Zersplittert von Trefoil ================================================================================ Kapitel 1: Zersplittert ----------------------- Ein Netzwerk von Ästen, kunstvoll verkleidet mit dunkelgrünen Blättern, jagt mit irrsinniger Geschwindigkeit vorbei. Die Baumstämme, denen das Netzwerk entspringt, blitzen immer wieder auf; sind nicht viel mehr als verschwommene Schemen im Rauschen. Außerhalb des Windtunnels flackern mit jeder Zehntelsekunde neue Bäume auf; das Nadelwerk einer Kiefer bewegt sich mit einem zischenden Pfeifen vorbei; der Tunnel hellt sich auf, als eine seine Außenwände den Bruchteil eines Herzschlages lang aus der lichten Blattwelt einer Eiche besteht. Immer wieder gibt es Leerstellen im Tunnel; immer dann, wenn ein Wechsel zwischen zwei Bäumen so lange dauert, dass das menschliche Auge ihn wahrnimmt. Während dieser Leerstellen fliegt Iruka Umino. Und über ihm leuchten die Sterne. Dann kehren die Blätter und Äste zurück. Iruka ist sich ihrer voll bewusst; zwar sieht er jeden Baum nur so kurz, dass man weniger von ‚sehen’, sondern allenfalls von ‚erahnen’ sprechen kann, doch bereits das genügt. Während Iruka den von ihm und seiner Geschwindigkeit geschaffenen Windtunnel nutzt, um gleich einem Kometen durch die Baumkronen zu fegen, denkt er nicht. Dazu ist er zu schnell. Er bewegt sich einfach. Gerüche dringen in seinen Tunnel ein; doch bald sind es nicht nur jene von Birken, Eschen und anderen Bäumen. Nein, mit jedem Sprung gewinnt ein Aroma, das er in den ersten Sekunden nur für eine Einbildung gehalten hat, an Intensität. Kein Baum, denkt er und wird intuitiv langsamer. Wie ein Farbtropfen in einen See fällt und sich dort gleichsam einer Wolke ausbreitet, sickert der Geruch in den Tunnel aus Wind und Blättern. Irritiert stellt Iruka fest, dass die Quelle in exakt der Richtung zu liegen scheint, in die er sich seit mehreren Minuten bewegt. Wie sonderbar, sagt er zu sich selbst und noch ehe er den Gedanken beendet hat, bringt er den Windtunnel fast gewaltsam dazu, zu implodieren und mit einem Mal zu verschwinden. Die Sohlen von Irukas festen Schuhen prallen gegen die Rinde eines älteren Baumes; während sich der Ninja noch abfedert, lösen sich unter seinen Füßen Bruchstücke der Rinde ab und bewegen sich zu allen Seiten fort. Denn wenn man Dinge mit überwältigender Kraft trifft ... ... dann zersplittern sie. Zum Zeitpunkt seines Aufpralls hat sich unter Irukas Füßen bereits Chakra gesammelt, sorgsam konzentriert und abgestimmt. Mit beiden Sohlen und der Innenfläche einer Hand hängt Iruka am Baumstamm, knapp dreißig Meter hoch, und bewegt sich dabei vorsichtig um den Stamm herum. Auf der Lichtung vor ihm findet er exakt den Mann, den er gesucht hat. Und er findet die Blume, die den fremdartigen Geruch ausgestrahlt hat. Das Seltsame ist nur, ... ... dass die fremdartige Blume zu Hundertschaften über die weite Lichtung verteilt ist ... ... und Kakashi Hatake auch. Iruka ließ sich fallen, kam zuerst mit dem linken und dann mit dem rechten Fuß auf dem weichen Waldboden auf. Er federte in einer fließenden Bewegung ab und richtete sich dann wieder zu seiner vollen Größe auf. Vor ihm im Halbdunkeln der Frühlingsnacht befand sich eine Mauer von schattenhaften Doppelgängern. Und sie alle trugen das Gesicht und die Kleidung des geheimnisvollen Jonins namens Kakashi. „Ich wusste, ich würde