Risveglio Interno von LadyArgentum (-Inneres Erwachen-) ================================================================================ Kapitel 1: The Beginning of Eternity ------------------------------------ Risveglio Interno -Inneres Erwachen- ~Kapitel 1~ The Beginning of Eternity Stille. Totenstille. Dann plötzlich. Ein gellender Schrei. Aufgeschreckt flogen die Raben mit empörendem Gekrächze aus den nahe am Gemäuer liegenden Bäumen, in denen sie es sich zur Nacht bequem gemacht hatten, und stoben wie wild auseinander, um sich einen ruhigeren Platz im nicht weit entfernten Wald zu suchen. Doch nicht nur sie waren durch dieses störende Geräusch aufgewacht. Auch ein Junge saß nun kerzengerade in seinem Bett und schaute sich mit großen Augen in seinem Zimmer um. Verwirrt schlug er die Bettdecke seines großen Himmelbettes zurück und stand auf. Nun herrschte wieder das wohlbekannte Schweigen. Ein Schweigen der Toten... Mit nackten Füßen, die ein leises, tapsendes Geräusch auf dem kalten Steinboden erzeugten, bewegte er sich auf seine Zimmertür zu. Durch das nicht zugezogene Fenster schien sanft das Mondeslicht und hüllte den Raum in einen leicht schummrigen Schein. Ein Klack und schon war die Tür geöffnet. Vorsichtig steckte der Junge seinen Kopf durch den Spalt, doch auch nur um kurz darauf gänzlich hinaus zu treten. Kurz überlegt, dann wusste er auch schon, wo er hin wollte. Wie er seinen Vater kannte, saß er wie fast jeden Abend gemütlich im Kaminzimmer vor einem prasselnden, mollig warmen Feuer und las bis spät in die Nacht hinein seine Bücher. Bei dem Gedanken an die Wärme beschleunigten sich die Schritte des Jungen, wobei sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen legte. Ja, er liebte es dort zu sitzen neben seinem Vater und seiner Mutter, die ihm meist etwas aus einem der zahlreichen Bücher vorlas. Vielleicht tat sie es auch dieses Mal... Wie einen Lichtschein leitete ihn diese Hoffnung, führte ihn durch die düsteren Gänge, die nur durch wenige Kerzen erleuchtet wurden. Doch der Junge brauchte kein Licht, er kannte den Weg auch so, war er ihn doch schon unzählige Male hoch und runter gegangen. Immer schneller wurden seine Schritte, sodass die Geräusche dieser immer lauter wurden, von den Wänden widerhallten, bis er schließlich rannte. „Mama! Mama!“, rief er fröhlich, bevor er die Tür zum Kaminzimmer mit einem breiten Lächeln öffnetet und eintrat. Doch wurde er enttäuscht. Keine Menschenseele war anwesend. Auch das wärmende Feuer war nicht an. Kalt und dunkel lag der Kamin vor. Und genauso abweisend erschien das gesamte Zimmer. Verwirrt schaute sich der Junge um. Er war sich sicher gewesen hier jemanden vorzufinden. Etwas geknickt wollte er schon umkehren, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Kühl und kräftig lag sie dort und hinderte ihn an seiner Tat. Ein Blick nach oben zeigte ihm, dass es sein Vater war. Seine Augen, die so tiefgründig waren, so voller Weisheit, doch leicht getrübt durch unendliche Trauer und Schmerz, ruhten auf ihm. „Was machst du hier, mein Sohn? Solltest du nicht im Bett liegen und schlafen?“, fragte er ihn. „Mich hat etwas geweckt und dann dachte ich mir, dass Mutter vielleicht hier ist. Sie liest mir doch sonst immer eine Geschichte vor, wenn ich nicht schlafen kann...“ „Deine Mutter ist auf ihrem Zimmer. Es geht ihr nicht gut. Sie braucht ein wenig Ruhe.“ „Warum, ist sie krank...? Heute Morgen ging es ihr noch gut. Das kann gar nicht sein“, erwiderte der Junge mit einem trotzigen Blick. „Der Tag war stressig für sie. Morgen geht es ihr wieder besser. Versprochen!“, versicherte ihm sein Vater mit etwas Nachdruck. „Nun komm. Ich bring dich zurück auf dein Zimmer.“ Dabei verstärkte er den Druck auf die Schulter seines Sohnes und schob ihn vorwärts in Richtung Tür. Doch der Junge schien mit der Situation nicht ganz einverstanden zu sein. „Morgen? So schlecht kann es ihr doch gar nicht gehen. Ich will so gerne jetzt eine Geschichte hören!“ „Dann lass dir eine von Kokoul vorlesen.“ Langsam aber sicher ging dem Schlossbesitzer sein Sohn auf die Nerven, was er deutlich in seinem Unterton zeigte, doch schien sich sein Gegenüber nicht davon beirren zu lassen. Warum konnte er sich nicht mal seinem Alter entsprechend verhalten? Hatten sie ihn zu sehr verwöhnt? „Aber bei Kokoul versteht man doch kein Wort. Der kann doch gar nicht richtig reden, geschweige denn lesen!“ „Dann wirst du wohl oder übel doch bis zum nächsten Tag warten müssen...“ „Nein! Ich will jetzt eine hören! Ich will-“ „Herbert!“ Der Geduldsfaden seines Vaters war nun endgültig gerissen. „Du gehst jetzt gefälligst auf dein Zimmer und wehe dir, wenn ich dich vor morgen früh noch einmal außerhalb von diesem sehe!“ Damit zog er die sich windende und meckernde Gestalt hinter sich her zu dessen Schlafgemach. Noch ein warnender und recht entnervter Blick, dann war der Graf wieder verschwunden. Schmollend setzte sich Herbert im Schneidersitz auf sein Bett und starrte an die gegenüberliegende Wand. Wieso war sein Vater nur wieder so aufgebracht? Er wollte doch nur eine Geschichte hören, um besser einschlafen zu können. Es war schließlich nicht seine Schuld, dass ihn dieser Krach geweckt hatte. Dieses Geräusch… Es hatte sich wie ein Schrei angehört... Ja, ein Schrei, verzehrt und schmerzvoll. Sofort hatte Herbert auch schon einen Verdächtigen. Kokoul! Niemand anderen außer ihn kannte er, der solch unmenschliche Geräusche mitten in der Nacht von sich gab. Ja, Kokoul war schuldig und Herbert unschuldig! Mit dieser für den Jungen in Stein gemeißelten Meinung saß er nun da, die Arme vor der Brust verschränkt. Doch was brachte ihm diese Erkenntnis? Er überlegte kurz. Im Grunde nichts, denn einschlafen konnte er jetzt genauso wenig wie vor zwei Minuten; hellwach war er nun. Und ohne die nötigen Mittel würde sich in den nächsten Stunden auch nichts mehr daran ändern. Somit beschloss er noch einmal zu versuchen seine Mutter zu finden… oder wenigstens Kokoul damit er ihm die Leviten lesen konnte. Vielleicht würde er ja von dessen Gebrabbel müde werden. Einen Versuch war es jedenfalls wert. Mit einem recht entschlossenen Gesichtsausdruck sprang er nun vom Bett auf. Doch als er die Hand auf die Klinke der Tür legte, spürte er wieder seines Vaters stechende Blicke. Diesen bzw. dessen Warnung hatte er schon längst wieder vergessen, kam sie jedoch genau in diesem Moment wieder in sein Gedächtnis zurück. Einen Augenblick zögerte er noch, dann lugte er nach draußen. Wie erhofft war der Gang dunkel und leer, doch konnte man nie vorsichtig genug sein, im Dunkeln lauerten oft viele Gefahren – zu denen Herbert den Schlossherrn sowie seinen Diener oftmals dazuzählte. So leise er konnte, schlich Herbert nun in die entgegen gesetzte Richtung als bei seinem Ausflug zuvor. Doch wie sich nach kurzer Zeit herausstellte, schien Breda von Krolock seinen Sohn doch nicht unbewacht gelassen zu haben. Vertrauen, das wusste Breda, konnte man dem Jungen in solchen Angelegenheiten einfach nicht schenken. Somit hatte er ihren Diener beauftragt, ein Auge oder besser zwei auf den Sprössling zu werfen. Und dies wohl auch begründet. „Hey Kokoul…“ Leicht angeekelt und misstrauisch wich Herbert einige Schritte zurück. Jedoch ohne Erfolg, denn das bucklige und leicht hinkende Wesen näherte sich ihm in genau demselben Moment. Dabei brabbelte es etwas vor sich hin, das sich lediglich wie nasale und grunzende Laute anhörte. Wie konnten seine Eltern dies nur verstehen?! Noch einmal hörte er genau hin, versuchte einige Wortfetzen aufzuschnappen. Mit viel Phantasie konnte man die Worte Bett, Zimmer und Herr erkennen, doch auch ohne dieses krampfhafte Verstehen wusste Herbert nur zu genau, was der nun breit grinsende und dabei schiefe, vergammelte Zähne entblößende Schlossdiener ihm mitteilen wollte. Die einzige Frage, die er sich jedoch in diesem Augenblick stellte, war jene, wie er sich dieser Zwickmühle entziehen konnte. Kokoul war jemand, der seine Aufgaben gezielt verfolgte, schließlich wollte er nicht den Zorn der Familie von Krolock auf sich ziehen. Und nun hieß der Befehl nun einmal, den Sprössling der von Krolocks daran zu hindern aus seinem Schlafgemach zu entfliehen, was für jeden ein eindeutiger Befehl sein sollte, der auszuführen recht einfach war. Wie sollte man also das Gegenteil davon erreichen? „Ich kann nicht schlafen und verspüre nun einen leichten Hunger. Geh doch bitte in die Küche und mach mir etwas zu essen“, versuchte er den beherrschten Ton seines Vaters nachzuahmen, dem zu widersprechen man sich nur selten traute, während er mit der Hand eine Geste in Richtung Küche machte. Als Antwort erntete er jedoch wieder nur Gegrunze, was ihm langsam ein wenig lästig wurde. „Ja, ja. Danach geh ich gleich wieder in mein Zimmer.