Lost Things von -Catayane- ================================================================================ Kapitel 7: Das neue Beleben --------------------------- Vic hatte die letzten kleineren Kartons in die neue Wohnung gestellt. Teilweise hatte sie sie über den Boden gezerrt, weil der Inhalt doch schwerer gewesen war als sie es erwartet hatte. Sie verschnaufte gerade einen Moment und besah sich die Arbeit, die noch vor ihr lag. Leif war nicht wieder gekommen. Ganze vier Tage war er nun schon fort. Sie hatte keine Ahnung, wo er war oder was er tat. Sie wusste nur, dass er ihr unaussprechlich fehlte und sie sich nach ihm sehnte. In den ersten zwei Tagen hatte sie sich zusammen mit Connor aufgemacht, um nach ihm zu suchen. Sie hatten sämtliche Plätze, Bars, Straßen, Gassen und noch so vieles mehr in der Umgebung abgesucht und waren erfolglos gewesen. Es hatte sie innerlich schier zermartert. Alles hatte sie vergessen gehabt, doch als ihr Mietvertrag fast abgelaufen war, musste sie sich zwangsläufig wieder dem Umzug widmen. Es fiel ihr schwer sich darauf wirklich zu konzentrieren, aber es musste geschehen, wenigstens bis die neuen vier Wände eingerichtet waren. Sie lebte nun in einem völlig neuen Teil der Stadt, welcher ihr bis dahin nicht besonders bekannt gewesen war. Es gab hier viel mehr dunkle Gassen und zwielichtige Plätze als da, wo sie vorher gelebt hatten, wenngleich die von den Leuten häufig besuchten Plätze und dazu zählte besonders der Boulevard, sehr gut gepflegt waren und äußerst freundlich wirkten. Als sie noch ihr Baby erwartet hatte, hätte sie sich nie träumen lassen an so einen Ort zu ziehen. Es wäre ihr wohl zu unsicher gewesen. Aber nun, wo diese heitere Zeit der Familienplanung weit hinter ihr lag, erschien ihr diese Gegend nicht mehr allzu düster und auch stellte sie sich vor, hier ganz einfach jagen zu können. Ein perfektes Plätzchen für Vampire. Das war im wahrsten Sinne des Wortes so, denn in dem Gebäude, in dem sie hauste wohnte auch Connor, das wusste sie und nach seiner Aussage bekamen sie auch häufig Besuch von anderen Blutsaugern. Victoria war es allerdings recht egal, ob sie neue Kontakte knüpfte oder nicht. Sie hatte nichts dagegen, aber im Moment konnte sie gut darauf verzichten. Sie hatte es schon schwer genug, die neue Wohnung allein einzurichten und dabei die Sorge um Leif in ihrer Kehle herunter zu schlucken. "Zu dumm, dass ich keinen Alkohol mehr trinken kann. Heute hätte ich wirklich einmal Lust, mich zu betrinken.", meinte sie missmutig zu sich selbst und spielte in ihrem struppigen Zopf herum, welchen sie in aller Eile gemacht hatte und der sich nun zu lösen begann. Sie schaute sich um. Die Wohnung war fast fertig eingerichtet, es fehlten nur noch Kleinigkeiten. Vic überkam ein leises Gefühl der Erleichterung als sie das feststellte. Dann dachte sie daran, dass sie fast alles allein gemacht hatte. Ohne Leif oder jemand anderen. "Es geht auch so ohne dich.", wisperte sie vor sich her und tat dabei so als wenn sie mit Leif sprach. Doch dieses Geständnis ließ sie erschaudern. Sie bekam eine Gänsehaut und ihre Unterlippe begann zu beben. Tränen sammelten sich in ihren Augen. Vic machte eine Kühle in ihrem Herzen aus und sagte, beinahe schon etwas laut: "Es geht auch ohne dich. Aber warum weine ich dann? Es läuft doch alles bestens. Ich meine, ich könnte ohne dich leben, aber ich will es nicht! Ich will dich bei mir haben und mit dir leben und nicht allein. Ohne dich geht es zwar, aber ich halte es nicht aus!" Auch wenn sie sich nach ein paar Tränen, die ihre Wangen herunterliefen, gesehnt hatte, sie blieben aus. Sie konnte nicht weinen. Da waren zwar ein paar Tränen in ihren Augen, aber diese blieben stur da, wo sie waren. Victoria war wütend auf sich selbst. Sie schlug sich mit der Hand an die Schläfe und sagte im festen Ton zu sich: "Reiß dich gefälligst zusammen! Du weißt nicht, wie es ihm geht! Er könnte noch schlechter dran sein und dich stört schon das bisschen Alleinsein, du schwaches Ding!" Ihr kam es komisch vor, sich selbst in der dritten Person anzusprechen, aber nur so erschien ihr die Zurechtweisung echt. Sie sog ein paar tiefe Atemzüge von Luft in ihre Lunge und fasste neuen Mut. Nein, Mut konnte man es zwar nicht ganz nennen, aber immerhin kam es schon beträchtlich