Das Schloss der lahmen Schnecke von Saedy ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Disclaimer: Yu-Gi-Oh gehört nicht mir, sondern Kazuki Takahashi und ich bekomme (leider) auch kein Geld hierfür. “Was für eine seltsame Gegend”, dachte Kaiba, über bunte Blätter wandernd. “Was hat sich mein verflixter Adoptivvater nur dabei gedacht?” Nicht, dass an dem Wald, durch den er gerade lief, irgendetwas anders oder seltsamer gewesen wäre, als an anderen Wäldern im Herbst, nein, das eigentlich merkwürdige war, dass er überhaupt hier war, in dieser trostlosen Einöde, scheinbar weitab von jeglicher Zivilisation. Wie sollte er von hier aus nur wieder nach Hause kommen? Und wollte er das überhaupt? Nun, hier konnte er jedenfalls nicht bleiben. Schnell marschierte er weiter, hoffend, dass er bald einen Hinweis auf die zivilisierte Welt wiederentdecken würde. Es war etwas kühl, weswegen er fröstelnd die Hände in die Manteltaschen steckte. “Eigentlich ist es doch schön hier…”, gestand sich Kaiba ein, während er an dicken Baumstämmen vorbei und über die feuchte Blätterdecke wanderte. “Oder auch nicht!”, stöhnte er auf, als er einen Wassertropfen auf die Nasenspitze bekam und bemerkte, dass es anfing zu regnen. Prasselnde Geräusche auf dem verbliebenen Blätterdach wiesen darauf hin, dass der Regen stärker wurde und bald schützten ihn auch die Bäume nur noch halbwegs vor der Nässe. Frierend zog Kaiba seinen Mantel enger und schritt fluchend schneller aus. “Gibt es denn hier nirgendwo einen Ort, wo ich mich wenigstens unterstellen kann?” Aber anscheinend war ihm das Schicksal, an welches er ohnehin nicht glaubte, nicht sonderlich gnädig, denn bald war er bis auf die Haut durchweicht, ohne auch nur das Ende des Waldes in Sicht. Etwas raschelte neben ihm im Gestrüpp und Kaiba schreckte auf, aber es war nur ein Eichhörnchen, welches sich schnell in Sicherheit brachte. Nervös und leicht erschöpft fuhr er sich übers nasse Gesicht, wischte die feuchten, braunen Haarsträhnen aus seinen Augen. “Verflucht!”, schimpfte er und schlug mit der Faust gegen einen Baumstamm, was aber nur zur Folge hatte, dass er sich im nächsten Moment die schmerzende Hand rieb und noch mehr fluchte. Kaiba blickte auf seine Uhr und stellte fest, dass gerade mal eine Stunde vergangen war, seit er in diesem gottverlassenen Wald ausgesetzt worden war. Dabei kam es ihm wie Stunden vor. Kaiba zog seine Augen zu Schlitzen zusammen, wobei es schien, als würde er Funken in seine Umgebung versprühen, was die alten Bäume und die Waldbewohner aber wenig beeindruckte. Doch jetzt setzte sich eine Eigenschaft seinerseits durch, die ihn schon immer besonders ausgezeichnet hatte, nämlich seine Sturheit. Stur und verbissen setzte er also nun seinen Weg fort, immer geradeaus, was ihm dieser Irrgarten von Wald gar nicht so einfach machte. Genau genommen hatte er immer weniger Ahnung, wo er sich eigentlich befand. Langsam waren tatsächlich Stunden vergangen, seitdem er nun umherirrte und mittlerweile begann er sich tatsächlich Sorgen zu machen, da es in dem ohnehin schon finsteren Wald nun wirklich dunkel zu werden begann und noch immer war kein Ende in Sicht. Ihn schauderte, als es nach zwei weiteren Stunden so dunkel war, dass er kaum mehr die Hand vor Augen sehen konnte. Verzweifelt blickte er sich um entdeckte schließlich ein Plätzchen, welches gut von einem Blätterdach geschützt und nicht ganz so nass war, wie der Rest des Waldes. Auch war es hier ziemlich windgeschützt. Er setzte sich auf einen Stein vor dem Baumstamm und lehnte sich daran, nur um im nächsten Moment zusammen zu zucken, als er bemerke, dass der Stein viel spitzer war, als er im Dämmerlicht ausgesehen hatte. Fluchend ließ er sich daneben hinab gleiten, so dass er nun auf dem feuchten Untergrund saß. Der war zwar nass, aber wenigstens einigermaßen weich. Der Teufel mochte wissen, was für Ungeziefer gerade unter ihm Freudentänze vollführte. Apropos Ungeziefer: eine Stechmücke, ihrem kräftigen Summen nach zu urteilen, eine riesengroße, ließ sich plötzlich auf Kaibas Wange nieder. Heftig schlug er danach, traf aber nur sein eigenes Gesicht, während das verdammte Biest entkam. Am Rande der Verzweiflung rieb er sich die schmerzende Wange. An diesem erbärmlichen Ort würde er bestimmt nicht einschlafen können, dachte er bei sich und verschränkte missgelaunt und zitternd die Arme vor der Brust, um sich wenigstens ein bisschen Wärme zu erhalten. Allerdings irrte er, da er schon nach kurzer Zeit eingenickt war. Offenbar war seine Erschöpfung doch größer, als er geglaubt hatte. Jedoch hielt sein Schlaf nicht lange, da er nach einer Weile schon wieder aufschreckte, ob vor Kälte oder Nervosität, vermochte er nicht zu sagen. Wahrscheinlich beides. Und jetzt, da er erstmal wieder wach war, vernahm er auch zum ersten Mal so richtig die Geräusche des Waldes um sich herum. Alles schien mit Einbruch der Nacht nur noch lauter zu werden - oder lag dieser Eindruck nur an seinen überreizten Nerven? Mittlerweile war es so stockdunkel, dass er nicht mal seine Hand vor Augen zu sehen vermochte. Seine Nase war ganz kalt und er musste niesen. Außerdem hatte er die Gewalt über seine Blase dummerweise endgültig verloren und es noch nicht einmal bemerkt, wie er beschämt feststellte. Zum Glück war hier niemand in der Nähe, der seine Schmach miterleben konnte. Wenn das so weiterging, würde er sich noch den Tod holen. Nur gelegentlich fielen ihm während der Nacht die Augen zu - zu tief saß der Schrecken über seinen unfreiwilligen Aufenthalt in der Wildnis. Nicht, dass er etwa Angst vor wilden Tieren oder der Dunkelheit gehabt hätte. Vielmehr bereitete ihm die Kälte Sorgen, die seinen Körper immer mehr durchdrang und ihn nicht zur Ruhe kommen ließ - er musste sich bewegen um nicht zu erfrieren, und das, ohne etwas zu sehen. Er zuckte zusammen, als er in der Ferne ein Lachen vernahm, welches von den Bäumen wiederzuhallen schien und doch dumpf klang. Im nächsten Moment freute er sich jedoch, da ein Lachen bedeutete, dass ein Mensch in der Nähe sein musste. Hoffentlich auch jemand, der ihm helfen konnte! Er versuchte, sich in der Richtung des Lachens zu orientieren, was gar nicht so einfach war, besonders, da es schon längst wieder verklungen war. Verzweifelt wünschte er sich, der Fremde möge erneut einen Ton von sich geben. Endlose Schritte weiter, atmete er erleichtert auf, als er auf eine Lichtung kam und den matten Schein des Mondes erblickte, der ihm wenigstens ein klein wenig Sicht auf seine Umgebung gestattete. Erkennen konnte er zwar immer noch nicht wirklich etwas, aber es war wenigstens nicht mehr so absolut finster. Doch aus welcher Richtung war das Lachen gekommen? Kaiba schlug sich selbst gegen die Stirn, als er auf die einfachste Lösung überhaupt kam, nämlich, seinerseits einen Ton von sich zu geben! Ja, war er denn mittlerweile so erschöpft, dass sich sein Verstand verabschiedet hatte? “Hallo! Ist da jemand?”, begann er also laut zu rufen und hoffte auf Antwort. Wieder und wieder rief er, ohne dass jemand reagierte. Er wollte die Hoffnung schon aufgeben, als plötzlich wieder dieses Lachen erklang - es schien ihn regelrecht verhöhnen zu wollen - diesmal hörte es sich ganz nah an. “Lachen Sie nicht so blöd, sondern antworten Sie gefälligst!”, forderte Kaiba unwirsch. Gut, es war vielleicht doch keine so gute Idee, seinen möglichen Retter zu beschimpfen. Jedoch erklang wieder nur ein Lachen, diesmal schien es regelrecht spöttisch, oder bildete er sich das nur ein? “Hier her!”, erklang da plötzlich eine Stimme. “In diese Richtung!” Diese Stimme hatte irgendetwas an sich, das es Kaiba kalt den Rücken hinunter laufen ließ. Er erinnerte sich plötzlich an den Spruch, dass des Menschen größter Feind, der Mensch selbst sei. Was, wenn da ein Straftäter auf ihn lauerte? Einer, der ihn niederschlagen und ausrauben würde? Gut, er hatte zwar nichts bei sich, aber das konnte der Mann ja nicht wissen. Denn wer würde des Nachts sonst im Wald herumlaufen? - Mal von ihren Adoptiveltern ausgesetzten Kindern abgesehen. Trotzdem, er musste es riskieren, wollte er in diesem Wald nicht kläglich krepieren. Also fasste er sich ein Herz und ging in besagte Richtung. “Ja, du bist mir schon ganz nahe!”, rief die Stimme und wieder verursachte sie einen Schauder auf Kaibas Haut, diesmal aber aus einem ihm unbekannten Grund. Vielleicht hatte er doch Angst? Nein, sicher nicht! Aber wo war der Fremde denn nun? Wenn er doch bloß etwas sehen könnte! “Wo bist du?”, da der andere es sich einfach mal so herausgenommen hatte, duzte er ihn ebenfalls. Er rechnete schon nicht mehr mit einer Antwort, als er plötzlich eine klamme Berührung an der Hand fühlte und so erschrocken zurückfuhr, dass er mit dem Kopf gegen einen Baumstamm knallte. Fluchend rieb er sich die schmerzende Stelle. Wieder lachte der Fremde. Er lachte ihn aus! “Das ist nicht komisch!”, beschied Seto wütend. “Oh, doch, du bist komisch, mein Kleiner”, bemerkte der Unbekannte spöttisch. “Ich wollte dich nur an der Hand nehmen, damit du mir besser folgen kannst. Aber vielleicht hätte ich dich vorwarnen sollen.” “Danke, nicht nötig. Schließlich bin ich kein kleines Kind mehr!” “Sicher?”, provozierte der Fremde amüsiert. Doch bevor Seto sich richtig aufregen konnte, warf er ein: “Schon gut, aber ich dachte mir, dass du in der völligen Finsternis nicht besonders gut sehen kannst. Da wäre es besser, wenn ich dich an der Hand nehme, findest du nicht?” “Und wie kannst du den Weg finden? Wer bist du überhaupt und was machst du hier?” “Och, ich kenne den Weg wie meine Westentasche, wie man so schön sagt. Ich finde mich auch in völliger Finsternis zurecht. Und was die beiden anderen Fragen betrifft, ich glaube, das klären wir, wenn wir im Warmen und Trockenen sitzen, was meinst du?” Seto gab ihm grummelnd recht, bevor er ihm folgte, wobei er mit dem Unbekannten aber nicht Händchen hielt, sondern seine Hand einfach auf dessen Schulter legte, damit er ihn nicht verlor. “Sag mal”, bemerkte er während sie ihren Weg gingen, “nanntest du mich eben ‘Kleiner’?” “Ganz richtig, Kleiner”, wiederholte der Fremde, der sich offenbar über ihn lustig machte. “So? Wie ich das sehe, bist du derjenige, der hier ein ganzes Stück kleiner ist”, stellte er fest. “Ich meine das ja auch eher im übertragenen Sinne. Ich glaube, ich bin ein ganzes Stück älter als du.” “Was du nicht sagst. Woher willst du überhaupt wissen, dass du viel älter bist als ich? Du kannst mich doch gar nicht sehen.” “Nun, sagen wir so, ich bin älter, als die meisten Menschen.” “Dabei klingst du gar nicht so alt. Wie ein alter Mann hörst du dich jedenfalls nicht an.” “Ach, lass dich einfach überraschen…” “Wie weit ist es eigentlich noch bis zu dir?”, erkundigte sich Seto, der langsam nicht nur ungeduldig wurde, sondern dem vor lauter Erschöpfung und dem Zusammenstoß mit dem Baum, schon richtiggehend der Kopf schwirrte. Er wusste nicht, wie lange er noch durchhalten würde. “Keine Sorge, wir sind gleich da!”, verkündete die Stimme des Unbekannten, die diesmal gar nicht amüsiert, sondern richtig warm vor Mitgefühl klang, so als wisse er, wie schlecht es Seto ging. Endlich kamen sie aus dem Wald heraus und Kaiba bemerkte, dass bereits die Morgendämmerung hereingebrochen war. So konnte er vor sich im Halbdunkel ein