmittag beanspruchen… und so viel Zeit hatten sie nicht! Sora blickte reichlich irritiert über die Aussage ihrer besten Freundin. Es war aber kein entsetzt irritierter Blick, sondern in diesem Blick spiegelte sich vielmehr Neugier wieder. „Wie?“ Mimi reagierte etwas verunsichert. War jetzt mehr die Neugier oder mehr die Wut der Anlass für diese knappe Frage? Sie holte etwas Luft und wiederholte ihre Aussage: „Ich… ich glaube… dass du nicht die volle Wahrheit weißt…“ Dieses Mal war es Sora, die etwas verunsichert zu ihrer Freundin herüberschaute. Was war die volle Wahrheit? Sie befürchtete, dass noch schlimmere Informationen auf sie zukommen würden als die, die sie bis jetzt von Tai erfahren hatte… Aber es könnte auch etwas Entlastendes sein… vielleicht so entlastend, dass sie nicht mehr so schlecht über diese Zeit denken könnte. Und dann müsste sie sich auch nicht mehr mit diesen schlimmen Gedanken herumplagen… „Meinst du das ernst?“, fragte sie noch einmal nach. „Wenn du alles wissen würdest, würdest du jetzt wahrscheinlich nicht so auf seine Anwesenheit reagieren…“, meinte Mimi selbstsicher. Jetzt war Sora an dem Punkt angelangt, wo sie meinen konnte, dass die fehlenden Informationen nicht so schlimm sein können, wie sie vorerst dachte. Es musste etwas Entlastendes sein! Sie musste es erfahren! „Dann…“ Sie schluckte kurz. „Dann… bitte erzähl mir die – volle – Wahrheit…“ Erleichtert über diese Bitte begann Mimi, ihr die Details, von der Sora bislang noch nichts wusste, zu erzählen. Dabei ging sie explizit auf das Ereignis in der Disco, wo Yamato auf T.K. und Kari stieß, ein. Auch von den aktuellen Geschehnissen, mit denen Yamato derzeit konfrontiert wurde, erzählte sie der Orangehaarigen… ----------------- „So sieht’s also derzeit aus…“ Es war still. Yamato hatte gerade mit seiner Erzählung geendet. Alle Blicke in dem Raum, die bis jetzt die ganze Zeit auf ihn gerichtet waren, wendeten sich nun langsam in alle Richtungen ab. Einige der Gruppe stießen leise Pfiffe oder auch einen lang angehaltenen Atem aus. Diese Stille hielt noch einige Zeit… bis sich schließlich Cody mühsam aufraffte. „Wieso erzählst du uns das?“ Diese Frage überraschte einige der Angehörigen. Viele Blicke richteten sich auf das mittlerweile hochgewachsene Nesthäkchen der zweiten Digiritter-Generation. Nur Yamato war nicht verwundert; er hatte geradezu eine solche Frage erwartet. Denn was sollte denn die Menge hier mit diesen Informationen anfangen? Geschichten schreiben? „Lieber Cody, ich erzähle euch das alles nicht, um zu zeigen, wie toll ich bin und jetzt Astronaut werde! Eigentlich ist dieser mittlere Teil meiner Erzählung mir unwichtig… mir geht es vielmehr um den vorderen und hinteren Teil…“ Yamato holte Luft. Die ganze Geschichte zu erzählen hatte ihn schon viel Kraft gekostet. Die ganzen Erinnerungen, die teilweise mehr schmerzten als vorher, nochmal Revue passieren zu lassen… und sich dabei selbst einzugestehen, wie hart es die anderen damals getroffen hatte… diese schlimmen Erinnerungen würden ihn das ganze Leben noch verfolgen. „Es ist für mich schwer genug… zu realisieren, dass ich solche… Undinge in der Vergangenheit getan habe. Mir geht es deshalb darum, euch wissen zu lassen, was wirklich geschehen ist… was wirklich in der Vergangenheit passiert war… zwischen Kari, Sora und mir… und was ich vor nicht allzu langer Zeit versucht habe, zu tun…“ Dabei musste Yamato schlucken. „… und dass ich das bereue. Es schweben schon genug Gerüchte und falsche Erzählungen über mein Leben vor und jetzt auch noch nach meinem Verschwinden in der Luft herum.“ Der Blonde pausierte und blickte in die Runde. „Ich hoffe, ihr seid mir nicht böse, dass ich euch vielleicht hintergangen und im Dunkeln gelassen habe…“ Mit diesen Worten hielt Yamato inne. Tai saß in einer Ecke und hatte die Luft unbewusst angehalten. Er war sehr gespannt auf die Reaktion der anderen… würden sie ihm glauben und vergeben? Oder würden sie ihn von der Gruppe ausstoßen? Tai glaubte nicht daran, dass Zweiteres geschehen würde; der Blonde hatte seine Erzählung sehr überzeugend herübergebracht… Plötzlich stand Yamato auf. Er sah Tai an: „Wo ist Sora?“ Es klickte innerlich in dem Braunhaarigen. Anscheinend wollte sein bester Freund nicht auf die Reaktion der Gruppe, die ihm gerade zugehört hatte, abwarten. Er wollte lieber gleich zum ernstesten Teil der Sache übergehen. Aber so weit war Tai gedanklich noch gar nicht… zumal er auch nicht weiß, wie weit Mimi bei Sora gekommen war! Hatte sie die Orangehaarige überreden können? Hatte sie ihre beste Freundin dazu bringen können, mit ihrem Ex zu reden?? Was, wenn dem nicht so wäre? Was würde dann aus Yamato werden? Nein, er musste sich erst einmal vergewissern, ob Mimi sie… „Hey Tai!“ Der Angesprochene wurde inmitten aus seinen Gedanken herausgeworfen. Yamato stand nun direkt vor ihm. Tai hatte noch nicht einmal bemerkt, dass er auf ihn zugegangen war. „Ähm, sorry Matt…“, begann der Braunhaarige, „aber ich weiß… ich weiß selber nicht, wo Sora ist. Ich kann sie suchen gehen und sie dir holen und…“ „Ist schon ok, Kumpel! Ich werde sie selber suchen gehen und mit ihr reden!“ Mit diesen Worten war der Blonde an ihm vorbeigegangen. Tai schaute ihm höchst irritiert nach. Kurz vor der Tür hielt der Blonde nochmal an und drehte sich um. Sein Blick traf den seines besten Freundes, der immer noch etwas aus der Tasse schaute. Schließlich führte er mit seinen Augen einen Zwinker aus, öffnete die Hüttentür und ging hinaus. Hinter Tai kam langsam die Gruppe hervor. Tai selbst konnte es immer noch nicht fassen. Woher kam so plötzlich seine Entschlossenheit? Woher kam so schnell auf einmal wieder sein Mut zurück? Sein bester Freund war wohl auch gut für Überraschungen, dachte er manchmal… „Viel Glück, Matt… du schaffst das!“, hörte Tai hinter sich jemanden sagen; es war Cody. Auch Davis stellte sich hinter Codys Meinung: „Na klar wird er das schaffen… hast du dir sein Gesicht angeschaut?“ „Voller Entschlossenheit“, ergänzte Izzy. „Sag mal Tai“, sagte Joey und blickte den Braunhaarigen dabei fragend an, „Was ist denn mit dir? Du schaust so überrascht!“ Tai reagierte auf die Frage mit einem Kopfschütteln: „Nichts, Joey… es ist nur: Ich sollte mir echt mal darüber Gedanken machen, ob das Wappen des Mutes nicht besser zu ihm passen würde als zu mir…“ ----------------- Mimi und Sora saßen immer noch unter dem Baum, der sich neben den beiden vorhin angeboten hatte. Mimi hatte längst aufgehört, über alle Geschehnisse, die sich kürzlich ereignet hatten, zu berichten; Sora versuchte unterdessen, alle Informationen zu verarbeiten. Sie schaute sehr nachdenklich herab; wenn das alles stimmen sollte, was Mimi erzählt hatte, wie sollte sie denn jetzt ihren Exfreund betrachten? Er war immer noch ein Mistkerl, das stand für Sora nicht mehr zur Debatte! Aber war er wirklich ein solcher Mistkerl, wie sie eine ganze Weile lang von ihm gedacht hatte? Er hatte sich immerhin versucht, umzubringen… demnach müsste er seine Absicht ernst gemeint sein. Er wollte seine Ehre wiederherstellen… und Unwahrheiten aus der Welt schaffen… ein ehrenhaftes Verhalten, dachte sie sich. Aber trotzdem: Sie würde immer noch nicht wissen, wie sie ihn jetzt behandeln sollte… Hasste sie ihn denn immer noch so, wie sie es vorher noch getan hatte? Wäre das immer noch eine gerechte Antwort auf seine Taten in der Vergangenheit? Auch wenn er sie nun anscheinend bereute, wie sein Selbstmordversuch zeigte? „Sora?