Barrel Of A Gun von Cowardly_Lion ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Ziellos lief Tala durch die Straßen, die Hände tief in den Taschen seines Mantels vergraben. Er wusste nicht mehr, wohin er sollte… Früher war ihm alles so sicher erschienen; er hatte genau gewusst, wer er war und was er wollte. Jetzt, da er aus dem Krankenhaus entlassen worden war, war diese Sicherheit plötzlich in weite Ferne gerückt. Die Ärzte hatten gesagt, er solle erst mal nicht an Wettkämpfen teilnehmen. Aber was war er denn, wenn er nicht mehr bladen durfte? Mit den Anderen konnte Tala nicht über seine Situation reden. Es war ein unausgesprochenes Gesetz der Demolition Boys, dass persönliche Probleme nicht zur Sprache gebracht wurden; in der Abtei war es nicht gerne gesehen worden, wenn man Schwäche zeigte, und irgendwann war es einfach zur zweiten Natur geworden, die eigenen Unzulänglichkeiten vor seiner Umwelt zu verstecken. Selbst wenn Tala es gekonnt hätte, er hätte nicht die geringste Ahnung gehabt, wie er daran jetzt noch etwas ändern sollte. Blindlings ging Tala weiter, ließ sich dorthin treiben, wohin ihn seine Füße trugen. Weg vom Lärm der Großstadt, hinein in ein Netz aus Seitenstraßen, die Abseits von den Hauptverkehrslinien lagen. Durch eine verlassene Gasse hindurch, über einen längst verblassten Zebrastreifen hinüber, hin zum Osteingang des Parks. Kahle, skelettdürre Äste reckten sich ihm über das schmiedeeiserne Eingangstor zur Begrüßung entgegen. Die Geister von Bäumen. Mal abgesehen von einigen Schlittschuhläufern war jetzt im Park nicht mehr viel los. In mechanischem Gleichschritt folgte Tala dem Verlauf des Kiesweges, an einem halbzugefrorenen Bach vorbei, zu seiner Bank. Keine Ahnung, wann genau sie zu „seiner“ Bank geworden war; nun war es einfach ein festes Ritual, hierherzukommen und sich hinzusetzen um zu grübeln. Auch wenn das wahrscheinlich nur noch mehr Zweifel in ihm erwecken würde… Abgespannt ließ sich Tala auf das Holzbrett der Sitzfläche fallen, die Arme verschränkt, die Beine leicht auseinander gestellt. Im Winter wirkte dieser Platz einfach nur trostlos; keine Spur von den Eichhörnchen, die noch im Herbst hier ihr Unwesen getrieben hatten, beständig auf der Jagd nach Nüssen und anderem Futter gewesen waren. Clevere kleine Teufel. Im Gebüsch hinter Tala raschelte es leise, dann presste sich wie aus dem Nichts die Mündung einer Pistole an seinen Hinterkopf. Eine heisere Männerstimme zischte ihm drohend ins Ohr: „Kein Mucks, und denk nicht mal dran, eine hastige Bewegung zu machen!“ Als hätte man das Tala sagen müssen… Er war ja schon sehr von sich eingenommen, aber nicht mal er glaubte daran, bei einem Schuss aus dieser Distanz heil davonzukommen; eine Kugel im Kopf war im Regelfall tödlich und seinen persönlichen Bedarf an Nahtoderfahrungen hatte Tala für dieses Jahr schon mit seinem Kampf gegen Brooklyn gedeckt. „Deinen Geldbeutel!“, auffordernd streckte der Typ hinter ihm eine Hand über Talas Schulter. Normalerweise wäre das der richtige Moment gewesen, um den Arm des Anderen zu packen, ihn nach vorne zu ziehen und den Ellenbogen ins Gesicht zu rammen, um ihn dann anschließend zu entwaffnen. Normalerweise. Stattdessen griff Tala langsam in seine rechte Brusttasche, hielt die Börse kurz zum Zeigen in die Luft, ehe er sie dem Räuber gab. Er fühlte sich einfach nur müde und verbraucht. Mit einem kaum hörbaren Flappen schlug der Mann hinter Tala das Portmonee auf, machte sich daran, dessen Inhalt zu untersuchen. Die Waffe bewegte sich dabei nicht einen Millimeter. „So so, ‚Tala Iwanov‘ also. Du bist doch dieser C-Promi, einer von denen, die das Anschreien von Kreiseln für einen Sport halten! Na, wie fühlt sich deine Berühmtheit jetzt an?