Tagebuch einer Irren von si-chan ================================================================================ Kapitel 1: Montag ----------------- Tagebuch einer Irren: Montag: Montage, ich hasse sie. Schon wieder zu spät zur Schule gekommen. Schon wieder nicht alle Hausaufgaben erledigt, schon wieder eine neue Strafarbeit. Ich höre ihr Schadenfrohes Lachen sogar noch hier, sogar noch dann wenn sie schon lange nicht mehr da sind. Und ich sehe die Finger mit denen sie heimlich auf mich zeigen, wenn sie denken sie wären unbeobachtet. Und ich fühle die Papierschnipsel die sie mir an den Kopf werfen. Aber vor allem höre ich die hämischen Bemerkungen über mich, die Gerüchte, die sie hinter vorgehaltener Hand über mich verbreiten. Und es tut weh…es hinterlässt einen weiteren tiefen Riss. Ich solle stark sein und sie einfach ignorieren, sagt meine Mutter. Ich solle es ihnen mit einer guten Leistung beweisen, sagt mein Vater. Ich sollte mir vielleicht eine andere Schule suchen, sagen die Lehrer. Und meine Mitschüler reden schon lange nicht mehr mit mir, sondern nur noch über mich. Ob ich selber schuld daran bin? Diese Frage stelle ich mir auch. Aber ist es meine Schuld, wenn sie mich nicht verstehen? Hätte ich mich einfach anpassen sollen, obwohl ich das nicht wollte? Wäre es richtig gewesen mich zu verstellen nur um mir Freunde zu erschleichen? Bin ich selber schuld daran, wenn sie mich „Monster“ nennen, oder „Verrückte“? Ich kann nicht mehr schlafen, dabei bin ich so müde. Auf der Packung steht zwei Dragees würden ausreichen…ich sollte wohl eine oder zwei mehr nehmen, nur um sicher zu gehen. Ich will endlich mal wieder schlafen können, ohne diese andauernden Alpträume. Der Traum von letzter Nacht war besonders schlimm gewesen. Es war alles Dunkel und so still, nur ab und zu durchzuckte ein grelles Licht die Finsternis. Doch mit dem Licht kam der Lärm, die Beschimpfungen die sie mir entgegenschleuderten, die Tritte, die gestellten Beine in der Pausenhalle, alles stürzte auf mich ein, und es zeriss mich beinahe vor Schmerzen. Darauf folgte wieder die erdrückende Dunkelheit. Das letzt grelle Licht war das schlimmste von allen, es schien beinahe so als würden die Lichter immer stärker werden. Nach dem letzten wachte ich schreiend auf. Und selbst als ich wach war tat es noch unendlich weh. Vielleicht würden die Alpträume aufhören wenn ich die Schule ganz einfach abbrechen würde, ich werde dieses Jahr voraussichtlich sowieso nicht schaffen. Nicht dass ich, oder sonst irgendjemand, das erwartet hätte. Ich bin und bleibe eine Enttäuschung. Für die Lehrer, die mich schon längst aufgegeben haben, meine Eltern, für die die Welt noch immer rosarot ist, für meinen Bruder, der seinen Abschluss mit Bravur geschafft hat und jetzt erfolgreich ist. Und was ist mit mir? Habe ich mich selber auch enttäuscht? Ich glaube nicht, denn dazu hätte ich zuerst mal Erwartungen an mich selbst stellen müssen, oder reicht es wenn andere das tun? Es ist nicht so dass ich es nicht versucht hätte. Freunde zu finden und mich anzupassen und all so was. Ich habe nur gnadenlos versagt. Ich wollte mir meine eigene Meinung nicht verbiegen lassen und ich wollte nicht nur die Anforderungen erfüllen die andere an mich stellten. Schlafen, ja ich werde einfach schlafen…am besten ich verschlafe gleich den kläglichen Rest meines erbärmlichen Lebens. Ich nehme am besten noch mal ein paar von diesen Pillen…die wirken einfach nicht richtig. Wie viele davon wohl gehen? Ich bin so müde… Kapitel 2: Dienstag ------------------- Dienstag: Freak!!! Sie schreien mich an. Warum nennen sie mich so? Sie haben es schon wieder getan. Als ich nach dem Schwimmunterricht aus der Dusche kam, waren meine Sachen weg. Sie schwammen im Becken. Ich durfte nicht nach Hause um mich umzuziehen. Ich sollte das nächste Mal besser aufpassen, es solle mir eine Lehre sein vorsichtiger zu sein. Ich habe ihnen doch gesagt, dass es nicht meine Schuld gewesen ist, aber sie hörten mir gar nicht zu. Für die bin ich doch immer Schuld, egal an was, ich bin immer Schuld. Andere tragen nie die Schuld, immer ich. Sie sehen die blauen Flecken, sie krausen die Stirn darüber, aber helfen tun sie mir nicht. Ich bin ja selber Schuld. Selber