Ich sag wann und du sagst wo von Shokora (Nachhilfe mal anders) ================================================================================ Kapitel 12: Das Lächeln eines Engels ------------------------------------ Kapitel 12: Das Lächeln eines Engels Mit jeder weiteren Minute, die ich mit Hilary im Wohnzimmer verbringe, in das langsam die Düfte aus der Küche gelangen, wundere ich mich immer mehr, warum sie in Russisch solche Probleme hat. Dafür, dass sie so schlecht sein soll, scheint sie meine Erklärungen geradezu aufzusagen und sowohl den Inhalt als auch die Grammatik problemlos zu verstehen. Um ehrlich zu sein, komme ich gerade wirklich ein wenig verarscht vor. Dabei hatte ich gedacht, es würde ziemliche Probleme mit sich ziehen, ihr den Unterrichtsstoff verständlich zu machen. Ich hatte mit furchtbaren Kopfschmerzen gerechnet. „War das alles?“ „Ja – jetzt muss ich das ganze nur noch bis Mittwoch behalten“, antwortet sie mir lächelnd, und schlägt ihren Collegeblock zu, lehnt sich zurück und streckt sich. Das Lächeln eines Engels hätte nicht freudestrahlender sein können. „Wenn du diesen Test genauso gut hinkriegst wie gerade bei unseren Übungsaufgaben sehe ich darin kein Problem“, meine ich optimistisch zu ihr. Stütze mich auf meine Hände auf und massiere mit meinen Fingern meine Schläfen. Wäre wohl nicht ganz so anstrengend gewesen ihr auf ihrem Niveau Russisch beizubringen, wenn Russisch nicht meine Muttersprache wäre. Ich hatte mich selbst für meine eigenen Klausuren noch nie so sehr auf Grammatik konzentriert – ich konnte sie immerhin seit der Grundschule. „Alles okay?“, fragt sie und ihr Grinsen wird ein klein wenig schwächer. „Beyblade-Matches sind härter – kein Grund zur Sorge“, beruhige ich sie und stehe auf. „Ray müsste mittlerweile fertig sein mit Kochen. Bleibst du zum Essen?“, frage ich sie, gar nicht darauf achtend, dass die Nachhilfestunde vorbei ist und damit auch die Zeit, in der ich gesprächig sein muss. Sie nickt und folgt mir in die Küche. Scheint sie wohl nicht zu stören. „Perfektes Timing, wie üblich“, sagt Ray, als wir die Küche betreten; auf seinem Gesicht dasselbe Grinsen wie gerade auf Hilarys. Langsam wird mir klar, mit wem er zu viel Zeit verbringt. Dieser Irgendjemand erwidert das Grinsen. Wir setzen uns hin und schweigend höre ich Hilary und Ray zu, wie sie sich über irgendetwas unterhalten, das heute in der Schule Hilarys Aufmerksamkeit erregte und von dem sie unbedingt irgendjemanden ihre Meinung mitteilen muss. In diesem Falle Ray. Und ich dabei. Ich sage kein Wort, kann aber auch nicht anders als hin und wieder ein Lächeln anzudeuten. Wenn Frauen etwas erzählen, dann neigen sie dazu, maßlos zu übertreiben. Und Hilary macht dies liebend gerne. Ein Glück, dass wir gerade nur über Russisch sprachen und über nichts anderes. Weswegen eigentlich? „Habt ihr wirklich die ganze Zeit über Grammatik gesprochen?