“ Mit einem Male fühlte sie sich so, als würde ihr Herz stehen bleiben. Sie hatte noch nicht ihre Gedanken ordnen können… und ganz plötzlich wurde sie aus ihnen gerissen. Diejenige Person, über die die Orangehaarige gerade noch gegrübelt hatte, stand nun direkt vor ihr. Yamato blickte herab zu den beiden sitzenden Mädchen, die nun über seine Anwesenheit leicht schockiert wirkten. Yamato schaute Mimi mit einem leichten Nicken an. Diese verstand sofort und erhob sich. Sora blickte Mimi mit einem entsetzten Gesicht an; was hatte ihre beste Freundin sich jetzt bloß dabei gedacht? Mimi jedoch lächelte sie leicht an; indirekt konnte man ihr Lächeln wie die Worte „Du schaffst das schon!“ interpretieren. Dann verließ sie die Stelle, wo die beiden gut 15 Minuten gesessen hatten… an ihrer Stelle kam nun Yamato. Sora schaute stumm zu, wie der Blonde sich ihr näherte. Noch vor Kurzem hätte sie ihn nicht mehr so nah an sich herangelassen. Eigentlich wäre sie sofort fortgerannt oder ihn angeschrien. Aber sie wusste ja momentan selber nicht mehr, wie sie sich in seiner Gegenwart verhalten sollte… „Hey…“ Yamato wusste nicht wirklich, wie er das nun wichtigste Gespräch anfangen sollte. Vor den anderen zu reden, war nicht unbedingt schwierig gewesen… die anderen waren ja kaum oder überhaupt nicht an dieser Geschichte aktiv beteiligt gewesen. Aber vor Sora klar zu sprechen war alles andere als leicht; schließlich war sie die am schwersten geschädigte Person. „Hallo… Matt…“, kam es nun auch von Sora. Yamato stutzte: „Du… nennst mich immer noch so?“ „Wie sollte ich dich denn sonst nennen?“ „Naja… ich dachte, dass du mich nie bei meinem Spitznamen rufen würdest, wenn du sauer auf mich bist…“ Sora schluckte. An diese Zeiten wollte sie nicht unbedingt erinnert werden. Aber sie musste nun, da er jetzt anscheinend mit ihr reden wollte, wohl oder übel damit konfrontiert werden… „Die Zeiten sind vorbei, Matt… wir sind doch schon lange nicht mehr zusammen…“ „Mhh…“ Yamato wurde nachdenklicher. Sora wirkte gesprächiger, als er angenommen hatte; wieso? Vielleicht hatte sie ebenfalls das Bedürfnis, mit der Vergangenheit abzuschließen. Verständlich… wenn man bedachte, dass sie sich mit dieser Geschichte noch länger als Yamato plagen musste, würde es Sinn ergeben. Vielleicht würde es doch nicht so schwierig werden? Er wagte einen Versuch: „Sora… ich weiß nicht, ob du… ob du meine Geschichte auch hören möchtest…“ Sora winkte ab; sie hatte seine Geschichte schon oft genug gehört: „Ich kenne sie schon…“ Yamato wunderte sich nicht. Mimi müsste es ihr schon längst erzählt haben. Die Orangehaarige fuhr fort: „Mir geht es außerdem weniger um das, was du nach unserer Zeit gemacht hast…“ Nun wurde Yamato hellhörig. Wenn nicht um das, was denn dann? „Wenn du mich schon an diese Zeit erinnerst… würde ich… würde ich sagen, du solltest mir lieber erzählen, welcher… Bär dich damals geritten hat, bevor du verschwunden warst…“ Diese Sätze sprach sie mit mehrmaligem Schlucken aus. Es kostete sie immer noch Überwindungskraft. Aber dieses Mal sollte es auch das letzte Mal sein! Yamato senkte seinen Blick wieder; es würde wohl doch nicht so einfach werden, wie er sich eben noch erhoffte. Eines war nun klar: Er musste mit der Wahrheit rausrücken. An jenem Nachmittag, wo er Tai mit jener Wahrheit rausrückte, empfand er es schon so, als müsste er über eine 30 Meter hohe Mauer springen. Und dabei war es nur Tai! „Nur“ der engere Freund von Sora… Nun stand aber sie vor ihm und wartete darauf, ebenfalls jene Wahrheit in Empfang zu nehmen. Nun wuchs aber die Höhe der Mauer auf 100 Meter. Yamato war nervös; er wusste nicht, wie Sora reagieren würde. Und ehrlich gesagt hatte er auch Angst davor. Wenn er entscheiden könnte, würde er nicht wissen wollen, was als Nächstes passieren würde. Und anders als bei Tai hatte er dieses Mal keinerlei mehr Selbstvertrauen mehr, um sich aufzurappeln… das hatte ihm T.K. weggenommen. Das Gefühl, selber noch etwas wert zu sein, war verschwunden… versunken tief in seinem Inneren, wohin er noch niemals durchgedrungen war… So verging ein schweigsamer Augenblick der Stille… Sora betrachtete ihren Exfreund fragend an. Er sah so aus, als würde er selber mit sich kämpfen. Die Orangehaarige konnte es sich nur denken, aber sie vermutete, dass das, was an jenem Abend auf der Straßenbrücke passiert war, an seiner jetzigen Verfassung Schuld hatte. Er musste sich fühlen wie ein Niemand. Nur so war es zu erklären, warum er versucht hatte, sein Leben mit einem Sturz ins nasse Tief beenden zu wollen. Und nun wollte sein Selbstwertgefühl wieder aufkeimen… wenigstens zeigen, dass er noch fähig war, mit seiner Vergangenheit abschließen zu können… Aber die Misere, die in seinem Inneren herrschte, schien dies wohl zu verhindern. Jedenfalls sah sein Gesichtsausdruck nicht so aus, als würde er fest entschlossen an einen erfolgreichen Verlauf seiner Aktion glauben. Sie musste ihm dabei helfen! Sie wünschte sich ja selber, dass es zwischen ihnen beiden wieder normal angehen könnte! Sie war nun einmal die vernünftige Ader in der Gruppe… und von vielen „die Liebe in Person“ genannt. Sollte sie ihrem Ruf diesmal nicht gerecht werden, nur weil es ihr Exfreund war? Wohl kaum, dachte sie sich selber… „Matt…“ Yamato erwachte aus seiner Starre und blickte Sora an. Ihr Gesichtsausdruck schien sich nicht verändert zu haben, doch nun versprühte es jenes Gefühl des Wohlwollens und Verständnis aus, die nur ihre engsten Freunde erkennen konnten. Das war einer der Gründe – wenn nicht sogar derjenige Grund – weshalb er sich damals in Sora verliebt hatte. „Matt… ich… zwischen uns ist nun so viel Zeit vergangen. Und ich glaube, dass wir nun dadurch auch… genug Distanz haben, um über die Sache normal reden können.“ Ihre Worte klangen so warm. Das war typisch Sora, sie war immer die Liebe in Person gewesen. Wie konnte er sie damals so verletzen?! „Du musst keine Angst haben… mittlerweile lebe ich damit schon mehrere Monate. Mir… mir geht es wirklich nur darum, zu erfahren, warum du mich verlassen hast. Waren es wirklich – wie du mir zur Last gelegt hattest – die Streitereien?“ Der Blonde blickte sie immer noch sprachlos an… und auch sie erwiderte ebenso stumm den Blick. Was Sora jedoch nicht sah, war das Wiederaufkeimen seines Ichs. Sie hatte ihm eben mit ihren Worten das Leben entscheidend leichter gemacht. Die Höhe der Mauer senkte sich von 100 auf einen mickrigen halben Meter. Nun musste er sich nicht mehr wiederaufrappen. „Nein… nein… das… war es nicht. Das… das…“ Yamato merkte, dass er seine Worte erst einmal sammeln musste und hielt kurz inne. „Das war damals nur meine rüpelige Art und Weise gewesen… mich zu rächen…“ Sora blieb ruhig. Dieses Detail hatte sie schon damals von Tai zu hören bekommen. Hätte sie das jetzt erst erfahren, würde womöglich ihre liebenswerte Art wieder ganz schnell ins Negative umschlagen. „Es… es… tut mir Leid, dass ich dir das angetan habe, Sora… du trägst nicht die Schuld für unsere Trennung damals…“ Der Blonde schaute zu Boden. „Es war allein die Einberufung gewesen…“ „Einberufung?“, fragte Sora, „Was für eine Einberufung?“ Der Blonde schaute sie überrascht an: „Ich dachte, Mimi hätte dir alles erzählt…?