nahe an dieses Sein heran. Sie griff nach ihrer Jacke, welche achtlos zwischen einigen Kartons lag und schon etwas zerknittert war. Behände zog sie sie an und machte sich daran die Wohnung zu verlassen. Vic wollte etwas spazieren gehen. Vielleicht würde sie Leif unterwegs finden und wenn nicht, dann hätte sie wenigstens nicht nur nutzlos herumgesessen. Als sie gerade aus der Tür getreten war, rannte neben ihr jemand die Treppe herunter. Das Poltern der Schritte ließ Vic aufschauen und sie erblickte Connor. "Ich wollte eben zu dir und dich um etwas bitten.", sagte er und er klang bedrängt. Vic wollte eigentlich nicht von ihrem Spaziergang ablassen, um Connor einen Gefallen zu tun. Entnervt seufzte sie und fragte dann, obwohl sie es nicht gewollt hatte: "Um was willst du mich bitten?" "Nur eine Kleinigkeit.", meinte er einleitend. "Und die wäre?", hakte sie ungeduldig nach und er fuhr fort. "Also ich muss kurz was erledigen und wollte sie fragen, ob du Roxane ein wenig Gesellschaft leisten könntest bis ich zurück bin." "Wer ist Roxane?" "Geh einfach hoch und klingle. Sie wird sich dir schon selbst vorstellen.", er wäre um ein Haar weiter die Treppen herunter gestürmt, da hielt er noch einmal kurz inne und rief ihr mit einem Lächeln zu: "Danke für deine Hilfe!" Vic stand resigniert da und konnte sich nicht entsinnen ihm zugesagt zu haben. Er hatte sie einfach übergangen! Aber sie hatte schließlich auch nichts besseres vorgehabt. Sie seufzte kurz und stieg schließlich die Treppe hinauf bis zu Connors Wohnung. Die Flure weiter oben sahen genauso aus wie die unten. Man konnte dadurch leicht vergessen, wo man war, wenn nicht an den Wohnungstüren die Namen ihrer Bewohner stehen würden. Verloren im eigenen Haus, so kam sich Vic fast schon vor und doch gewahrte sie, dass es ihr Heim war. Mit flinkem Blick schaut sie sich nach Connors Nummer um. Sie kannte die Wohnung an sich nicht. Das lag wohl daran, dass sie deren Besitzer nicht besonders mochte, auch wenn er sie zu unterstützen versuchte. Die Gelegenheit, ihn in den letzten Tagen und Wochen einen Besuch abzustatten, hatte sich auch nicht ergeben, weshalb sie sich nicht schuldig vorkam. Es war einfach nur eine unglückliche Anhäufung verschiedener Ereignisse, die sie nicht hätte beeinflussen wollen. Nun denn, sie fand die Tür, welche nur angelehnt war, sodass sie ungehindert hineintreten konnte, ohne kaum ein Geräusch zu verursachen außer einem dezenten Luftzug, der womöglich nur einem Tier oder eben einem Vampir aufgefallen wäre. Welch ein Abenteuer es in den unbekannten vier Wänden zu bewältigen gab, vermochte sie nicht zu ahnen, aber ein wenig prickelte die Spannung schon in ihren Knochen und es überkam sie seit ewiger Zeit ein Welle des Entzückens, die ihr selbst in den Lenden einen gewissen Reiz verursachte. Ein Lächeln flog über ihre Lippen und sie trat schaudernd und mit der Anspannung eines Entdeckers in die neue Welt ein. Wie töricht sie sich selbst vorkam! Nicht einmal bei ihrer neuen Wohnung hatte sie sich so aufgeführt und hier bei Connor stellte sie sich so an! Lächerlich! Albern! Aber an sich war es nun doch interessant. Connor; ein Kerl, der so respektlos, ungehobelt und nicht mal besonders stilvoll gekleidet war, lebte auf eine solch unglaubliche Weise, dass sich Vic fragen musste, ob sie hier richtig war. Sie hatte sich insgeheim immer eine wahre Abstellkammer von Wohnung bei ihm vorgestellt; vergilbte Tapeten, Müll in allen Ecken, Zigarettenrauch dicht wie Nebel in London, Kakerlaken, Ratten und weiteres Getier; ja, sie dachte bisweilen sogar, er lebte in der Kanalisation. Doch das Gegenteil - nein, eher etwas vollkommen anderes, war der tatsächlicher Sachverhalt. Connors Wohnung, war ebenso im Grundriss aufgebaut, wie die von ihr und Leif. Sie besaß eine reichlich wildgemusterte Tapete in einer Mischung aus grün und beige, die, wie sie merken sollte, in allen Räumen zu finden war. Eine solche Tapete hätte sie normalerweise geschmacklos, geradezu furchtbar gefunden, wenn sie sie irgendwo in einem Laden gesehen hätte, aber hier war sie seltsamerweise passend drapiert wurden. Sie passte, denn alles war in grün und beige gehalten. Alt und wenig jauchzend, ein wenig als sei die Zeit stehen geblieben. Alle Möbel in einem alten Charme und scheinbare