“ Dass er daran nicht eine Sekunde lang dachte, konnte man ihm jedoch nicht ansehen. Eine Fähigkeit, die er schon viele Male missbraucht und was seinem Vater das Vertrauen ihm gegenüber genommen hatte. Kokoul, der der gesamten Familie diente, drehte sich nach kurzer Zeit dann doch um und bedeutete dem Grafensohn ihm zu folgen. Etwas erstaunt folgte dieser dem Hinkenden, darauf bedacht im erstbesten Moment zu verschwinden. Praktischerweise war der Weg zur Küche derselbe, wie jener zum Schlafgemach seiner Eltern. Das Schlimmste, was ihm dann nur noch passieren konnte, war, dass sich sein Vater dort befand, um sich um seine Frau zu kümmern. Doch dieses Risiko wollte der Junge einfach eingehen, was konnte ihm denn schlimmeres passieren außer Hausarrest? Und so nutzte er, wie sich zuvor errechnet, die Chance, als sich der Buckelige in die Küche begab. Mit einem „Ich werde solange im Essenszimmer warten“, verschwand der Junge in eben diesen Raum und schloss die Tür hinter sich. Schnell und leise, sodass Kokoul nicht misstrauisch werden würde, nahm er einen der um den Tisch verteilten Stühle und klemmte ihn unter die Klinke der Tür, welche sich zum Glück nach innen öffnen ließ. Abgeguckt hatte er sich diesen Trick, von den Jungen aus dem Dorf, denen er manchmal auf seinen Wanderschaften in dieses begegnet war. Um auch keine weitere Zeit zu verlieren, flitzte er zurück auf den düsteren Gang und machte sich auf den Weg zu seinem auserkorenen Ziel. Nur noch wenige Schritte trennten ihn von der Tür. Kurz lauschte er, doch vernahm er keine besorgniserregenden Geräusche aus den Gängen und dem Zimmer. Somit fasste er sich ein Herz, klopfte kurz an und trat ein. Wie die Flure und eigentlich das ganze Schloss war auch dieser Raum unbeleuchtet, seine Augen jedoch hatten sich bereits an die Dunkelheit gewöhnt. Schnell schloss er die Tür und sah sich um. Die schweren Gardinen aus dickem Samtstoff vor dem Fenster waren zugezogen. Und auch der Blick auf das große Himmelbett wurde durch die geschlossenen Vorhänge erschwert. Bei genauerem Hinsehen jedoch konnte man erkennen, dass dort unter der edlen Bettdecke, welche sich durch die Atemzüge leicht hob und senkte, jemand lag. Langsam näherte sich Herbert dieser Person. „Mama?“ Keine Antwort. „Mutter, bist du das?“ Er stand nun genau neben dem Bett, als die schwache Antwort erfolgte: „Her… bert…“ „Wie geht es dir? Vater meinte, du seiest krank…“ „Ja… ja, krank…“ Bei diesen Worten setzte sich die Frau langsam auf und drehte den Kopf in Richtung des Jungen. „Krank… Doch du kannst mir helfen. Willst du mir helfen, Herbert?“ Etwas verwirrt sah der Angesprochene seine Mutter durch den Vorhang an, wobei er nichts weiter als eine schmächtige Silhouette entdeckte. „Ja, natürlich will ich dir helfen. Doch wie?“ „Tritt näher, mein Sohn, ich möchte dich sehen. Mein Herbert. Mein kleiner unschuldiger Herbert.“ Er tat wie ihm geheißen, schob langsam den Stoff beiseite, welcher ihn von der sanften und doch brüchigen Stimme trennte. Die Augen seiner Mutter waren getrübt, doch immer noch so grün wie die Wälder und so blau wie das Meer. Wie gerne versank er in ihnen, ließ sich dahin treiben, während die wohltuende Stimme ihn auf Reisen mitnahm, in Welten, die nur in seiner Phantasie existierten. Auch jetzt konnte er dieser Verlockung nicht widerstehen… Doch dann, wie aus dem Nichts, schnellte eine Hand auf ihn zu, umschloss seinen Hals und drückte zu, sodass der Junge würgend nach Luft ringen musste. Erschrocken und vollkommen irritiert schaute er wieder zu der Person vor sich. Noch immer saß dort seine geliebte Mutter, doch hatte sich etwas an ihr verändert. Ihr sonst so liebevoll wirkendes Gesicht hatte sich in eine Fratze verwandelt, die gierig und blutrünstig auf ihren Sohn stierte. Immer kräftiger wurde der Druck der Hand, immer größer die Angst. Ob nun die vor dem Erstickungstod größer war als jene, was aus seinem Gegenüber geworden war, konnte man nicht genau sagen, doch schienen sie sich einander nicht viel zu nehmen. „Was… tust du da…!“, brachte Herbert nur krächzend zustande. „Du wolltest mir doch helfen.“ Ein kaltes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Ja, aber…“ „Dann sei still. Sei still und hilf mir!“ Mit diesen Worten grub sie ihre Zähne in den Hals des Kleinen. Und wieder erklang ein Schrei. Ein Schrei, so markerschütternd, so voller Angst und Entsetzen… Dann kehrte die Stille wieder ein. Die Stille, die so schmerzvoll war wie nie zuvor. Was war nur mit diesem Menschen passiert, diesem Wesen, diesem Tier, zu welchem er geworden war? Nur widerwillig hörte Herbert das Schmatzen, spürte das Saugen an seinem Hals, spürte wie sein Blut aus den Adern floss… Nein, dies war nicht mehr seine Mutter. Diese hätte ihm so etwas niemals angetan. Von einer weiteren Welle Schmerz und Benommenheit ergriffen, drückte er mit aller Kraft gegen den anderen Körper und schubste ihn von sich weg, zurück auf das Bett. Kurz wankte er, doch dann fing er sich wieder. Langsam hob er seinen Blick. Vor ihm stand grinsend und dabei lange Eckzähne entblößend eine wahre Blutgräfin. Ihr Mund und ihre Hände, die sie teilweise an ihrem Nachthemd abgewischt hatte, waren rot und verschmiert. Doch Zeit darüber nachzudenken blieb ihm nicht, denn schon musste der Junge einer erneuten Attacke ausweichen, die beide zu Fall brachte. Immer mehr spürte er, wie der Lebenshauch aus seinem Körper gezogen wurde, zu viel Blut hatte er verloren. „Mama…“, flüsterte Herbert mit leiser Stimme. Nur dieses eine Wort. Doch schien genau dieses in jenem Moment Welten zu bewegen. Die Augen seiner Mutter klärten sich und als sie den zitternden, blutverschmierten Jungen vor sich hocken sah, da begann sie zu weinen. „Herbert. Mein kleiner Herbert“, schluchzte sie. „Komm her, mein Sohn, komm her.“ Und Herbert reagierte. Langsam kroch er auf sie zu. Und sie nahm ihn in den Arm, wie sie es immer schon getan hatte. Ganz nah waren sie sich, konnten einander berühren, spürten die Wärme des jeweils anderen… rochen das noch frische Blut! Dann biss sie erneut zu. Wie ein Raubtier. Ihr Verstand setzte völlig aus. Nur noch ihre animalischen Instinkte trieben sie voran. Schnell und gierig trank sie weiter, konnte nicht mehr aufhören. Wie von Sinnen stillte sie ihren Durst, ließ sich völlig berauschen von dem roten Lebenssaft ihres Sohnes, der nun bitterlich schluchzte und seine Mutter anflehte, ihn doch endlich loszulassen. Mit letzter Kraft griff der Junge um sich, bekam einen länglichen Gegenstand zu fassen und rammte ihn aus reinem Instinkt in den Körper über sich. Ein überraschter Aufschrei, ein Zucken, ein Keuchen, ein Atemzug, ein weiterer… Dann war es vorbei. Und in Herbert brach in diesem Moment eine Welt zusammen. Kurz wischte er sich mit zitternden Händen übers Gesicht, versuchte Tränen und Blut gleichermaßen zu beseitigen. Doch sagte ihm der Ausdruck auf dem Gesicht seines Vaters, dass er es wohl nur noch verschlimmert hatte. Breda von Krolock, der sofort zum Zimmer seiner Frau geeilt war, nachdem sein hinkender Diener endlich zu ihm gefunden und ihm von dem Verhalten seines Sohnes berichtet hatte, verfluchte sich selber in der Sekunde, als er jenes Zimmer betrat und realisierte, was soeben vorgefallen zu sein schien. Er hätte es wissen müssen… Seine Frau, leichenblass, lag tot auf dem Boden neben dem großen Himmelbett. Ihrer beider Sohn, Herbert, hockte daneben. Verzweifelt versuchte er sich zu fassen, zu verstehen, was er soeben getan hatte, während er äußerlich noch schlimmer aussah als die Leiche vor ihm. Langsam bewegte sich der Graf auf den Sprössling zu. Traurig sah er ihn an. Ja, dieses Mal, so hatte er geglaubt, würde alles anders werden. Glücklich war er gewesen mit seiner Familie, doch hatte ihn das Schicksal auch jetzt wieder eingeholt. Das Schicksal, welchem er nun schon jahrhundertelang versuchte zu entfliehen… doch vergebens. Und nun musste er Herbert dies alles beibringen, denn ab diesem Tage würde er ebenfalls ein Leben in der Ewigkeit führen müssen. Unantastbar wird er ihn machen, denn keine Frau sollte ihm jemals wieder so das Herz brechen, wie es seine Mutter getan hatte, wegen keiner Frau sollte der Junge je so leiden müssen, wie es sein Vater jedes Mal tat. Würde er einmal in Versuchung kommen, so wäre auch er verloren, das wusste Breda. Mit ausgestrecktem Arm meinte der sich nun wieder gefasste Graf nur: „Es ist Zeit zu gehen.