“ Sora verneinte etwas verlegen: „Da… ähm… hab ich wohl nicht richtig hingehört…“ Sie pausierte eine Weile, während Yamato ein kleines Lächeln zustande brachte. Schließlich meinte sie: „Mhh… vielleicht wäre es… wäre es wohl doch besser, wenn du mir erzählst, was du in deiner Abwesenheit getrieben hast…“ Nun waren die beiden wieder an dem Punkt angekommen, womit Yamato eigentlich hätte anfangen wollen. Der Blonde kam zu ihr und setzte sich hin… und diesmal zeigte Sora keinerlei Scheu und Ablehnung seiner Nähe, sondern saß still da und hörte seiner Erzählung zu… ----------------- Es klickte an der Hüttentür. Tai und die anderen wirbelten herum. An der Tür kam eine lächelnde Mimi zum Vorschein. „Es hat geklappt. Er ist jetzt bei ihr…“ Tai stieß einen unbewusst angehaltenen Atem aus. Das war zweifellos eine gute Nachricht. „Hoffentlich wird alles gut zwischen den beiden…“, hörte man hinten Izzy sagen. „Bestimmt… Sora ist zeigt doch immer für alles Verständnis“, meinte Yolei. „Aber…“ Mit einem Male spürte Davis, wie alle anwesenden Augenpaare sich auf ihn richteten. „Was „Aber“, Davis?“, stellte Tai die Frage für alle. Der Junge lief rot an: „Ähm… bitte versteht mich nicht falsch… aber was hat denn T.K. mit dieser Sache zu tun? Seinem… Wutausbruch vorhin nach müsste er auch irgendwie darin verstrickt sein… oder?“ Tai schwieg. Davis sprach ein Detail an, welches Yamato vorhin in seiner Erzählung ausgelassen hatte… aus gutem Grund. Dem Braunhaarigen war klar, dass diese Geschichte nicht jeder wissen sollte; da war er mit seinem besten Freund einer Meinung. „Davis… ich finde es lieber besser, wenn wir jetzt die beiden Ausreißer suchen gehen. Immerhin sind sie schon seit einer geraumen Zeit verschwunden! Über die Frage können wir uns ja vielleicht nachher den Kopf zerbrechen.“ Als Antwort langte das dem Braunhaarigen vorerst. In Wirklichkeit aber wünschte Tai, dass alle Beteiligten diese Frage ganz schnell wieder verdrängen würden. Je weniger von diesem unschönen Ereignis wissen, desto besser! „Gehen wir die beiden also suchen! Es wird schon langsam dunkel…“, stimmte Joey mit ein und alle machten sich auf den Weg in den Wald. ----------------- „Und seitdem ich wieder hier in Tokyo bin, versuche ich, alles wieder zurechtzubiegen. Aber das ist mir leider nicht gelungen…“ Yamatos Miene sah verbittert aus. Sora fragte nach: „Wieso? Was ist denn passiert?“ „An dem Tag, wo ich mit Tai geredet habe, kam ich abends nach Hause… und T.K. hat… nun… ja…“ Sora spürte, wie etwas Verdrängtes sich wieder in ihren Gedanken breit machte. Die Sache mit T.K. und Kari hat Yamato ihr noch gar nicht geschildert. „Matt…“, unterbrach die Orangehaarige ihn. Der Blonde schaute sie fragend und gleichzeitig niedergeschlagen an. „Da ist noch eine Sache, die ich mit dir abklären möchte…“ Yamato brauchte nicht lange um zu erraten, welche Sache Sora meinte. Und auch wenn es ihn schmerzte, auch noch an diesen Abend zurückdenken zu müssen, so fühlte er sich verpflichtet, es ihr zu sagen. „Es… das… dieser Abend, diese… diese Nacht… ich wollte das nicht…“ Sora sah ihn verständnisvoll an. Sie wusste, dass es ihn Kraft kosten würde, wirklich auch dieses Detail ihr zu schildern. Aber sie musste erfahren, was an diesem Abend geschehen war. „Matt…“ Yamato nickte. „Sorry, Sora. Ich… ich muss mich nur ein bisschen sammeln…“ Eine Weile lang sagten beide nichts. Eine Stille entstand, die zwar noch nicht mal eine halbe Minute dauerte, sich aber wie eine Viertelstunde anfühlte. „Es passierte… direkt nach einer unserer letzten heftigen Streitereien… ich fühlte irgendwie, dass es mit unserer Beziehung immer weiter bergab ging. Aus Frust hatte ich mir den Jägermeister aus dem Schrank geholt und in den Kopf reingekippt… und bin dann – um den Streit zu vergessen – in die nächstgelegene Disco gegangen. Dort stieß ich dann auf Kari und meinen jüngeren Bruder… wobei Letzterer rotzevoll herumtorkelte. In diesem Zustand wusste er schon nicht mehr, wo links, rechts, oben oder unten war… und als Kari sich der tanzenden Menge widmete, beschloss ich, ihn nach Hause zu bringen. Anschließend… bin ich dann wieder zurück zur Party. Dort hab ich in all meiner Frust weitergetrunken… und auch Kari hatte mitgemacht, bis wir beide schließlich den Pegel erreicht hatten. Was danach passiert war, konnte ich nur noch bruchteilhaft wahrnehmen…“ Yamato schluckte. Die Szene, die gerade in seinem Kopf ablief, ließ ihn erschauern. Es war zwar ungewollt, aber dennoch übernahm Yamato bewusst die volle Verantwortung für das Geschehene. Und dieses Gefühl der Schuld lastete auf ihm wie ein Hinkelstein. „Ist schon gut… ich kann mir denken, was danach passiert war…“, meinte Sora leise. Äußerlich wirkte sie so, als würde ihr es nichts ausmachen. Doch im Innern klaffte eine ehemalige Wunde auf, von der sie glaubte, sie sei endgültig verschlossen worden. Auch in ihr schmerzte dieses Gefühl für das Geschehene, denn schließlich hatte sie den Streit provoziert… und alles danach Geschehene war die Folge dessen gewesen. Und diese Folge hatte wiederum andere verheerende Ereignisse zur Folge gehabt. Hätte sie Yamato damals nicht so unter Druck gesetzt, wäre all das nicht passiert… „Jedenfalls stand an jenem Abend, nachdem ich mit Tai geredet hatte, vor meiner Haustür und rechnete mit mir ab…“, erzählte Yamato zu Ende und vergrub anschließend sein Gesicht unter seinen Händen. Sora konnte sich dunkel vorstellen, was in ihm vorging… „Sora?“ Die Angesprochene schaute zu ihm. Sie war überrascht, dass er sich so schnell wieder aufgerappelt hatte. „Ich… ich… werde die volle Verantwortung für alles Geschehene tragen! Wahrscheinlich machst du dir auch Vorwürfe, aber das möchte ich nicht. Du warst und bist nicht für früher verantwortlich. Es ist ganz allein meine Schuld gewesen, was passiert war.“ Sora beobachtete seinen Gesichtsausdruck. Er wirkte immer noch niedergeschlagen und traurig. Aber unter all dem meinte sie, eine gewisse Spur an Entschlossenheit zu bemerken. „Ich möchte dich wissen lassen: Es… es tut mir Leid, dass es so seinen Lauf nehmen musste. Ich war ein… ein echter Idiot zu diesem Zeitpunkt gewesen! Ich weiß, ich gebe lauter Entschuldigungen von mir… du musst aber diese nicht annehmen. Ich kann verstehen, wenn du mir nicht verzeihen möchtest… ich hätte es sowieso nicht verdient…“ Eine Hand landete sanft auf seiner Schulter und ließ Yamato seine Aussage stoppen. Sora sah ihn mit ihren karmesinroten Augen an. Und mit einem minimalen Lächeln auf dem Munde. „Matt… mach dir bitte keine weiteren Vorwürfe. Es mag sein, dass du verantwortlich bist für das, was geschehen ist, aber das kann ich jetzt auch nicht ändern. Ich kann dir jetzt nur noch eine Situation in den Kopf rufen, in der Tai sich vor etwa einem Jahr befand… an seinem 17. Geburtstag…“ Dunkel erinnerte der Blonde sich an die Party damals… und als Erstes kamen ihm sofort Tai und Sora zusammen auf dem Sofa in den Kopf. War es das, was sie ihm sagen wollte? „Weißt du noch? Tai und ich waren uns ziemlich nahe gekommen an dem Abend… und da wir zu viel getrunken hatten, konnten wir nicht mehr realisieren, was wir da taten…“, redete die Orangehaarige zu Ende. Und plötzlich passte das Bild irgendwie. Es passte mit der Sache, was damals in der Disco passierte. Es waren eigentlich zwei vollkommen gleiche Bilder… wenn man die abgebildeten Personen aus dem Vergleich herausnahm. Aber was wollte Sora damit sagen? Etwa… „Ich finde, das, was damals in Tais Zuhause passiert war, war auch von ihm ziemlich ungewollt gewesen. Und da es in der Disco mit dir und Kari unter den gleichen Voraussetzungen ablief, nehme ich mal an, dass es genauso ungewollt gewesen war…“, meinte Sora mit einem zaghaften Lächeln. Yamato traute seinen Ohren nicht. „Heißt das…“ Sora nickte. Und sie redete weiter: „Und… da ich jetzt weiß, dass du alles aus tiefstem Herzen bereust und was der wirkliche Grund für unsere Trennung ist…“ Nun konnte Yamato nicht mehr anders. Er musste weinen. Er musste nun anfangen zu weinen! Es ging einfach nicht mehr anders; er ließ seinen Tränen freien Lauf. Bei dem Anblick reagierte Sora sofort und umarmte ihn fest und liebevoll. Yamato erwiderte diese Umarmung ebenso fest und emotional. „Es… es tut mir so Leid…“, schluchzte er hervor. Auch Sora hätte Tränen in den Augen. Sie flüsterte zärtlich: „Ich… kann doch deinen Träumen… nicht im Weg stehen…“ Und so standen die beiden noch eine ganze Weile da. Yamato war überglücklich, dass sein Plan nicht vollständig gescheitert war. Mit Sora hatte er endlich alles abklären können; damit hatte er ihr, aber auch ihm selbst eine erhebliche Menge an seelischer Last abgenommen. Sora war hocherfreut, dass sie in Yamato wieder einen guten Freund sehen und mit ihm normal umgehen konnte. Nun waren in ihr auch alle Zweifel ausgeräumt, dass er ein würdiger Träger des Wappens der Freundschaft war. Yamato fasste sich wieder als Erstes. Er löste die Umarmung und blickte Sora direkt in ihre Augen. „Sora, ich danke dir. Ich danke dir für dein immenses Verständnis… du bist wirklich die Person in Liebe, wie es in dem Buch mit 7 Siegeln steht!