Antiquitäten, hübsch erhalten und gepflegt. Vic war überrascht. Sie drehte sich um sich selbst und besah sich alles, was ihre Augen erfassen konnten. War ihr verhasster "Kumpel" etwa ein Sammler? Ein Kunstliebhaber? Wohnte er denn überhaupt hier? Hatte er es allein angerichtet? Sie entbrannte ein wenig, etwas mehr über ihn zu wissen. Sie vergaß fast völlig, weshalb sie hier war und nur ein vernehmliches Räuspern aus einem Zimmer zu ihr drang. Vic fuhr zusammen und blieb wie versteinert stehen. Ihre Augen glitten zur Zimmertür, die einen Spalt offen war und sie schluckte. Warum war sie hier? Ach richtig, wegen Roxane! Wer war das doch gleich? Sie wusste es beim besten Willen nicht. Kannte sie denn überhaupt jemanden außer Connor in diesem Haus? Eigentlich nicht. "Wer ist da?", fragte jemand aus dem Zimmer. Eine Frau war es und ganz offensichtlich war auch sie es gewesen, die das Räuspern von sich gegeben hatte. Vic war nervös. Ihr Herz schlug heftig. Sollte sie es wagen sich zu zeigen, sich vorzustellen? Es jagte ihr eine Gänsehaut über den Leib, wenn sie drüber nachdachte. "Komm rein!", forderte nun jene unbekannte Frau hinter der Tür. Nun spürte Vic, dass sie hineingehen musste. Wie sähe es denn aus, wenn sie eine Wohnung betrat und dann nicht einmal die Courage aufbrachte sich vorzustellen? Zögernd öffnete sie die Tür und betrat den düsteren Raum, der eine Silhouette beherbergte, die wohl Roxane sein sollte. Wenn sie es war, dann saß sie auf einem Schaukelstuhl, der sich leicht bewegte und das Haar hing ihr im Gesicht. "Du bist drin, wie schön.", hörte Vic sie sagen, "Hat Connor dich überreden können, ja? Er ist manchmal zu besorgt. Ich weiß gar nicht, wieso er sich so hat. Victoria, richtig?" "Äh, ja.", antwortete sie schnell. Beinahe hätte sie die Frage überhört. Die Silhouette im Zwielicht wirkte faszinierend und geheimnisvoll, sie nahm ihre ganze Aufmerksamkeit ein. "Ich bin Roxane.", erzählte sie weiter. Roxanes Stimme war seltsam. Sie klang leicht erotisch gehaucht, teilweise gebieterisch und sanft zugleich. Melodisch erklang ihr Atem und Vic, die davon fasziniert, betört und verzaubert war, trat lammfromm ein paar Schritte näher auf sie zu. Der Schatten konnte nun nicht mehr seinen Schleier über Roxane halten und entwich der Klarheit. An dem von Haaren verhangenen Gesicht, lief etwas herab. Es sah aus wie eine Träne. Weinte Roxane? Vic blieb vor ihr stehen. Die Neugier trieb sie. Die Spannung platze wieder in ihr Herz und sie konnte sich nicht gegen den Drang wehren, der sich so geschwind aufgebaut hatte, nun in ihrem Körper verlangte, gebot, sie handeln ließ und damit drohte, ihr Herz zerspringen zu lassen, wenn sie sich ihm verweigerte. Mit Bestimmtheit und mit einer Erlaubnis, die sie nur sich selbst gegeben hatte, strich sie mit zwei Fingern Roxanes Haare beiseite und enthüllte damit die trostlose Gestalt, das Gesicht, welches schön, aber unvollkommen war. Vic durchfuhr ein leichtes Schaudern. Aber die Faszination obsiegte. Sie schaute nicht weg. Ihre Augen weiteten sich bei dem Anblick der augenlosen Schönheit. Blutige leere Löcher, aus denen noch immer mit rubinrote Lebenssaft tropfte. Kein Augapfel, der diese zierte. Die Schönheit des blanken Fleisches in einem Gesicht von Alabaster. Roxanes Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. "Ich bin blind.", meinte sie leicht. "Weswegen?", hauchte Vic und ihr Herz schlug. Aber wie es schlug! Dieser ganz bestimmte Rhythmus. Liebe! Nur im Liebesmoment bediente sich ihr Herz dieses Schlags. Machte sie dieser Anblick denn verliebt? "Ich habe mir die Augen ausgekratzt als ich Vampir wurde und diese Wunde heilt nun nie mehr. Ein schmerzliches Schicksal trägt uns auf seiner Irrfahrt davon; nicht wahr, du kennst es auch? Mit deinem Mann." Vic sank auf die Knie. Ihre Beine gaben schwer nach und sie kniete vor Roxane, wie Connor es sonst immer in seiner inbrünstigen Liebe tat. Dieses entstellte Wesen, welche Göttin, welche Heilige! Wunderschön durch ihre Entstellung. Vic fühlte sich, wie in einem Moment höchster Ekstase. Wie wenn sie mit Leif schlief und ihn in sich spürte. Und diese Frau vor ihr, löste das alles nur durch ihre Erscheinung aus. Verwirrt blickte sie sie an und hauchte ihr ein Ja als Antwort zu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)