“ Wie in Trance griff der Angesprochen nach der Hand und ließ sich aus dem Raum geleiten. Ja, was konnte ihm denn schlimmeres passieren außer Hausarrest zu bekommen? Nur am Rande nahm er war, wie Kokoul eintrat und sich am Leichnam zu schaffen machte. Neben all den anderen, die ihr Verderben in diesem Schloss gefunden hatten, sollte er ruhen. Auf ewig. Und noch viel länger. Kapitel 2: Desire ----------------- Tut mir Leid, dass es so lange gedauert hat, aber die Schule hat mich doch ziemlich vom Schreiben abgehalten. ^^" Nya, dieses Kapitel ist eher ungeplant entstanden und es werden hier eher Gedanken und so beschrieben, dennoch hoffe ich, dass es Anklang findet. Inhaltlich hab ich mich teilweise an dem Lied "Die unstillbare Gier" orientiert. LA ----------------------- ~Kapitel 2~ Desire Dunkelheit… Nichts als Dunkelheit… Unsicher schaute er sich um, doch sah er nichts außer dieser ewigen Finsternis, in die er gestürzt war. Er war allein, einsam… Doch da, eine Stimme! Ganz leise, gar wispernd. Sie sagte etwas, rief ihn zu sich. Verzweifelt versuchte er sich zu orientieren, zu erraten aus welcher Richtung sie kam. Langsam begann er sich zu bewegen. Wohin, das wusste er nicht, doch ein Gefühl der Bestätigung machte sich nach kurzer Zeit in seinem Körper breit. Immer wieder lauschte er und tatsächlich wurde die Stimme lauter, auch wenn immer noch unverständlich. Leidend klang sie und doch so sanft. Sie kam ihm bekannt vor, so sehr bekannt, dass er erpicht darauf war, zu erfahren, wem sie gehörte. Schneller, immer schneller bahnte er sich seinen Weg. Doch plötzlich machte der Junge halt. Eine Tür, gestrichen in in der Dunkelheit leuchtendem weiß, war vor ihm aufgetaucht. Liebkosend und bittend drang die Frauenstimme gedämpft hinter dieser hervor. Kurz schluckte er, dann legte er vorsichtig die Hand auf die Türklinke und drückte diese hinunter. Mit einem Knarren schwang die Tür auf und entblößte einen weiteren in schwarz getauchten Raum. Zwei Ständer mit jeweils fünf brennenden Kerzen standen in der Mitte von diesem, rechts und links von etwas am Boden liegenden. Ein schummriger und flackernder Schein huschte unregelmäßig darüber. Bei diesem Anblick lief es dem Jungen eiskalt über den Rücken, jedoch näherte er sich Schritt für Schritt der beleuchteten Stelle, von wo ebenfalls die sanft gesprochenen Worte drangen. Kurz bevor er an seinem Ziel angekommen war, regte sich das Etwas und ließ den Jungen abrupt anhalten. Wie in Zeitlupe erhob es sich und sein Gegenüber erkannte eine Frau… eine ihm bekannt vorkommende Frau… seine Mutter! Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Mit Tränen der Verwirrung und gleichzeitiger Freude in den Augen legte er auch noch die letzten Meter zurück und umarmte sie stürmisch. Liebevoll erwiderte sie die Umarmung, während sie ihm weiter leise Worte ins Ohr säuselte, die er jedoch immer noch nicht identifizieren konnte, auch wenn sie genau vor ihm stand. Er hätte so noch stundenlang verharren können… doch auf einmal spürte er etwas Nasses in seinem Gesicht. Erst dachte er, es käme von seinen eigenen Tränen, doch hatten diese schon nach einigen Sekunden aufgehört aus seinen Augen hervorzutreten. Irritiert löste er sich ein wenig von seiner Mutter und fasste sich mit der Hand an seine Wange. Feucht war diese und als er sich danach seine Finger besah, war etwas Rotes an ihnen. Erschrocken wandte er seinen Blick nach oben, sah in das Gesicht seiner Mutter, deren Lippen sich unentwegt bewegten, doch nur ein Rauschen preisgaben. „Mutter…? Ich kann dich nicht verstehen…Was ist…? Geht es dir nicht gut?“ Er sah wieder auf seine Hand und bemerkte dabei, dass das erst weiße Kleid, welches die Frau trug, nun ebenfalls rot gefärbt war. „Ist… ist das… Blut?“ „… getötet… mich getötet… hast mich getötet…“, vernahm er plötzlich die Stimme, die immer lauter und klarer zu werden schien. Die Augen des Jungen weiteten sich. „Du hast mich getötet. Du hast mich getötet!“ Die Stimme schwoll an, bis sie nur noch ein hysterisches Kreischen war. Das vorher liebevoll wirkende Gesicht hatte sich zu einer Angst einjagenden Fratze verzerrt. Total verstört wich der Junge weiter zurück. Was meinte seine Mutter nur damit? Er soll sie getötet haben? Aber wieso, warum, weshalb? Nie würde er zu solch einer Tat fähig sein. „Nein… nein, das ist nicht wahr“, stammelte er unbeholfen vor sich hin. „Nein, nein!“ Und wieder wich er zurück, stolperte jedoch und fand sich auf dem Boden wieder. Tränen stiegen ihm in die Augen und Angst breitete sich aus, als er zu realisieren begann, was dort vor ihm geschah. Während die sich zu Krallen gekrümmten Finger nach dem Jungen zu tasten begannen, rannen blutige Tränen die Wangen der Frau hinunter. Das Kreischen, welches unentwegt von ihr ausging, hallte von den Wänden wider und wurde durch diese noch weiter verstärkt. Dann begann es. Kurz bevor sie ihn erreichte, erwachte etwas in dem Körper des Jungen zum Leben. Ein stechender Geruch stieg ihm plötzlich in die Nase und er konnte etwas pulsieren hören. Immer lauter wurde es, wobei sein Blick am Hals seiner Mutter hängen blieb. Nein, er konnte es nicht nur hören, er sah es auch, wie es sich unter der Haut im Takt des Herzens bewegte. Unbewusst leckte er sich mit der Zunge über die Lippen… Stille. Nur ein Saugen und Schmatzen war noch zu hören. Das Kreischen der Frau war mit einem Schlag verstummt. Doch bevor sich der menschliche Verstand des Jungen gänzlich hatte ausschalten können, riss dieser sich auch schon vollkommen schockiert wieder los, taumelte... schrie. Ja, er schrie sich die Seele aus dem Leib, falls er, wie er sich soeben fragte, überhaupt noch eine besaß und der Teufel sie nicht auch schon an sich gerissen hatte. Er schrie all den Hass und Ekel, den er in diesem Moment für sich selber empfand, heraus. Strampelnd und um sich schlagend wachte er auf. Er hörte nicht die Stimme, welche besänftigend auf ihn einsprach. Er bemerkte nicht die starken Arme, welche ihn zu bändigen versuchten. Erst der Schlag ins Gesicht ließ ihn wieder zur Besinnung kommen und erkennen, dass sein Vater an seinem Bett saß. „Es tut mir Leid, mein Sohn“, fing Breda an zu sprechen. „Es ist alles meine Schuld…“ Verwirrt und mit noch teils glasigen und von Tränen verschwommenen Augen starrte der Herbert seinen Vater an. Alles schien sich in seinem Kopf zu drehen. Der Traum, der Mord an seiner Mutter… Es war so unrealistisch und doch so präsent in seinem Kopf. „Das alles wäre nicht passiert, wenn ich dich richtig im Auge behalten hätte. Es war doch klar, dass du nicht auf mich hören würdest.“ „V-Vater…“ „Nein! Ich… ich hätte mich beherrschen müssen, deiner Mutter sowie meiner Gier nicht nachgeben dürfen, doch war ich zu schwach. Wie ein Tier, das seinen animalischen Trieben nachkommen musste. Ja, ich war wie ein Tier. Ein Raubtier auf Beutefang… Solange hatte ich durchhalten können und nun dies. Ich bin solch ein Thor!