großes Schloss erkennen. Überrascht blieb er stehen und starrte das riesige Gebäude an. Es war rund wie ein Turm, aber dabei unglaublich breit, schien sich wie ein Schneckenhaus von einer Etage zur nächsten zu winden. Seto blinzelte. Was war das nur für eine Architektur? Oder träumte er schon mit offenen Augen? Lächelnd wandte sich der Unbekannte, der ihn hierher geführt hatte, um. Jetzt konnte Seto auch ihn halbwegs erkennen und bemerkte: “Du kommst dir wohl besonders lustig vor, was? Von wegen: ‘Ich bin älter als die meisten Menschen’. Du wolltest mir wohl Angst machen, was?” Der Fremde sah nämlich nicht älter als 17 aus. “Und was ist das hier für ein merkwürdiges … Ding?”, zeigte er auf das Gebäude. “Folge mir einfach”, erklärte der Junge schlicht, ohne die Fragen zu beantworten. “Dir ist doch bestimmt kalt, oder? Da drinnen wirst du ein warmes Plätzchen und Antwort auf deine Fragen finden”, erklärte er freundlich und erinnerte Seto daran, dass alles besser war, als hier im Wald zu erfrieren oder zu verhungern. Somit blieb ihm nichts anderes übrig, als dem Jungen zu folgen. Im Übrigen, was konnte der Kleine ihm schon tun? Innerhalb des merkwürdigen Schlosses, welches von einem riesigen Gartengelände umgeben war, war es erstaunlich sauber und ordentlich. Wer hier Spinnenweben erwartete, der wurde enttäuscht oder musste auf dem Dachboden oder im Keller suchen gehen. Dafür war die Einrichtung aber ziemlich spärlich. Doch Seto war mehr als nur froh, als er sich in einer riesigen, durch einen Kamin geheizten, Küche auf einer großen Holzbank niederlassen konnte. “Willst du ein Kissen?”, schob ihm der fremde Junge fürsorglich eines rüber. “Die Bank ist leider ziemlich hart.” “Hm”, grummelte Seto, der kaum mehr in der Lage war, seine Augen offen zu halten. Er schnappte sich das Kissen, aber statt sich darauf zu setzten, machte er sich auf der Bank lang und legte seinen Kopf darauf, um im nächsten Augenblick tief und fest eingeschlafen zu sein. “Na, da ist aber jemand müde”, bemerkte sein Gastgeber kopfschüttelnd mit einem Lächeln. Kapitel 2: ----------- Sich die Augen reibend, erwachte Seto Stunden später und wusste zuerst nicht, wo er sich befand. Kurz war er der Ansicht, die Erlebnisse der letzten Nacht seien Teil seines eben stattgefundenen Alptraums. Bis er richtig wach war und realisierte, dass dieses merkwürdige Schloss und der endlose Wald darum herum, nur allzu echt waren. Und was war mit seinem merkwürdigen Gastgeber? Vorsichtig die Glieder streckend, bemerkte er, dass er mal ganz dringend auf ein bestimmtes Örtchen musste und wurde sich wieder unangenehm über seine gestrige Misere bewusst. Wenn er nicht bald an eine neue Hose kam… Stöhnend versuchte er, sich aufzurichten. Diese Bank war wirklich ziemlich hart. Schnell stellte er sich auf seine Füße und streckte sich. Warum nur drehte sich der Raum um ihn? Hoffentlich war das nur eine kurzzeitige Schwäche seines Kreislaufs und nichts Schlimmeres. “Na, aufgewacht, Schlafmütze?” Kaiba zuckte unter der neckenden Stimme zusammen. Sein Gastgeber war so unerwartet und leise in den Raum getreten, dass er sich richtig erschrocken hatte. Er blinzelte und realisierte erst jetzt, wie merkwürdig der fremde Junge aussah. Letzte Nacht war er viel zu müde gewesen um richtig hinzuschauen und die Lichtverhältnisse waren auch nicht gerade die besten gewesen. Prüfend legte er den Kopf schief. Ja, tatsächlich! Der Junge hatte rote Augen! War er etwa ein Albino, der sich die Haare gefärbt hatte - denn weiß waren sie nicht - oder trug er rote Kontaktlinsen? Außerdem waren seine Haare von ungewöhnlicher Farbe, um genau zu sein, hatte er gleich drei Haarfarben auf einmal, nämlich seitlich blonde, leicht gewellte Strähnen und hinten schwarz mit rötlichen Spitzen, die wie die Zacken eines Igels empor ragten. Was für ein Freak. Trotzdem konnte Kaiba nicht verhindern, bei dem Anblick schwach zu werden, da der Junge unglaublich hübsch war, trotz der Verunstaltung durch seine Frisur. Außerdem besaß er eine eindrucksvolle Ausstrahlung, wie sie Kaiba bei einem Menschen in diesem Alter noch nie erlebt hatte. Wenn er genauer darüber nachdachte, eigentlich noch nie. Er wollte sich am liebsten kneifen, um dieses Gefühl zu vertreiben, denn romantische Anwandlungen konnte er im Moment wahrlich nicht gebrauchen, genauso wenig, dass der andere noch merkte, wie er gerade in seinen Augen zu versinken drohte. Wer wusste außerdem schon, was dieser Freak im Schilde führte? “Nun, hast du Hunger?”, erkundigte sich besagter Freak freundlich lächelnd, als durchschaue er genau, was Seto gerade fühlte und dachte. “Nein, aber ein Bad wäre nicht schlecht”, verschränkte Kaiba die Arme vor der Brust und versuchte, durch seine abweisende Art, seine Unsicherheit zu verbergen. Sein Magen strafte ihn jedoch Lügen, da er laut vernehmlich knurrte, als er ans Essen dachte. Der Junge kicherte. “Gut, wie du willst. Ich zeige dir das Bad. Übrigens, du kannst mich Yami nennen”, stellte er sich endlich vor. Dunkelheit, was für ein merkwürdiger Name, dachte Kaiba bei sich und folgte ihm, schauderte gleichzeitig unter dem bedeutungsvollen Blick, mit dem der andere ihn bedachte. Halb erwartete er, ein ebenso altmodisch eingerichtetes Bad vorzufinden, wie es die Küche war und vermutete schon, in einer kleinen Holzwanne oder ähnlichem baden zu müssen. Am besten noch, dass das Wasser dafür über offenem Feuer angeheizt werden müsste. Jedoch stellte er zu seinem Erstaunen fest, dass das Badezimmer im Gegenteil sehr modern eingerichtet war, was überhaupt nicht zum Rest des Schlosses passen wollte. Verwundert und es gar nicht glauben könnend, blickte er sich um. Geräumig war es auch noch. Yami kicherte wieder, schien sich ja köstlich über ihn zu amüsieren, dieser Junge. “Hier hast du ein paar Handtücher”, reichte er ihm diese und verließ ihn fürs erste. ‘Ich wünschte, ich hätte auch eine neue Hose‘, dachte Seto betrübt. Wenn er sich jetzt wusch und dann in die dreckige Hose - er wollte gar nicht daran denken. Aber halb nackt konnte er auch nicht herumlaufen. Und der Junge sah nicht so aus, als hätte er Hosen in seiner Größe da. Aber vielleicht hatte er von seinem Vater etwas zum Anziehen? Immerhin konnte er hier nicht ganz alleine, ohne Eltern, leben. Also verließ er das Bad nach kurzem “Aufenthalt” wieder und lief Yami hinterher. ‘Wo ist er denn nur?’, wunderte sich Kaiba. Er suchte die Küche auf, aber da war er auch nicht. Weiter ging es durch scheinbar endlose Flure und Korridore und verlassene, riesige Räume, die trotzdem seltsamerweise alle blitzblank sauber waren. Wo war er hier nur rein geraten? Irgendwie hatte er das Gefühl in eine Art Patchwork-Schloss gelandet zu sein, weil einige Dinge so gar nicht zusammen passen wollten. Mittlerweile ging Kaiba einen kreisrunden Gang entlang, wobei er das Gefühl hatte, dass es leicht aufwärts ging. Er rief nach Yami und hoffte, dass dieser ihn endlich hören würde. Doch der schien von seinem Schloss verschluckt worden zu sein. Und ihm ging es nicht gerade besser, wie er frustriert feststellen musste, als er sich immer weiter in den endlos scheinenden Gängen verirrte. Irgendwann gab er es ärgerlich auf und machte sich auf den Rückweg, welchen er sich zum Glück gut gemerkt hatte - so glaubte er zumindest. Doch irgendetwas war hier seltsam, wie er nach einer Weile feststellte. Eigentlich hätte er schon längst wieder zurück sein müssen. Vielleicht hatte er die Länge des Weges einfach nur falsch in Erinnerung? Einige Zeit später musste er jedoch frustriert feststellen, dass er sich wohl verlaufen hatte, da er immer noch nicht das Bad wieder gefunden hatte. Verwirrt blickte er um sich. Das konnte doch nicht wahr sein! Der Weg war doch so einfach zu merken gewesen. Es war schließlich stets kreisrund nach oben gegangen, ohne jede Abzweigung. Wie hatte er sich da nur verlaufen können? Kopfschüttelnd lief er weiter, darauf hoffend, den Weg zurück, oder Yami, doch noch zu finden. Leise vor sich hin fluchend bemerkte er, dass er selbst auch schon einen Drehwurm bekam. Das nicht etwa, wegen der kreisrunden Gänge, sondern schlicht und einfach, weil sein Kreislauf protestierte. Zudem konnte er sich nicht entscheiden, ob er nun schwitzte oder fror. Irgendwie war es beides gleichzeitig. Auf jeden Fall war ihm ziemlich kalt. ‘Scheiße, warum fühle ich mich nur so schwach?’, dachte Kaiba und lehnte sich zitternd an der steinernen Wand an. Er fühlte sich, als hätte er Blei in den Knochen. Zuerst hatte er geglaubt, er sei bloß müde von den ganzen Strapazen, doch das hier konnte keine normale Müdigkeit mehr sein, denn so fertig hatte er sich noch nie gefühlt, oder zumindest schon seit einer Ewigkeit nicht mehr. ‘Mist, ich werde mir jetzt doch hoffentlich nicht auch noch eine Grippe eingefangen haben?’, zweifelte er und hievte sich mit aller Not wieder von der Wand hoch. Er war überrascht, dass er für die einfachsten Schritte plötzlich unglaubliche Kraft aufwenden musste, so als laufe er nicht, sondern renne schon seit Stunden einen Marathon. Er lief ein Stückchen weiter und war deprimiert, weil alle Gänge so gleich aussahen. Eine Weile später stützte er sich erneut an der Wand ab, wollte sich dann wieder aufraffen und weitergehen, doch um ihn drehte sich wieder alles und so sehr er sich auch dagegen sträubte, verließen ihn jegliche Kräfte und er ging in die Knie. Oh, wie er es hasste, so schwach und hilflos zu sein! Wie er es hasste, sich nicht selbst helfen zu können und auf andere angewiesen zu sein! Dieser Hass und die Wut gaben ihm noch einmal die Kraft, aufzustehen und ein paar Schritte weiter zu gehen. Doch plötzlich brach er endgültig zusammen, schlug hart mit Knien und Händen auf dem Boden auf und keuchte, als hätte man ihm die Luft abgedreht. Wenn doch wenigstens der seltsame Junge jetzt hier wäre. Dieser strahlte irgendwie eine eigentümliche Wärme aus, an die er sich gerne anlehnen würde - etwas, woran er in gesundem Zustand nicht einmal gedacht hätte. Doch jetzt sehnte er sich nur noch nach Halt und Geborgenheit und vor allem Wärme - ihm war so furchtbar kalt und niemanden würde es kümmern, wenn er hier starb. Es gab niemanden, der ihn vermissen würde. Nicht einmal seine Adoptiveltern. Wenigstens würde er dann bei Mokuba sein. ‘Aber was denke ich da?’, schalt sich Kaiba. ‘Von so einer Grippe stirbt man nicht gleich, es sei denn man ist alt oder schwach und beides bin ich nicht. Wahrscheinlich ist nur diese verdammte Grippe Schuld, dass ich so deprimiert bin - und die Tatsache, dass ich vor lauter Erschöpfung nur noch schlafen will, es auf diesem kalten Steinfußboden aber nicht kann, ohne mir tatsächlich den Tod zu holen.’ Plötzlich fühlte er einen heftigen Schmerz in seinem Kopf, dann nichts mehr. “Hm”, machte Kaiba und kuschelte sich näher an die Wärmequelle heran, auf die sein Kopf gebettet war. Leider war diese aber doch etwas hart. Trotzdem, die angenehme Wärme und Geborgenheit, welche sie ausstrahlte, war unglaublich verlockend. Wenn er sich doch nur bewegen und das warme Etwas näher an sich heranziehen könnte. Doch irgendwie gelang es ihm nicht mal, die Augen zu öffnen, die förmlich aneinanderklebten. Er fühlte ein angenehmes Streicheln in seinen Haaren und plötzlich… “Ah!”, schreckte er zusammen, als etwas Eiskaltes und Nasses in seinem Gesicht landete. “Aufwachen, Schlafmütze!”, kicherte eine spöttische Stimme. “Argh!”, machte Kaiba, kam ruckartig hoch und hielt sich den schmerzenden Kopf. Nur langsam klärte sich sein Blick, während er heftig blinzelte. “Was…?” “Ganz langsam”, empfahl Yami einfühlsam, der, wie Kaiba nun bemerkte, vor ihm auf einem Bett saß und auf dessen Schoß er gelegen hatte. Er wurde rot, als er das bemerkte. Gleichzeitig ärgerte er sich darüber, dass er auf dem Schoß dieses hübschen Jungen gelegen und es kaum mitbekommen hatte. Im nächsten Moment jedoch ärgerte er sich wiederum über letzteren Gedanken. Wie konnte er sich zu solchen Empfindungen hinreißen lassen? “Tst, das kommt eben davon, wenn kleine Jungs nachts draußen im Wald herumlaufen. Du hast dir eine ganz schön heftige Grippe eingehandelt. Und nun leg dich wieder hin!” “Was soll das heißen? Ich bin kein kleiner Junge!”, protestierte Kaiba schwach, da ihm selbst das Reden schwer fiel, weil er ziemlich heiser und erschöpft war. “Natürlich nicht. Du bist schon ein ganz Großer, was?”, lächelte Yami amüsiert. Kaiba funkelte ihn wütend an, war aber gleichzeitig ziemlich irritiert, da sein merkwürdiger Gastgeber sich einerseits über ihn lustig machte, aber andererseits so fürsorglich und einfühlsam mit ihm umging. Nun, er war ohnehin zu erschöpft, um über irgendetwas länger nachzudenken, also ließ er sich entkräftet wieder auf das Bett sinken, hätte sich dabei am liebsten an Yami herangekuschelt, was ihm aber viel zu peinlich war um es wirklich zu tun. Kaiba zuckte zusammen, als er erneut etwas Nasskaltes auf seiner Stirn zu spüren bekam und registrierte diesmal, dass es sich um einen Waschlappen handelte. Außerdem wurde ihm die eben heruntergerutschte Decke wieder übergelegt. Warum tat dieser fremde Junge das nur alles für ihn? Etwa aus Nächstenliebe? “Ich werde dir eine schöne Hühnersuppe, extra für Kranke, machen. Also bleib schön liegen!”, sprach’ s und verließ den Raum. Himmel! Konnte dieser Junge nicht einmal seine Spötteleien sein lassen? Vielleicht machte es ihm einfach nur Spaß, ihn zu ärgern und er behielt ihn deshalb hier? Wie viel Zeit mochte inzwischen wohl schon vergangen sein? Kaiba starrte blicklos an die Decke. Hatte ihm der merkwürdige Junge nicht eine Suppe machen wollen? Doch er lag schon seit einer Ewigkeit hier und dieser kam nicht wieder zurück. Ob er ihn vergessen hatte? Oder hatte er so tief und fest geschlafen, dass er ihn nicht hatte wecken wollen? Seufzend richtete Kaiba sich auf und versuchte dabei, den Schwindel in seinem Kopf zu ignorieren. Doch als er erstmal auf seinen Füßen stand, wurde es nur noch schlimmer und obendrein fror er ohne die Decke erbärmlich, weshalb er kläglich an seinem Aufsteh-Versuch scheiterte und wieder unter die Decke kroch. Nach Yami sehen, konnte er auch noch später. Hauptsache, erstmal schlafen - das hieß, wenn er bei seiner Zitterei überhaupt würde einschlafen können. Die folgende Nacht und der nächste Tag kamen Kaiba endlos vor. Einerseits war er so erschöpft, dass er nicht aus dem Bett kam - es sei denn, er musste mal notgedrungen raus - andererseits wachte er aber auch immer wieder auf und wälzte sich unruhig im Bett hin und her und verschwitzte die Laken. Irgendwann spät in der darauf folgenden Nacht war er jedoch richtig eingeschlafen und träumte wirres und erschreckendes Zeug. Als er noch vor der Morgendämmerung wieder aufwachte, überfiel ihn ein schreckliches Zittern, das nicht nur von der Grippe herrührte, sondern auch eine Folge der Angst war, die ihm sein letzter Traum beschert hatte. Und dieser Alptraum hatte eine erschreckend reale Komponente, nämlich die Einsamkeit. Plötzlich wurde er sich bewusst, dass er außer seinen Adoptiveltern niemanden hatte, der ihm nahe stand. Andere Menschen hatte er in seiner Arroganz immer von sich gestoßen, wollte keine Freunde haben, weil er besser allein klar kam und von niemandem abhängig sein wollte. Außerdem vertraute er niemandem. Seit sein kleiner Bruder Mokuba vor drei Jahren gestorben war, fühlte er sich einsamer als je zuvor. Nur hatte er dieses Gefühl bisher immer erfolgreich verdrängt. Und was seine Adoptiveltern anging - diese sorgten zwar dafür, dass es ihm in materieller Hinsicht an nichts fehlte, jedoch waren sie und Seto einfach zu unterschiedlich, als dass sie sich wirklich wie Eltern und Sohn nahe gekommen wären. Jetzt hatten sie ihn sogar ausgesetzt, auch wenn sich Seto sicher war, dass dies nur eine Strafe sein sollte und sie inzwischen bestimmt schon längst wieder nach ihm suchten. Wahrscheinlich war es sogar nur eine Affekthandlung seines Vaters gewesen, der in diesem Moment besonders wütend gewesen war. Und seine Mutter hatte schlicht und einfach zugesehen und sich herausgehalten. Er lächelte still vor sich hin. Zum Glück hatte er sein Handy nicht dabei, sonst hätten ihn seine Adoptiveltern wahrscheinlich schon längst angerufen und zu wissen verlangt, wo er sei. So aber konnte er noch den Aufenthalt hier bei diesem hübschen, mysteriösen Jungen genießen und herauszufinden versuchen, wer er eigentlich war. Mit diesem Gedanken war er auf einmal sogar froh, dass alles so gekommen war, wie es sich nun eben darstellte. Der Alptraum hatte seinen Schrecken verloren, was auch daran liegen mochte, dass er nun halbwegs wach war und in die Wirklichkeit zurückgefunden hatte. Jetzt, mit offenen Augen, schien alles nicht mal halb so schlimm. Wie aufs Stichwort knirschte nun die hölzerne Tür in den Angeln und Yami trat ein. Etwas überrascht blickte er zu Seto. “Oh, und ich dachte schon, du wachst nie mehr auf.” “Dir auch guten Morgen!”, lächelte Seto freundlich. Diesmal war Yami richtig überrascht. “Hey, dir scheint es ja wirklich besser zu gehen. Das ist das erste Mal seit ich dich kenne, dass du so fröhlich bist.” “Das habe ich nur deiner Medizin zu verdanken”, erklärte Seto mit einschmeichelnder Stimme. Ob der andere darauf hereinfiel? Schließlich war es das erste Mal, dass er versuchte, jemandem Komplimente zu machen und ihn zu verführen. Wie er zweiteres anstellen sollte, darüber musste er sich allerdings noch Gedanken machen. “Hm, dabei hatte ich gar keine Medizin und mir deswegen schon Sorgen gemacht”, nahm dieser Kaibas Aussage allzu wörtlich. “Aber offenbar hast du eine gute Kondition und es auch so sehr gut überstanden.” Yami schwieg einen Moment. “Also, am besten sagst du mir jetzt, wo du wohnst, damit ich dich nach Hause bringen kann.” Das kam für Seto jetzt doch ein bisschen abrupt, immerhin hatte er sich schon fast an seinen Aufenthalt hier gewöhnt und sich richtig gefreut, noch ein bisschen Zeit mit dem niedlichen Jungen zu verbringen. Vielleicht sollte er einen plötzlichen Rückfall vortäuschen, damit er noch länger hier bleiben konnte? Oder sollte er den Jungen direkt fragen, ob sie Freunde werden könnten? Nein, niemals. Das war Kaiba dann doch zu erniedrigend. Wahrscheinlich würde sich der andere dann nur über ihn lustig machen. “Ich habe kein Zuhause”, erklärte er plötzlich düster und wunderte sich im nächsten Moment selbst über seinen Einfall. Im Grunde hatte er aber wirklich keine Lust, zu seinen Adoptiveltern zurückzukehren. Zumindest in nächster Zeit nicht. Vielleicht, wenn es an der Zeit war, das Erbe anzutreten. . . “Verstehe”, meinte Yami und blieb ausnahmsweise mal ernst. “Nun, hier kannst du jedenfalls nicht bleiben.” “Warum nicht? Ich könnte dir helfen.” “Bei was denn?”, äußerte sich Yami überrascht. “Nun ja, dieses Schloss ist ziemlich groß, das macht bestimmt viel Arbeit. Ich kann dir dabei helfen und keine Sorge, ich verlange auch nicht viel.” “Nein, danke”, lächelte Yami. “Für die Arbeit habe ich schon andere Hilfskräfte”, erklärte er, während er das Wort Hilfskräfte besonders betonte. “Ich werde schon noch einen anderen Aufenthaltsort für dich finden.” “Wirst du dann auch da sein?”, erkundigte sich Seto mit tiefer Stimme und hätte sich im nächsten Moment selbst gerne auf die Zunge gebissen. Immerhin hatte er auf keinen Fall so direkt sein wollen. Was dachte der andere jetzt wohl von ihm? Und leider hatte Yami seine Bemerkung auch nicht fehlinterpretiert, denn er bedachte ihn nun mit einem verstehenden Grinsen. “Nein, dort werde ich nicht sein. Ich werde immer nur hier sein”, erklärte er rätselhaft. “Aber wenn dir soviel daran liegt…”, zögerte er, “dann kannst du doch hier bleiben. Du solltest dir dann nur darüber bewusst sein, dass das . . . Konsequenzen nach sich ziehen könnte.” “Verstehe”, meinte Kaiba und konnte sich ein dreckiges Grinsen nicht verkneifen. “Ha, ich glaube, du verstehst mich falsch. Um es deutlicher zu formulieren: Wer immer dieses Schloss betritt und für längere Zeit darin verbleibt, für den ist es nicht mehr so leicht, es auch wieder zu verlassen.” “Wie meinst du das?” “Das wirst du dann sehen. Aber ich habe dich gewarnt. Also, wie lautet deine Entscheidung?” Kaiba indessen glaubte, der Junge sei nicht mehr ganz richtig im Kopf. Immerhin hatte er auch schon zu Beginn ihrer Begegnung behauptet, er sei älter als die meisten Menschen. Und jetzt diese Verrücktheit mit dem Schloss. . . “Ich bleibe”, meinte er deshalb, ein leichtes Grinsen um die Lippen. “Nun gut.” War das ein mitleidiger Blick, den Yami ihm da zuwarf? “Ach ja, du hast mir ja noch gar nicht gesagt, wie du heißt.” Überrascht stellte Kaiba fest, dass er das tatsächlich vergessen hatte. “Mein Name ist Seto Kaiba. Aber nenn mich einfach Seto.” “Set-o”, wiederholte Yami eigentümlich, als erinnere ihn der Name an irgendetwas. “Gut, Set-o”, meinte er schließlich lächelnd. “Dann heiße ich dich willkommen im Schloss . . . der lahmen Schnecke.” Kaiba war so verblüfft über den Namen, dass er sogar das Lachen vergas. Doch ehe er noch fragen konnte, was dieser merkwürdige Name zu bedeuten hatte, war sein eigentümlicher Gastgeber schon wieder durch die Tür verschwunden. Kapitel 3: ----------- Noch etwas schwach auf den Beinen, richtete Seto sich auf und registrierte zum ersten Mal bewusst, dass er einen fremden Schlafanzug trug, der in dunkelblau gehalten war und ihm wie angegossen passte. Wo hatte Yami denn den her genommen? Und vor allem. . . Ein dreckiges Grinsen schlich sich auf Setos Gesicht, als er daran dachte, dass Yami ihn nackt gesehen hatte. Na, da hatte er doch noch was quitt zu machen . . . Yami hatte Kaiba zum Frühstück ins Speisezimmer gebeten, wo es eindeutig gemütlicher war, als in der Küche. Und vor allem. . .luxuriöser. Mit rotem Samt bezogene Sessel und Stühle sowie mehrere Sofas standen darin, ohne dass der Raum dadurch zu eng gewirkt hätte. Der Gegensatz zur Küche konnte nicht größer sein. An der gegenüberliegenden Wand brannte ein Feuer im Kamin. Trotzdem zog Kaiba die Decke, die Yami ihm gereicht hatte, fester um sich. Ihm war einfach noch viel zu kalt. Sein Gastgeber hatte einen merkwürdigen Blick aufgesetzt, den Kaiba nicht so recht zu deuten wusste. Irgendwie mysteriös. Vor allem aber verweilten seine Gedanken offenbar nicht im hier und jetzt und diese Missachtung gefiel ihm gar nicht. Immerhin hatte er nur wegen Yami noch hier bleiben wollen. “Und, wie lebt es sich hier so in diesem Schloss?”, fragte er deshalb. Yami schreckte aus seinen Gedanken hoch - es schien, als hätte er Kaiba schon völlig vergessen. “Ach, eigentlich fehlt es mir an nichts.” Schweigen. “Und uneigentlich?” “Bräuchte ich etwas Gesellschaft, aber dafür bist ja jetzt du da”, lächelte Yami und fiel wieder in seine spöttische Art zurück. Doch irgendwie gewann Kaiba den Eindruck, dass er etwas anderes hatte sagen wollen. “Wie auch immer, ich habe noch was zu tun”, meinte er und stand auf. “Warte, ich kann dir helfen!”, rief Kaiba und sprang ebenfalls auf. “Das … glaube ich kaum”, mit diesen Worten war er zur Tür hinaus. Doch so einfach wollte er sich nicht abservieren lassen und lief ihm hinterher - jedenfalls hatte er das vorgehabt, doch irgendwie schien Yami wie vom Erdboden verschluckt, als er vor der Tür stand und sich suchend umblickte. Himmel! Wie war der nur so schnell verschwunden? Und in welche Richtung? Einer inneren Eingebung folgend, machte er sich auf den Weg durch den Gang, der sich stetig im Kreis nach oben schlängelte. Wahrscheinlich trug das Schloss auch deswegen den merkwürdigen Namen, passte ja perfekt. Seto erinnerte sich, dass es auch von außen schon so ausgesehen hatte. Er beschleunigte seine Schritte, um Yami einholen zu können - falls dieser überhaupt hier lang gegangen war. ‘Was für öde Gänge!’, dachte er gelangweilt, weil alles irgendwie gleich aussah. Die einzige Abwechslung waren hier und da ein paar in die Mauer eingelassene Fenster, von denen aus man auf einen kleinen Abschnitt des Waldes blicken konnte. Aber wenn es ihm schon nicht vergönnt sein sollte, Yami in nächster Zeit wieder zu finden, konnte er wenigstens mal bis zur Spitze des Schlosses hinauflaufen, um zu sehen, wie es von oben aussah. Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass er sich erstaunlicherweise schon wieder ganz fit fühlte, obwohl er noch eben beim Frühstück so schwach gewesen war und gefroren hatte. Jetzt aber fühlte er sich, als könne er noch ewig so weiterlaufen - wenn diese Gänge nicht so endlangweilig gewesen wären. Wann hörte dieser Weg nur endlich mal auf? Wie lange dauerte es noch, bis er ganz oben war? Seto beschleunigte seine Schritte und kam langsam aber sicher ins Schwitzen. Irgendwann langte es ihm allerdings und er kam schnaufend zum Stehen, wobei er sich an die innere Mauer anlehnte und entspannte. Plötzlich fühlte er die Wand hinter sich nachgeben und riss die Augen auf. Nein! Das bildete er sich doch nur ein! Er glaubte auch dann noch an einen Alptraum, als er rücklings in die schwarze Tiefe fiel. Er kniff die Augen zusammen und hoffte, aufzuwachen. Erst als mit dem Aufprall auf einen harten Steinfußboden ein übler Schmerz durch seinen Körper raste, wurde ihm bewusst, dass dies wirklich geschah. Für einen endlos langen Augenblick schien sein Körper nur noch aus diesem einen großen Schmerz zu bestehen. Als er wieder in der Lage war, sich zu bewegen, krümmte er sich nur noch zusammen und sah trotz geschlossener Augen nur noch Sterne um sich herum, während sich alles drehte. Eine halbe Ewigkeit schien zu vergehen und die Kälte in seine Glieder zu kriechen, als er sich endlich wieder in der Lage fühlte, langsam aufzustehen. Teufel noch mal! Wer baute hier denn Falltüren in ein merkwürdiges, schneckenförmiges Schloss? Das machte doch keinen Sinn! Seto blinzelte nach oben und nahm ein fahles Licht wahr, das durch die Öffnung schien. Um sich herum konnte er aber so gut wie nichts erkennen. Ein Schock durchfuhr seine Glieder und ließ den Schmerz in seinem Kopf abermals explodieren, als ihn etwas an der Schulter berührte. Starr vor Schreck, vermochte er sich erstmal nicht zu rühren. Doch als ihn dieses Etwas weiter von hinten an die Schulter tippte, sprang er in Panik auf und brachte erstmal ein paar Meter Abstand zwischen sich und das Etwas, bevor er sich umwandte. Was er dort sah, wollte ihm gar nicht gefallen, denn aus der Dunkelheit starrten ihm ein Paar dunkelrot glühender Augen entgegen, die sich nun auch noch auf ihn zuzubewegen begannen. Seto presste sich, am ganzen Körper zitternd, gegen die Wand. Am liebsten wäre er davon gelaufen, obwohl er sonst nicht so leicht in Panik geriet, aber das hier. . . Doch leider gab es keinen Ausweg. Er starb beinahe vor Angst, bis ihm das Paar Augen ganz nahe war und er nun im fahlen Licht auch noch schwach einen dazugehörigen Körper erkennen konnte. Das Etwas selbst reichte ihm gerade mal bis zur Hüfte und sah aus wie ein. . . Urzeitmensch. Ein besserer Begriff wollte ihm nicht einfallen. Es oder er, oder was auch immer, hatte strubbelige braune Haare, braune Haut, soweit er das erkennen konnte, und ging leicht gebeugt. An den Händen und Zehen hatte es lange Klauen. Ingesamt machte das Wesen einen etwas affenähnlichen Eindruck. Wo hatte er dieses . . . Ding nur schon mal gesehen? Es grinste Seto an und sprach so plötzlich, dass er erschrak, weil er nicht geglaubt hatte, jemals von etwas nichtmenschlichem angesprochen werden zu können. Aber vielleicht war es ja doch nur ein mutierter Mensch oder so was in der Art? “Endlich, endlich ist mal jemand in meine Fallgrube getappt”, sprach es ganz fröhlich und gar nicht so furchteinflößend, wie Seto erwartet hatte, trotzdem blieb er starr vor Schreck. “W-was?” “Na, ich dachte schon, meine Falle funktioniert nicht. Seit Jahrhunderten, oder Jahrtausenden, ach, ich weiß es schon gar nicht mehr, warte ich hier darauf, dass mir mal jemand in die Falle geht. Und nun bist du da!”, verkündete das Wesen begeistert. “Ja, aber wieso . . . bist du hier unten und baust Fallgruben?”, fragte Seto mal vorsichtig nach. “Na, das ist doch mein Job”, erklärte das Wesen, als wäre es das selbstverständlichste von der Welt. “V-verstehe. Und was hast du jetzt vor?” “Hm, gute Frage. Ich weiß es nicht. Komisch, ich habe die ganze Zeit nur daran gedacht, meine Fallgrube so gut wie möglich auszubauen und mir vorgestellt wie es wohl wäre, wenn jemand hineinfiele, aber jetzt, wo es endlich soweit ist, weiß ich nicht, wozu das Ganze eigentlich gut sein soll. Aber das ist nun mal mein Job, verstehst du?” Seto nickte artig. Besser war es wohl, sich nicht mit diesem Wesen anzulegen. Man wusste ja nie. . . “Gut, okay, und jetzt sagst du mir, wie ich wieder hier herauskomme!”, verlangte Seto ‘höflich’. “Hm, also, ja. . .”, kratzte sich das Männchen am Kinn. “Das ist eine gute Frage”, meinte es schließlich ratlos. “Diese Falle ist nie darauf ausgelegt worden, dass man wieder aus ihr entkommt, weißt du? Also, am besten, ich frage Yami, der weiß immer einen Rat.” “Du kennst Yami?”, rief Seto laut, doch bevor ihm das Wesen noch weitere Auskunft geben konnte, war es plötzlich verschwunden, wie in Luft aufgelöst. . . Kaiba lief es kalt den Rücken hinunter. Er blickte sich verzweifelt um und fragte sich, wie er sich aus diesem Schlammassel bloß wieder befreien könnte. Der Weg nach oben war jedenfalls ziemlich hoch und der glatte Stein nicht gerade zum Klettern geeignet. Einen anderen Ausweg gab es auch nicht, da der kreisrunde ‘Raum’, wenn man es denn so nennen wollte, nur einen Durchmesser von rund vier Metern besaß, und dies ohne jeglichen Ausgang, wie Seto nach einem Rundgang festgestellt hatte. “Na, was machen wir denn hier so ganz alleine?”, erkundigte sich eine kratzige und irgendwie hinterhältig klingende Stimme. Abermals zuckte Seto zusammen und wandte sich um. Diesmal stand vor ihm ein Mann mittleren Alters, der aber nicht viel größer als das Wesen mit den roten Augen und von einer schlanken Statur war. Trotzdem wirkte er irgendwie nicht menschlich, was mitunter an den dunkelblauen Haaren liegen mochte. Oder vielleicht an der unheimlichen Ausstrahlung. . . Ehe Kaiba dazu kam, etwas zu erwidern, fuhr der merkwürdige Unbekannte fort: “Ganz schön kalt hier, was? Was hältst du davon, wenn ich uns beiden mal einheize?”, mit diesen Worten hob er seine Hand und ließ über ihr eine Flamme erscheinen. Kaiba blinzelte und versuchte sich zu vergewissern, dass er nur träumte. Doch leider blieb das Bild vor seinen Augen wie es war. Es wurde sogar noch schlimmer, als der Fremde die Flamme auf ihn schleuderte. In letzter Sekunde sprang er beiseite und das Feuer landete hinter ihm an der Wand. Merkwürdig daran war, dass es sich dort hielt, obwohl es eigentlich keine Nahrung an dem kahlen, feuchten Stein finden durfte. Doch es brannte unbeeindruckt weiter und schien sich sogar noch auszuweiten. Jetzt wurde es Kaiba doch ziemlich heiß im Rücken und er machte ein, zwei Schritte vorwärts - direkt auf den Feuerschleuderer zu. Der grinste ihn böse an und erzeugte eine weitere Flamme. “Das gibt’ s doch nicht!”, ertönte plötzlich eine quiekende, grelle Stimme. “Das lässt man euch mal ein paar Minuten alleine und dann wird der größte Unsinn angestellt. Weg mit euch!” Kaiba fielen fast die Augen aus dem Kopf, als er einen Pinguin in kompletter Ritterrüstung mit Schwert und Schild erblickte. Dieser watschelte auf den Flammenmann zu und schlug ihn mit seinem Schwert. “Du spinnst wohl, du kleiner Zwerg, du! Glaubst du etwa, es mit mir aufnehmen zu können?”, protestierte dieser. “Und du hast wohl meine Spezialfähigkeit vergessen”, meinte der Pinguin unbeeindruckt und schleuderte den Flammenmann davon, welcher aber nicht in einer Ecke landete, sondern sich einfach in Luft auflöste. ‘Spezialfähigkeit?’, echote es in Kaibas Gedanken. ‘Aber, natürlich! Das sind Duel-Monster! Also sind das alles nur Holografien!’, stellte er erleichtert und über sich selbst belustigt fest. Aber Moment mal! Warum hatte sich das Feuer in seinem Rücken - das zusammen mit dem Flammenmann verschwunden war - dann nur so heiß angefühlt? Und die beiden Wesen hatten mit ihm gesprochen, als wären sie echt. Ha, wahrscheinlich hatte ihm seine Einbildung nur einen üblen Streich gespielt oder er war einem fiesen Trick Yamis aufgesessen. Seto nickte zufrieden vor sich hin, dass er dieses Rätsel gelöst hatte. Hätte er ja auch gleich drauf kommen können! Wer glaubte immerhin schon an echte Gespenster? Was ihn zu dem Gedanken brachte, warum dieser verrückte Yami hier Duel-Monster Holografien herumspazieren ließ, die einem Fallen stellten. Vielleicht machte er sich nur über ihn lustig? Langsam wurde Kaiba richtig wütend. Na, der konnte was erleben! Erst einen auf lieb und fürsorglich tun, und dann legte er ihn so herein! Allerdings blieb noch immer das Problem, wie er hier wieder herauskommen sollte. Als nach einer scheinbaren Ewigkeit immer noch kein Ausweg in Sicht war, ließ er sich erschöpft an der feuchten Wand hinabgleiten und rammte frustriert seine Faust in den Boden, was aber nur dazu führte, dass seine Hand jetzt fürchterlich schmerzte. Na, hat jemand die Karten, die Kaiba hier so einen Schrecken eingejagt haben, wieder erkannt? Kapitel 4: ----------- Vielen Dank für die lieben Kommentare. Ich freu mich immer, wenn ich was von euch höre^^. Ach ja, die Karten aus dem letzten Kapitel waren: Die Fallgrube (schwer zu erraten^^), der Pinguinsoldat und der Flammen Manipulator. So und jetzt geht' s weiter: “Ts, da lässt man dich mal für einen Augenblick allein und schon bringst du dich in Schwierigkeiten”, stellte eine tadelnde Stimme fest, die von oberhalb der Öffnung kam. Kaiba stellte sich auf seine Füße und blickte nach oben, wo er die Umrisse einer schattenhaften Gestalt erkennen konnte. Anhand der igelartig in die Luft stehenden Frisur, der schlanken Statur und der Stimme konnte es sich jedoch um niemand anders als Yami handeln. “Was du nicht