Sie hier finden“, sagte Iruka vorsichtig und seine Augen wanderten dabei von Doppelgänger zu Doppelgänger. An den Rändern der Kakashi-Mauer bauten sich nun weitere Exemplare des Ninjas auf; etliche Gesichter, jedes von ihnen fast vollständig von Stirnband und einem schwarzen Tuch verborgen, verdeckt bis auf ein einziges, ausdrucksloses Auge. „Iruka“, sagte einer der Kakashis und nickte dem Chunin zur Begrüßung zu. Fast schon wollte Iruka auf diesen Kakashi zugehen und ihn als den echten identifizieren, da nickten einige andere Doppelgänger ebenfalls. „Der Wald von Konoha ist nicht so groß, wie man denken möchte“, sagte ein Kakashi, der einige Meter entfernt stand, nahe dem Rand der Menschenwand. „Er ist sogar noch größer“, gab Iruka zurück. „Aber ich wusste, ich würde Sie auf dieser Lichtung finden.“ Er bemühte sich, sicher und gefestigt zu klingen. Ich bin einer Vermutung nachgegangen, von ‚wissen’ kann keine Rede sein. Wieso will ich einen Jonin mit Übertreibungen täuschen? Ein Kakashi trat aus der Menge heraus. „So?“ Iruka nickte zögernd. „Ich halte Sie für einen Menschen, der sich von allem und allen losgesagt hat. Sie sind gern allein.“ Er machte eine knappe Bewegung mit der rechten Hand und deutete dabei auf den von stark duftenden, seltsamen Blumen überzogenen Waldboden. „Und wo könnte man besser allein sein, als auf einem geheimen Friedhof voller begrabener Missing-Nin?“ Der vorgetretene Kakashi legte den Kopf um zwei oder drei Grad – kaum merklich also – schief und Iruka glaubte, unter dem schwarzen Gesichtstuch ein schwaches Grinsen zu erkennen. Kakashi warf der Armee von Doppelgängern einen Blick über die Schulter zu. „Ich bin gern allein?“ Iruka lächelte vorsichtig, wusste nicht genau, was er erwidern sollte. Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass ein Ninja wie Kakashi möglicherweise auf der gesamten Welt keine anderen Gleichgesinnten finden würde als seine eigenen Doppelgänger. Einen Moment lang fragte Iruka sich, was diese intelligenten, eigenständigen Kopien wohl für Naruto bedeuten mochten. Szenen, verwaschen und verschwommen, tauchten schwerfällig aus dem Meer seiner Erinnerungen auf. Iruka sah Naruto vor sich, wie er immer wieder daran scheiterte, ein einfaches Illusionsbild zu schaffen. Ein Abbild Irukas hatte Naruto nicht schaffen wollen – das Ergebnis war eine überaus nackte Frau gewesen. Und was war geschehen, als Naruto eine Illusionskopie von sich selbst hatte erstellen sollen? Die Kopie war deformiert und kaum lebensfähig gewesen. Damals hatte Iruka geglaubt, ein Mangel an Übung und Talent sei der Grund dafür gewesen. Erst später war ihm bewusst geworden, ... ... dass jemand, der in seinem Innersten von Selbstzweifeln zerfressen ist, sich niemals selbst duplizieren kann. Naruto ... Das Gedankenbild des blonden, querköpfigen Genins erinnerte Iruka schlagartig an den Grund, warum er Kakashi aufgesucht hatte – und das noch in der Nacht nach dessen Rückkehr nach Konoha. „Sie waren im Wellenreich“, sagte er zum vorderen Kakashi. „Mit Team 7.“ „Sie sind wegen Naruto hier, hm?“ Kakashis Antwort überraschte Iruka. Er hatte einem Menschen, der sich so von anderen distanzierte, irgendwie nicht zugetraut, ihn derart gut lesen zu können. Wir leben um zu lernen, musste er einmal mehr erkennen. „Ich habe den Einsatzbericht gelesen“, fuhr Iruka fort. „Ihr Auftraggeber hat gelogen, was die Schwierigkeit der Mission betraf. Der Kampf gegen einen Ninja wie Zabuza ist für einen Genin ...