schuld, wen mein Vater mich verprügelt. Ich hätte nur mehr lernen müssen, damit ich NICHT sitzenbleibe. Dann hätte er einen anderen Grund gefunden mich zu schlagen. Ihre Gleichgültigkeit schmerzt viel mehr als die Gürtelschnalle meines Vaters. Nicht körperlich…dennoch tut es viel mehr weh. Ich frage mich wie weit er gehen müsste, bis irgendjemand eingreifen würde. Soll ich es einfach mal provozieren? Nur um zu sehen, ob es auch nur einen Menschen auf dieser Welt gibt, dem ich wichtig genug bin um die Polizei zu rufen? Was habe ich zu verlieren? Die Schläge machen mir nichts mehr…ich bin es ja langsam gewohnt. Es ist schon seltsam, ich erinnere mich nicht daran, dass mein Bruder auch nur ein einziges Mal geschlagen wurde. Warum also ich? Spätestens Morgen wird es wieder Ärger geben. Wenn erneut ein Anruf von meinem Englischlehrer kommt, mit der Nachricht ich hätte schon wieder ne sechs geschrieben. Wenn ich nur wüsste wie ich ihn von diesem Anruf abhalten könnte. Ich hatte schon wieder diesen seltsamen Traum. Doch dieses Mal entfernten sich die Lichter von mir. Es war genau so schmerzhaft wenn sie auftauchten, aber es war, als wäre ich es nicht einmal wert, dass diese Lichter mich trafen, um mich zu verletzen. Sie hatten besseres zu tun. Meine Schmerzen waren Nebensache, rein zufällig. Und vielleicht kommt dieser Traum der Wirklichkeit ja näher als mir eigentlich lieb ist. Für sie ist es doch auch nur ein Hobby zum Zeitvertreib, mich zu quälen. Niemand denkt sich was dabei, alle quälen doch die Psychotussi. Ist doch fast schon ein neuer Volkssport. Ich weiß nicht wie lange ich das noch ertragen kann, ohne Hilfe. Spätestens Morgen gibt es sowieso wieder Ärger…dann kann er mir die Flasche Whiskey auch gleich auf die Rechnung setzten. Aber vielleicht kann ich endlich mal wieder in einen Traumlosen Schlaf fallen. Dornröschen weiß gar nicht wie schön sie es hatte, dass sie 100 Jahre schlafen durfte… Kapitel 3: Mittwoch ------------------- Mittwoch: Es tut kaum weh. Ganz im Gegenteil, es lässt mich vergessen. Es ist ganz warm. Ich sehe im zu wie es langsam über meinen Arm läuft. Im Zickzack streicht es über meinen Unterarm, dann übers Handgelenk bis hin zu meinen Fingerspitzen, wo es sich zum Tropfen sammelt und auf den weiß gefliesten Badezimmerboden fällt. Es hinterlässt nur einen roten Strich, der den Weg markiert. Wieso muss es rot sein??? Es macht mich schmutzig. Sie haben also doch recht wenn sie mich „Drecksstück“ nennen. In der Pause segelten meine Sachen aus dem Fenster im vierten Stock. Selbst mein Handy. Ich stand unten und musste zusehen wie es einen halben Meter neben meinen Füßen am Boden zerschellte. All meine Aufschriebe wurden vom Wind weit zerstreut. Ich habe mir nicht mal die Mühe gemacht sie einzusammeln. Wozu? Morgen würden sie eh wieder aus dem Fenster segeln. Nur das Handy tat weh. Ja richtig schmerzhaft. Es war neu. Kaum drei Wochen alt. Meine Eltern haben es für mich gekauft und ich habe dafür bezahlt, dass andere es kaputt gemacht haben. Die blauen Flecken werden viel mehr auffallen als der kleine Kratzer auf meinem Arm. Selbst wenn es auffallen würde, es hat noch nie jemand bemerkt. Mir hat noch nie jemand geholfen. Wieso sollte es dieses Mal anders sein!? Kann ein einzelner Mensch so viel Unheil auf einmal anziehen, wie ich? Seltsam. Ich halte die Rasierklinge noch immer in meiner Hand. Es hat etwas tröstendes, wenn ich sie in meiner Hand fühle. Und es ist beruhigend zu wissen, dass ich sie nicht erst suchen muss. Es ist besser ich lege sie überhaupt nicht mehr aus der Hand. Ich brauche sie so oft, es würde sich gar nicht lohnen. Mein Vater hat die fehlende Whiskey Flasche bemerkt. Wie schön es gewirkt hat. Ich habe es nicht einmal gespürt als er mich getreten hat, oder mir Büschelweise die Haare ausgerissen hat. Ich glaube ich habe einfach nur gelächelt. Ich wusste ja schon vorher was passieren würde. Aber auch das ist eine positive Wirkung von Alkohol, ich erinnere mich kaum noch was wirklich passiert ist. Noch ein Schnitt, noch mehr Blut. Nein. Ich will mich nicht erinnern was passiert ist. Schmerzen helfen andere Schmerzen zu vergessen. Ruhig sucht sich mein Blut seinen Weg über meinen Arm. Wieder ein Tropfen