sagst”, erwiderte Kaiba unbeeindruckt und verschränkte die Arme vor der Brust. “Dir hat es wohl einen Heidenspaß bereitet, mich so an der Nase herumzuführen und mir weis zu machen, in diesem merkwürdigen Gemäuer spuke es.” “Ach, dann hast du also festgestellt, dass es hier gar nicht spukt?”, zog Yami eine Augenbraue hoch. “Also, das wäre mir neu.” “Willst du etwa behaupten. . .”, fuhr Seto wütend auf. “Tja, eigentlich wollte ich dich vor dieser Erkenntnis bewahren, aber du wolltest ja unbedingt im Schloss bleiben.” “Pa! Ich glaube nicht an Geister. Und schon gar nicht an welche, die aussehen wie Duel-Monster.” “Ach, diese lieben, kleinen Geister gehören eigentlich zu der harmlosen Sorte. Nenn sie einfach meine Hausgeister. Und wie Duel-Monster sehen sie nur deshalb aus, weil sie wissen, dass ich dieses Spiel sehr gerne spiele. Sie wollen mir eine Freude bereiten, in dem sie die Gestalt der Monster annehmen - allerdings würden die meisten Geister das niemals zu geben, dazu sind sie einfach zu stolz.” “Pfa, Unsinn! Du hast hier irgendwo Holoprojektoren installiert und wolltest mir einen Schrecken einjagen. Aber das hat nicht funktioniert. Das einzige, was ich jetzt habe, sind verdammte Rücken- und Kopfschmerzen.” “Oh, das tut mir aber leid, mein Engel. Soll ich dich wieder gesund pflegen?” “Nein, du verdammter Bastard!”, schrie Seto und hätte geschworen, stünde Yami nicht außer Reichweite, hätte er ihn jetzt garantiert erwürgt. “Komm bloß hier herunter!”, rief er wütend und ballte die Hände zu Fäusten. “Ich glaube, es ist besser, du kommst zu mir herauf. Nimm die Treppe da!”, wies er Seto ganz ruhig an und ignorierte gekonnt dessen Wutausbruch. Dieser guckte nicht schlecht, als sich plötzlich eine vorher nicht vorhandene Treppe vor ihm auftat. Doch versuchte er, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen und setzte forsch seine Füße darauf - was ihm angesichts der Rückenschmerzen nicht ganz gelingen wollte. “Nun, ich hoffe es geht dir gut?”, erkundigte sich Yami freundlich und legte eine Hand auf Setos Schulter. Dieser zuckte zusammen - vor Schmerz. Yami grinste ihn spöttisch an, als wisse er genau, wie er sich fühlte. “Bestens, danke der Nachfrage”, erwiderte Kaiba eingeschnappt. “Gut, dann kannst du das Schloss ja jetzt wieder verlassen - falls es noch nicht zu spät ist”, merkte Yami ominös an. Doch das wollte Kaiba nun auch wieder nicht. Erstens hatte er keine Lust, zu seinem verhassten Adoptiv-Vater zurückzukehren und zweitens wollte er trotz seiner Verärgerung doch noch mehr über diesen mysteriösen und attraktiven Jungen neben sich herausfinden. In diesem Augenblick wünschte er sich irgendeine Anleitung herbei, wie man einen jungen Mann verführte. Seinen Ärger vergessend, grinste er still vor sich hin, während er neben Yami herging. Schließlich meinte er: “Nein, ich werde nicht gehen. Du weißt ja. . .” “Du hast kein Zuhause, ich weiß”, meinte Yami, aber seine Stimme klang ein wenig zweifelnd. “Sag mal, wer hält eigentlich dieses ganze Schloss so sauber und in Ordnung? Bisher habe ich niemanden außer dir gesehen und für dich alleine dürfte das doch etwas zu viel sein. Wo sind denn diese Hilfskräfte, von denen du gesprochen hast?” “Ach, zwei von denen bist du schon begegnet”, erklärte Yami schmunzelnd. “Nur, dass sie in dem Moment wohl mehr Spaß daran hatten, dich zu ärgern, statt das Schloss in Ordnung zu halten. Es kommt immerhin nicht oft vor, dass wir Besuch bekommen.” “Aha, verstehe”, meinte Kaiba, aber seine Worte klangen, als glaube er kein Stück davon. Doch wenn er Yami widersprach und sich mit ihm anlegte, wie sollte er ihm dann näher kommen? Auch, wenn er verrückt zu sein schien, so minderte das seine Schönheit doch nicht und so wollte Kaiba ihm erstmal freundlich gegenübertreten, damit dieser ihn an sich heran ließ. “Ich glaube, es ist Zeit für das Mittagessen”, stellte Yami fest und Kaiba guckte nicht schlecht, als sie schon nach kurzer Zeit wieder im Speisesaal ankamen. Er selbst war eine Ewigkeit von dort spaziert - offenbar hatte er sich vorhin doch verlaufen. “Was ist das nur für eine seltsame Architektur?”, wunderte er sich. “Ich habe keine Ahnung. Leider weiß ich nicht, von wem dieses Schloss erbaut wurde, oder warum es schneckenförmig konstruiert wurde. Allerdings habe ich da so eine Vermutung, was das letztere betrifft.” “Und das wäre?” “So können die überschüssigen Energien besser abfließen.” “Von welchen Energien sprichst du denn?” “Von den Energien der Dimension neben unserer. Manche nennen sie auch Geisterwelt, Unterwelt oder sogar Hölle. Allerdings nicht zu verwechseln mit dem Reich der Toten.” “Aha”, meinte Kaiba und fragte sich, wie verrückt Yami eigentlich wirklich war. “Ich sehe schon, du glaubst mir kein Wort”, schmunzelte der, ohne beleidigt zu sein. Offenbar war er das gewohnt. “Aber ich muss dich schließlich darauf vorbereiten, da du länger hier bleiben willst. Zumindest scheinst du einen starken Geist zu besitzen, da dich die beiden Duel-Monster Imitationen ja nicht besonders beeindruckt haben. Das ist schon mal eine gute Voraussetzung.” “Danke”, lächelte Kaiba, diesmal ehrlich geschmeichelt. “Sag mal, woher kommt eigentlich der merkwürdige Name des Schlosses? Heißt es wegen der seltsamen Architektur so? Aber wieso dann nicht nur Schnecke, sondern lahme Schnecke?” Yami zuckte mit den Schultern. “So lange ich hier auch lebe, das habe ich leider noch nicht herausgefunden. Ich kenne den Namen des Schlosses auch nur von einer Inschrift im Keller. Aber frag mich nicht, warum diese im Keller angebracht ist.” Kaiba ließ es dabei bewenden und staunte nicht schlecht, als im Speisesaal bereits alles angerichtet war. “Das ist ja ein richtiges Festmahl”, stellte er überrascht fest. “Tja, meine Freunde dachten wohl, sie müssten sich diesmal besonders Mühe geben, weil ich Besuch habe.” “Mit Freunde meinst du wohl diese Geister?”, erkundigte sich Kaiba abwertend. “Stimmt genau”, damit war für Yami das Thema beendet und er setzte sich an den Tisch. Kaiba wollte gar nicht erst wissen, warum die Geister Yami bekochten und sein Schloss sauber hielten. Besser war es, nicht weiter auf diese Verrücktheiten einzugehen und ihm in dem Glauben zu bestärken, dass es seine Geisterfreunde wirklich gab. Allerdings fragte er sich auch, ob man da wirklich noch etwas bestärken konnte, da Yami ohnehin fest überzeugt davon zu sein schien. Das führte Kaiba nun zu der Frage, wer sich tatsächlich um das Schloss und das Essen kümmerte. Wenn es Yamis Eltern oder Bedienstete waren, war es doch merkwürdig, dass er diese noch nicht zu Gesicht bekommen hatte. Aber vielleicht hielt sich das Personal auch nur sehr bedeckt und versuchte, immer möglichst unsichtbar zu sein? Außerdem war das Schloss schon so riesig, dass sich ein paar Leute locker darin verlieren konnten. “Hm, köstlich”, stellte Yami fest, der gerade das Hähnchen kostete. “So gut haben sie wirklich lange nicht mehr gekocht. Obwohl man auch nicht sagen kann, dass es sonst schlecht schmecken würde.” “Na dann, guten Appetit!”, wünschte Kaiba trocken und stach seine Gabel in den Salat. “Oh, entschuldige! Ich hatte so lange keinen Besuch mehr, dass ich ganz vergessen habe, wie man sich benimmt. Ich wünsche dir auch einen guten Appetit”, erklärte er, wobei seine Stimme einen merkwürdig eindringlichen Ton annahm und seine rötlichen Augen sich in seine zu bohren schienen. “Was ist?”, erkundigte sich Kaiba schroff und versuchte zu vertuschen, dass er gerade schlucken musste und ihm ganz anders wurde. “Oh, du erinnerst mich nur irgendwie an jemanden”, stellte Yami mit einem warmen Ton in der Stimme fest. “Hm, ja, doch leider weiß ich nicht, an wen.” Nachdenklich geworden, aß er weiter und auch Kaiba war nicht nach mehr Unterhaltung zumute. Dieser Morgen hatte ihn doch ganz schön gestresst. Trotzdem war er neugierig und erkundigte sich noch nach Yamis Eltern. Dieser schmunzelte jedoch nur traurig und erklärte, dass er schon lange keine Eltern mehr habe. Am Nachmittag war Yami leider auch schon wieder mit der Erklärung verschwunden, dass er sich an seine Arbeit machen müsse. Genau wie letztes Mal, war er so schnell weg, dass Kaiba ihm nicht mehr zu folgen Imstande war. Der Frage, was genau Yami arbeite, war dieser ausgewichen. Er hatte nur gemeint, er müsse das Schloss in Ordnung halten. Aber das taten ja schon die “Hilfskräfte”, falls es jene überhaupt gab. Entschlossen, sich diesmal nicht so leicht von seinem Vorhaben abringen zu lassen, trat Kaiba erneut den Weg durch die verrückt angelegten Schlossgänge an - wobei er tierisch aufpasste, nicht wieder in eine Fallgrube oder ähnliches zu geraten. “Aha, du musst Seto sein”, stellte ein braunes Fellknäuel, welches urplötzlich aus dem Boden aufgetaucht war, so dass Kaiba beinahe darüber gefallen wäre, fest. “Ein Kuriboh!”, bemerkte er verblüfft. Doch dann rief er sich zur Ordnung und sagte sich, dass das bloß ein Hologramm sei - ein sehr gutes, wohlgemerkt. Das “Hologramm” schwebte auf ihn zu und ließ sich auf seiner Schulter nieder. Überrascht stellte er fest, dass er das flauschige Fell an seiner Wange spüren konnte. Vor Schock erstarrte er. Dann war das doch echt. . . “Endlich hat Yami einen anderen Menschen gefunden, der bei ihm ist. Er hat sich nämlich ganz schön einsam gefühlt, weißt du. Er hat zwar uns, aber niemanden, der ist wie er. Also, wenn ich das einzige Kuriboh hier wäre, dann wäre ich bestimmt auch ganz schön einsam. Deshalb hoffe ich, dass du noch länger bleibst. Du magst Yami doch oder?”, redete das Wesen auf ihn ein, während Kaiba in seinem erstarrten Zustand zuhörte und nur die Hälfte mitbekam. “Ja, ich mag Yami”, brachte er schließlich heftig atmend hervor. “Oh, das ist toll!”, rief das Kuriboh begeistert aus und schmiegte und rieb sich an seiner Wange, womit er Kaiba heftig im Gesicht kitzelte, so dass dieser schließlich niesen musste. Die braune Pelzkugel konnte auch mal wieder eine Entstaubung vertragen. . . “Wo ist Yami denn?”, erkundigte er sich, nachdem er sich von seinem Schock einigermaßen erholt hatte - was nicht hieß, dass er wirklich begriffen hatte, was hier vorging. “Oh, soll ich dich zu ihm bringen?” “Ja, bitte tu das”, meinte Kaiba zerknirscht und fragte sich gleichzeitig, ob das Pelzknäuel wirklich dazu in der Lage war. Sie folgten einigen kreisrunden Gängen, wie es auch Kaiba zuvor getan hatte. Doch diesmal kamen sie schon nach kurzer Zeit zur obersten Etage des Schlosses und es war ihm ein Rätsel, wieso er nicht ebenfalls hier angelangt war, war er doch beim letzten Mal genau den gleichen Weg gegangen. Vor ihnen öffnete sich eine Tür in einen riesigen, kreisförmigen Saal über dem sich ein großes, gläsernes Kuppeldach wölbte, welches den Blick auf die Sterne freigab. ‘Merkwürdig, ich bin mir sicher, dass eben erst früher Nachmittag war’, wunderte sich Seto. Hatte ihn sein Zeitgefühl so sehr getäuscht? Genau in der Mitte des Saales bemerkte er Yami, der dort in einer Stellung kniete, dass es aussah, als bete er. Seto blinzelte, als er regenbogenfarbene, fließende Bögen aus Licht erblickte, die sich um Yamis schlanken Körper wanden wie Schlangen, die ihn einhüllen wollten. Diese Energiebögen, wie Seto sie unwillkürlich für sich nannte, flossen über Yami hinweg und in die Spitze des Kuppeldaches hinauf. Oder war es