“ Iruka suchte nach den Worten. „Das hätte nicht passieren dürfen. Naruto hätte sterben können.“ Kakashi blieb seelenruhig, obgleich Iruka beim Aussprechen seines Anliegens ungewollt alles wie eine Anklage hatte klingen lassen. Oder ... War es nicht eigentlich genau das? Eine Anklage? Ein Vorwurf? „Sie machen sich zu viele Sorgen um ihn“, kam Kakashis knappe Antwort. „Und Sie ...“ Iruka biss sich auf die Lippen. „Nur sehr wenige.“ Einer der anderen Doppelgänger meldete sich zu Wort. „Das stimmt nicht.“ Ein Schweigen trat ein. Irukas Blick wanderte über die Menschenmenge vor ihm. Es war dunkel, denn nur wenige Sternen durchdrangen das Meer von Wolken, das hoch über der Lichtung hing. Manchmal, wenn Iruka zu lange in den Himmel sah, dann wurde ihm bewusst, dass dessen Weite und Unendlichkeit nichts anderes als ein Abgrund war. Eine schreckliche, in diesem Moment rabenschwarze Tiefe und nur die Schwerkraft bewahrte ihn davor, hineinzustürzen. Unter seinen mit einzelnen Eisenplatten versehenen, aus festem Leder gefertigten Schuhen war eine der seltsamen Blumen eingeknickt. Ihre Blütenblätter schimmerten leicht bläulich, doch das mochte auch der Nacht zuzuschreiben sein, die die tatsächliche Farbe ebenso auszulöschen schien, wie sie auch dem Rest der Waldlichtung alles Vielfarbige raubte und durch dunkle Blautöne ersetzte. Der Duft, der von den Blüten emittiert wurde, schien die gesamte Luft der Lichtung zu füllen und Iruka glaubte fast, ihn als Wolke sehen zu können. Der Geruch war mehr als ungewohnt und doch verband er eine Erinnerung mit ihm. An jemanden, der schon lange, mitsamt Namen, aus seinem Leben gegangen war ... Iruka riss sich aus seinen Gedanken und besann sich wieder auf den Wortwechsel mit Kakashi. „Naruto“, sagte er, „mag seine verborgenen Talente haben, aber er hat auf der Akademie als Schlechtester seines Jahrgangs abgeschnitten. Dieser Leibwächter-Auftrag hat ihn in Lebensgefahr gebracht.“ „Ein Ninja“, begann ein Kakashi, der in der zweiten Reihe der Masse von Doppelgängern stand, „ist von dem Augenblick in Lebensgefahr, in dem er ein Ninja wird. Von der Sekunde an, in der er die Akademie erfolgreich abschließt.“ Iruka öffnete den Mund, doch ihm fehlten die Worte. „Wenn Sie Naruto nicht in Gefahr bringen wollten, dann hätten Sie ihn niemals bestehen lassen dürfen.“ Ein anderer Kakashi trat vor und sagte: „Andererseits: Wäre Naruto noch immer an die Akademie gefesselt, dann wäre er sehr viel schwächer im Kampf, als er jetzt ist. In Konoha hat Naruto gelernt, was geistige Stärke bedeutet. Auch wenn er darunter gelitten hat, in Einsamkeit zu leben – er hat gelernt, wie man das macht. Und Sie haben ihm schließlich gezeigt, dass man keine Streiche spielen muss, um respektiert zu werden.“ Der Kakashi, der einige Schritte vor den anderen stand, nickte seinem Doppelgänger stumm zu und richtete den Blick des einzelnen Auges dann wieder auf Iruka. „Wenn ich Naruto vorher gefragt hätte“, sagte Kakashi leise und behutsam, „ob er mit mir auf eine Mission gehen und gegen einen der gefährlichsten Attentäter dieser Region kämpfen will ...“ Irukas Augen weiteten sich. In seinem Kopf erwachten Bilder, begleitet von Stimmen. Er sah Naruto vor sich, sah, wie der junge Ninja ihn angrinste und erklärte, alle anderen übertreffen zu wollen und Hokage zu werden. „... er hätte nicht einen Moment gezögert“, beendete Iruka Kakashis Satz. „Naruto geht keine leichten Wege. Nie.