“ Sora errötete etwas und fühlte sich geschmeichelt. „Ach, Matt… ich bin doch auch froh, dass du dich entschieden hast, uns allen in guter Absicht entgegenzutreten…“ Nun musste Yamato nur noch eines tun… etwas, was er seinem besten Freund versprochen hatte. „Aber Sora… ich muss mich wirklich bei dir bedanken! Ohne dein Verständnis würde ich jetzt nicht lachen! Und weißt du, wie ich mich bedanken möchte?“ Jetzt wurde es doch interessant; Sora schärfte ihre Sinne: „Wie?“ „Sora… schon damals – in der Digiwelt – habe ich euch beobachtet…“ Euch? Wen meinte Yamato mit „Euch“? „Wie ihr beide durch dick und dünn gegangen seid… und wie ihr euch Sorgen um den jeweils anderen gemacht habt… ich brauche dich ja wohl nicht daran zu erinnern, wer beinahe ausgeflippt war, als du in der Pyramide gefangen gehalten wurdest… oder?“ Jetzt realisierte Sora, wen Yamato noch meinte. Sie errötete bei dem Gedanken leicht; was hatte sich Yamato jetzt dabei gedacht, dieses Thema nun auf den Tisch zu legen? „Merkst du langsam was?“, grinste ihr Gegenüber. „Lass das, Matt…“, kicherte die Orangehaarige leicht. „Sora, bitte denk doch mal darüber nach! Seid Kindestagen seid ihr beste Freunde, aber seid ihr immer noch nur noch das? Ihr beide seid immer füreinander da und unternehmt auch immer ziemlich viel zusammen. Ihr habt sehr viel Spaß zusammen und macht euch viele Gedanken um den jeweils anderen. Aber weißt du, was an dieser Geschichte etwas merkwürdig klingt? Eben dass ihr „nur“ beste Freunde seid. Aber gerade das sind Eigenschaften eines Paares, die sich lieben!“ Nun hatte er die Katze aus dem Sack gelassen. Direkter hätte man das nicht formulieren können. Das Rot auf Soras Gesicht wurde immer intensiver. Nichtsdestotrotz redete der Blonde weiter: „Ich habe mich ehrlich darüber gewundert, dass du mich damals vor 3 Jahren bevorzugt hattest! Aber ich war auch froh darüber gewesen. Trotzdem musste ich immer feststellen, dass zwischen dir und Tai immer noch ein überaus starkes Band herrschte…“ Yamato machte eine Pause. Er sah Sora an. Das Rot auf ihrem Gesicht war einfach perfekt. Momentan hing dieses Rot aber zwischen den Wolken, da Sora seine Story noch nicht verarbeiten konnte, sondern sie still hinnehmen musste. „Noch eine Weile, dann kann dein Rot auch langsam Boden fassen!“, dachte sich Yamato. „Nachdem unsere Beziehung in die Brüche ging, bin ich mit dem Gedanken nach Amerika geflogen, dass du in Tai deinen neuen Lover finden würdest… da war ich mir eigentlich vollkommen sicher gewesen! Und ganz ehrlich: Ich war heftig überrascht, als Tai mir erzählte, dass da zwischen euch noch nichts gelaufen war!“ In diesem Augenblick hörte man vor der Hütte Reifen quietschen. Die beiden schauten hinüber; ein Taxi hatte davor gestoppt. Zur gleichen Zeit piepte Yamatos Handy. Der Blonde seufzte; sein selbst gestellter Alarm. Sora schaute ihn verwirrt an: „Was ist, Matt?“ Das vorherige Grinsen Yamatos verformte sich wieder zu einer traurigen Miene. „Das ist mein Taxi… ich muss gleich wieder los…“ Sora erschrak. Nun würde Yamato für eine lange Zeit von ihnen fort sein. Er würde hoch über ihnen schweben… in den Weiten des Alls. Es war schwer für die Orangehaarige, das hinzunehmen, aber sie wollte ihm wie gesagt nicht im Weg stehen. Er sollte das bekommen, worüber er schon als kleines Kind geträumt hatte. Er würde seine Sache gut durchziehen. Und sie musste zu ihm halten. Sie alle mussten zu ihm halten! „Ich gehe die anderen holen…“ Sora lief los und sprintete zur Hütte. Die anderen mussten jetzt dabei sein! Das war der vorerst letzte Augenblick, um ihm noch sagen zu können, dass sie jederzeit an ihn denken und zu ihm halten würden! Sie öffnete die Tür… aber sie sah niemanden in der Hütte sitzen oder stehen. „Oh nein!“, dachte sie sich, „Wo sind sie denn bloß? Ausgerechnet jetzt…“ Mit einem enttäuschten Gesicht ging Sora zurück zu Yamato, der bereits neben dem Taxi stand. „Sie sind nicht da… ich weiß nicht wo sie hin sind…“ Yamato seufzte: „Das macht nichts. Ich bin ja jetzt nicht für immer fort…“ „Aber doch für eine sehr lange Zeit…“, vollendete Sora flüsternd. Der Blonde konnte seine Niedergeschlagenheit auch nicht verbergen. Still ging er auf Sora zu und umarmte sie ein weiteres Mal. „Ich komme gesund und munter wieder zurück. Das verspreche ich dir… ich verspreche es euch allen!“, sagte er mit ein paar Tränen in den Augen. „Bitte pass auf dich auf! Wir alle werden auf dich warten, Matt!“, antwortete die Orangehaarige, ebenfalls leicht schluchzend. Yamato setzte sich in das Taxi hinein. Stumm sah Sora ihm nach, wie er dem Fahrer ein paar Worte zusprach. Gerade, als sie glaubte, das Taxi wollte losfahren, ließ Yamato das Türfenster herunterklappen. „Sora! Ich habe vorhin noch nicht alle meine Sätze gesagt! Denk an das, was ich über dich und ihn erzählt habe. Ich finde, du brauchst deine Gefühle auch nicht verstecken!“ Sora nickte zaghaft, aber dennoch so, dass Yamato es wahrnehmen konnte. Der Blonde meinte daraufhin: „Du liebst ihn… nicht wahr?“ Das war das Letzte, was Sora von ihm zu hören bekommen hatte, denn das Taxi fuhr los. Sora sah dem gelben Auto nachdenklich hinterher, bis es schließlich hinter der Erhebung verschwand. Sie stieß laut einen Atem aus; sie realisierte, dass Yamato ihr gerade die Augen geöffnet hatte. Ihr war nun klar, dass sie Tai nicht nur mochte. Ihr war klar, dass Tai nicht mehr nur ihr bester Freund war. „Ja, Matt… du hast Recht…“ ----------------- Yamato lehnte sich im Beifahrersitz des Taxis zurück. Es war hartes Stück Arbeit und Risiko gewesen… aber nun hatte er es zumindest geschafft, mit seiner Vergangenheit zum Großteil abzuschließen. Er hatte es geschafft, einen Großteil der Freundschaften wiederherzustellen. Und nun hatte er Sora gerade auch noch ein Wiedergutmachungsgeschenk gemacht. Eigentlich könnte er doch froh und stolz auf sich selbst sein… schließlich würde nicht jeder Mensch soviel Reue zeigen, geschweige denn etwas für die Wiedergutmachung tun… Aber Yamato konnte sich nicht freuen. Der Gedanke an T.K. hinderte die Freude daran, den Blonden für sich zu gewinnen. Dass er nicht mehr mit T.K. reden konnte, ließ ein großes Loch in seinem Herzen bilden. Es war zwar die einzige Sache, die ihm nicht geglückt war, aber diese Sache war verständlicherweise von ungeheurer Bedeutung für ihn. Und so musste er seine Heimat verlassen, ohne wirklich seine Vergangenheit lückenlos ins Rechte gerückt haben zu können… ----------------- Sora stand immer noch da und blickte in die Richtung, in der das Taxi abgefahren war. Plötzlich hörte sie hinter ihr Gemurmel und ein Knirschen auf dem Kies. Die anderen schienen wieder zurückgekommen zu sein, wohin sie sich vorhin auch immer begeben hatten. Sora drehte sich um und entdeckte zwei bekannte Gesichter in der Menge: T.K. und Kari sind ebenfalls zurückgekommen. Kari strahlte und unterhielt sich mit den beiden anderen Mädchen; T.K. hingegen wirkte etwas eisern. In diesem Moment erblickte sie Tai, der sie ebenfalls sah. Er wandte sich nochmal zur Menge: „Ihr könnt nun weiterfeiern! Wir müssen mal etwas für die Stimmung tun… nicht wahr?