“ Erschöpft stützte er die Ellbogen auf seinen Oberschenkeln ab und vergrub sein Gesicht in den Händen. Mit wie leergefegtem Kopf beobachtete Herbert ihn. Eine uralte Trauer spiegelte sich auf dem Gesicht des Älteren wider, als dieser sich erneut aufsetzte. Eine Trauer, die tiefer nicht hätte sein können. Eine Trauer, die der Junge erst später zu verstehen lernen sollte. Langsam wanderte Bredas Blick zum Fenster. Bald würde die Sonne aufgehen. Doch auch wenn schon. Er wollte seinen Sohn jetzt nicht alleine lassen, er wollte ihm und sich selber Trost spenden und ihn später über einige Sachen aufklären. Schließlich war er nun auch einer der Unsterblichen, nein, einer der zeitlich gesehen Ewiglebenden, denn auch wenn Geschichten dies besagten, so war den Vampiren ein Tod durch Waffen nicht vorenthalten. Ein Seufzer entrann seiner Kehle, dann begann er widerwillig den Abstieg in den Schlund seiner Vergangenheit. Wie lange lag diese Zeit nun schon zurück? Jahre, Jahrzehnte oder gar schon Jahrhunderte? Sommer war es damals gewesen. Die Sonne strahlte tagsüber so stark auf die Erde hernieder wie lange nicht mehr. Dies war die Zeit, wo alles begonnen hatte, wo den jungen Breda von Krolock sein derzeitiges Schicksal ereilte. Er wollte noch nicht wahrhaben, dass er eine Kreatur der Dunkelheit geworden ist und nie wieder mit der ihm so lieb gewonnenen Sonne und den Sterblichen um ihn herum in Kontakt treten könnte. Vor allem nicht, da er sich in eine dieser verliebt hatte. Sie war die Tochter eines relativ berühmten Dichters aus dem Dorf, welches an seine Behausung grenzte. Sie war eine bildhübsche Erscheinung. Ihr Lächeln war wie der Sonnenschein selbst und ihr Haar war lang und lockig und immer, wenn ein kühles Lüftchen wehte, hob und senkte es sich sanft, tanzte beschwingt, kräuselte und kringelte sich. Zum ersten Mal hatten sie sich vor ihrem Haus getroffen. Es war bereits dunkel und Breda streifte ziellos durch die unbeleuchteten Straßen, als er sie bemerkte. Sie hatte ihr Fenster geöffnet und sich leicht nach draußen gelehnt, um noch etwas die teils schwüle, aber dennoch erfrischende Nachtluft zu genießen. Ihr Haar kringelte sich dabei sanft im Wind. Es war keine richtige Liebe, die in ihnen in diesem Moment aufkeimte, es war eher junge Naivität, Lust etwas Unerlaubtes zu tun, die sie zusammenbrachte. Ihre Treffpunkte waren stets außerhalb der Öffentlichkeit, war es für sie doch genauso gefährlich wie für ihn, sollte man sie beiden zusammen entdecken. Sie wählten Orte wie Seitenstraßen, Wiesen und Felder, die nachts logischerweise nicht mehr besucht wurden. Einige Tage verbrachten sie auf diese Art und Weise, doch dann schien ihr Vater etwas von dieser Heimlichtuerei mitbekommen zu haben. Ein letztes Mal sollte ihnen nur noch bleiben, eine letzte Nacht... Der Himmel war klar, sodass man die einzelnen Sterne am Firmament funkeln sehen konnte. Auch der Mond ließ sein bleiches Licht über die Gegend wandern. Still und leise lagen sie da, in einem Kornfeld nahe dem Dorfe, unfähig ihre Gefühle in Worte zu fassen. Ob es die Hitze war, welche auch in der Nacht noch stark präsent war, oder etwas anderes, das sie dazu verleitete, ihren Gelüsten nachzugeben, wusste Breda nicht, nur, dass es ein Fehler gewesen war… Es kam ihm wie Sekunden vor, wie sie dort lagen, zwischen dem goldenen Korn, dass durch die Dunkelheit, die Farbe von schmutzigem gelb angenommen hatte. Als Breda die Augen wieder öffnete, da war sie fort, die Frau, die er glaubte, geliebt zu haben. Sie war nicht körperlich fort, wohl aber geistig. Schwarz waren seine Hände und sein Gesicht, sowie ihr Gesicht, ihr Hals, ihr gesamter Oberkörper. Er wusste nicht, was geschehen war, konnte es nicht realisieren. Auch was er als nächstes zu tun hatte, war ihm noch unklar. Aus Angst man könnte sie finden und in Verbindung mit ihm bringen, nahm er sie mit. Er begrub sie auf dem Friedhof neben seinem Schloss, als erstes Opfer seiner unstillbaren Gier... Die nächsten Tage streiften Suchpatrouillen durch die Gegend, ließen keinen Stein auf dem anderen stehen, doch außer einer blutbefleckten Goldkette in einem Kornfeld fanden sie nichts. Es fingen an Gerüchte über Räuber und wilde Wölfe zu kursieren, die frei in den angrenzenden Wäldern herumstreiften. Doch auch diese bekamen sie nie zu Gesicht. An einem dieser Tage klopfte man selbst an Bredas Tür. Man mied seine Gegenwart bzw. die Nähe zu dessen Grundstück schon seit geraumer Zeit, nicht zuletzt wegen ihres merkwürdigen Dieners. Zu dieser schweren Stunde schöpfte man jedoch auch diesen Hoffnungsschimmer aus. Doch auch dies umsonst. Der Schlossbesitzer brach ihnen ihren Wunsch, das Mädchen noch einmal wieder zu sehen. Seit Jahren habe er keines mehr zu Gesicht bekommen, ob tot oder lebendig… Langsam stand Breda auf. Wie von selbst führten ihn seine Schritte zum Fenster, wo er mit einem Ruck die schweren und sonnenstrahlendichten Vorhänge zuzog. Kurz verweilte er noch dort, dann setzte er sich wieder auf den Stuhl, welcher dicht neben dem großen Himmelbett stand. Herbert war nach wenigen Minuten wieder eingeschlafen, doch nun in einem traumlosen Schlaf, der ihn vor weiteren Albträumen und Phantasien schützen würde. Vorsichtig richtete sein Vater ihm die Bettdecke und strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dabei bemerkte er, wie seine Hand anfing zu zittern, weshalb er sie schnell wieder zurückzog. Er sollte an solche Momente gewöhnt sein. An die Momente, wo er die Person verlor, von der er glaubte, sie sei die Partnerin für die Ewigkeit. Doch nun war die Situation eine andere, denn nun hatte ihm die Ewigkeit ein weiteres Opfer geschenkt. Er hatte es gehasst, so alleine und einsam zu sein, mit niemandem außer Koukol sprechen zu können. Doch war es so besser gewesen als jetzt, denn nun hatte einem Menschen, der zwar kein Kind mehr war, aber von der rauen Erwachsenenwelt trotzdem noch keine Ahnung hatte, das gleiche Schicksal ereilt wie ihm selber. Er wollte nicht zusehen, wie er in der gleichen Endlosigkeit verschwand, doch was sollte er dagegen tun? Unruhig stand Breda auf und ging zur Tür, wo er fast mit seinem buckligen Diener zusammen stieß. „Hampfrr hmnn grinn…“, grunzte dieser los, wobei er einen großen mit Erde verschmierten Spaten hoch hielt. „Ist gut. Kümmere dich nun wieder um die Hausarbeit.“ Und mit einem Wink wies der Schlossherr ihn an zu gehen. Er selber machte sich auf den Weg in die Gruft. Dort angekommen, öffnete er die Tür und atmete erst einmal die muffige, nach Kerzenwachs riechende Luft ein, wobei er sich seinen großen, auf einem niedrigen Podest stehenden Sarg betrachtete. Er war nicht einfach aus Holz gefertigt, welches nach kurzer Zeit angefangen hätte zu modern, sondern aus kunstvoll gehauenem Stein, dessen Innenleben mit Samtpolstern ausgestattet war. In diesem Kellerraum spiegelte er die Empfindungen Bredas wider; Einsamkeit, Verlorenheit… Mit einem Seufzer schob der Graf den schweren Deckel beiseite, stieg die zwei kleinen Stufen empor und legte sich in das schwarze Loch, welches sich für ihn geöffnet hatte. Ein flüchtiger Blick zur Decke, die schemenhafte Silhouette seiner Geliebten sich dabei einbildend, dann wurde es um ihn herum endgültig schwarz. Kapitel 3: The Life beneath the Ground - Part 1 ----------------------------------------------- Ja, wieder habe ich so lange gebraucht, um das nächste Kapitel hochzuladen, und dann ist es noch nicht einmal soderlich lang. <.<" Gomen, man mag es mir verzeihen... u.u" Aber nun viel Spaß beim Lesen. ^^ LA ----------------------- ~Kapitel 3~ The Life beneath the Ground – Part 1 „Sag Vater, muss ich jetzt auch in so etwas schlafen?“, wurde Breda am nächsten Abend von einer ihm wohlbekannten Stimme begrüßt, kurz nachdem er den Sargdeckel beiseite geschoben hatte. Überrascht ruckte sein Kopf zur Seite und er entdeckte Herbert, wie er gemütlich auf dem Boden neben der Tür saß. „Mein Sohn. Was hat dich nach hier unten verschlagen? Solltest du nicht in deinem Bett liegen und schlafen?“ „Ich bin schon seit Stunden wach und konnte nicht mehr ruhig liegen bleiben. Ich wollte etwas auf dem Hof herum laufen, aber du scheinst Kokoul wieder auf mich angesetzt zu haben. Deshalb habe ich ihn gefragt, wo ich dich finden kann“, antwortete der Junge mit einem schiefen Lächeln und erhob sich langsam aus seinem Schneidersitz, wobei er bemerkte, dass seine Beine vom langen Warten eingeschlafen waren. Den nun von einem Bein auf das andere Hüpfenden nicht aus den Augen lassend, erhob sich auch der Graf aus seinem Sarg und stieg elegant die zwei steinernen Stufen hinunter. „Sag Vater, muss ich meine Schlafenszeiten nun auch umstellen?“ „Wieso meinst du, dies tun zu müssen?“, fragte ihn der Angesprochene etwas misstrauisch. Hatte sein Sohn schon etwas in Erfahrung bringen können? Oder wusste er glatt schon seit längerer Zeit, dass Vampire in diesem Schloss umher streiften? „Ich habe dich immer nur abends gesehen. Mutter meinte, du müsstest arbeiten, aber ich habe dich nie gehen oder kommen sehen und ich durfte nie in die Kellerräume gehen, vor allem nicht tagsüber. Doch jetzt, wenn ich sehe, dass du hier schläfst, denke ich, dass es mit dem zu tun hat… mit dem, was du bist…“ Breda musste schmunzeln. So nervig dieser Junge auch sein konnte, besaß er doch einen gewissen Scharfsinn. Diese Tatsache allein hinterließ einen Hauch von Stolz bei ihm. Er tätschelte seinem Sohn kurz den Kopf, dann machte er sich durch die Tür davon, wissend, dass Herbert ihm folgen würde. „Sag Vater, wusste Mutter davon? Ich meine, was du wirklich bist…“ „Ja, sie wusste es. Dennoch war sie erst schockiert, was man ihr auch nicht verübeln kann. Sie ist mit den Sagen und Märchen über Vampire aufgewachsen und glaubte natürlich an diese. Ich hätte ihr es jedoch nicht verheimlichen können. Einerseits wäre sie irgendwann wohl selber darauf gekommen und andererseits kannst du einen Menschen, mit dem du die Ewigkeit teilen willst, nicht so hinters Licht führen. Man würde sich lediglich selber damit schädigen…“ Langsam gingen sie den dunklen Gang entlang. Nur vereinzelt brannten Kerzen in ihren Halterungen an den Wänden und warfen ihr eigentlich wärmendes Licht flackernd durch die kalten Gänge. Es wirkte recht trostlos hier unten. „Sag Vater, bin ich nun genau wie du?