“ Kakashi nickte und das eine, unverhüllte Auge strahlte tatsächlich so etwas wie Freundlichkeit aus. „Er geht seinen eigenen Ninja-Weg. Und obwohl wir beide seine Lehrer sind, haben wir diesen Weg nicht zu bestimmen. Wir halten ihm nur den Rücken frei.“ Iruka rang sich ein zuversichtliches Lächeln ab. Er konnte sich auf einmal nicht mehr entsinnen, was er eigentlich von Kakashi hatte hören wollen: Eine Entschuldigung? Kindisch. Eine Erklärung? Unnötig. Er war hergekommen, weil er gespürt hatte, herkommen zu müssen, weil er mit jemandem darüber reden wollte ... ... und in einem leuchtenden, warmen Moment erkannte Iruka, was er hier, spät nachts in der Gegenwart von Kakashi Hatake gesucht und gefunden hatte: Gewissheit. Gewissheit, dass es noch einen zweiten Menschen gab, dem auf seine eigene unverwechselbare Art ebenso viel an Naruto lag, wie ihm selbst. Bedauerlicherweise endete dieser Moment damit, dass der vordere Kakashi blitzartig einen Schritt vortrat und Iruka mit einem pechschwarzen Kunai mitten in den Bauch stach. Kakashi Hatake wurde zum Opfer stummer Erkenntnis. Er befand sich am Rande der Mauer aus Ebenbildern; selbige war schon zu einem Bogen, fast zu einem Halbkreis um Iruka geworden. Noch immer gab es mehrere, undeutlich verlaufende Reihen; etwa sieben oder acht an der Zahl. Kakashi schätzte, dass er ungefähr 200 Schatten-Doppelgänger erschaffen hatte. Er hatte das getan, um dem Konflikt, den er mit sich selbst austrug, mehrere Stimmen zu geben. Über zwei Stunden lang hatte er ungestört auf diesem von seltsamen Blumen überzogenen Friedhof Fragen auf seine Ebenbilder losgelassen und etliche Antworten waren aus dem Menschenmeer damit aus den Tiefen von Kakashis Geist entwachsen. Leider war – Kakashis Ansicht nach – eine solche Frage, auf die es mehr als eine Antwort gab, nicht beantwortet. Und so hatte sich die Diskussion unter ihm und seinen Doppelgängern immer weiter fortgesetzt. Bis schließlich Iruka eingetroffen war – eigentlich ein glücklicher Zufall, denn ebenso wenig, wie Kakashi jegliche Art von Bindungen oder Verknüpfungen wollte, hätte er Wert auf einen Konoha-Ninja gelegt, der ihm hinter seinem Rücken eine Fehlentscheidung vorwarf. Und sich damit der Meinung von exakt 42 Schatten-Doppelgängern anschloss. Habe ich das Richtige getan?, hatte Kakashi seinen Ebenbildern zugerufen, mitten hinein in die dunkle Frühlingsnacht. Jeder einzelne der 200 wusste, dass Kakashi Hatake erst zweimal ein Genin-Team angeführt hatte. Das erste Mal war die Mission in eine Katastrophe gemündet, das zweite Mal fast. Jeder einzelne der 200 zweifelte. Und dann plötzlich hatte einer von ihnen auf Iruka eingestochen. Kakashi reagierte noch im selben Augenblick; sprang mit einem gewaltigen Satz nach vorne, indem er große Chakra-Mengen unter seinen Schuhsohlen sammelte und beinahe zur Explosion brachte. Noch mitten im Sprung traf er den Doppelgänger mit einem präzisen Schlag ins maskierten Gesicht, noch ehe dieser das Kunai aus Irukas Bauch herausziehen konnte. Wie tief steckt es? Hat er lebenswichtige Organe getroffen? Die Wand von Kakashis erwachte nun ebenfalls aus der Starre, fingen den aus dem Gleichgewicht geratenen Verräter auf, und hielten ihn zu dritt fest. Der echte Kakashi, ausgestattet nur mit einem Bruchteil seiner eigentlichen Chakra, lenkte Energien in seine linke Hand, berührte die Rüstung des zusammengesackten Irukas und betäubte die Stelle, in der noch immer das schwarze, matt glänzende Kunai steckte. Er zog es heraus; Blut spritzte, aber Iruka schrie nicht. „Was ...