“ Die anderen mit Ausnahme von T.K. bejahten kräftig laut. Nun ging Braunhaarige auf seine beste Freundin zu. Er bemerkte ihren traurigen Gesichtsausdruck. Sein erster Gedanke war, dass zwischen den beiden hoffentlich alles gutgegangen ist. Doch sein zweiter Gedanke galt der Abwesenheit Yamatos. Wo war er denn? „Sora… was ist denn passiert? Ist… ist alles okay? Ist wieder… alles in Ordnung?“ Sora nickte leicht, aber änderte ihre traurige Miene nicht. „Wir… haben uns wieder vertragen… aber er ist… er ist…“, sagte sie und blickte in Richtung des Kiesweges, der bergab Richtung Tokyo führte. „Wie bitte?!“, fragte Tai ungläubig nach. „Aber wieso… wieso ist er denn schon weg?“ „Sein Flug geht in nicht mehr allzu langer Zeit los… er muss sich beeilen!“ Tai konnte es nicht fassen. Er hatte die Zeit aus den Augen verloren! Er hätte lieber Kari sofort eine SMS schreiben sollen und nicht erst, nachdem sie 10 Minuten im Wald vergeblich gesucht hatten! Gerade jetzt, als sie endlich T.K. dazu gebracht hatten, mit Yamato zu reden, war dieser schon weggefahren. Tai fluchte innerlich; Sora beobachtete ihn mit etwas Unsicherheit: „Tai… was hast du?“ Er schaute sie entschuldigend an: „Tut mir Leid, Sora… es ist nur, wir haben T.K. jetzt endlich überreden können, mit Matt zu reden… und die Sache mit T.K. lag Matt besonders am Herzen…“ Sora verstand Tais Sorge. Auch Yamato hatte ihr ja gezeigt, wie hart diese Sache ihn getroffen hatte. Und auch Mimi hatte ihr auch erzählt, dass gerade das der Grund gewesen war, weshalb er sich umbringen wollte. „Oh nein… und was machen wir jetzt?“ „Erst einmal mit…“ „Was ist denn los?“ T.K. und Kari kamen zu den beiden hinüber. „Und Tai? Wo ist denn Matt? Ich kann ihn nirgendswo sehen!“ Sora stutzte; die Worte klangen gerade in einem sehr gleichgültigen Ton. Die anderen mussten den jungen Blonden wohl mit Gewalt dazu gebracht haben, seine Meinung zu ändern. Tai erwiderte halb ernst, halb schimpfend: „Er ist schon gefahren! Er hatte keine Zeit mehr gehabt! Und jetzt haben wir den Schlamassel…“ Sora schaute T.K. an; der staunte zwar, aber das änderte an seiner miesen Laune nichts. „Hm, na dann… dann hat sich das wohl erledigt…“ Die Orangehaarige konnte es nicht fassen. Das reichte! „T.K.! Ich finde, wir sollten mal ein Wort miteinander reden!“ Mit einem Male verschwand T.K.s innere Sturheit, als er Sora so sprechen hörte. Sora war schon immer jemand gewesen, auf die er gerne gehört hatte und von der er auch glaubte, dass sie immer hinter ihm stehen würde. Doch dieser Ton von ihr verunsicherte ihn gerade stark. Ungeachtet dessen fuhr Sora fort: „Ich finde, du tust Matt ziemlich Unrecht! Er versucht sich zu entschuldigen, aber du lässt ihn ja noch nicht einmal zu Ende reden! Weißt du denn überhaupt, was wirklich passiert war?“ T.K. fühlte sich erheblich eingeschüchtert. Er konnte ihr auch nicht mehr direkt in die Augen blicken. Warum machte Sora das? Er fühlte sich ungerecht behandelt und hatte das Bedürfnis, sich rechtfertigen zu müssen: „Matt… Matt hatte doch mit Kari geschlafen… und Kari wollte das doch nicht… er trägt ganz allein…“ Sora unterbrach ihn: „Das ist nur die halbe Wahrheit, T.K.! Kari hatte das nicht gewollt, das stimmt! Aber ER hatte es genauso wenig gewollt… wenn sein Wille zu dem Zeitpunkt überhaupt noch existierte!“ T.K. verstand es immer noch nicht: „Aber er ist doch schuld daran, dass Kari schwanger war!“ „T.K., wenn Matt an dem Tag noch sein eigener Herr gewesen wäre, wäre das nicht passiert! Und…“ Sora holte innerlich tief aus: „Und wärst auch DU an dem Abend dein eigener Herr gewesen, hätte Kari sich bestimmt nicht in Matts Bett wiedergefunden!“ Nun fühlte sich T.K. ertappt. Er erinnerte sich nun auch dunkel an den Abend, wo er in der Disco angefangen hatte zu trinken, zu trinken und nochmal zu trinken… das Letzte, was er noch wahrnahm, war der überlaute Basslautsprecher, auf dem sein Kopf irgendwann landete. Sora beobachtete T.K. immer noch. Der junge Blonde schien nun endlich auf der Höhe der Vernunft angekommen zu sein, obgleich er sich etwas anstrengen musste, seinen Fehler zu akzeptieren. Sie war wohl etwas zu hart vorgegangen… Dieser Gedanke veranlasste sie dazu, T.K. mit Wohlwollen zu umarmen. „Tut mir Leid, war nicht so gemeint. Aber du siehst, Matt war nicht schuld an dieser Sache. Schuld war alleine der Alkohol, der in den Blutadern von euch dreien an dem Abend floss!“ Damit nahm Sora ihm auch die Last weg, mit der er gerade kämpfte. Sie wusste zwar, dass jeder von ihnen einen gewissen Teil an Schuld hatte, aber in dieser Situation war es aus pädagogischer Sicht besser gewesen, allen Beteiligten die Schuld abzunehmen. In dieser Situation kam es nämlich darauf an… Schnell zu sein! Sie flüsterte ihm zärtlich zu: „T.K., pass auf! Wir haben nicht mehr viel Zeit! Das Taxi von Matt ist gerade abgefahren! Wenn du verstanden hast, was ich gesagt habe, dann muss ich dich jetzt wohl nicht mehr fragen, was du zu tun hast… oder?“ T.K. hatte sie verstanden; da war sie sich sicher. Noch sicherer wurde sie, als der junge Blonde sein Handy herausnahm, die Taxizentrale anrief und ein Taxi herbestellte. Sora lächelte und wandte sich nun Tai zu. Sie sah ein letztes Mal noch zurück: „Viel Glück T.K.! Ich hoffe, du erreichst ihn noch!“ Mit diesen Worten ließ sie einen ernst aussehenden, zu allem entschlossenen T.K. zurück und ging mit Tai zu der feiernden Menge. Tai meinte beim Gehen zu ihr flüsternd: „Das war ja eine Hochglanzleistung, schöne Lady!“ Sora lachte leicht: „Meinst du? Ich finde, das ist nicht das erste Mal, dass ich so etwas mache!“ Tai grinste: „Trotzdem: Vor so einer Leistung muss doch jeder den Hut ziehen!“ Das Kompliment ließ Soras Innere spürbar erwärmen. In dem Moment fiel ihr wieder ein, was sie ihm eigentlich heute sagen möchte. Sie wollte es ihm heute Abend sagen… aber wäre der Zeitpunkt jetzt nicht auch passend? Sie konnte es kaum erwarten zu… „Komm Sora… lass uns zu den anderen gehen…“, meinte Tai, zog Sora aus ihren Gedanken und gleichzeitig zu den feiernden Freunden. „Dann halt eben später…“, dachte sich die Orangehaarige, ließ sich mit Freude mitzerren und feierte mit allen Beteiligten ausgiebig… bis in den späten Abend. ----------------- Aber auch wie jede andere Party endete diese irgendwann einmal. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Freunde vieles noch gespielt, getrunken, getanzt, gelacht und so weiter. Mittlerweile war ein Großteil aller Gäste schon nicht mehr da… unterwegs in den Autos von Susumu und Joey. Bei der Hütte blieben noch Mimi, Sora, Kari, Tai und Izzy, die vollends mit dem Aufräumen beschäftigt waren. Die Party war insgesamt ein Kracher gewesen; immerhin galt es, zwei Geburtstage zu feiern. Aber so eine Party forderte eben Tribut, und nun sah es in der Hütte und auf dem Hüttengelände unter aller Sau aus. Zu fünft war es wenigstens etwas erträglicher, den Müll zu sammeln und zu entsorgen. Nach einer Dreiviertelstunde hatten die fünf es dann auch endlich geschafft, die ganzen Flaschen zu sammeln und in die passenden Kisten zu sortieren, alle Überreste in die Müllsäcke zu kippen und in der Hütte alles so zu gestalten, sodass man meinen konnte, es wäre hier nie etwas passiert. „Endlich! Ich kann schon nicht mehr…“, stöhnte Izzy und ließ sich auf dem Boden nieder. Mimi tat ihm gleich, lehnte sich an ihm an und schloss die Augen. Kari schaute die beiden belustigt an: „Ihr zwei sieht putzig aus!