“ Tala versuchte aus dem Augenwinkel mehr vom Räuber zu erkennen, um die Situation so besser einschätzen zu können. Der bekam das offenbar mit, denn sofort rammte er Tala seine Pistole noch enger an den Schädel: „Antworte gefälligst!“ „Schon gut!“, abwiegelnd hob Tala eine Hand, „Sie wollen wissen, wie ich mich momentan fühle? Beschissen, okay, es geht mir beschissen.“ „Oh, macht sich unser kleiner Prinz gleich vor Schiss in die Hosen?“ Gefragt in gespieltem Mitleid. Derselbe Tonfall, den sie in der Abtei immer für die Neuankömmlinge übrig gehabt hatten, die Kleinen, die noch zeigten, wie sehr sie ihre Eltern vermissten. Tala hätte sich übergeben können. Doch er sprach weiter, versuchte Zeit zu schinden, bis irgendjemand vorbeikam und sah, was hier los war: „Das ist es nicht.“ Der Mangel an Menschen im Park kam ihm nun nicht mehr wie ein Segen, sondern eher wie ein Fluch vor. Sein Bedroher gab ein abfälliges ‚Lügner!‘ von sich. Hastig fuhr Tala fort: „Jedenfalls nicht allein; klar, dass mir ein offensichtlich komplett Irrer eine Knarre an den Kopf hält ist nicht unbedingt beruhigend, aber mein Leben allgemein ist momentan nicht unbedingt der Hit.“ „Welche Probleme könnte einer wie du schon haben?“ Ärger schwang in dieser Frage mit, aber auch eine gewisse Herausforderung. Alles in allem Emotionen, mit denen Tala schon weitaus besser umzugehen wusste. „Oh, keine Ahnung, lassen Sie mich eine Sekunde überlegen…“, Talas Tonfall wurde bewusst noch eine Spur ironischer, noch provozierender. Noch bitterer. „Da wäre zum Beispiel der Umstand, dass ich solange ich denken kann ‚einer von denen bin, die das Anschreien von Kreiseln für einen Sport halten‘, wie Sie das so schön formuliert haben. Zuerst für eine Organisation, die sich einen Scheißdreck für mich und mein Wohlbefinden interessierte, mich und alle, die mir irgendwie nahestehen, zu gefühllosen Kampfmaschinen ausgebildet hat, die einfach nur zu funktionieren haben. Dann für mich selbst, aber das eigentlich hauptsächlich nur aus Gewohnheit, weil ich eben einigermaßen gut darin war.“ Er hatte sich so sehr in Rage geredet, dass er gar nicht mehr auf die Reaktion des Räubers wartete, ehe er weitersprach: „Und dann wurde ich bei einem Kampf verletzt. Komplett mit den drei Ks: Krankenhaus, Koma, künstliche Beatmung. Von der öffentlichen Blamage will ich mal gar nicht reden. Aber he, das Leben geht weiter und ich bin mittlerweile ja auch wieder auf den Beinen! Richtig? Falsch! Denn das Leben geht eben nicht einfach so weiter.“ „Ich soll vorläufig nicht mehr bladen. Was okay sein könnte, wenn es nicht das einzige wäre, was ich je zu tun gelernt habe, und wenn es nicht irgendwie auf dem Weg angefangen hätte, mir tatsächlich Spaß zu machen. Mal ganz abgesehen davon, dass ich Angst davor habe, deswegen mein Team und damit die einzige Familie zu verlieren, die ich je besessen habe. Ich bin ein Krüppel, nutzlos für sie, also warum sollten sie mit mir ihre Zeit verschwinden?“ Die Waffe, die bis eben noch auf ihn gerichtet worden war, wurde weggenommen. Die Stimme des Räubers erklang wieder, aber diesmal lauter, ruhiger, ohne die geringste Spur von Heiserkeit: „Vielleicht weil du für uns auch Familie bist und wir dich nicht verlieren möchten?