“, keuchte der Chunin. Kakashi sah ihn für einen Sekundenbruchteil hilflos und fast gelähmt an, doch dieser Moment verging so schnell, dass er ihn selbst kaum bemerkte. Er brachte Iruka blitzartig in eine liegende Position und wirbelte dann zu der Menschenmenge aus Ebenbildern herum. Auf einmal schlug ein Kakashi nach einem anderen, manche hatten plötzlich Kunais in der Hand und stachen auf die anderen ein. Die Opfer wehrten sich gegen die Verräter, doch die freiliegenden Augen waren allesamt vor Schreck aufgerissen. Die Blumen! Ich hätte es wissen müssen! Hastig sog Kakashi ein letztes Mal die vielleicht giftige Luft ein, weil ihm keine Wahl blieb, dann brachte er beide Hände, so schnell und präzise er konnte, auf Brusthöhe. Muss die Doppelgänger auflösen! In seinem Geist fand er die Energien etlicher von ihnen und es wäre ein Leichtes gewesen, sie verschwinden zu lassen. Doch mit gut der Hälfte der Doppelgänger stimmte etwas ganz und gar nicht: Kakashis Chakra war zwar noch immer auf sie verteilt und von dieser Energie lebten sie, ... ... doch sie ließen sich nicht mehr auflösen. Etwas stabilisierte sie. Oder jemand. Kakashi brachte die Hände in Abwehrhaltung; die Entscheidung, keinen einzigen der 200 Ebenbilder zu löschen, hatte er binnen eines Herzschlages getroffen. Er hätte dann allein einhundert Verrätern gegenüber gestanden und auch mit einer größeren Menge an Chakra hätte er keine Chance auf einen Sieg gehabt. Denn auch wenn beispielsweise Naruto das noch nicht erkannt hatte: Der Trick bei den Schattendoppelgängern bestand nicht nur in der Möglichkeit des Umzingelns oder Angst-Einjagens. Sondern darin, dass jeder Doppelgänger die gleiche Intelligenz wie das Original besaß. Also eine Schlacht. Kakashi biss unter dem Gesichtstuch die Zähne zusammen und setzte nach vorne, schmetterte einem Verräter, der ihm den Rücken zugewandt hatte, das Kunai aus der zum Angriff erhobenen Hand. Fast gleichzeitig riss er einen Wurfstern vom Gürtel los, umklammerte mit beiden Händen den taumelnden Verräter, und zog den Stern dann ruckartig am bloßen Hals des Ebenbildes vorbei. Eine Fontäne aus rotem Blut erwachte, verblasste aber sogleich, als würde sie vom Wind zerstäubt werden; gleichzeitig löste sich mit einem satten Knall der Verräter in Luft und dichten Nebel auf. Durch den Nebel hindurch warf Kakashi den nun wieder blutfreien Wurfstern und traf ein weiteres Ebenbild am Hals. Gut. Nur noch 100 weitere. „Du hättest einen Doppelgänger zu Iruka springen lassen sollen“, erklang plötzlich eine Stimme, deren Klang weiblich, aber irritierend rau war. „Dann wüsste ich jetzt nicht, wer der echte ist.