Seraphin - mein Engel von Xai ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Habe ich mich verschätzt? Ist es jetzt endgültig aus? Auch keine Freundschaft mehr? Ratlos stehe ich da, meinen Mund weit geöffnet, wie um seinen Namen zu schreien, doch meine Stimmbänder versagen und ich bin wie gelähmt. Ich seh die ganze Zeit sein Gesicht. Den Schmerz in seinen Augen, bevor er gegangen ist. Nach einer Weile fängt es ziemlich an zu regnen. Die Tropfen wecken mich aus meiner Starre. Unseren Lieblingsplatz, einen alten, unbenutzten Spielplatz an der Autobahn, kann ich nur noch schwer erkennen. Alle Farben scheinen vom Regen weggewaschen, alles Grau in Grau. Schrecklich! Ich dreh mich einmal langsam um mich selbst. Dann halte ich es nicht mehr aus. Ich renne los, durch den Regen. Es dauert nicht lange, dann komme ich zu Hause an. Meine Schwester Mia kommt mir auf der Treppe entgegen. „Was ist denn los, Fredy? Heulst du?“ Wortlos stürme ich weiter, erst am oberen Ende der Treppe drehe ich mich langsam um. Ich versuche zu lächeln und sage so fröhlich wie möglich: „Nein, es regnet!“ Dann dreh ich mich wieder um und laufe weiter. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass Mia mir nicht glaubt. Sie zieht skeptisch ihre Augenbraue hoch, sagt aber nicht. In meinem Zimmer angekommen merke ich, dass ich tatsächlich heule. Ich sperre die Tür ab, schmeiß meine Jacke auf den Boden, zieh mich bis af die Boxershorts aus und schmeiß mich aufs Bett. Mit einer Hand mach ich schnell noch Musik an und dreh die Lautstärke voll auf, doch dann fange ich hemmungslos an zu schluchzen. Ich drücke mein Gesicht ins Kissen, will nichts hören, sehen und schon gar nicht fühlen. Doch immer wenn ich meine Augen zu mache sehe ich einen Engel, der mich mit entsetzten Augen in einem knallroten Gesicht anstarrt – Seraphin. Ich höre meine Schwester nicht, wie sie an die Tür klopft und meinen Namen ruft. Ich will sie auch gar nicht hören. Ich will nur alleine sein. Irgendwann habe ich mich leergeheult, die CD ist längst zu Ende, doch der Regen prasselt noch immer gegen meine Dachfenster. Langsam stehe ich auf und schleppe mich ins Bad. Meine Sachen, die ich vorhin einfach so auf den Boden geschmissen habe, nehme ich mit, die kommen erst auf die Leine. Ich gehe duschen, steh mindestens eine halbe Stunde unter dem heißen Strahl und schlurfe dann langsam zurück in mein Zimmer. Ich stelle mich in die Mitte und lass meinen Blick schweifen – alles erinnert mich an ihn. Verdammt, jetzt muss ich wieder heulen. Ich lege eine MP3 CD von meiner Schwester ein: 173 Lieder nonstop, ich denke das reicht fürs Erste. Als die ersten Töne vom ersten Song erklingen lege ich mich einfach auf den Boden in die Mitte von meinem Zimmer und mache meine Augen zu. Ich hab wohl doch noch Tränen in Reserve, denn ich merke, wie sie aus meinen geschlossenen Augen quellen. Und dann nehme ich nichts mehr wahr. Ich lasse mich von der Musik einfach wegtragen, vergesse alles um mich herum, vergesse sogar den gequälten Ausdruck in Seraphins Augen. Ich schwebe auf Wolken, vielleicht nicht grade Wolke 7, aber das ist mir im Moment egal. Ich träume einfach so vor mich hin und obwohl es mir jetzt besser geht weine ich immer noch still vor mich hin. Jetzt bemerke ich auch, wie meine Schwester meine Tür öffnet – ich habe wohl nicht wieder