der zu Boden fällt. Ich muss sauber machen, bevor meine Mutter diese Schweinerei sieht. Sie wäre ziemlich sauer wenn sie die roten Flecken auf ihren weißen Fliesen sehen würde. Sie hat die Wohnung doch so liebevoll eingerichtet. Sie würde mir nie verzeihen und würde wieder anfangen zu weinen und vielleicht würde sie es dieses Mal schaffen sich zu erhängen. Ich muss auf meine Rasierklinge aufpassen, damit sie Mutter nicht findet. Am besten ich lege sie nicht mehr aus der Hand… Es ist schon spät. Ich sollte schlafen gehen, immerhin wartet morgen eine wichtige Klausur auf mich. Doch ich fürchte mich davor, zu Bett zu gehen. Ich fürchte mich vor dem Augenblick, in dem er wieder in mein Zimmer kommt. Ich fürchte mich vor seinen Händen, die mich wieder berühren. Die Klinge senkt sich erneut auf meinen Arm. Doch sie schneidet nicht. Nicht da, wo die anderen Schnitte sind… Ich will nur vergessen. Die einzelnen Tropfen vor meinen Füßen verwandeln sich in eine dunkelrote Pfütze. Zu viel Blut fließt aus der Wunde. Verdammt! Der Schnitt war zu tief. Meine Hand zittert, ich kann die Klinge nicht mehr halten, sie rutscht mir aus der Hand. Ein dumpfer Platscher. Dunkelrote Pfütze. Alles verschwimmt. Der Boden kommt näher. Schwarz. Vergessen… Kapitel 4: Donnerstag --------------------- Donnerstag: Der Nebel lichtete sich irgendwann wieder. Wie viel Zeit war vergangen, seit ich das Bewusstsein verlor? Ein paar Stunden? Oder doch nur wenige Minuten? Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Das erste was ich sah, war meine Mutter. Sie ragte über mir in die Höhe, wie eine Königskobra. Bereit ihre Beute zu verschlingen. Gefährlich, tödlich, gnadenlos. Wütend funkelnde Augen, die mehr sagten, als irgendwelche Worte. Für sie war ich nur Abschaum. Sie brüllte mich an. Ich solle mich mal umschauen, was ich angerichtet hätte. Ich hörte ihr nur halb zu. Mein Handgelenk pulsierte schmerzhaft. Ich lag noch immer auf dem Fußboden. In meinem eigenen Blut. Es klebte überall an mir. Interessierte meine Mutter wirklich nur der Schmutz, den mein dreckiges Blut, auf ihren weißen Fliesen hinterließ? Sonst nichts? Natürlich nicht. Der Schnitt war wohl zu tief gewesen. Aber doch nicht tief genug. Gibt es für mich denn gar kein entrinnen? Sie wird es meinem Vater erzählen, damit nicht sie diejenige ist, die Schläge bekommt, sondern ich. Ich fühle schon wieder die rauen, groben Händen, die sich unter mein T-Shirt schieben und in meine Hose. Es tut weh wenn er es macht. Es ist ekelhaft! Ich will ihn nicht mehr spüren müssen. Wieso hilft mir denn keiner? Bin ich denn wirklich so wenig wert? Weniger als eine Hure, die wenigstens dafür bezahlt wird. Wieso bin ich denn überhaupt wieder aufgewacht? Ich hätte mir selbst so viel erspart wenn ich einfach ein wenig tiefer geschnitten hätte. Die Schule hab ich auch geschwänzt. Es macht nichts mehr aus. Ich bleibe so oder so sitzen. Wozu sollte ich mich dann noch dorthin quälen? Am liebsten würde ich weinen. Aber wie es scheint, habe ich bereits alle Tränen schon geweint. Es ist keine mehr da, die ich noch vergießen könnte. Ist jetzt aber auch nicht mehr schlimm. Der Kerl, dem ich die Pillen abgekauft habe, hat versprochen, dass dadurch alles besser wird. Ich weiß nicht genau, was ich da eigentlich schlucke, aber es spielt eh keine Rolle mehr. Soll es mich doch ruhig umbringen. Wen kümmert das schon. Es geht mir wirklich besser, wenn ich das Zeug schlucke. Wenn auch nicht sehr lange. Aber es macht die Situation mit meinem Vater erträglicher. Dennoch hilft es mir nicht zu vergessen. Dabei will ich doch genau das so sehr. Einfach alles hinter mir lassen. Vergessen! Niemals werde ich meinen Eltern verzeihen können, dass sie mein Leben derart zur Hölle gemacht haben. Aber jetzt reicht es endgültig. Ich werde nicht mehr mitspielen. Soll Vater sich allein vergnügen. Ich verfluche euch alle, die ihr mit angesehen habt, wie ich gelitten habe. Und ich verfluche dieses verdammte Leben, das ich nie wollte. Das wird dann wohl der letzte Eintrag sein. Denn ich will weg sein, bevor ich das Gesicht des Mannes, den ich am meisten hasse, noch einmal sehen muss. Das meines Vaters. Ich habe genug! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)