“, fragt Ray plötzlich als hätte er meine Gedanken gelesen, jedoch scheint er in eine andere Richtung zu denken. Sein Ton klingt eher neckend, zweideutig, egal, wie man es dreht oder wendet. Irgendwie bekomme ich das Gefühl, er würde es darauf anlegen, mich mit ihr zu verkuppeln. Mag sein, dass er mehr weiß als ich, was Hilary betrifft, aber … das kann doch unmöglich in ihrem Interesse sein, oder? Glaub ich zumindest. So würde ich sie einschätzen. Dass sie die Dinge, die ihr wichtig sind, lieber selbst in die Hand nimmt. Und so was … ist doch wichtig … oder? Wenn ich eine Frau wäre … wäre es mir wichtig … Innerlich schüttele ich den Kopf, versuche meine Gedanken auf irgendetwas anderes zu lenken. Wenn ich eine Frau wäre! Es kann doch nicht sein, dass ich nach einem Tag Schule immer noch beim Wochenende bin. Ich sollte in die Realität zurückkehren – endgültig. Ich hab nicht einmal im Entferntesten Ähnlichkeit mit einer … ach, was soll’s … „ … haben über …“ Ich blicke zu Hil. Ich hatte den ersten Teil des Satzes nicht mitbekommen, aber den Rest hätte ich mit Sicherheit gehört, wenn sie weiter gesprochen hätte. Aber sie schweigt. Erst sieht ihr Gesicht nachdenklich aus. Ihre Augenbrauen sind zusammengezogen, ihr Blick auf einen Punkt gerichtet, um ihre Konzentration zu stärken. Dann wird ihr Ausdruck immer erschrockener. Die Hand mit ihren Stäbchen sinkt langsam auf den Tisch und mit einem leisen Klang landen sie auf dem Teller. Ihr Blick, der sich für einen Augenblick gehoben hatte und Rays Blick erwiderte, sinkt auf den Tisch, ein Punkt, noch näher bei ihr als der vorherige. „ … über …“ Auch dieser zweite Versuch endet mit einem Wort, sie denkt weiter nach. Sagt nichts. Hat sie wirklich … vergessen, über was wir uns gerade fast zweieinhalb Stunden lang unterhalten haben? Das ist doch nicht möglich. Sie war doch gerade noch … Mir wird klar, warum sie so schlecht in der Schule ist. „Ja. Wir haben uns nur darüber unterhalten“, vervollständige ich ihren Satz, blicke sie von der Seite an, esse weiter. Der Optimismus, der vor einer halben Stunde geradezu überkochte, ist weg. Ich wünsche es ihr nicht, aber ich glaube nicht, dass sie diesen Test schaffen wird. Als ich fertig bin, lege ich meine Stäbchen über meinen Teller, versichere Ray, den Abwasch später zu machen (er kocht, ich spüle) und gehe aus der Küche. „Es tut mir leid, Kai.“ „Schon gut.“ Ich klinge kälter als beabsichtigt. Ich komme ins Wohnzimmer, sehe dort noch unsere Sachen liegen, die Übungsaufgaben, die sie so problemlos gemeistert hat und ich verstehe nicht, warum sie diese einfachen Sachen – und im Vergleich mit dem, was noch auf sie zukommen wird, ist es wirklich einfach – so schnell vergessen konnte. Wo ist sie bloß mit ihren Gedanken gewesen? Was hat sie dermaßen abgelenkt? Ich hatte zwar eine Vermutung, aber die hat sich während der Zeit, die wir miteinander lernten, nicht bestätigt – das kann es also nicht gewesen sein. Und gerade in der Küche – die Gesprächsthemen waren eigentlich ziemlich banal, nichts besonderes. Warum also? Ich greife zu einem Stift – ein roter Kuli. Derselbe, mit dem ich die wenigen Fehler in Hilarys Text korrigiert habe und ihr spaßeshalber eine Note drunter geschrieben habe. Gut Minus „Viel Glück, Hilary“, murmele ich und schreibe es darunter, lasse nur ihren Namen weg und unterschreibe stattdessen mit meinem eigenen. Es fällt kaum auf. „Du kannst es brauchen.“ Gerade, als ich die Küche verließ, da war ihr Lächeln komplett verblasst. Kein Lächeln eines Engels mehr. Und doch … ich hatte für einen winzigen Moment das Gefühl, sie meinen Engel nennen zu können. Ich lege den Block wieder hin, nehme mir meinen Schlüssel und verlasse die Wohnung. Mittwoch also … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)