“ Stille. Keine Schritte waren mehr zu vernehmen. Langsam drehte sich der Graf um und sah genau in Herberts Augen. Keine Regung war in ihnen zu erkennen, nur etwas Ernstes lag auf seinem gesamten Gesicht. Doch noch etwas anderes war dort zu sehen. Etwas… Lauerndes. Konnte das möglich sein? Konnte er sich tatsächlich von einem Abend auf den anderen so gewandelt haben? Und hatte diese Veränderung ihm die Augen geöffnet, ihn erkennen lassen, dass nicht alles so rosig war? Es hatte etwas Deprimierendes an sich, wenn man bedachte, dass es mehr oder weniger ein Kind war, das diese Wandlung durchleben musste, wo es doch noch so viel zu entdecken und zu lernen hätte. Ein Kind von nicht mehr all zu zartem, jungem Alter, aber dennoch noch kein Erwachsener. Und jetzt musste dieser junge Mensch bereits erfahren, was es bedeutete, in der Eintönigkeit zu leben… für immer. „Wenn du es so ausdrücken willst… Ja, du bist nun ein Wesen wie ich, ein Vampir. Ein Halb-Vampir um genauer zu sein, denn noch hast du nicht die vollständige Prozedur hinter dir. Doch lass uns nicht hier darüber sprechen.“ Mit diesen Worten wandte er sich wieder um und marschierte weiter. Der Friedhof kam ihm im Moment am besten geeignet vor, um dem Jungen die Realität vor Augen zu führen, weshalb er nach der nächsten Biegung die Richtung zur Eingangshalle einschlug. Neugierig schaute sich Herbert um, nachdem sie die Schlosstür durchschritten hatten. Es war eine eher kühle Nacht, doch nicht unangenehm. Im Gegenteil, der sanfte Wind erfrischte ihn und für eine kurze Zeit schloss er genüsslich die Augen, den Kopf etwas nach oben gereckt. Sein Vater derweil betrachtete den Mond, der kurz vorm Verschwinden war. Nur noch ein paar Tage, dann würde es erneut eine mondlose Nacht geben. Es gab noch viel vorzubereiten… Wie auch schon im Keller schritt er auch draußen die Stufen zur Eingangstür auf eine eigene, grazile Art hinunter. Die Bäume raschelten, erzählten sich Geschichten, gaben die Ankunft der Adeligen flüsternd weiter. Keiner jedoch schien sich etwas daraus zu machen, denn sie blieben auch weiterhin alleine. „Herbert, begleite mich auf einen kleinen Spaziergang.“ Der Angesprochene wandte seinen Kopf seinem Vater zu, wobei seine Augen diesen für eine kurze Weile starr fixierten, ehe er sich auf den Weg zu ihm machte. „Besuchen wir Mutter?“, fragte er mit einer Stimme, die weder Furcht noch Trauer oder Wut aufwies. Breda wartete einige Sekunden ehe er antwortete: „Das musst du selbst entscheiden. Ich will dich zu nichts zwingen…“ Ein leichtes Nicken seitens des Jungens. Kurzerhand wandten sie sich nach rechts. Das Gras unter ihren Füßen gab keinen Laut von sich, sodass sie wie zwei Schatten durch die Nacht huschten. Der Friedhof lag fast auf der Rückseite des Anwesens und erstreckte sich über einige mehrere Quadratmeter im dreistelligen Bereich. Wie Stecknadeln ragten die Grabsteine aus der Erde, mal größere, mal kleinere, mal schlichte, mal verzierte; selbst Statuen waren vorhanden. Statt einer Sandaufhäufung lag vor jedem dieser eine lange, massive Steinplatte, doch weder Blumenkränze noch andere ansehnliche Gaben waren zu entdecken. Noch nicht einmal Unkraut oder Wildblumen trauten sich ihren Weg an die Erdoberfläche, so als wäre der Boden von einem Gift verunreinigt. Hier wurde niemandem die letzte Ruhe erwiesen, hier wurde niemand geehrt, auf dass er auch nach dem Tod ein seliges Leben haben konnte… „Schau dich ruhig um, mein Junge. Hier wurden all deine Verwandten begraben und noch viele mehr. Dieser Friedhof existiert schon über Jahrhunderte hinweg“, brach Breda die unangenehme Stille. „Ich weiß. Die Kinder aus dem Dorf haben darüber erzählt. Sie meinten, es sei ein Geisterfriedhof, genau wie das Schloss ein Geisterschloss sein soll, da es schon so lange hier steht und es immer von einem Grafen bewohnt ist“, erwiderte Herbert, während er seinen Blick über die Inschriften der Grabsteine schweifen ließ. „Die Menschen reden gerne über Sachen, von denen sie nichts wissen. Es gibt ihnen das Gefühl jemand Wichtiges zu sein. Dadurch entstehen Gerüchte, die manchmal recht unterhaltsam sein können, dennoch muss man dabei aufpassen, dass sie nicht die falschen Wege einschlagen. Wir wollen ja schließlich nicht einen ganzen Bauernaufstand vor unserer Tür stehen haben, nicht wahr?“ Ein kurzes Auflachen hallte durch die Nacht. „Wenn ich im Dorf war, dann haben die Leute mich immer alle angesehen und getuschelt. Es ist recht unangenehm… Mutter meinte, dass unsere Familie nicht gerade von großem Ansehen sei. Es läge an der Vergangenheit, die noch immer bei den Leuten im Dorf präsent sei und an dem Gerücht über den Grafen, der sich jedes Jahr bei Neumond eine Jungfrau aus dem Dorf als Opfer sucht“, meinte Herbert betrübt. „Da hatte sie Recht. Den Dorfbewohnern ist dieses Schloss nicht geheuer. Schließlich zeige ich mich immer nur nachts. Und ein buckliger Butler ist auch nicht sehr Vertrauens erweckend. Und was die Jungfrau angeht: So wählerisch bin ich dann doch nicht.“ Gemächlich schlenderte der Graf auf ein Grab zu. „Schau her. Hier liegt deine Tante. Sie hat einen sehr kratzbürstigen Charakter, vor allem wenn man sie grundlos stört.“ Unwillkürlich musste er Schmunzeln bei dem Gedanken, wie viel Gewissensbisse sie ihm doch damals eingeredet hatte, als er sich für eine Sterbliche entschieden hatte. Sie hatte nicht daran geglaubt, dass es lange gut gehen würde, genau wie die anderen, doch er war stur geblieben und im Endeffekt war ja alles gut gegangen… bis er sich nicht mehr zügeln konnte. „Meine Tante?“, riss der Junge seinen Vater aus seinen düsteren Gedanken, während er sich den Stein besah, an den er soeben herangetreten war. Die oberen Ecken waren abgerundet und er war etwa einen Meter hoch. Lange verschnörkelte Linien durchzogen ihn an den Rändern und rahmten die eingravierten Wörter grazil ein. Diese konnte man jedoch nicht mehr lesen, da sie von einer Schicht Moos überdeckt wurden. Herbert spielte mit dem Gedanken, die Hand auszustrecken und das Gewächs einfach abzukratzen, aber er traute sich nicht, war der Respekt vor seiner Tante doch enorm. Er hatte sie nie kennen gelernt, aber seine Eltern hatten ihm viel von ihr und seinen anderen Verwandten erzählt, die scheinbar alle einen recht eigenartigen und eher bissigen Charakter aufwiesen. „Ja. Möchtest du sie treffen?“ Mit großen Augen sah Herbert seinen Vater an. „Sie treffen?“ Plötzlich vernahm er ein Scharren, das ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte. Als er sich umsah, bemerkte er, dass Kokoul zu ihnen getreten war und sich nun an der Steinplatte zu schaffen machte. Mit einer ihm nicht zugedachten Kraft schob er diese Stück für Stück beiseite. Neugierig wie er war, beugte sich Herbert etwas nach vorne, um in das sich auftuende Loch zu linsen. Ein Ekel erregender Gestank schlug ihm jedoch sogleich entgegen, sodass er angewidert die Miene verzog und einige Schritte wieder zurück wich. Das Loch war nicht tiefer als zwei Meter und dennoch konnte er erst Einzelheiten darin erkennen, als sich der Mond hinter einer Wolke hervorschob und ihm etwas Licht spendete. Ein hölzerner Sarg war daraufhin das erste, was er erkannte. Er konnte noch nicht sehr alt sein, da das Holz noch recht hell wirkte, mehr oder weniger frei von jeglichem Moder. Dennoch kam dem Jungen gerade diese Tatsache suspekt vor. Entweder war dies exzellentes Holz oder aber man hatte seine Tante vor noch nicht allzu langer Zeit erst begraben, was aber wiederum Zweifel wach rief, da diese nach seinen Kenntnissen schon vor Jahrzehnten gestorben sein sollte. Dem Graf entging der verwirrte Blick seines Sohnes nicht, doch er sagte nichts dazu, beobachtete nur weiterhin, wie der Bucklige sich nun am Sarg zu schaffen machte, die Nägel entfernte und auch dort den Deckel beiseite schob. Wie in Zeitlupe geschah diese eigentlich rasch