“ Mimi streckte ihr mit geschlossenen Augen die Zunge raus. Sora lachte und begutachtete dabei weiter die Hütte. Sie freute sich immer, wenn endlich mal wieder Ordnung geschaffen wurde. Sie war schon immer jemand gewesen, die Wert auf Ordnung legte… obwohl sie auch nichts dagegen hatte, wenn es auch mal wüst zuging. Schließlich beinhaltete dies immer einen gewissen Belustigungsgrad. Wenn sie da so ein Tai dachte, wie er mit seinem Zimmer umging, so musste sie innerlich immer darüber lachen… Apropos Tai… es wird schon langsam spät! Sie schaute auf ihr Handy. Es war schon 23:47 Uhr! Sie wollte ihm noch etwas sagen… aber vor allem wollte sie auch endlich ihr Geschenk von ihm bekommen! Sie schaute sich nochmals in der Hütte um; Tai war nicht hier! Also musste er draußen sein. Sie wollte gerade hinausgehen, als der Tür aufging. Vor ihr stand… „Tai! Ich hab dich schon gesucht!“, sagte Sora und lächelte ihm entgegen. „Was für ein Zufall! Ich dich auch!“, meinte der Braunhaarige und grinste. „Ich hab noch was für dich!“ „Darauf wollte ich hinaus“, lachte die Orangehaarige und ging mit ihm wieder hinaus. Sora machte sich derweil Gedanken, wie sie es ihm am Besten sagen konnte. Sollte sie erst das Geschenk abwarten? Oder schon davor ihm ihre Liebe zu gestehen? Einerseits wollte sie nicht mehr warten; sie schleppte diesen Gedanken schon seit fast einem halben Tag mit sich herum. Andererseits würde das Geschenk vielleicht den passenderen Anlass dazu bieten… Schließlich entschied sie sich dafür, erst einmal Tais Geschenk entgegenzunehmen. Die beiden gingen einmal um die Hütte herum und stoppten bei einer Tanne, die sich hoch über die beiden erstreckte. Trotz der Dunkelheit konnte Sora bemerken, dass der Stamm ein mittelgroßes Loch hatte. Und genau in dieses Loch griff Tai mit seiner Hand hinein… und holte eine kleine Tüte heraus… mit einem Päckchen drinnen. In seiner Bewegung erkannte Sora, dass Tai schon leicht anfing zu zittern. Wieso? 23:55 Uhr. „So… das ist deine Überraschung! Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!“, sagte Tai in einem majestätischem Ton, worauf Sora herzhaft kicherte und das Päckchen entgegennahm. Sie wollte es gerade aufmachen, als Tai dazwischenging. Überrascht von seiner Reaktion schaute die Orangehaarige ihren besten Freund fragend an; dieser ergriff auch sofort das Wort: „Sora… bevor du dein Geschenk aufmachst, möchte ich dir noch ein paar Worte sagen! Ich möchte dir für die vergangene Zeit meines Lebens bedanken; du hast mein Leben mit so vielem und wieder so vielem bereichert, dass ich gar nicht daran denken möchte, was wäre, wenn du nicht da wärst! Wir waren und sind beste Freunde… und egal, was passieren möge, würde ich mich freuen, wenn – eigentlich möchte ich, dass wir beide immer… zumindest auf diesem Level der Freundschaft miteinander umgehen werden!“ Sora schaute ihn an; mit dieser Einlage hatte sie nicht gerechnet. Sie konnte nichts sagen, sie war jetzt einfach zu gerührt. „Ich glaube aber…“ An dieser Stelle klickte es plötzlich in Sora; „Aber“? „… dieses Geschenk hier wird einiges an unserer Beziehung ändern. Ich hoffe, du verstehst es nicht falsch… aber ich glaube, es wäre nun besser, wenn du… dein Geschenk öffnest…“ In Tais Stimme hörte man das Zittern sehr deutlich. Was meinte er mit seinen letzten Worten? Mit höchst verwirrter Miene schaute Sora zurück auf das Päckchen… und öffnete sie. Darin befand sich wieder etwas. Eine Schatulle. Und nun öffnete sie die Schatulle. 23:58 Uhr. Und was sich darin befand, das hatte Sora in keinem Fall erwartet. ----------------- Es war schon Spätabend. Trotz der späten Uhrzeit hatten Sora und Yamato noch ein Café gefunden, dass noch offen hatte. Sie saßen da und soeben waren auch schon die Heißgetränke serviert worden. Es war ein heftiger Abend. Nicht nur, dass sein Konzert wegen den Digimon für die Katz gewesen war; sie mussten auch noch die Digimon einfangen und wieder zurück in die Digiwelt befördern. So hatte er sich den Abend bestimmt nicht vorgestellt. Wobei… wenn der Abend anders verlaufen wäre, würde er jetzt wahrscheinlich nicht mehr mit Sora im Café sitzen, sondern würde mit seinen Bandkollegen wieder einen Ballern gehen… „Danke, Matt! Ohne dich würde ich wahrscheinlich jetzt nicht mehr am Leben sein!“, bedankte sich Sora bei ihm und fasste ihn an den Händen. Yamato spürte ein wohliges Gefühl in ihm hochkriechen… Soras Hände waren so warm. „Du brauchst dich nicht zu bedanken! Das war doch selbstverständlich!“ Yamato überlegte kurz, dann nahm er aus seinem Mantel einen kleinen roten Kasten heraus. „Für dich, Sora!“ Die Orangehaarige blickte erstaunt auf den kleinen roten Kasten und nahm ihn entgegen. Sie öffnete ihn; drinnen befand sich eine perlenreiche Halskette… in der Mitte der Kette hing ein Edelstein im Herzformat. Sie nahm das Herzchen genauer unter’s Auge… „Ich wüsste nicht mehr, was passiert wäre, wenn du nicht mehr da wärst… ich glaube, ich würde nie mehr lachen können…“ Auf dem Herzchen waren zwei Wappen abgebildet… „Dieser Gedanke wäre unerträglich gewesen! Du bist doch nicht zu ersetzen!“ Das Wappen der Liebe und… das Wappen der Freundschaft! Ineinander verkuppelt! „Du bist einfach… einzigartig!“ Yamato schaute ihr immer noch in die Augen. Sora wusste nichts mehr zu sagen. Sie wusste nur, dass sie überwältigt war von seinem Mut und seiner Entschlossenheit; und sie freute sich immens. „Möchtest du… meine Freundin werden, Sora?“, stellte Yamato nun die entscheidende Frage. Diese Frage ließ sich Sora nicht zweimal stellen. Sie schaute ihn mit einem Funkeln in ihrem Auge an und flüsterte: „Liebend gern!“ Auch Yamato erwiderte den Blick; es regnete gerade Sternen in seinen Augen. Langsam kamen sich die Gesichter näher… und schließlich erreichten sich die Lippen. ----------------- Sora kam immer noch nicht aus dem Staunen heraus. Es war wieder eine perlenreiche Halskette… ebenfalls mit einem Edelstein im Herzchenformat. Und auf dem waren wieder zwei Wappen abgebildet… Das eine Wappen war dasselbe… Nur das andere Wappen war ein anderes… Tais Wappen! Das Wappen des Mutes. Zusammen mit Soras Wappen der Liebe ineinander verkuppelt. In der Sonne des Mutes stand das Herz der Liebe. Nun verschwendete Sora keinen Gedanken mehr daran, ihm noch etwas sagen zu wollen. 23:59 Uhr. „Ich hoffe, es gefällt dir!“, sagte Tai mit einem schüchternen Unterton. Sora blickte ihn freudestrahlend an: „Es gefällt mir! Es gefällt mir sehr!“ Und ohne weitere Worte zu verlieren, fiel sie ihm um den Hals; ihre Hände umarmten ihren „noch“ besten Freund fest und wollten ihn nicht mehr loslassen. „Danke, Tai… danke!“, rief Sora überglücklich aus. Tai freute sich ebenfalls; schließlich hatte er gerade bereitwillig wieder die Freundschaft riskiert. Ihm war klar, dass dieses Geschenk eine solche Veränderung ihrer Beziehung mit sich tragen würde. Aber es war anscheinend geglückt… Hatte sie denn auch verstanden, was er damit sagen wollte? Nicht dass sie es vergessen hatte… Sora nahm ihren Kopf von Tais Schulter, ohne aber die Umarmung zu lösen. Sie hatte Tränen in den Augen… Tränen der Freude. „Vielen vielen Dank, Tai… und ich glaube…“ Sie fing an, freudig zu lächeln: „Für uns beginnen nun neue Zeiten!