Prestige von nago ================================================================================ Kapitel 1: Das Versprechen -------------------------- Weite Täler zogen sich über das Land im Osten des großen Reiches Kethuldran. Wochen oder gar Monate hätte man durch dieses Gewölbe irren müssen, um jenes abgelegene Dorf zu finden, an dem unsere Geschichte beginnt. Weit entfernt war es von den prächtigen Städten, die das Land krönten, weit entfernt von wundersamen Geschöpfen und Abenteuern, doch die Bewohner hatten das, was sie brauchten und wollten: Ruhe und Frieden. Ein Außenstehender aus dem prächtigen Westen des Landes hätte jenes Dorf niemals für etwas besonderes gehalten, schon alleine weil man es nicht einmal wirklich als Dorf bezeichnen konnte. Einfach gebaute Häuser aus Lehm und Ziegel oder gar noch aus Holz standen auf diesem Fleckchen Erde herum. Ein festes Straßennetz existierte nicht, von einer Verwaltung ganz zu schweigen. Selbst einen Namen besaß es nicht. Die Einwohner nannten es einfach „Heimat“. Zwei von diesen Einwohnern machten sich gerade auf dem Weg zum Strand, der in der Nähe war. Sie waren beide Jungs im Alter von elf Jahren. In der Hand hielt jeder einen Stock, der ungefähr die Dicke ihres Armes hatte. Einer der beiden hatte schwarze Haare und dunkelbraune Augen, die stark an schwarz grenzten. Er hatte einen guten Körperbau und gesund gebräunte Haut, so wie es sich für einen Jungen seines Alters gehörte. Mit einem fiesen Grinsen schaute er seinen besten Freund an. „Na, Kilian! Bist du bereit, heute wieder gegen mich zu verlieren?“, sagte er mit einem gespielt arroganten Unterton. „Ach, du wirst schon sehen, wer heute gewinnen wird! Diesmal wird alles ganz anders, Luis!“, gab jener Kilian als Antwort zurück. Sein strubbeliges, braunes Haar wehte im aufkommenden Wind, während er ihn mit entschlossenen Augen anfunkelte. Auch er hatte einen guten Körperbau und die gleiche Bräune auf der Haut wie Luis. Am Strand angekommen stellten sie sich mit einem Abstand von vier bis fünf Metern gegenüber. Langsam ging die Sonne in kräftig roten Farben unter, während die beiden ihre Stöcke wie Schwerter in Angriffsstellung erhoben und aufeinander zurannten. Der Kampf, der daraufhin folgte, war ausgeglichen, weshalb sie immer noch heftigst am kämpfen waren, als die Sonne schon vollständig untergegangen war und der Schleier der Dunkelheit sich über das Dorf und dessen Umgebung gelegt hatte. Kilian schien jedoch etwas mehr aus der Puste geraten zu sein als Luis und genau das war der Grund, weshalb Luis immer gewann: er hatte etwas mehr Ausdauer, was ihn im so einem Kampf einfach zum Überlegeneren machte. Kilians Stock schien währenddessen mit jedem Schlag schwerer zu werden. Nach einiger Zeit war er so erschöpft, dass er es kaum noch schaffte, direkte Schläge abzuwehren, geschweige denn einen richtigen Schlagabtausch aufrecht zu halten. Derweil kam Luis jetzt jedoch erst richtig in Fahrt, auch wenn an ihm schon ein gewisses Maß an Erschöpfung zu sehen war. Beiden war klar, wer diesen Kampf mal wieder gewinnen würde. Kilian war enttäuscht. Mit einem Seufzer ließ er seinen Stock fallen und sich zu Boden sinken. Luis kannte diese Reaktion nur zu gut. Er legte den Stock beiseite, setzte sich neben ihn und schaute ihn aufmunternd an. „Mach dir nichts draus.. das einzige, was du tun musst, ist einfach mal deine Ausdauer zu trainieren und dann kannst du bestimmt mit mir mithalten.“, Luis grinste seinen besten Freund an. „Aber immer wenn ich meine Ausdauer trainiert habe, hast du natürlich auch deine trainiert und immer wieder gewonnen.“, die Stimme des Braunhaarigen war trotzig, man konnte sogar ein bisschen Eifersucht aus ihr heraushören. „Dann musst du eben mal schneller sein als ich“, sagte Luis weiterhin grinsend. Schon lange ließ er sich nicht mehr von dieser trotzigen Stimme beirren, denn er kannte ihn natürlich schon so weit, dass er wusste, dass sich Kilians Laune schon in wenigen Minuten bessern würde. Er wusste, dass sich sein Freund nie allzu lange von so etwas herunterziehen ließ. „Na ja... ich kann's ja mal versuchen...