abgeschlossen – und leise meinen Namen ruft, doch ich bewege mich nicht. Sie sagt was von Telefon, aber ich will jetzt mit keinem reden und antworte ihr nicht. Als sie die Türe wieder schließt bin ich wieder im Himmel und ich sehe meinen Engel. Diesmal nicht mit dem Schmerz in den Augen, sondern alle möglichen Ausdrücke, die ich in den letzten 15 Jahren bei ihm gesehen hatte. Darüber muss ich wohl eingeschlafen sein, denn das nächste, was ich wahrnahm war eine kühle Hand mit langen Fingern, die mir zärtlich über die Wangen streicht und die Tränen wegwischt. Ich öffne die Augen und blicke diesmal in das von Sorgen geplagte Gesicht meines Engels. Seltsam, wann war denn das? Ich höre seine Stimme und spüre seine Berührung. „Das ist kein Traum, das ist eine Halluzination“ murmel ich noch und spüre wie der Schlaf mich wieder übermannt. Ich muss sehr lange geschlafen haben, denn als ich das nächste mal etwas wahrnahm – es hatte aufgehört zu regnen – war es außerdem stockdunkel in meinem Zimmer. Ich fror, denn ich hatte mir nach dem duschen nur Boxershorts und ein T-Shirt angezogen und meine Haare nicht geföhnt. Eine Erkältung wäre jetzt genau das Richtige für mich, denke ich sarkastisch, die fehlt mir noch in meiner Sammlung für die beschissenste Woche meines Lebens. Donnerstag die 4- in Geschichte, Freitag den Vokabeltest in Englisch verhauen, Samstag, also heute, die Sache mit Seraphin... Ich seufze tief. „Shit happens, aber doch bitte nicht alles auf einmal...“ murmel ich leise. „Tut mir Leid, ich wollte nicht, dass es dir so geht“, sagt Seraphin zu mir. Moment, Seraphin sagt? Ich halluziniere wohl noch immer. Ruckartig setze ich mich auf und mir wird noch schwärzer vor Augen, doch auch als die Kopfschmerzen und das Schwindelgefühl verflogen sind, sehe ich nichts als Dunkelheit. Obwohl... da unter dem Fenster, da ist doch ein Mensch...??? „Seraphin?“ „Ja, Fredy?“ „Du bist es wirklich?“ „Ja Fredy.“ „Ich liebe dich...“ „Ich weiß, Fredy..“ „Ich liebe dich wirklich über alles auf der Welt, Seraphin!“ „Ich dich auch, Fredy.“ Eine Weile herrschte Stille. Ich war mir sicher mir zumindest den letzten Satz eingebildet zu haben. Ein leises kichern kommt aus Richtung des Fensters. Ich hatte also recht, da sitzt er. Und er treibt Späße mit mir. Bin ich jetzt nicht mehr gut genug für ihn? Weil ich schwul bin und ihn liebe? Interessant wie schnell ich mich damit abgefunden habe. Heute morgen wusste ich es nicht einmal und jetzt ist es eine unbestreitbare Tatsache. Aus meiner Zimmerecke höre ich wieder Seraphins leises Lachen. Und dann spüre ich mehr, als dass ich es sehe, wie Seraphin langsam aufsteht und auf mich zukommt. Er lässt sich neben mir auf die Knie sinken, hält meine Hände am Boden und legt wieder seine Kühle Hand mit den langen Fingern über meinen Mund. „Sei einfach mal still, ja? Ich... ich bin nicht Serafina, ok? Ich wünsche es mir zwar, aber ich bin es nicht. Ich habe mir schon immer gewünscht, dass du solche Gefühle entwickelst, aber ich habe es nicht zu hoffen gewagt. Ich wollte wie Serafina sein, damit du mich lieben kannst. Aber ich bin es nicht! Ich bin Seraphin. Mich interessiert nur eins. Liebst du wirklich mich oder liebst du die Person, die du in mir siehst?“ Ich zog eine Augenbraue hoch und schiele zu seiner Hand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)