ausgeführte Bewegung in den Augen Herberts, wobei sich mit jedem Zentimeter sein Herzschlag beschleunigte. Was sollte das alles? Wozu bot ihm sein Vater an, in das Grab seiner Tante zu schauen? Sie war tot, also wozu das Ganze? Er konnte sich das alles einfach nicht erklären. Trotz Zweifel verspürte er jedoch auch eine gewisse Neugier, weshalb er sich ein weiteres Mal nach Vorne beugte. Kapitel 4: The Life beneath the Ground - Part 2 ----------------------------------------------- An diesem Kapitel saß ich definitv zu lange, aber was soll man machen, wenn man von einem riesigen, extremen KreaTief übermannt wird, sodass man an einer Stelle partout nicht vorwärts kommt. -___-" Nya, aber jetzt ist es ja vollbracht. *erleichtert is* Von den nächsten Kapiteln erhoffe ich mir, dass sie mal wieder etwas länger werden. ^^ LA ----------------------- ~Kapitel 4~ The Life beneath the Ground – Part 2 Herbert hätte erwartet, so etwas wie ein Skelett zu sehen; vermodert, dürr, mit dünner, straff über die Knochen gespannter Haut. Doch was er dort sah, ließ ihn kurzzeitig nach Luft schnappen. In dem Sarg lag eine Frau mittleren Alters, welche ein langes, rotes Kleid mit schwarz-goldenen Verzierungen trug. Während ihre Arme auf dem Bauch ruhten, rahmten ihre aschblonden Haare ihr Gesicht auf eine glamouröse Art ein, sodass es den Anschein hatte, als schliefe sie lediglich. Ihre Haut hatte einen etwas bleichen Teint und war an manchen Stellen ein wenig eingefallen, sah aber ansonsten recht lebendig aus. Verwirrt warf er einen Blick zur Seite, doch sein Vater hatte seinen üblichen undurchschaubaren Gesichtsausdruck aufgesetzt, weshalb sich Herbert wieder von ihm abwandte. Was wollte sein Vater ihm hier zeigen? War diese Frau vor ihm etwa auch ein… ein Vampir? Ja, so hatte er es bezeichnet. Vampir. Ansonsten wäre sie doch schon längst erstickt oder? Wollte er ihm das damit vermitteln? Aber dann hätte er es ihm doch auch einfach sagen können, wozu diese Veranschaulichung? Nach einer kurzen Diskussion mit sich selber in seinem Hinterkopf, was er jetzt tun solle, entschied er sich dafür, sich noch weiter nach vorne zu bewegen, um einen besseren Blickwinkel auf das Ganze zu erhaschen. Seine Tante war schön anzusehen, daran gab es keinen Zweifel. Ihr Anblick fesselte ihn von Sekunde zu Sekunde mehr, ließ ihn nicht mehr los, eher noch näher herankommen, bis er nur noch einen halben Meter mit seinem Gesicht von dem ihrigen entfernt war. Ihre Wimpern so lang und geschmeidig, ihr Haar so seidig und glänzend… „Frischfleisch…“ Mit einem Schlag öffnete die Frau ihre Augen. Unvermittelt starrten sie den Jungen an, der dies im ersten Augenblick bloß für eine Sinnestäuschung hielt, durchdrangen ihn, wie die eines Raubtieres. Ihre Atmung, welche vorher überhaupt nicht vorhanden war, ging nun relativ schnell, als wäre sie auf der Jagd nach etwas gewesen. Auch ihre Schönheit war aus ihrem Gesicht verschwunden, etwas Starrem und gleichzeitig Wildem gewichen. „Frischfleisch… Junges, unschuldiges Blut…“, ertönte erneut die Stimme. Sie war rau und krächzend, als hätte man die Stimmbänder schon seit langer Zeit nicht mehr gebraucht. Langsam klärte sich Herberts Kopf wieder, doch als er realisierte, dass seine Tante wirklich noch am Leben war, schreckte er augenblicklich zurück. Durch die überschnelle Reaktion jedoch strauchelte er und fiel nach hinten auf den Boden. Währenddessen hatte es die Frau geschafft, sich aufzusetzen und war nun dabei sich mit ausgestrecktem Arm und zu Krallen gekrümmten Finger dem Jungen immer weiter zu nähern, in dessen Kopf plötzlich einzelne Bilder aufzutauchen begannen. Eine Frau mit weißblonden, gelockten Haaren und einem Lächeln auf den Lippen, das sich im nächsten Moment zu einem breiten, teuflischen Grinsen verzog… Mit aller Kraft schlangen sich die bleichen, knorrigen Finger um Herberts Fußknöchel, versuchten ihn mit aller Macht zu sich heranzuziehen. Gierig und voller Verlangen leckte ihre kalte, nasse Zunge über ihre Lippen, wobei das Gesicht dem Bein ebenfalls immer näher zu kommen schien. Nur Zentimeter trennten sie… Doch plötzlich ließ sie los. Mit einem leisen Stöhnen sackte die Frau in sich zusammen und rutschte ein Stück in das Loch zurück, aus welchem sie gekrochen war. Herberts Bein jedoch hielt sie weiterhin krampfhaft umklammert, was in dem Jungen eine leichte Panik hervorrief, da sie ihn immer weiter mit sich nach unten zog. Mit aller Kraft zerrte er an ihren Finger, doch lösten sich diese erst, als Kokoul ein zweites Mal die Schaufel hob, mit der er den Vampir kurz zuvor niedergestreckt hatte, und mit dieser auf den Arm einschlug. Endlich befreit kroch Herbert auch sogleich nach hinten und kam erst mehrere Zentimeter von dem Grab entfernt zum Stillstand, die Beine fest an den Körper gepresst und die Arme um diese geschlungen. Die Hand auf seiner Schulter bemerkte er erst nach einigen Sekunden des Durchatmens. Als er den Kopf drehte, sah er in das Gesicht seines Vaters, der reglos beobachtete, wie Kokoul nun versuchte, den blonden Vampir zurück in den Sarg zu legen, den Deckel zu versiegeln und die große Steinplatte über das Loch zu schieben. „Vampire sind Kreaturen ohne Gewissen. Zügellos. Haben sie erst einmal Blut geleckt, dann verlieren sie leicht den Verstand und reagieren nur noch auf ihren Instinkt. Du bist in dieser Hinsicht noch unschuldig, du hast noch kein Blut gekostet. Wenn du also nicht so enden willst wie der Großteil hier auf diesem elenden Friedhof, wirst du lernen müssen, deine Begierden weiterhin zu kontrollieren und zu unterdrücken.“ Herbert nahm die Worte nur zur Hälfte auf. Diese ganze Situation war einfach zu bizarr. „Vater… Warum…“ „Damit du von vornherein verstehst. Damit du nicht einen solchen Fehler begehst, wie er mir unterlaufen ist. Du bist noch kein vollwertiger Vampir und solange du meinen Regeln Folge leistest wird das so schnell auch nicht passieren. Es wird schwer werden auf Dauer, denn die Gier wächst mit der Zeit, doch du kannst es schaffen.“ „Was für ein Fehler? Erklär es mir, Vater.“ Er wollte es einfach nur wissen, wollte einfach nur aufgeklärt werden, doch der Schlossherr blieb stumm. „Ich will es wissen! Und zwar jetzt! Hast du mich hier nach draußen geführt, nur um… um…“ Frustriert ballten sich die Hände des Jungen zu Fäusten, während sein Blick starr gen Boden gerichtet blieb. „Warum… Warum, Vater!“ Mit einem Schlag war die Stille der Nacht verschwunden, verschluckt von einem markerschütternden Kreischen. In Sekundeschnelle bedeckte Herbert seine Ohren mit seinen Händen, um das Gröbste abzuschirmen. Verstört blickte er sich um, wobei er versuchte, die Quelle des Geräusches zu lokalisieren. Es schien genau aus dem eben gerade geschlossenen Grab zu kommen. War seine Tante aufgewacht? Wie wütend sie wohl sein mochte? Als konnte es nicht schlimmer werden, gesellten sich nun weitere Stimmen dazu. Langsam aber sicher schallte der Geräuschetumult über den gesamten Friedhof und musste wahrscheinlich bis hinunter ins Dorf zu hören sein. Neben dem Kreischen ertönte nun auch eine Art Scharren, als wollten die lebenden Toten ihren Gefängnissen, in denen sie schon seit geraumer Zeit verweilten, endgültig entfliehen. Doch nicht nur sie auch Herbert wollte diesem Chaos ein für alle Mal den Rücken zuwenden. Es war schlicht und ergreifend zu viel auf einmal für ihn. Kokoul schien die Situation jedoch im Griff zu haben. Kräftig schlug er mit seiner schweren Schaufel mehrere Male gegen Grabstein und Erde, ließ kurz einen fast sogar noch grässlicheren Ton als sonst von sich und schon verringerte sich der Lärmpegel erheblich, bis er schließlich zur Gänze verebbte. „Ich glaube, jetzt wäre der richtige Zeitpunkt das Feld zu räumen und uns wieder hineinzubegeben. Deine Mutter besuchen wir, denk ich, ein anderes Mal“, ertönte Bredas Stimme, nachdem die drückende Stille wieder auf sie herabgestürzt war. „Ich würde dir empfehlen, dich sogleich in deinem Zimmer einzufinden. Ich glaube, ein wenig Ruhe wird dir gut tun. Morgen wird es wohl oder übel eine anstrengende Nacht werden.