“ Mit diesen Worten kam sie mit ihrem Gesicht näher an seinem heran und hatte ihre Lippen auf seine gelegt. 00:00 Uhr. Tai, anfangs noch etwas perplex, erwiderte den Kuss mit genauso viel Liebe. Die Gefühlsküche kochte; das Kribbeln in beiden Bäuchen kam richtig in Fahrt; und beide fühlten sich wie im siebten Himmel. Ein inniger Kuss folgte dem anderen… sie wollten einfach nicht aufhören. Nur in einem kurzen Moment wurde das schöne Spiel angehalten, weil Sora den Kuss löste und Tai danach ansah, worauf dieser ebenfalls innehielt. „Tai… ich liebe dich…“ „Ich dich auch, meine kleine Maus…“ Und nach diesem kurzem Wortwechsel ging es schon wieder weiter… So standen sie da noch einige Minuten… und von alle anderen äußeren Erscheinungen ließen sich die beiden nicht die Ruhe nehmen. Auch bemerkte das frischgebackene Liebespaar Kari nicht, die nach draußen gekommen war, um die beiden zu suchen. Tais jüngere Schwester hatte schon eine gewisse Ahnung, was sich zwischen den beiden ergeben hatte und war somit auf Flüstersohlen unterwegs. Sie schaute mit dem Kopf um die Ecke der Hütte… und musste leicht grinsen. Eigentlich hatte sie das schon länger erwartet, denn endlich war das geschehen, was sich schon seit dem Kindesalter der beiden anbahnte. Aus Umgang wurde Freundschaft. Aus Freundschaft wurde beste Freundschaft. Und aus bester Freundschaft wurde nun schließlich Liebe! ----------------- (Zeitsprung zurück) ----------------- „Warum musste er ausgerechnet jetzt sein Handy ausmachen?!“ T.K. rannte durch die Abflughalle, ohne zu stoppen. Er schaute sich die Abflugstafeln an und konnte mit Ach und Krach herausfolgern, welchen Flug Yamato wohl am ehesten nehmen würde. Genauer gesagt gab es in dieser Nacht nur noch einen einzigen Flug Richtung Los Angeles, wohin T.K.s großer Bruder hinmusste. In Abflughalle A müsste er durch… T.K.s letzte Chance, Yamato noch zu erwischen, bestand also darin, so schnell wie möglich in die Abflughalle A zu gelangen. Er rannte an den Menschen vorbei und bahnte sich den Weg frei… Bis zur Absperrung und den Sicherheitskontrollen… Und da sah T.K. ihn! Yamato! Er hatte gerade den Sicherheitscheck passiert! „MATT!“ Zu spät! Yamato war bereits hinter der schalldichten Wand verschwunden und nun auf dem Weg zu seinem Gate. „Verdammt!“, fluchte T.K. und überlegte erst, ob er einfach reinlaufen sollte. Doch das würde zu viele weitere Probleme wieder hinter sich ziehen… und so rannte er zurück zum Abflugstafel, um die Flugnummer und das dazugehörige Flugzeug herauszufinden. Vielleicht hatte er ja Glück und die Flugpassagiere müssten mit einem Bus zum Flugzeug gebracht werden. Dann würde er vielleicht noch die Gelegenheit haben, auf der Zuschauerterrasse seine versöhnenden Worte Yamato zuzurufen. Er irrte 15 Minuten lang herum, bis ihm ein Service-Point auffiel… „Flug 29417? Der ist gebucht auf JAL-148… über Gate 4 erreichbar, falls Sie das interessiert, junger Mann!“, beantwortete ihm die Frau am Service-Schalter seine Fragen. Gate 4? Den Gate kannte T.K.; er war oft als kleiner Junge mit seiner Mutter in den Urlaub geflogen… auch nach Amerika… über diesen Gate! Und soweit er sich noch dunkel erinnern konnte, waren sie immer erst einmal mit dem Bus gefahren, bevor sie in das Flugzeug einstiegen. „Bitte… in welcher Richtung liegt denn der Zuschauerterrasse?“ „Links die Treppe hinauf, den Gang immer weiter bis zum Ende und dann rechts! Die Terrasse liegt dann direkt vor Ihnen!“ „Gut! Vielen Dank!“ Mit diesen Worten sprintete T.K. wieder los und folgte der Wegbeschreibung der Service-Frau. Eigentlich war es irrsinnig: Wie sollte er denn in dieser Dunkelheit die Flugzeuge voneinander unterscheiden? Und wie soll er erkennen, ob Yamato wirklich unter Menge war, die dann aus dem Bus aussteigen würde? Eigentlich hoffnungslos… aber er war nicht umsonst der Träger des Wappens der Hoffnung! Angekommen auf der Terrasse musste er feststellen, dass er Glück im Unglück hatte. Der Flugplatz war zumindest an den Parkbereichen der Flugzeuge sehr gut beleuchtet und man konnte insgesamt sehr viel erkennen. Der Wind blies kalt in sein Gesicht; selbst an solchen heißen Tagen war die Nacht nicht unbedingt so warm, wie man vermuten würde. T.K. blickte hektisch zwischen den Flugzeugen… und entdeckte eines von Japan Airlines! Das musste es sein! Das war das einzige Flugzeug mit dem JAL-Kennzeichen weit und breit, dass auf den Außenparkplätzen stand. Ein lautes Motorgeräusch zog durch seine Ohren. T.K. erblickte 2 Busse voll Passagiere, die auf das JAL-Flugzeug zusteuerten. „Da muss er drin sein…“, dachte sich T.K. und ging auf der Terrasse weiter vor. Schließlich erreichten die beiden Busse das Flugzeug und die Fluggäste stiegen aus. Aus dieser Ferne war es Schwachsinn, einzelne Personen erkennen zu wollen. Also blieb T.K. nichts anderes übrig, als in die Menge zu rufen. Nach kurzem Zögern begann er: „MATT! ICH BIN’S, T.K.! ICH MÖCHTE MICH BEI DIR ENTSCHULDIGEN! MEIN VERHALTEN WAR DIR GEGENÜBER UNGERECHT GEWESEN! ICH… ICH MÖCHTE ES IRGENDWIE WIEDERGUTMACHEN… HÖRST DU?!“ Die Menschen auf der Terrasse schauten ihn irritiert an, was den jungen Blonden aber nicht weiter kümmerte. Er wartete gespannt einen geduldigen Moment auf eine Antwort… Die aber ausblieb. T.K. schaute rüber zum Flugzeug… fast alle Passagiere waren schon ins Flugzeug eingestiegen. Er wagte einen weiteren Versuch: „MATT! HÖRST DU MICH? BITTE TU MIR DEN GEFALLEN UND ANTWORTE DOCH! MIR TUT ES WIRKLICH LEID! ICH MÖCHTE… ICH WILL DICH WIEDER ALS MEINEN GROSSEN BRUDER NENNEN! ES WAR MEIN FEHLER… BITTE… VERGIB MIR… BITTE SAG DOCH WAS…“ Rums! Die Flugzeugtüren wurden geschlossen. Alle Flugpassagiere – das hieß, auch Yamato – befanden sich nun im Flugzeug. „Hoffentlich hatte er es gehört…“ T.K. fuhr an diesem Abend geknickt und traurig mit dem Taxi wieder zurück nach Hause. Er hoffte zwar, dass Yamato seine gerufenen Worte gehört hatte, aber eine Hoffnung blieb leider auch nur Hoffnung. Der Beweis, dass er es gehört hatte, blieb vorerst aus. Und so kam der jüngere Bruder mit gemischten Gefühlen zu Hause an. Einerseits war er froh, dass er sich zu dieser Tat doch noch überreden ließ. Andererseits frustrierte ihn der Glaube sehr, Yamato hätte seinen Wiedergutmachungsversuch nicht mehr gehört; und an diesem Abend machte er sich schwere Vorwürfe… Epilog: Epilog -------------- „Ähm…“ „Was ähm?“ „Meinst du, du hast alle Stecker in die richtigen Buchsen reingesteckt?“ „Weiß ich nicht… die Anschlussstellen sind nicht gekennzeichnet! Noch nicht mal farbig! Ich kann Mikrofon- und Lautsprecherausgang nicht unterscheiden bei dieser Soundkarte… Soundblaster Audigy 2 ZS eben…“ Genervt verdrehte Izzy die Augen und kramte die Verpackung der neu gekauften Soundkarte hervor. Aus dieser entwendete er das Handbuch und der Karton flog danach in einem weiten Bogen in das hintere Eck vom Zimmer… „IZZY! Pass doch auf! Du hättest mich beinahe getroffen…“, beschwerte sich eine weibliche Stimme, deren Besitzerin gerade den Computerraum der Yagamis betrat. „‘Tschuldigung Sora… ich bin grad ziemlich beschäftigt…“, gab Izzy als Antwort. Während Sora ihm einen letzten Killerblick zuwarf – den Izzy selbstverständlicherweise nicht mehr mitbekam – kam ihr Freund auf sie zu. „Du kennst ihn ja…“, kommentierte der die Szene leicht lachend. „Und? Seid ihr vorangekommen?