umgekehrt? Jedenfalls war Seto fasziniert von diesem Anblick, wie der schlanke Junge von den Energiebahnen umhüllt und umtanzt wurde, als wollten sie seine Schönheit unterstreichen. Und über ihm das Sternenzelt. Kaiba war so gebannt von dem Bild, dass ihm erst nach einer ganzen Weile die Merkwürdigkeit der Situation zu Bewusstsein kam. Doch plötzlich wurde die Harmonie des Augenblicks durchbrochen, als Yamis Gesicht einen schmerzerfüllten Ausdruck annahm und er sich krümmte und schließlich vor Anstrengung zu keuchen begann. Die Arme hatte er um den Leib geschlungen und zitterte. Einem Instinkt folgend, lief Seto los und beachtete die Energiebögen gar nicht, als er Yami in seine Arme schloss und aus der Mitte des Saales wegzog. “W-was hast du getan?” Anklagend und mit vor Anstrengung bebender Stimme, blickte Yami zu ihm auf. “Was meinst du? Ich habe dich von diesen Energien befreit”, stellte er klar. “Sie haben dich verletzt.” “Nein, bring mich sofort zurück in die Mitte des Saales!”, befahl Yami. “Kommt nicht in Frage, du bist zu erschöpft. Sieh dich doch an, du kannst nicht mal mehr selbst auf deinen Beinen stehen.” “Du hast ja keine Ahnung, du Trottel! Lass mich sofort los, oder es wird noch viel Schlimmeres passieren, als dass ich nicht mehr aufrecht stehen kann!”, rief Yami in Panik. “Nein!”, mit diesen Worten folgte Seto noch einmal seinem Instinkt und küsste Yami einfach, bemerkte dabei, dass er sich schon die ganze Zeit danach gesehnt hatte, dies zu tun. Der junge Mann in seinen Armen wehrte sich nur schwach, da er für mehr nicht die Kraft hatte - aber offensichtlich noch genug Kraft, um ihm kräftig in die Lippe zu beißen. Seto fuhr mit einem kleinen Schrei auf. “Was fällt dir eigentlich ein, du Lustmolch!”, keifte Yami und brachte es aufgrund seiner Wut sogar fertig, sich von ihm loszureißen und auf eigenen Füßen zu stehen. Zornbebend wandte er sich ab, wollte sich wieder den Energiebögen zuwenden, als eine riesige Kreatur plötzlich genau an dieser Stelle wie aus dem Nichts erschien und ihn aus golden glühenden Augen anstarrte. Das Wesen hatte eine dunkelgrüne Haut und sah aus wie eine Mischung aus einem Dinosaurier und einem Drachen, da seine Flügel verkümmert waren. Riesige Klauen zierten seine vier Füße und ein langer, breiter Schwanz stand aufrecht in die Höhe, wie bei einer Katze, die einen Buckel macht. Aus seinem riesigen Maul, welches es nun öffnete, ragten spitze Zähne, die größer als eine Hand waren. Die Ohren waren spitz zulaufend und um den Hals wand sich ein gezackter Kranz, der ebenfalls aufgerichtet war. Mit der spitzen Zunge stieß es ein gefährlich klingendes Fauchen aus und machte im nächsten Augenblick einen Satz auf Yami zu. Kapitel 5: ----------- Ohne groß nachzudenken, stieß Seto Yami beiseite und stand nun allein an der Stelle, auf die das Wesen zuhielt. Was hatte er sich da nur eingebrockt? Instinktiv, ohne eigentlich zu wissen, was er da tat, zog er aus seiner Hosentasche eine Karte seines Duel-Monster-Decks, welches er immer bei sich trug, und schleuderte diese auf die Kreatur zu. Im nächsten Moment wunderte er sich über sich selbst. Wie kam er dazu, eine harmlose Karte auf ein riesiges Monstrum zu werfen und zu hoffen, dass das helfen würde? Er glaubte schon, dass es nun um ihn geschehen sei, als plötzlich gleißend helles Licht erstrahlte und den gesamten Saal ausfüllte. Er kniff unwillkürlich die Augen zusammen, doch als er sie wieder öffnete, glaubte er, ihnen nicht mehr trauen zu können, denn direkt vor ihm stand in seiner ganzen Pracht ein riesiger Drache mit weißblau schimmernden Schuppen, den er sofort als den blauäugigen, weißen Drachen mit eiskaltem Blick erkannte. Dieser setzte seine Pranken gegen die dunkelgrüne Echse ein, die wütend fauchend zurückwich, nur um im nächsten Moment einen Flammenstoß aus dem riesigen Maul von sich zu geben. Der weiße Drache reagierte jedoch blitzschnell und stieß seinerseits eine glühende, blauweiße Energiekugel aus, die die Echse offenbar schwer mitnahm, da sie sich kreischend und sich windend langsam zum Energievorhang in der Mitte des Saales zurückzog. “Da siehst du’ s! Kein Monster ist so stark wie mein blauäugiger, weißer Drache mit eiskaltem Blick!”, jubelte Seto und wunderte sich im nächsten Moment über sich selbst - schließlich war das hier kein Spiel. Oder doch? Es schien alles so echt. Und obwohl sein Verstand alles anzweifelte, sagte ihm sein Gefühl schon längst, dass dies wirklich geschah. Das grüne Monster taumelte jedenfalls zurück und verschwand wieder durch den Energievorhang und der weiße Drache löste sich ebenfalls mit einem letzten, weißen Glühen auf. Auch die regenbogenfarbenen Energiebögen verschwanden. Triumphierend wandte Kaiba sich um und blickte zu Yami hinüber. Dieser starrte ihn mit einem ungläubigen Ausdruck an, was Seto sich noch stolzer fühlen ließ. Als Yami jedoch plötzlich Tränen aus den Augen liefen und der Ausdruck in seinem Blick sich auf merkwürdige Weise wandelte, stürzte Seto besorgt auf ihn zu und konnte ihn gerade noch rechtzeitig auffangen, bevor er zu Boden fiel. Vorsichtig ließ er ihn hinabgleiten, zog ihn aber auf seinen Schoß und hielt ihn fest. Yami blinzelte ihn aus tränenerfüllten, roten Augen an. Es war ziemlich merkwürdig, den sonst so selbstsicheren jungen Mann plötzlich am Boden zu sehen. “Was ist mit dir? Tut dir etwas weh?”, erkundigte sich Seto besorgt und stutzte, als Yami ihn plötzlich mit einem glühenden Lächeln bedachte, das Hitze in seinem Inneren aufsteigen und ihn erröten ließ. Ohne, dass es ihm bewusst wurde, lächelte er ebenso strahlend zurück und ließ sich von den wie magisch anziehend wirkenden Lippen unter sich in den Bann ziehen, indem er sich hinabbeugte und sie erneut küsste. Doch diesmal war es völlig anders, viel intensiver und - ja, Yami erwiderte seinen Kuss zärtlich, was sein Herz Freudensprünge machen ließ. Yami keuchte in den Kuss, schlang seine Arme um Setos Nacken, während sie immer leidenschaftlicher wurden. Schließlich lösten sie sich voneinander und blickten sich mit verklärten Augen und geröteten Wangen an. Zärtlich legte Yami seine Hand an Kaibas Wange und fuhr mit dem Daumen über seine Lippen. Er lächelte, als dieser daraufhin seine Augen schloss und sich gegen seine streichelnde Hand lehnte. Doch irgendwann war dieser wunderschöne Augenblick vorbei und die Fragen kehrten in Kaibas Augen zurück. “Sag mal, was geschieht hier eigentlich? Was sind das für seltsame Energien, die du da ableitest und was war das für ein Monster und wieso konnte ich den weißen Drachen erscheinen lassen? Das ist doch nur eine Spielkarte. Und wieso erwiderst du auf einmal meinen Kuss, wo du mich doch eben noch abgewiesen hast? Etwa nur, weil ich dich gerettet habe?” “Also, eins nach dem anderen”, meinte Yami beruhigend und schmiegte sich in seine Arme. “Ich habe dir doch von der Dimension neben unserer erzählt. Genau hier ist das Tor dazu”, mit diesem Worten blickte er nach oben, zum Zentrum des Kuppeldaches hinauf, wo sich auch der Energievorhang befunden hatte. “Meine Aufgabe ist es, dieses Tor geschlossen zu halten und die überschüssigen Energien, die aus der anderen Dimension hervortreten durch meinen Körper und durch das Schloss ins Erdinnere abzuleiten. Das kostet viel Kraft. Und wenn ich es nicht tue, dann passiert so etwas wie eben: Kreaturen aus der anderen Dimension erscheinen hier in unserer Welt. Die grüne Echse muss nicht die einzige gewesen sein - gut möglich, dass eben noch mehr dieser Biester in unserer Welt aufgetaucht sind und nun irgendwo dort draußen ihr Unwesen treiben. Aber sie aufzuhalten, ist dann nicht mehr meine Aufgabe. Dafür gibt es Geister- oder Dämonenjäger. Oder Magier wie dich”, grinste Yami ihn an. “Wie mich?”, guckte Kaiba verblüfft zurück. Er und ein Magier? Was war denn das für ein Unsinn? “Ja, oder was glaubst du, wieso plötzlich der weiße Drache erschienen ist? Das war ein Teil deiner Magie - einer einzigartigen Magie übrigens, die nur von einer Seele auf dieser Welt ausgeführt werden kann und daran habe ich dich auch erkannt.” “Mich erkannt?”, wiederholte Kaiba. “Wie meinst du das?” “Daran habe ich erkannt, dass du die Wiedergeburt meines Geliebten Seth bist”, holte Yami tief Luft und legte die Hände auf seine Wangen, um ihm tief in die blauen Augen zu blicken. “Und jetzt weiß ich auch, warum mir dein Name so bekannt vorkam. Du heißt fast genauso wie damals, vor dreitausend Jahren. Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben, dich jemals wieder zu sehen, so lange ist es her. Erst der weiße Drache hat mich erkennen lassen, wer du bist.” “Moment mal!”, tat sich Seto schwer, das alles zu glauben und löste sich von Yami, um sich nervös mit der Hand durch die Haare zu fahren. “Willst du mir damit erzählen, du seiest dreitausend Jahre alt?” “Ja, das bin ich. Die Magie des Schlosses macht mich unsterblich. Aber sie hält mich auch gefangen. Ich kann niemals von hier entkommen, nicht mal durch den Tod. Es sei denn, ich würde meine Aufgabe vernachlässigen und das Schloss verlassen. Aber du bist gestorben und jetzt bist du wieder bei mir . . . Seth. Ich hätte wissen müssen, dass du mich nicht im Stich lässt, egal wie lange es dauert. Schade nur, dass du dich an nichts erinnern kannst. Aber ich werde dir alles erzählen.” Yami nahm seine Hand und küsste sie liebevoll, schenkte ihm dabei einen intensiven Blick aus seinen glühend roten Augen. Kaiba schauderte, er fühlte sich wie verhext von diesem Blick und konnte nicht anders, als Yami wieder näher zu kommen. Ehe er sich’ s versah, küssten sie sich erneut. Schwer atmend lösten sie sich voneinander. “Aber du wirst auch Gefangener dieses Schlosses werden, wenn du nicht sofort gehst”, bemerkte Yami zutiefst traurig. “Du würdest das gleiche Schicksal erleiden wie ich.” “Das glaube ich nicht. Yami, du bist total verrückt, weiß du das? Aber ich bin es offenbar ebenfalls, denn ich bilde mir auch schon Dinge ein, die gar nicht da sein können. Außerdem bin ich verrückt nach dir”, schlang er seine Arme um Yami und zog ihn näher zu sich. “Ja, das ist sicher alles zu viel auf einmal für dich. Irgendwann wirst du es begreifen”, meinte Yami verständnisvoll. “Doch solltest du wirklich sofort gehen, denn ich will nicht, dass es dir so ergeht wie mir.” “Und dich verlassen, wo ich dich gerade erst kennen gelernt habe? Niemals!”, beschloss Seto und hob Yami mit einem Ruck auf seine Arme, wobei er sich über seine eigene Impulsivität wunderte. Er war noch nie übermäßig gefühlsbetont gewesen und wenn, dann hatte er es nicht gezeigt. Doch Yami ließ ihn Dinge tun, die ihn selbst überraschten. “Du zeigst mir jetzt den Weg zu deinem Bett, okay? Du siehst nämlich aus, als würdest du gleich umkippen vor Erschöpfung.” “Was macht eigentlich dein Rücken?” “Dem geht es bestens, keine Sorge.” “Nachdem du in die Fallgrube geraten und direkt darauf gefallen bist? Ich wusste es, so beginnt es”, meinte er traurig. “So beginnt was?”, meinte Seto leicht irritiert, während er Yami aus dem Saal hinaus trug. “Die Magie des Schlosses wirkt immer intensiver auf dich ein, gibt dir Unsterblichkeit und macht dich unverwundbar. Es beginnt damit, dass deine Verletzungen und Krankheiten immer schneller heilen, bis du schließlich völlig immun bist und nichts dich mehr töten oder auch nur