“ Herbert antwortete nicht sofort. Mühsam kam er wieder auf die Beine und streifte seine erdigen Hände an der Hose ab. Sollte sie doch noch dreckiger werden, als sie schon war. An Kleidung mangelte es ihm schließlich nicht. Als er kurz darauf aufschaute, sah er nicht seinen Vater an, sondern ließ seinen Blick über die zahlreichen, in den Boden gerammten Steine schweifen. Früher hatte er zwischen ihnen gerne gespielt, während er davon phantasiert hatte, Geister zu treffen und Jungfrauen aus dessen Klauen zu befreien. Wenn er jetzt darüber nachdachte, lief ihm ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Er hatte sich so viele Male einer riesigen Gefahr ausgesetzt. Was wäre geschehen, hätten sich die Vampire selbst befreien können? Sie hätten trotz seiner Familienabstammung keine Gnade mit ihm gehabt, sich vielmehr auf ihn gestürzt wie auf ein Stück rohes Fleisch. „Es wird sich alles ändern, habe ich Recht?“, fragte er, während sich sein Magen aufgrund der eben gewonnen Erkenntnis verkrampfte. „Dies lässt sich leider nicht vermeiden. Ab morgen wirst du tagsüber und fürs Erste auch nachts das Schloss nicht mehr verlassen außer mit meiner Erlaubnis und das wohl auch nur mit Kokouls Beaufsichtigung.“ „Was? Aber Vater!“ Mit einem Ruck hatte Herbert seinen Kopf in die Richtung des Schlossherrn gedreht. Er konnte nicht glauben, was er da hörte. „Kein aber!“ Respekt einflössend baute sich dieser vor ihm auf. „Ab morgen herrschen neue Regeln, die du zu deinem Wohl auch einhalten solltest!“ „Das kannst du nicht machen! Ich will nicht eingesperrt sein!“ Verzweifelung staute sich auf. Warum wollte sein Vater ihn wie einen Gefangenen behandeln? Er war schließlich nicht der Schuldige an der ganzen Situation, warum also musste er dann die Konsequenzen tragen? „Du wirst auf mich hören Herbert, ist das klar?“ „Nein… Nein!“, rief Herbert aus und schüttelte wie wild seinen Kopf. Er weigerte sich, das Gesagte, das Passierte einfach so hinzunehmen, sich wie eine Marionette lenken zu lassen… „Ich will einfach nicht, dass dir etwas passiert, verstehst du das nicht?“ „Nein, das tue ich nicht. Du willst mich einsperren. Du willst mich kontrollieren!“ „Das ist nicht wahr und das weißt du auch.“ Traurig blickte Breda auf den Jungen herab, in dessen Augenwinkeln sich bereits Tränen abzeichneten. Es schien als suche er nach Worten, doch er war wohl zu aufgewühlt, sodass er, kurz nachdem er seinen Mund zum Sprechen geöffnet hatte, ihn auch gleich wieder schloss. Mit einem Ruck drehte er sich herum und lief den Weg, den sie zuvor gekommen waren, wieder zurück. „Aber vielleicht bist du auch noch zu jung, um dies alles um dich herum richtig wahrzunehmen…“, fügte Breda noch leise, mehr zu sich selbst als an irgendwen anders gerichtet, hinzu. Herbert würde über den Schmerz, den Verlust und das Unverständnis hinwegkommen, da war sich Breda sicher. Die Zeit würde die Wunden nicht heilen, sie nicht in Vergessenheit bringen, aber dafür immer weiter zu einer Nichtigkeit werden lassen. Während der Graf weiter die Gräber entlang schritt, auf der Suche nach seinen verlorenen Lieben, hörte man von weiter weg lediglich noch das Schlossportal sich geräuschvoll schließen. „Du bist stärker als ich, mein Sohn. Merke dir das.“ Es war bloß ein Flüstern. Kapitel 5: Lesson One: How You Avoid Committing Suicide ------------------------------------------------------- Und schon kommt das nächste Kapitel. Okay, man kann sagen, dieses hier floss mir nur so aus den Fingern. xDD Und ich muss sagen, ich bin sehr zufrieden damit. Außerdem ist es mal wieder eines, der etwas längeren Sorte, womit ich jetzt die 10.000-Wörter-Marke geknackt habe. xD *freu* Ich wünsche viel Spaß beim Lesen. LA ----------------------- ~Kapitel 5~ Lesson One: How You Avoid Committing Suicide Unruhig drehte sich Herbert von einer Seite auf die andere und wieder zurück. Seine Bettdecke hatte sich vor geraumer Zeit mehr oder weniger auf den Fußboden verflüchtigt und auch das Bettlaken hatte nicht mehr lange vor, sich auf der Matratze zu halten. Die Kissen lagen teils um das Himmelbett verstreut, teils bedeckten sie das Gesicht des Jungen, anstatt unter dessen Kopf zu liegen. Doch das alles störte den Grafensohn nicht im Geringsten. Irgendjemand würde das später schon wieder zurechtbiegen. Das, was tatsächlich an ihm nagte, war viel eher, dass er seinem Vater versprochen hatte, im Zimmer zu bleiben, falls er vor Sonnenuntergang aufwachen würde. Normalerweise wären ihm solche Versprechen egal, doch wollte er einmal im Leben vernünftig sein und sich nicht noch mehr Probleme und Streitereien einfangen. Er hatte momentan genug am Hals. Mit einem Satz setzte sich Herbert auf. Im Zimmer verweilen bedeutete schließlich nicht, er müsse auch die ganze Zeit über im Bett liegen bleiben. Er würde in diesem riesigen Raum mit angrenzendem Ankleidezimmer und Bad schon irgendeine Beschäftigung für sich finden und wenn sie nur darin bestand, sich in schaumigem Badewasser von den Strapazen der bisherigen Tage zu erholen. Somit stand er auf und richtete vorerst seine Nachtkleidung, die nicht wesentlich besser aussah als das zerstörte Bett neben ihm. Durch einen kurzen Schub an Motivation angespornt, sammelte er die Kissen auf und schmiss sie samt Bettdecke auf die Matratze zurück. Doch zu weiterem Aufräumen konnte er sich einfach nicht aufraffen. Wozu gab es Kokoul? Damit machte er sich auf den Weg in seinen begehbaren Kleiderschrank, denn seinen Vater wollte er nicht in seiner Schlafgarnitur begrüßen. Es dauerte nicht einmal annähernd so lange wie sonst, dann war der Junge fündig geworden. Zufrieden stellte er sich vor seinen riesigen Zimmerspiegel, um sich zu begutachten, doch als er seinen Blick hob… sah er nichts. Ratlos starrte er den Gegenstand an. Wie… wie konnte das sein? Mehrfach wedelte er mit seiner Hand vor der Spiegelfläche herum. Keine Veränderung. Aber… er stand doch genau davor! Warum spiegelte sich der gesamte Raum nur er nicht? Verwirrt rannte er von der einen Spiegelseite zur anderen, versuchte, von jedem möglichen Winkel aus auf die silberne Oberfläche zu schauen, doch das Resultat blieb jedes Mal dasselbe. War sein Spiegelbild etwa mit seinem bisherigen Leben zusammen verschwunden…? Langsam ließ sich Herbert an der Wand zu Boden gleiten. Es war einer der Momente, in denen er nichts fühlte. Nichts… Nur eine gähnende Leere, die ihn zu verschlucken drohte… Würde es die nächsten Tage so weiter gehen? Würde er immer wieder auf neue Überraschung treffen, die seinen bisherigen Alltag mehr und mehr umstellen würden? Würde sein Leben je wieder annähernd geregelte Bahnen annehmen? Wohl kaum… Man hatte ihn einfach so ins kalte Wasser geschmissen mit der Ansicht, er würde es schon überleben. Dieser Gedanke veranlasste den Jungen zu einem kurzen bitteren Auflachen. Leben… Was bedeutete dieses Wort überhaupt noch für ihn? Lebte er denn noch? Sagte man nicht, Vampire seien lebende Tote? Unsterbliche? Wenn dem so war, war er dann nicht in der vorletzten Nacht zusammen mit seiner Mutter gestorben? War er somit nichts mehr als eine wandelnde Leiche? Langsam hob er seine Hand und legte Zeige- und Mittelfinger an seinen Hals, dort, wo die Hauptschlagader sich befand. Er wartete einige Sekunden ab, schob die Finger hin und her, in der Hoffnung den Punkt verfehlt zu haben, doch er spürte nichts. Als nächstes legte er die Hand auf seine Brust über sein Herz. Auch hier wartete er kurz ab, versuchte seine Sinne nur auf diese eine Stelle zu konzentrieren, doch wieder wurde er enttäuscht, verspürte er doch auch dort nicht das viel versprechende Pulsieren, das einem signalisierte, dass der Lebenssaft weiterhin durch die Adern gepumpt wurde. Verbittert lächelnd lehnte Herbert seinen Kopf zurück an die Wand. Diese ganze Situation kam ihm nicht mehr sonderlich real vor. Eher wie eine der phantastischen Geschichten, die ihm seine Mutter pflegte zu erzählen. Er hatte immer über die Menschen geschmunzelt, denen etwas so schreckliches wie der Tod oder irgendeine Verwandlung widerfahren waren, doch nun wusste er, wie sich die Personen gefühlt haben mussten. Einfach Furchtbar. Man konnte es aber natürlich auch so sehen: Wer konnte schon von sich aus behaupten, er sei ein lebender Toter? Erneut hallte ein leises Auflachen durch den Raum, während sich der Junge zu einer Kugel zusammenzog - die Finger in den Haaren verkrampft, die Knie an den Körper gezogen und den Kopf auf diese platziert. Er war tot… Tot… Tot… Mit einem Mal stand er wieder auf seinen Füßen. Blindlings lief er zu seinem Nachtschränkchen, welches sich neben seinem Bett befand, griff nach dem erstbesten Gegenstand, der ihm in die Finger kam und warf diesen mit ganzer Kraft gegen die Spiegelwand, welche sogleich in zahlreiche glitzernde Scherben zerbarst. Jedoch noch nicht zur Gänze befriedigt klammerte er sich