“ Was zur Hölle… Hastig drehte Tala sich um, zu hastig, wäre dabei beinahe durch seinen eigenen Schwung von der Bank gefallen. Hinter ihm stand Bryan, gefasst, stolz, mit seinem Shooter in der Rechten. „Das alles war…“ „Ians Idee.“, Bryan lächelte, als sei nichts gewesen, „Der Kleine ist cleverer, als man es ihm manchmal zutrauen würde.“ „Aber wieso habt ihr das hier inszeniert?“, Tala verstand noch immer nicht. „Wir wollten wissen, was mit dir los ist. Die ganze letzte Woche seit du entlassen worden bist schlurfst du durch die Gegend wie ein Zombie.“, Bryan trat um die Bank herum nach vorne, setzte sich neben Tala, „Wir Vier reden nicht miteinander. Teilweise weil wir es nie gelernt haben, teilweise weil es uns peinlich ist, über unsere Gefühle zu sprechen. Manchmal hab ich den Eindruck, wir haben Angst, unsere Gedanken könnten realer werden wenn wir sie laut sagen statt sie in die Enge unserer Köpfe zu verbannen.“ „Und deswegen tust du so, als wärst du ein Strauchdieb, der mir die Birne wegblasen will.“, Tala konnte seine Belustigung nicht verbergen, „Ach übrigens, du hast immer noch mein Portmonee.“ Mit einem Seufzen reichte Bryan ihm den Geldbeutel: „Aber du musst zugeben, es hat funktioniert.“ „Das hat es. Aber macht sowas ja nie wieder.“ „Keine Sorge. Das nächste Mal, wenn sowas ist, sperren wir dich einfach mit Spencer in einem Zimmer ein; irgendwann hast du es so satt, dass du bereit bist, alles zu erzählen nur um die Stille zu füllen.“ Lächelnd schüttelte Tala den Kopf, lehnte sich weiter zurück: „So, wir sind also jetzt offiziell eine Familie, hm?“ „Du sitzt für den Rest deines Lebens mit uns fest.“ „Gut.“ Er meinte das so, wie er es sagte. Bryan ergriff Tals Hand, drückte sie einmal kurz: „Lass uns von hier verschwinden, okay? Es wird langsam dunkel und wenn ich ehrlich sein soll, mir friert gerade der Hintern ab.“ „Gleich; es gibt da noch etwas, was ich dir sagen muss, jetzt wo wir angefangen haben miteinander zu reden.“, Tala holte tief Luft, „Ich mag dich Bryan, sehr sogar.“ Er hatte das schon so lange aussprechen wollen, aber nie die richtigen Worte dafür gefunden. Genau genommen war er sich nicht mal sicher, ob er sie jetzt gefunden hatte. „Natürlich tust du das. Ich bin ja schließlich auch ein verdammt gutaussehender Kerl.“, grinste Bryan. Als er den Ernst in Talas Augen sah, wurde sein Gesichtsausdruck weicher, wich einem echten Lächeln: „Ich hab dich schon richtig verstanden. Und ich mag dich auch, auf dieselbe Weise.“ „Dann lass uns gehen.“, mit neugewonnener Energie sprang Tala auf, zog Bryan hinter sich her. Es war nicht so, als seien seine Probleme plötzlich auf wunderbare Weise kleiner oder unbedeutender geworden, doch nun wusste er zumindest, dass er ihnen nicht allein ins Angesicht blicken musste. Spencer und Ian warteten schon am Ausgang auf sie. Sie sagten nichts dazu, dass ihre Teamkollegen mit ineinander verschränkten Händen durch die Gegend liefen, hängten sich einfach nur rechts und links von ihnen ein. Für Außenstehende musste das aussehen, als seien sie direkt dem Zauberer von Oz entsprungen, aber zu seiner eigenen Überraschung stellte Tala fest, wie ausgesprochen egal ihm das war… Vor nicht allzu langer Zeit, genau genommen vor nicht mal zwei Stunden, hatte er sich noch gefragt, was er ohne das Bladen überhaupt war. Jetzt hatte er die Antwort darauf: Er war Teil einer Familie, die zwar kompliziert war und mit ungewöhnlichen Methoden arbeitete, die sich jedoch auch um ihre Mitglieder kümmerte, für sie sogar über den eigenen Schatten sprang. Alles in allem kein schlechter Platz im Leben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)