“ Drei Schritte von ihm entfernt, inmitten der Schlacht, stand ein junges Mädchen. Seine Kleidung bestand aus nicht viel mehr als Fetzen, die an vielen Stellen entblößte Haut war wund und vernarbt. An der freiliegenden linken Schulter konnte Kakashi einen grünlichen Placken ausmachen und aufgrund seiner ANBU-Vergangenheit als eine Vergiftung mit einer stückweise die Zellen deformierenden Substanz erkennen. Doch neben all der Narben und Verletzungen waren das Schlimmste die Augen. Denn sie fehlten. Von Schmerzen begleitet kam Iruka wieder auf die Beine und zwang sich dazu, sich nicht die blutende Stichwunde am Bauch zu halten, um so keine Schwäche zu zeigen. Intuitiv und berauscht vom Adrenalin duckte er sich unter einem geworfenen Wurfstern hinweg. Irgendwo knallte es und Iruka glaubte, das Geräusch dem ‚Tod’ eines Doppelgängers zuordnen zu können. Inmitten des Chaos und der Gewalt konnte der Chunin eine Frau ausmachen. Sie besaß keine Augen mehr und ihre Haut sah aus, als hätte jemand vom Kaliber eines Ibiki Morino sie gefoltert, vielleicht über Tage hinweg. Iruka konnte kaum glauben, dass die offenbar noch schrecklich junge Frau, beim genaueren Hinsehen noch ein Mädchen, aufrecht stehen konnte. Doch sie tat es. Sie stand einfach da. Und sie sah auf eine grausame Art ... zersplittert ... aus. Ein paar Schritte von ihr entfernt stand ein regungsloser und zweifellos echter Kakashi Hatake. Iruka eilte den beiden entgegen, verfiel dabei fast ins Wanken, als er sich an kämpfenden Doppelgängern vorbeischob. Angst keimte in ihm auf, ein Kind des schrecklichen Gedankens, dass jeden Augenblick ein Kunai seinen Weg in seine Schläfe finden konnte. „Hana!“, rief er und kam taumelnd zum Stehen, einen Meter neben Kakashi. „Hana ...“ Hana richtete ihren augenlosen Kopf auf Iruka aus. „Du erinnerst dich also. Meister Kakashi tut das nicht.“ „Du warst eine Schülerin auf der Akademie ... vor drei Jahren ...“, keuchte Iruka und fühlte, wie seine Kräfte ihn gleichzeitig mit immer mehr Blut zu verlassen schienen. „Du warst ... Du warst großartig ...“ Sie machte einen Schritt nach vorn; zwischen den Fingern ihrer zur Faust geballten Hand steckten plötzlich drei Kunai; ein Grinsen stahl sich auf ihr augenloses Gesicht und es war beinahe das einer wutentbrannten Furie. „Großartig, ja?“, fauchte sie. „Sag das Kakashi! Sag das der Welt!“ „Was?“ Kakashi machte ein Geräusch, das Iruka wie ein erkennendes Räuspern vorkam. „Ich hab’ dich durchfallen lassen, Hana“, sagte der vermummte Ninja dann. „Das ist es, nicht wahr? Du und die zwei anderen, ihr habt den Test nicht bestanden.“ Plötzlich wurde ihr wütendes Gestikulieren zu einer Angriffsbewegung; plötzlich sprang Hana vor; plötzlich schmetterte sie die Faust mit den drei Kunais auf Kakashi zu, als wolle sie sein Herz erdolchen. Iruka wich seitlich aus, erkannte in der Bewegung, wie der Jonin Hanas Angriff abfing – jedoch sichtlich unter Anstrengungen. Die Doppelgänger!, verstand Iruka. Sie kosten ihn zuviel Chakra und offenbar kann er sie nicht auflösen! Seine Schmerzen niederkämpfend schnellte er nach vorne, direkt auf Hana zu, und holte zum Schlag aus; packte sie dann aber am Kopf und riss sie von Kakashi weg. Wie kann sie sehen? Eine spezielle Ninjutsu-Technik? Hana prallte auf. „Du hast mich gemocht, Iruka“, zischte sie; auf dem Boden kauernd, inmitten der blauen Blumen. „Du hast mich an der Akademie bestehen lassen, obwohl ich noch nicht soweit war! Und anstatt mir das beizubringen, was du versäumt hast, hat Kakashi mich dann einfach fortgeschickt!“ Während sie wieder auf die Beine kam, trat der Jonin auf sie zu. Um sie herum tobte noch immer die Schlacht der Doppelgänger, wobei die Anzahl beider Parteien sich zu verringern schien. „Die Arbeit in einem Team“, sagte Kakashi mit fester, fast zorniger Stimme, „bringt einem niemand bei. Die hat man ganz allein zu lernen, aus dem Leben heraus.