verletzen kann. Der Nachteil dabei ist nur, dass du das Schloss dann nicht mehr verlassen kannst, ohne innerhalb weniger Tage zu sterben, wenn die Energien erst mal lange genug auf dich eingewirkt haben.” “Weißt du, es ist mir völlig egal, was du da redest. Selbst wenn es wahr ist - was ich doch stark bezweifle - ist es bedeutungslos, denn ich bleibe so lange bei dir, wie ich will, verstanden?” Yami lächelte nur traurig zurück. Er wusste es besser, aber er wusste auch, dass er Seto nicht davon überzeugen konnte zu gehen, wenn der sich erstmal entschlossen hatte. In dieser Hinsicht hatte er sich im Vergleich zu seinem früheren Leben offenbar nicht verändert. “Wenn die Magie dieses Schlosses, wie du sagst, angeblich alle Verletzungen heilt, wieso geht es dir dann so schlecht?” “Das liegt daran, dass meine Erschöpfung geistiger Natur ist. Die Magie des Schlosses heilt aber nur körperliche Verletzungen, Krankheiten und verhindert, dass man altert.” “Hm, also, wo ist dein Bett?”, erkundigte sich Kaiba suchend um sich blickend. Yami kicherte. “Das wirst du nie finden, wenn ich es nicht will.” Sein Träger guckte ihn gespielt böse an. “Schon gut, da lang geht es”, zeigte Yami den Weg. In seinem Zimmer angekommen, legte er ihn vorsichtig auf dem viel zu großen Bett ab und machte sich ungefragt gleich daneben lang. “Du fackelst aber auch nicht gerade lang, was?”, grinste Yami ihn an. “Na ja, ich muss doch auf dich aufpassen”, spielte Kaiba den Unschuldigen und zog ihn in seine Arme. Yami schloss die Augen. “Das ist lieb von dir”, nach diesen Worten war er ganz still und nach einiger Zeit stellte Seto fest, dass er tatsächlich eingeschlafen war. Wie konnte der jetzt nur schlafen? Er selbst war zwar erschöpft, aber noch hellwach von der ganzen Aufregung - und natürlich der Tatsache, dass Yami in seinen Armen lag. Quälend lange Stunden vergingen, bis in den frühen Morgen hinein und endlich fielen auch ihm die Augen zu. “Du kommst einfach mit mir!”, bestimmte Seto am nächsten Morgen am Frühstückstisch. “Du gibst deinen Job auf und begleitest mich und ich sorge für uns zwei.” Yami schüttelte den Kopf. “Du hast mir gestern wohl nicht zugehört. Ich kann das Schloss nicht verlassen. Und um einen einfachen ‘Job‘ handelt es sich ja wohl kaum.” “Wer sagt das?” “Mein Körper. Wenn ich gehe, hält mich die Magie des Schlosses nicht mehr am Leben. Ich kann nur kurz hinaus, wie zum Beispiel, als ich dich aus dem Wald geholt habe. Würde ich aber länger draußen bleiben, würde ich innerhalb weniger Tage rapide altern und sterben. Immerhin habe ich schon dreitausend Jahre hinter mir”, lächelte Yami verschmitzt. “Das wird dann wohl die Beziehung mit dem größten Altersunterschied, den es je gegeben hat, auch wenn es keiner bemerken wird. Wenn es überhaupt eine Beziehung zwischen uns geben wird. Denn ich will nicht, dass du das gleiche Schicksal erleidest wie ich. Du würdest nur unglücklich werden.” “Ich dachte, das hätten wir geklärt, ich bleibe”, stellte Kaiba klar. Yami schüttelte den Kopf. “Offenbar begreifst du die Konsequenzen nicht, oder willst sie nicht begreifen. Irgendwann wird deine Liebe zu mir verlöschen, du wirst eines Morgens aufwachen und feststellen, was für ein Idiot du doch warst und dass du dein Leben praktisch zum Fenster hinaus geworfen hast, weil du nie mehr wirst in dein altes Leben zurückkehren können und immer im Schloss gefangen sein wirst.” “Unsinn!”, schlug Kaiba heftig mit der Faust auf den Tisch, dass das Geschirr klirrte. Yami zuckte nicht mal zusammen. “Erstens: Ich werde niemals aufhören, dich zu lieben! Und zweitens: Wenn wir es wirklich wollen, finden wir auch einen Ausweg aus diesem Schloss.” Yami lächelte traurig. “Ich wünschte, es wäre so, doch leider hat es das Schicksal anders bestimmt.” Er stand auf und wollte den Raum verlassen, doch Kaiba packte ihn am Arm und zog ihn neben sich auf die Bank. “Warum bist du vor dreitausend Jahren eigentlich erstmals hier her gekommen und hast diesen ’Job’ ausgeführt? Kanntest du die Konsequenzen nicht?” “Doch, aber mir blieb keine andere Wahl. Hätte ich das Tor zur anderen Dimension nicht geschlossen und bewacht, hätte das praktisch den Weltuntergang bedeutet, denn damals kam es zu einer groß angelegten Invasion aus der Nebenwelt. Die Geister waren überall und wüteten durch das Land, zerstörten Städte und saugten Menschen die Energie aus. Nur ich war in der Lage, das Tor zu schließen. Auch du, ich meine, dein früheres Ich, Seth, starb bei diesen Kämpfen. Du bist . . . In meinen Armen gestorben”, beendete er den Satz und lehnte sich zitternd an ihn. “Verstehe”, flüsterte Kaiba ganz leise und streichelte ihm sanft durchs Haar, während er ihn in die Arme schloss. “Das wird nicht noch einmal geschehen, das verspreche ich dir. Alles wird wieder gut.” Irgendwie glaubte er Yami nun, obwohl er die ganze Geschichte immer noch für verrückt hielt. “Ich muss los”, erklärte Yami leise und löste sich von ihm. “Willst du wieder das Tor bewachen?” “Ja, ich darf nicht länger als zwölf Stunden davon weg bleiben. Besonders zu dieser Jahreszeit, wo sich die beiden Welten einander wieder am nächsten stehen, muss ich aufpassen und länger dort bleiben.” “Du meinst doch nicht etwa Halloween, oder?”, erkundigte sich Seto mit hochgezogener Augenbraue. Daran glaubte er nun wirklich nicht. “Wie immer du es auch nennen willst”, bestätigte Yami und riss sich los. “Man, er hat wieder diesen Trick angewendet”, stellte Kaiba ärgerlich fest, als Yami wieder wie vom Erdboden verschluckt war. ‘Moment mal! Hat er nicht gesagt, ich sei ein Magier? Dann müsste ich doch so was auch können? - Oh, verdammt, jetzt glaube ich schon diesen Stuss! Na ja, vielleicht finde ich diese kleine Pelzkugel wieder, die kann mich wieder zu ihm bringen. Halloween, pah!’, schnaubte er vor sich hin. Yami zitterte unter dem Ansturm der Energien. Dieses Jahr war es wirklich besonders schlimm. Oder lag es an seiner eigenen Schwäche? Der Tatsache, dass er dauernd an Seto denken musste? Es kam ihm jedenfalls so vor, als wäre es nie so schwierig wie jetzt gewesen, die Energien abzuleiten und in der Sicherheit des Schlosses einzuschließen. Schweißtropfen begannen ihm von der Stirn zu fließen. Dabei hockte er erst seit knapp drei Stunden hier, wie sollte er das nur den ganzen Tag aushalten? Außerdem musste er zu dieser Jahreszeit ohnehin länger an der Arbeit bleiben, als gewöhnlich, erst recht bei diesem Ansturm. Gegen Mittag keuchte er nur so vor sich hin - Zeit für eine Mittagspause, dachte er bei sich. Aber er konnte jetzt nicht weggehen, dann bräche das Chaos los. Aber andererseits, würde er keine Pause machen, bräche er bald zusammen und dann wäre das ebenfalls das Ende. Was sollte er nur tun? Seine Gedanken flossen träge vor Erschöpfung zäh wie Sirup vor sich hin. Plötzlich fühlte er, wie sich zwei starke Arme um ihn schlossen und an einen warmen Körper zogen. “Seto, nicht! Kann nicht weg!”, protestierte er keuchend. “Doch, du musst. Ich mache das für dich”, bestimmte dieser und schob ihn mit sanfter Gewalt aus dem Bereich des Energievorhangs. “Aber du weißt doch gar nicht, wie das geht”, stellte Yami fest und staunte nicht schlecht, als er bemerkte, dass Kaiba instinktiv das Richtige tat. Erschöpft ließ er sich zu Boden sinken. “Du solltest das nicht tun!” “Was ich tue und was nicht, das überlass mal mir!”, empfahl Seto und widmete sich weiter den Energien. “Geh du was essen und erhole dich!” “Nein, ich werde dich hier nicht alleine lassen”, widersprach Yami und schlang nun seinerseits seine Arme von hinten um ihn. Etwas Merkwürdiges geschah - die Energien, die durch sie flossen, fühlten sich plötzlich so leicht an, als wären sie nur warmes, kitzelndes Licht. Beide atmeten erleichtert auf und wunderten sich. Sie ließen sich zu Boden sinken, der sich gar nicht mehr wie harter, kalter Stein anfühlte, sondern in eine Decke aus Licht gehüllt schien und sanken einander in die Arme. Kaiba küsste Yamis Haare, sein Herz bebte. Er fühlte sich wie im Paradies. Hatte er etwa Drogen geschluckt, ohne es zu merken? Ja, das musste die Erklärung für all diese verrückten Sachen sein. Aber es war ihm egal. Er küsste Yami und fragte dann ganz ernsthaft: “Zeigst du mir, wie man mit einem Mann schläft?”* *Na, Kaiba fällt aber wirklich mit der Tür ins Haus ~.~° Kapitel 6: ----------- “Zeigst du mir, wie man mit einem Mann schläft?” Yami grinste auf diese Frage hin dreckig. “Bist du dir sicher, dass du das willst?” “Ja, bin ich”, erwiderte Kaiba ganz ernst. “Hn, gut. Aber nicht hier, okay?” “Warum nicht? Dieses Licht turnt mich irgendwie an.” Für diese Bemerkung bekam er einen schmerzhaften Kniff in den Hintern. “Weil ich nicht will, dass da irgendwelche Wesen durchkommen und uns zugucken, wenn du es genau wissen willst. Außerdem ist der Steinboden zu hart. Lass uns noch so lange hier bleiben, wie es nötig ist. Dann sehen wir weiter.” “Na toll, ich liebe solche Aussagen. Wie lange dauert ‘wie es nötig ist’ denn?” “Das kann ich leider auch nicht genau sagen. Aber ich schätze mal, gegen Abend dürften wir es geschafft haben. Aber natürlich können wir jetzt, da die Energien sich beruhigt haben, eine Mittagspause machen.” “In der wir dann schmutzige Sachen treiben?”, grinste Seto, der offenbar nur noch an das eine dachte. “Wenn du dein erstes Mal so schnell hinter dich bringen willst?” “Oh, ja!”, meinte Kaiba und lief begeistert wie ein junger Hund neben ihm her. Yami seufzte. “Die Jugend von heute. . .”, murmelte er vor sich hin. “Hast du was gesagt? Moment mal! Wenn du seit dreitausend Jahren keinen anderen Besuch außer mir hattest, dann müsstest du es ja bitter nötig haben.” “Wer sagt, dass ich seit dreitausend Jahren keinen Besuch hatte?”, konterte Yami geschickt und ließ sich nicht auf seine Anspielungen ein. “Willst du mich etwa eifersüchtig machen?” “So weit kommt’ s noch! Als ob ich das bei dir nötig hätte.” “Hm, nun, wenn deine verrückte Geschichte stimmt, bist du zwar älter und erfahrener als ich, aber. . .trotzdem noch viel kleiner”, mit diesen Worten presste Kaiba ihn an die nächste Wand. “Was denn, willst du mich nun überfallen?”, lachte Yami unbeeindruckt. Im nächsten Moment wunderte sich Kaiba, da er sich auf dem Boden wieder fand und seinen Freund nur noch von hinten erblickte - obwohl das auch keine schlechte Aussicht war, da der eine sehr enge, schwarze Hose trug. “Älter und erfahrener, du sagst es”, meinte er spöttisch und schien noch mal extra provozierend mit dem Hintern zu wackeln, während er davon ging. Wütend sprang Kaiba auf. So leicht würde ihm der Kleine nicht davon kommen! Schließlich saßen beide doch ganz brav am Mittagstisch und aßen gemeinsam. Allerdings wollte Kaiba noch nicht aufgeben und versuchte seinen neuen Freund dahingehend zu beeinflussen, dass er noch nicht zum Tor zurückkehrte. Doch leider war dieser mindestens so stur wie er selbst und setzte sich durch. Jedoch gingen beide wieder gemeinsam dorthin, da es so einfach leichter war, die Energien abzuleiten. Gegen Abend verließen die sie das magische Licht und Yami fühlte sich nicht mal halb so erschöpft wie sonst. Endlich sah Kaiba seine Gelegenheit gekommen und schnappte sich Yami, um ihn auf dessen Bett zu drücken. “Tust du es jetzt mit mir?”, erkundigte er sich nach einem heftigen Kuss. Yami erwiderte