als nächstes an die dicken Seidenvorhänge vor seinem Fenster, die er mit mehreren kraftvollen Zügen von der Gardinenstange riss. Blendendes Sonnenlicht schien sogleich durch die nun ungeschützte Scheibe direkt in das Gesicht des Jungen. Mit einem qualvollen Aufschrei bedeckte dieser seine Augen. Die gähnende Leere, der Frust, die Verzweiflung… Alles war von einer Sekunde auf die nächste erloschen. Zurück blieb nur ein physischer Schmerz, der grausamer nicht hätte sein können. Wie wild taumelte er hin und her, versuchte in irgendeiner Ecke Schutz zu finden, doch schien das Licht nun den Großteil seines Zimmers einzunehmen. Durch Zufall bekam er den abgerissenen Vorhang zu fassen, über den er bei seinem Schmerzenstanz beinahe gestolpert wäre, und schmiss sich diesen wie eine Decke über den Kopf, während er sich zu Boden fallen ließ. Erleichterung und das Gefühl von Sicherheit schwappten mit einem Mal über ihn hinweg und erneut zog er sich zu einer Kugel zusammen. Nicht mehr Herr über seine Gefühle traten ihm endgültig die Tränen in die Augen und er begann krampfhaft zu schluchzen. Er hatte einfach zu viel von dem erfahren, was er nie hatte wissen wollen. Er war tot… Tot und auf eine gewisse Weise unsichtbar… Doch was noch um einiges schlimmer war: Er würde wohl nie wieder die Sonne sehen können… Es hatte eine Weile gedauert, doch schlussendlich hatte sich Herbert wieder beruhigen können. Immer noch von Kopf bis Fuß in das Tuch eingewickelt, kroch er Stück für Stück weiter zur Tür und somit zurück in die rettenden Schatten des Raumes. In diesen angekommen, fühlte sich Herbert wieder sicher, weshalb er sich aufrichtete und den Stoff von seinem Kopf nahm und ihn wie einen Umhang über seine Schultern legte. Ohne sich noch einmal umzudrehen, langte er nach der Türklinke, welche sich in griffbereiter Nähe befand, und verließ das Zimmer und gleichzeitige Schlachtfeld. Ziellos streifte er durch die einzelnen Korridore, nicht im Entferntesten darauf achtend, wohin seine Beine ihn lenkten. Er würde Ärger bekommen, dass wusste Herbert schon jetzt, doch ob es nun für das zerstörte Schlafgemach oder für seine verbotene Wanderung war, machte keinen großen Unterschied. Seinen Vater aber würde er auch nicht so ungeschoren davon kommen lassen. Er hatte ihn doch tatsächlich vollkommen unwissend in dem Zimmer schmoren lassen. Dies sogar, wenn man an das Sonnenlicht zurückdachte, wortwörtlich. Wer weiß, was noch für schlimmere Dinge hätten geschehen können? Herbert mochte überhaupt nicht daran denken. Immer darauf bedacht, nicht in die Lichtkegel der Fenster zu treten, schlängelte sich der Grafensohn vorsichtig am äußersten Rand der Gänge entlang. Er wusste nun, wo er war. Dies war definitiv der Weg in die Küchengefilde des Schlosses. Kurz lauschte er in sich hinein, ob sein Magen etwas einzuwenden hatte, doch dem schien es prächtig zu gehen. Trotz dessen änderte er seinen Kurs nicht. Ein kleiner Imbiss konnte schließlich nicht schaden. Die Küche lag wie eigentlich das gesamte Gebäude Menschenleer vor, obwohl Herbert wenigstens Kokoul in diesen Bereichen vorzufinden gedachte. Ein Hindernis weniger. Zu seiner weiteren Erleichterung besaß das Zimmer keine Fenster, weshalb er sich dort frei bewegen konnte, was er auch sogleich ausnutzte, indem er sich der Vorratskammer näherte. Mit einem Ruck öffnete er die Tür, nahm einen der überall verteilten Kerzenständer in die Hand und betrat das dunkle Loch vor sich. Weiter als drei Schritte tat er jedoch nicht. Herbert persönlich war noch nie in diesem Raum gewesen, hatte er doch stets Kokoul darauf angesetzt, ihm etwas zu Essen zu machen. Doch dass die Familie von Krolock so wenig Nahrungsmittel beherbergte, hätte er nie gedacht. Ein Laib Brot, etwas Wurst und ein Stück Schinken zierten die Wände, ansonsten waren die Regale leer. Da musste der bucklige Diener demnächst wohl wieder ins Dorf gehen und neue Vorräte einkaufen, denn so würden sie nicht lange über die Runden kommen. Noch einmal ließ Herbert den Kerzenschein über die Regale schweifen, dann machte er kehrt und verließ die Kammer sowie die Küche, um es sich im Lesesaal zwei Gänge weiter gemütlich zu machen. Der Essensgeruch hatte ihm nicht sonderlich gut getan. In einen der Sessel gekauert starrte der Junge gegen eine Wand aus Bücherregalen, welche die angrenzende Bibliothek einläutete, während er versuchte, all das ins Gedächtnis zu rufen, was er bis jetzt bereits in Erfahrung gebracht hatte, ob nun gewollt oder durch Zufall. Als erstes wäre da die Tatsache, dass sein Herz aufgehört hatte zu schlagen, er somit nicht mehr lebendig sein konnte. Trotzdem konnte er noch denken, laufen, sprechen und eben all das tun, was einem Toten für den Rest seiner Zeit verwährt blieb. Auch Schmerzen konnte er noch fühlen, was ihn zum zweiten Punkt brachte. Hieß es nicht in den Geschichten, Vampire seien unsterblich? Bedeutete das also, er war nun tot, konnte aber nicht noch einmal sterben? Dennoch sollte er nicht vor Schmerzen und Verletzungen immun sein? Kein sehr verlockender Austausch, wenn man ihn fragte. Doch wenn man Verletzungen erhalten konnte, wie sollte es dann möglich sein, dass man unsterblich blieb? Gedankenverloren wanderte sein Blick zu dem Lichtkegel auf dem Boden schräg gegenüber von seiner Sitzgelegenheit. Sollte er es wagen? Schließlich wollte er wirklich sicher gehen, dass seine Vermutungen auch stimmten. Doch was, wenn er sich wirklich ernsthaft verletzte? Weiter durfte er darüber nicht nachdenken, sonst würde ihn der Mut verlassen. Somit stand Herbert auf und schritt hinüber zu der beleuchteten Stelle. Erst knapp vor dem Rand des Lichtkegels kam er zum Stillstand. Er musste es wagen. Er musste. Er konnte nicht auf seinen Vater warten. Dieser würde wahrscheinlich eh noch eine Zeit lang in seinem Sarg schlafen. Wozu also die verbleibenden Stunden ungenutzt lassen? Zentimeter für Zentimeter streckte er seine Hand aus. Auf halber Strecke bemerkte er, dass sie angefangen hatte zu zittern, versucht dies, aber gekonnt zu ignorieren. Es gab keinen Weg mehr zurück. Mit diesem Gedanken schob er sie gänzlich nach vorne. Kaum dass die Fingerspitzen von den ersten Strahlen berührt wurden, fingen sie auch schon an zu ein wenig zu dampfen und sich merklich ins Rötliche zu verfärben. Es war schmerzvoll aber zugleich auch auf eine gewisse Art faszinierend. Scharfe Gegenstände wie Messer und Scherben waren gefährlich; sie konnten einen schneiden. Rauch war gefährlich; es konnte einen ersticken. Wasser konnte ebenfalls gefährlich werden; man konnte darin ertrinken. Aber Licht? Licht… „Ajbasi hahlt in.“ Mit einem Ruck drehte sich Herbert um, wobei er seinen Gegenüber mit schreckgeweiteten Augen ansah. Er war so in seinen Gedanken verloren gewesen, dass er den Buckligen nicht hatte kommen hören. Allgemein hatte er nicht damit gerechnet, tagsüber überhaupt jemanden zu treffen. „Kokoul! Wage es nicht noch einmal, mich so zu erschrecken!“, herrschte er den Diener an. Dieser schien sich an dem Tonfall jedoch nicht zu stören. Mit ausgestrecktem Arm fing er erneut an unidentifizierbare Sätze vor sich hin zu sprechen. Doch als er merkte, dass der Junge immer noch nicht verstand, was er meinte, schlug er mehrfach mit seiner einen Hand auf den Handrücken seiner anderen. Unschlüssig beobachtete der Grafensohn dieses absurde Verhalten, bis er sich wieder seinem Experiment widmete. Erst als er den Handrücken und die Finger seiner eigenen Hand betrachtete, ging ihm ein Licht auf. Krebsrot war die Haut und teilweise hatten sich bereits kleine Brandbläschen gebildet. Man konnte nun definitiv sagen, Licht war gefährlich; es konnte einen genau wie Feuer verbrennen. Und wenn man verbrennen konnte, konnte man auch sterben… Eine sterbende Leiche… Über eine solche Absurdität konnte der Grafensohn nicht anders, als ein weiteres Mal anfangen zu lachen. Von diesem Tage an würde er besser daran tun, sich mehr in Acht zu nehmen, wollte er nicht als Paradoxon enden, mal davon abgesehen, dass er als lebende Leiche bereits ein solches verkörperte. Ein Blick nach draußen in die grelle Helligkeit des Nachmittags, die ihn dazu zwang, die Augen zusammenzukneifen, sagte ihm, dass er trotz seiner Wanderschaft und der kleinen Ereignisse nicht allzu viel Zeit verschwendet hatte, wie es eigentlich sein Plan gewesen war. Somit gesellte er sich zurück zu dem schattigen Sessel, Kokoul einfach ignorierend. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)