“, fragte die Orangehaarige. „Naja… das Problemchen mit den Anschlüssen wird uns nicht mehr lange aufhalten. Aber wir müssen noch die Webcam installieren und das Mikrofon justieren…“ „Hm… klingt, als würdet ihr noch eine Weile Zeit brauchen. Dabei kann ich’s kaum erwarten…“ Tai schaute sie verständnisvoll an. Klar… sind immerhin ja schon 4 Monate! Und erst vor wenigen Tagen hatte die Raumfahrtbehörde Tai eine Nachricht von ihm übermittelt, dass ihr gemeinsamer Freund da oben über diverse Kommunikationsmöglichkeiten verfüge. „Eigentlich hätten wir ihn schon früher fragen können…“, bemerkte Sora in einem seufzenden Ton. Tai sah sie an: „Woher sollte er das denn wissen? Ist jetzt auch egal… wir werden gleich die Möglichkeiten haben!“ Tai ging mit Sora auf die Terrasse. Es war mittlerweile schon deutlich kühler geworden, aber insgesamt noch angenehm warm. Der Oktober machte sich nun in den Farben der Blätter deutlich bemerkbar… ein farbenfroher Anblick war es, wenn man zum Fuß des Fujiyamas hinüberschaute. Sora strahlte Tai freudefunkelnd an: „Sieht das schön aus…“ Sie umarmte ihren Freund seitlich, während die beiden auf der Terrasse standen. „Mindestens genauso schön wie du…“ Auf die Worte des Braunhaarigen reagierte Sora mit gespielter Erstauntheit: „Dass ich mal so ein Kompliment von dir höre… aus deinem Munde!“ „Wenn du das so siehst, hör ich lieber auf…“, reagierte Tai ebenfalls gespielt beleidigt und wandte sich von Sora weg. Diese kicherte und zog ihn mit ihren Armen zurück zu sich. Sie küsste ihn leicht an der Backe und legte ihren Kopf auf seine Schulter. „Ich bin schon echt gespannt darauf… ehrlich gesagt freu ich mich riesig, Matt wiederzusehen…“ Der Braunhaarige grinste: „Ich glaube, da wird es mindestens einen anderen geben, der sich mehr freuen wird als du!“ „Ich weiß“, lächelte sie, „Du bist ja auch sein bester Freund…“ „Ich meinte nicht mich“, unterbrach ihr Freund sie, „NOCH jemand anders!“ „Was? Wer denn? Meinst du etwa…“ In diesem Moment klickte es am Schloss der Haustür… diese ging folglich auf; Kari und T.K. kamen herein. „Ihr kommt gerade rechtzeitig!“, rief Tai den beiden zu. „Habt ihr ihn etwa schon erreicht?“, fragte Kari neugierig. „Nee… Izzy ist noch am Schaffen… das wird wohl noch eine Weile dauern…“, meinte Sora, löste die Umarmung und kam wieder ins Wohnzimmer. Auch Tai folgte ihr und schloss danach das Terrassenfenster. Nachdem das jüngere Paar die Schuhe ausgezogen hatten, traten die beiden ebenfalls ins Wohnzimmer ein und ließen sich auf dem Sofa nieder. „Gut, dass Mama und Papa heute woanders eingeladen sind… sonst wär hier wohl kein Platz mehr für euch!“, grinste Kari das ältere Paar an. „Ich wäre da eher der Meinung, dass eher für euch nichts mehr zu lachen wäre“, schaute Tai seine Schwester schief an und ließ sich mit Sora auf das andere freie Sofa nieder. Tais Blick wanderte zu T.K. rüber. Der sah richtig gut gelaunt aus. Warum, war nicht schwer zu erraten. „Siehst du, Sora! Ich hab dir doch gesagt, dass es noch jemanden gibt, der sich noch mehr freut als du!“, grinste Tai seine Freundin an, die ihn daraufhin mit ihren Arm gegen seinen leicht stieß. T.K. konnte sich ein Grinsen ebenfalls nicht verkneifen: „Der kriegt von mir heute was zu hören! Ich bin schon voll scharf darauf… seit seinem Start!“ „Wieso „Seit seinem Start“? Hab ich irgendwas verpasst?“, fragte Sora mit verwirrter Miene. „Naja…“ Tais Grinsen wurde immer größer: „Matt ist eben ein Mistkerl…“ „Das wusste ich auch schon… aber warum diesmal?“ „Zwischen dem Tag, wo er von Tokyo abgeflogen war, und dem Tag des Starts liegt ungefähr eine Woche. Und Matt hatte…“ Mittendrin musste der Braunhaarige lachen. Sora verstand nur Bahnhof. Ihr Freund krümmte sich währenddessen, weil er lauthals darauf losprusten musste. „Von ihm wirst du eine Weile lang nichts mehr erfahren können, Sora… der hatte damals ungefähr 10 Minuten lang kichern und lachen müssen, als ich ihm das erzählt hatte“, wandte sich T.K. nun an die Orangehaarige. „Was war denn passiert? Dann erzähl du’s mir eben!“, meinte Sora kopfschüttelnd. „Naja… wie du ja weißt, hatte ich am Flughafen auf der Zuschauerterrasse die Worte in Matts Richtung gebrüllt. Aber er hatte sich mehr darauf reagiert… dort nicht und danach auch nicht. Ich hatte eine Woche lang mich selber für mein Verhalten geohrfeigt und fertiggemacht. Matt hatte sich nicht mehr gemeldet…“ Er holte tief Luft und stieß diese zugleich wieder aus. „Bis eben zu seinem großen Tag! Kaum war er in die Rakete eingestiegen, hatte mein Handy eine SMS empfangen.“ T.K. guckte Sora schief an: „Die war von IHM! Und was er mir geschrieben hatte, willst du gar nicht wissen…“ Nun konnte auch Sora nicht anders; sie musste grinsen: „Ich kann mir schon denken, was er dir geschrieben hat…“ „Ein… einzelner Zwinkersmiley… war’s gewesen!“, kam es aus Tais lachendem Mund herausgeschallt. Und nun war er nicht mehr der einzige, der lachte; auch alle anderen – auch T.K. selber – fielen in ein heiteres Gelächter. Kari klopfte ihrem Freund auf die Schulter: „Eine Hand wäscht die andere…“ Sora bemerkte einfach nur: „Er ist und bleibt eben ein Mistkerl… da musst du durch!“ „Jaaaahh… hab ja schon verstanden!“, gab T.K. lachend zu. Er war auch nicht wirklich böse auf seinen großen Bruder gewesen… denn im Vergleich zu dem Höllentrip, auf den er diesen damals geschickt hatte, war Yamatos Aktion ein Klacks gewesen. „Hey! Gibt’s hier ‘n Freibier?“ Izzy war mit zwei Schraubenziehern in der Hand aus dem Computerraum herausgekommen. „Dieses Freibier hast du damals schon versoffen“, zwinkerte Tai ihm zu, worauf Izzy ratlos schaute. Kari kicherte: „Wir haben Sora nur erzählt, was T.K. damals vor 4 Monaten widerfahren war…“ „Aaachso!“, meinte Izzy und sein Gesicht verformte sich ebenfalls zu einem Grinsen. Normalerweise verhielt Izzy sich nicht so, aber zu dem Zeitpunkt, als er von der Nachricht erfahren hatte, konnte man ihn mehrere Stunden danach noch kichern hören. Jedenfalls hatte er an jenem Tag die so wöchentliche Lachdosis an einem einzigen Tag schon bekommen. „Naja, wie dem auch sei: Die Webcam ist installiert; Soundkarte ist angeschlossen; Boxen funktionieren… es kann losgehen!“ Alle Anwesenden versammelten sich um Izzy herum, der vor dem Bildschirm hockte und die Kommunikationssoftware startete. T.K. rieb sich bereits die Hände. „Ich hoffe, der hat seine Boxen laut genug angeschaltet! Dann hört man das, was ich gleich brüllen werde, vielleicht noch weit bis in das tiefe All hinein, wenn ich laut genug bin!“ Kari starrte ihn etwas ratlos an: „Hä? Im All herrscht doch ein Vakuum… da kann sich doch nichts verbreiten…“ „War doch nur Spaß“, verdrehte T.K. mit leicht genervter Miene die Augen. Seine Freundin konterte triumphierend: „Wetten, du wusstest es nicht!“ Um die beiden herum lachte der Rest. T.K. grinste und nahm seine Freundin in den Arm: „Irgendwann muss man euch Frauen ja auch mal Recht geben, oder?“ Mit diesen Worten gab er ihr einen Schmatzer auf die Lippen. „Heeeyy!“, protestierte Kari, „Das war ganz offensichtlich nicht ernst von dir gemeint!“ Wieder verfiel die Runde in ein heiteres Lachen. So lange, bis schließlich… „Hey! Er hat reagiert! Bald müsste die Verbindung hergestellt sein!“, rief Izzy in die Menge herein. Plötzlich war es mucksmäuschenstill im Kreis, und alle sahen gebannt auf den Bildschirm, auf den jeden Moment Yamatos Gesicht erscheinen würde. „Ich kann es kaum erwarten…“, freute sich Tai. In diesem Moment öffnete sich ein neues Fenster auf dem Bildschirmdesktop. „Seid still, es fängt an…“ ----------------------------------------------------------- ----------------------------------------------------------- P.S.: Wer meint, Matt von dieser Seite aus noch nicht zu kennen, dem empfehle ich, Folge 17 von Digimon Adventure 02 nochmal anzuschauen ;D Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)