nichts, sondern zog ihn erneut zu sich herunter, verwickelte ihn in ein heißes Zungenspiel, das allein Kaiba schon rasend machte, ihn sich reflexartig an Yami pressen ließ. “Mir ist ganz komisch”, flüsterte Seto hochgradig erregt und ließ sich von seinem Freund das Hemd abstreifen. “Ich weiß, mein Schatz”, lächelte Yami, zog auch noch seine Hose aus und drehte ihn herum, wobei der sich wie Wachs in seinen Händen anstellte. Offenbar war jetzt auch von Yami jegliche Zurückhaltung gewichen, was man an dem Funkeln in seinen Augen bemerken konnte. “Na los, worauf wartest du noch? Zieh mich aus”, verlangte Yami. Das ließ sich Kaiba nicht zweimal sagen und riss ihm das Hemd förmlich von den Schultern, knöpfte die schwarze Hose auf und zog sie herunter. Er staunte nicht schlecht, als er Yamis wunderschönen Körper erblickte. Nein, auf die Idee, er habe schon dreitausend Jahre auf dem Buckel, kam man wirklich nicht. Er sah wie höchstens 17 aus. Zufrieden aneinander gekuschelt, lagen die beiden anschließend im warmen Bett und genossen die Zweisamkeit. Seto mit einem breiten Grinsen im Gesicht, das aus irgendeinem Grund nicht weichen wollte. “Das tun wir noch öfter, ja?”, meinte er. “Willst du etwa schon wieder?” Doch offenbar wollte er nicht, denn als Yami erneut rüberblickte, war der Große eingeschlafen wie ein Baby. Als sie am nächsten Morgen am Frühstückstisch saßen, funkelte Kaiba böse zu Yami rüber. Dieser blickte irritiert zurück. “Willst du Marmelade?”, erkundigte er sich, woraufhin er einen verwirrten Blick bekam. Er tunkte einen Finger ins Glas und leckte ihn genüsslich ab, registrierte dabei zufrieden, dass sein Freund aussah, als wollte er sich schon wieder auf ihn stürzen - doch dann kam der grimmige Blick zurück. Als Kaiba es sich etwas umständlich auf einem Kissen bequem machte, wusste er, warum. Schadenfroh grinste er vor sich hin. “Was?”, schnappte Seto. “Ach, nichts.” “Macht es dir etwa Spaß, dass mir jetzt alles wehtut?” “Du wolltest es doch.” “Aber nicht so!” “Wie denn dann?” “Natürlich weniger schmerzhaft, du Idiot!” “Wenn ich mich recht entsinne, warst aber du derjenige, der nach mehr verlangt hat. Wie hast du noch mal geschrieen?”, betonte er provozierend und freute sich regelrecht, seinen Freund aufziehen zu können. “Hör auf, dich über mich lustig zu machen!” “Schon gut, Schätzchen”, zog Yami sich auf seinen Schoß und schlang die Arme um seinen Nacken. “Das nächste Mal passe ich besser auf, okay?” “Das nächste Mal liegst du unten!”, blaffte Kaiba. “Oh, nein! Du hast schon in deinem letzten Leben dauernd oben gelegen. Diesmal bin ich dran!” “Was?” Plötzlich mussten beide loslachen. Ausgelassen machten sie sich an’ s Frühstück. So vergingen einige Tage in fröhlicher Zweisamkeit, aber auch angestrengter Konzentration unter dem Dimensionstor - bis sich die Auswirkungen von Halloween verflüchtigt hatten und Yami, der immer noch die Hauptarbeit übernahm, sich etwas entspannen konnte. “Du hast Recht, es ist wirklich wunderschön hier”, stellte Kaiba fest, während er Yami an sich drückte. Die beiden saßen zusammen auf einer riesigen Wiese neben dem angrenzenden Wald, die halb von bunten Blättern bedeckt war. Eine lauwarme Brise wehte über sie hinweg und verstärkte die frische Herbstluft. Die wahrscheinlich letzten warmen Sonnenstrahlen des Jahres, kitzelten die beiden auf der Nase. “Ich habe mir etwas überlegt, wie wir zusammen bleiben können, ohne dass du für längere Zeit das Schloss verlassen musst”, begann Kaiba. “Einen Tag könntest du es doch verlassen, ohne Schaden zu nehmen und ohne dass lauter dieser Biester in unserer Welt auftauchen, oder?” “Ja, das ist möglich. Nur zu Halloween muss ich ständig dort bleiben. Worauf willst du hinaus?” “Nun ja, was ist, wenn ich hier, direkt neben dem Schloss, auf dieser wunderschönen Wiese, eines Tages ein Haus für uns beide bauen lasse. Während du tagsüber im Schloss bist, gehe ich arbeiten und abends treffen wir uns dann Zuhause - Problem gelöst!” “Meinst du?”, zweifelte Yami, der seit einer Ewigkeit nichts als die Schlossmauern gesehen hatte und nicht glauben konnte, dass alles so einfach sein sollte. “Ja, dazu müsste ich mich nur”, und hierbei verzog Seto das Gesicht, “wieder mit meinem Adoptiv-Vater vertragen. Sonst enterbt mich der Alte noch und ich kann mir kein Haus leisten. - Autsch! Yami, was soll das denn?” Dieser hatte ihn nämlich gerade schmerzhaft in die Seite gekniffen. “Wie sprichst du denn von deinem Vater? Du solltest froh sein, dass er dich aufgenommen hat, obwohl er nicht dein richtiger Vater ist.” Seto guckte etwas bedröppelt drein. Wieso reagierte Yami nur so allergisch? “Mein Vater starb, als ich noch sehr jung war. Ich hatte niemanden, der mich adoptiert hat. Ich musste ganz allein zurechtkommen. Außerdem - gegen mich ist dein Vater sehr jung, also nenn ihn nicht Alter, sonst komm’ ich mir noch viel älter vor.” “Sorry, Yami. Daran habe ich gar nicht gedacht. Es tut mir leid, bist du mir jetzt böse?”, guckte er ganz traurig auf dessen Rücken. Yami seufzte. “Meine Güte, was hab ich mir nur dabei gedacht? Ich bin uralt und du gerade mal dabei erwachsen zu werden. Es kann eben niemals wieder so sein wie. . .damals.” “Nein, sag das nicht!”, protestierte Seto und schlang seine Arme von hinten um ihn. “Ich liebe dich und es ist mir egal, wie alt du bist.” “Schon gut”, meinte Yami und legte eine Hand auf seinen Arm. “Deine Idee mit dem Haus ist toll, ich danke dir.” Doch irgendwie hatte Seto das Gefühl, dass die Sache noch nicht vom Tisch war. Wieder im Schloss, blickte sich Kaiba nachdenklich um. “Ist was?”, erkundigte sich Yami. “Nein, nichts besonders. Ich frage mich nur, warum die Einrichtung in den Räumen so unterschiedlich ist. Wie kommt das?” “Das weiß ich leider auch nicht. Es war schon damals so, als ich hier her kam. Ich habe keine Ahnung, was sich der ehemalige Besitzer dabei gedacht hat oder wer das überhaupt war. Doch dafür, dass die Möbel inzwischen an die dreitausend Jahre alt sind, haben sie sich doch ganz schön gut gehalten, nicht wahr?” “Allerdings”, lächelte Seto, konnte die Sache aber immer noch nicht so recht glauben. “Apropos Zeit - irgendwie kommt es mir manchmal merkwürdig vor wie hier die Zeit vergeht. Manchmal scheine ich Blackouts oder so was zu haben. Zum Beispiel, als ich dich zum ersten Mal unter dem Dimensionstor entdeckt habe, da war es gerade erst Nachmittag, als ich dich gesucht habe, aber dort im Saal schienen die Sterne durch das Glasdach. Da ist doch irgendwas faul und so lange war ich sicherlich nicht durch das Schloss unterwegs.” “Aha, es ist dir also auch schon aufgefallen, dass hier die Zeit anders vergeht? Man kann eine Ewigkeit hier drin sein, während draußen nur einige Tage vergehen. Weißt du, ich habe dir ja erzählt, dass ich jetzt schon ungefähr dreitausend Jahre alt bin. Allerdings sind draußen erst ein paar Hundert vergangen. Ganz genau kann ich es aber nicht sagen. Ha, ha!”, lachte Yami, aber es klang reichlich gezwungen, “vielleicht heißt das Schloss ja deswegen ‘lahme Schnecke’, weil es nicht mal der Zeit hinterherkommt.” “Hm”, machte Seto nur nachdenklich. Plötzlich ging er auf Yami zu und zog ihn mit sich auf die nächste Couch und auf seinen Schoß. “Du hast noch gar nicht gesagt, was du von meiner Idee hältst. Wie ist es, würde es dir gefallen, mit mir in einem Haus zu leben?”, guckte er ihn verliebt an. “Ach, Seto . . .”, seufzte Yami und machte eine nachdenkliche Pause. “Komm schon!” “Gut, okay, warum nicht?” “Ja!”, jubelte Kaiba und zog seinen Freund voller Freude zu einem Kuss heran. Seto Kaibas Freude währte auch noch, als er wieder außerhalb des Schlosses im Wald stand und wurde nur durch zwei Dinge getrübt: Einmal, dass er Yami nun erst mal eine Weile nicht sehen würde und zweitens, dass er sich wieder mit seinem Adoptiv-Vater vertragen, oder besser gesagt, sich bei ihm entschuldigen musste. Doch er würde es tun, für Yami. Für ihn würde er alles tun. Es dauerte gar nicht lange, nur ein paar Tage später schon, am nächsten Wochenende, hatte sich Kaiba erneut in den Wald begeben, wo er Yami vorzufinden gedachte und ihm voller Vorfreude davon berichten wollte, dass er sich wieder mit seinem Adoptiv-Vater vertragen hatte und ihre Chancen auf ein Häuslein im Walde gar nicht schlecht ständen. Diesmal hatte er sich einen Wagen seines Vaters geliehen und dort sein Fahrrad eingeladen, damit er im Wald schneller vorankam. Voller Begeisterung schwang er sich in die Pedale und radelte in Richtung des Schlosses. “Das gibt’s doch nicht! Wie weit ist das denn noch?”, stöhnte Kaiba, dem die Vorfreude allmählich verflog. Als er nach Stunden immer noch nicht das Schloss gefunden hatte, musste er wohl oder übel einsehen, dass er sich verfahren hatte. “Was ist, wenn ich Yami nie wieder finde?”, dachte er in plötzlicher Panik. “Ach was, nein. So schwer kann das doch nicht sein. Dann versuch ich es eben morgen wieder und diesmal mit einer Landkarte!” Kaiba hatte Glück im Unglück, dass er gerade noch vor Einbruch der Dunkelheit das geparkte Auto seines Adoptiv-Vaters wieder fand. Noch am selben Abend suchte er daheim auf allen möglichen Karten nach Yamis Schloss, bis er frustriert einsehen musste, dass es nirgendwo verzeichnet war. Musste wohl daran liegen, dass es ein verzaubertes Schloss war, sagte Kaiba sich zur Beruhigung. Solche wurden eben nicht auf einfachen Karten eingezeichnet. Aber andererseits, Zauberschloss hin oder her - wenn es dort war, musste es auch irgendjemand mal entdeckt haben und dessen Existenz bekannt sein! Kaiba machte sich also weiter auf die Suche, diesmal im Internet. Das einzige, was er hier jedoch fand, waren mysteriöse Aussagen von Einzelpersonen, denen niemand glaubte, die ihre Erfahrungen im Netz veröffentlicht hatten. Auch diese berichteten, dass sie das Schloss später nie mehr wieder gefunden hatten. Es sei wie von Geisterhand verschwunden, ebenso wie sein mysteriöser Eigentümer, bei dem es sich um einen merkwürdigen, ungefähr 17 Jahre alten Jungen handele. Doch so einfach wollte Kaiba nicht aufgeben, setzte sich mit besagten Leuten in Verbindung und quetschte sie aus und zusätzlich suchte er noch weiter den Wald ab. Irgendwann fand er die Stelle, an der seinen Nachforschungen gemäß hundertprozentig das Schloss der lahmen Schnecke stehen musste und auch die Wiese, auf der er mit Yami gesessen und ihre Zukunft geplant hatte, war dort. Nur eines fehlte: Das Schloss. Das einzige, auf das er blickte, war ein abgezäuntes Militärgelände. Das konnte einfach nicht wahr sein! Kaiba blinzelte und seine Sicht verschwamm. Er wischte sich mit der Hand über die Augen. Warum musste er jetzt auch noch anfangen zu heulen? Er würde Yami wieder finden, und wenn es bis zum nächsten Halloween dauerte! Traurig blickte auf, als ihn etwas auf der Nase kitzelte und stellte fest, dass es eine kleine, wässrige Schneeflocke war. Langsam begannen viele von ihnen hinunterzufallen und schmolzen auf dem laubbedeckten Boden fast sofort wieder dahin. Kaiba wurde bewusst, dass es ja schon Anfang Dezember war. Der eine Monat, seit er Yami verlassen hatte, schien ihm wie im Flug vergangen zu sein. Aber andererseits war es auch eine kleine Ewigkeit. Die Zeit würde nie wieder wie vorher sein . . . ohne Yami. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)