“ „Das Leben!“, gab sie zurück und spuckte vor ihn in das Feld bläulicher Blumen. „Ich bin fort von Konoha! Ich wurde zu einer Abtrünnigen, weil ihr mich nicht wolltet! Andere kamen und sie haben mich gefoltert ...!“ Iruka schluckte, während seine Wunde mit jedem Herzschlag schmerzhafter wurde. „Rache also ...“, sagte er leise. „Weil wir an dir versagt haben ...“ Kakashi Hatake griff an sein Stirnband und zog es ein wenig hoch. Das Sharingan-Auge lag nun frei; die von zackigen Formen umgebene Pupille wuchs und schrumpfte, während sie sich an die Dunkelheit, die Umgebung und die Bewegungen etlicher Kakashi-Doppelgänger gewöhnte. Kakashis Wahrnehmung nahm zu und überwältigte ihn fast, als er seinen Blick auf die kämpfende Menge aus Doppelgängern richtete. Einige von ihnen, eine schrumpfende Minderheit, war von wirbelnden Teilchen durchzogen. Besonders winzigen Blütenpollen. Damit hatte Hana die über wenig Willensstärke verfügenden Doppelgänger in gedankenlose Rage versetzt. Kakashis Herz wurde schwer, als er sich an den Moment entsann, in dem er Hana das erste Mal getroffen hatte. „Erzählt mir was über euch ... Was ihr mögt ... Was ihr hasst ...“ – „Hier! Ich will anfangen!“ – „Okay.“ – „Ich mag Iruka! Und ich mag Blumen! Meine Familie kann das Verhalten von Blumen beeinflussen. Bald darf ich die Blumenart aussähen, die ich gekreuzt habe, und im Frühling wird jeder sie bewundern!“ „Tut mir Leid, Hana“, sagte er und blickte die junge Frau, die sich nun kaum noch auf den Beinen halten konnte, bedauernd an. „Tut mir Leid, dass es hierzu gekommen ist. Aber du bist jetzt zuhause und wir können dir helfen.“ „Nein“, flüsterte sie. „Weder noch.“ Dann sprang sie auf. Ein Kunai in jeder Hand. Sie flog auf den vor Schmerz gelähmten Iruka zu. Kakashi war zu weit entfernt, um Iruka sicher zu schützen. Zu geschwächt war er durch das Chakra-zehrende Sharingan und das Zersplittern seiner Kraft auf die Doppelgänger. Hana bewegte sich durch die Luft. Kam Iruka immer näher. Kakashi entschied, den Angriff kurz vor Iruka abzufangen, weil er dann vielleicht beide Leben retten konnte. Einer der Doppelgänger ... ... ein zersplitterter Teil von Kakashi ... ... entschied anders. Sein Wurfstern traf Hana mitten ins Herz. Die junge Frau war sofort tot und brach inmitten jener Blumen zusammen, die sie vor vielen Monaten für allein diesen Tag geschaffen hatte. Als eine Missing-Nin lag sie nun auf einem unmarkierten Friedhof anderer Abtrünniger. Und als ein Mädchen aus Konoha starb sie im Schatten der Blätter. Einige Blumen beugten ihre Blüten zu ihr herab. Kakashi löste den Doppelgänger, der sie getötet hatte, nicht zusammen mit all den anderen auf. Sondern ließ ihn Selbstmord begehen. Er zerplatzte zu zerklüfteten Nebelwolken, die sich bald in der Luft der Frühlingsnacht verloren. Ehe sich die Sterne in einer einzelnen Träne Kakashis spiegeln konnten, zog er sein Stirnband wieder über das Sharingan. Es ist Nacht. Auf einer von Blumen überwachsenen Friedhofslichtung stehen zwei Menschen. Sie sind Lehrer. Sie sind Schüler. Sie handeln richtig. Sie handeln falsch. Wiegt man alles gegeneinander ab, dann kommt man zu dem Schluss, dass sie einfach nur existieren. Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)