“, jedoch klang Kilians Stimme nicht unbedingt überzeugt. Er schaute wieder zu Luis. Dieser war ganz still geworden. Seine Augen waren geschlossen, er lächelte. Er schien wieder dem Rauschen des Meeres zuzuhören. Kilian wusste, dass er das liebte. Er selber schenkte diesem eigentlich nicht viel Beachtung, doch heute tat er es ihm mal gleich. Sofort entspannte sich sein Gesicht als er die Augen schloss und er fühlte sich unglaublich leicht. Eine schwache Meeresbrise strich ihm die Haare leicht von seinem heißen und verschwitzen Gesicht und kühlte es sanft. Das Rauschen des Wassers hörte er nun viel intensiver, er konnte es förmlich spüren. Obwohl er es nicht sah, hörte er, wie das Wasser in leichten Wellen zum Sand hin und wieder zurück zu gleiten schien und ihn so fortspülte. Er hörte, wie es gegen das große Kliff traf und wieder zurück schwappte. Es war ein wunderbar freies Gefühl, das er in diesem Moment verspürte, sodass er seine Arme ausbreiten und sich einfach in den Sand fallen lassen wollte, was er sicherlich sogleich getan hätte, wenn Luis nicht als erster die lang anhaltende Stille durchbrochen hätte, sodass er seine Augen wohl oder übel wieder öffnen musste. „Was denkst du, was da ganz weit am Ende des Horizonts ist?“, sehnsüchtig blickte Luis an eben jenen Horizont des Meeres. „Natürlich ein riesiger Wasserfall, der ins Nichts führt. So hat uns das der alte Kobold doch erzählt.“ Ganz gewiss war es kein alter Kobold, der ihnen das erzählt hatte, sondern ein ganz normaler Siedler aus dem Dorf. Nun ja... ganz normal hätte man ihn auch nicht nennen können. Er hatte stets eine lange, weiße Robe an. Seine Haare und sein Bart waren so lang, dass sie schon den Boden streiften, doch er weigerte sich strikt, sie schneiden zu lassen. Außerdem hatte er außerordentlich lange, spitze Ohren, die deutlich aus seiner Haarpracht herausragten. Dazu war er auch noch der älteste im Dorf, weshalb die beiden ihm den Spitznamen 'alter Kobold' gaben, worüber er sich immer sehr aufregte, was die beiden wiederum belustigte. Er war wahrlich ein alter Kauz, doch kein einziger der Bewohner konnte bestreiten, dass er unglaublich weise und klug war. Mit jedem Problem konnte man zu ihm kommen und er wusste immer eine Antwort. „Also.. ich weiß ja, dass er sehr weise und das alles ist, aber er ist doch noch nie dort gewesen. Er selber hat gesagt, dass noch nie irgendein Wesen zu diesem Horizont gereist ist.“, erwiderte Luis mit einem trotzigen Unterton. „Das stimmt schon, aber nur weil die Strömung bei den Wasserfällen so stark ist, dass sie sonst in die Tiefe gerissen werden würden.“ „Und genau deshalb kann niemand wissen, wer oder was da wirklich ist. Weil noch nie irgendjemand dort gewesen ist! Verstehst du!“, entschlossen schaute Luis ihm in die Augen, während Kilian mit großen Augen zurückschaute. „Irgendwie hast du schon Recht..“, er wandte seinen Blick ab, um sich das, was Luis gesagt hatte, noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Es erschien ihm mit jedem Moment plausibler. „Vielleicht gibt es dort Länder, die wir uns nicht mal im Traum vorstellen könnten. Vielleicht wachsen dort Bäume mit lilanen Blättern, die nach Pflaumen schmecken oder.. oder vielleicht gibt es dort Menschen mit zehn Armen und Beinen.“ Mit jedem Wort, das er von sich gab, wurden Luis Augen größer, „Oder Pflanzen, die blühen und wachsen, auch wenn es schneit.“ Auch Kilians Augen weiteten sich immer mehr und ein Grinsen spielte sich auf seinen Lippen wider. „Vielleicht gibt es dort aber auch riesige, rote Frösche, die Pfeifen rauchen und Meister in der Kampfkunst sind.“, beide fingen nun an zu lachen. Sie erzählten sich über die kuriosesten Lebewesen, die dort hausen könnten, gerieten dabei immer weiter ins Alberne und lachten sich darüber schlapp, sodass jeder normale Erwachsene darüber nur den Kopf hätte schütteln können. Nach einiger Zeit lagen die beiden grinsend auf dem Sand, nachdem sie sich wieder von ihren Lachanfällen beruhigt hatten. Kilian holte noch einmal tief Luft, bevor er sich aufrichtete und nun als erster die Stille durchbrach. „Lass es uns gegenseitig versprechen!“, nun war er derjenige der seinen Freund entschlossen ansah. „Mh?“, Luis blieb liegen und schaute ihn fragend an. „Dass wir es irgendwann einmal schaffen werden über den Horizont hinaus zu segeln und zu sehen, was dort wirklich ist oder ob unser Kobold doch recht hat...!“ Beide grinsten sich nun entschlossen an. „Abgemacht!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)