Regentage von Av ================================================================================ Kapitel 1: Regentage -------------------- Der Regen hatte seine Klauen so unerbittlich um die Gilde gelegt, dass es schon seit Tagen unmöglich war, die Gebäude zu verlassen, ohne den hart herabprasselnden Regen durch einen starken Schild abzublocken. Der säuberlich gepflegte Rasen der Gärten hatte sich in einen schlammigen Morast verwandelt, und der kleine Bach, der von der tief im Wald verborgenen Quelle bis ins Badehaus führte, war zu einem raschen Flüsschen angeschwollen. Lorlen seufzte leise und sah durch den dichten Regenschleier zum Fenster der Bibliothek hinaus. Vor ihm lag ein altes Buch über die Heilkünste, das ihm Lord Jullen nur widerwillig und nach langer Diskussion anvertraut hatte, aber Lorlen konnte einfach nicht genug Willenskraft aufbringen, um mit dem Schreiben seines Aufsatzes zu beginnen. Es war ihm, als lähme der Regen ihn vollends, als wirke er wie eine Barriere zwischen seinen zäh dahinfließenden Gedanken und seinem Körper. Der Novize stütze den Kopf in die Hände und schloss halb die Augen. „He! Lorlen!“ Der Angesprochene wandte langsam den Kopf und musterte die junge Novizin, die an seinen Tisch herangetreten war und nun nervös den Blick zu Boden senkte. Sie besaß das typische glatte schwarze Haar und die dunklen Augen der Kyralier, doch ihre Gesichtszüge verrieten, dass vielleicht auch ein Lonmar zu ihren Vorfahren zählte. Unsicher spielten ihre Finger mit dem braunen Stoff ihrer Robe und nur schüchtern wagte sie es schließlich, den Blick zu heben und Lorlen in die Augen zu sehen. Lorlen bemerkte, dass ihre Hand sacht zitterte und schenkte ihr ein sowohl aufmunterndes als auch belustigtes Lächeln. „Meine Feder ist mir runtergefallen...“, brachte das Mädchen schließlich leise hervor und wurde augenblicklich rot. „Ich glaube, sie ist unter deinen Tisch gerollt, ich wollte nur--" Sie brach jäh ab und senkte den Blick erneut betreten zu Boden. Lorlen musste innerlich grinsen und erhob sich von seinem Stuhl. So verhielten sich die Mädchen sonst nur in der Gegenwart von Akkarin. „Na, dann lass uns mal nachschauen, ob wir sie finden können.“ Er bückte sich, kroch unter den Tisch und tastete mehr mit den Händen nach der Feder, als dass er sie auf dem staubigen Boden tatsächlich mit den Augen erkennen konnte. "Sie ist silbern", sagte das Mädchen zaghaft und bückte sich ebenfalls. "Warte, ich mach' etwas Licht." Einige Wimpernschläge später tanzte eine kleine Lichtkugel zwischen den beiden Novizen, die mit angestrengt suchendem Blick unter dem Tisch knieten. "Vielen Dank, dass du mir hilfst..." Die Novizin streckte die Hand aus und tastete nach etwas, das sie für ihre Feder hielt, das sich aber als die Überreste eines halb verfaulten Apfels herausstellte. "Ich heiße übrigens Rhia.", fuhr sie fort, zog gleichzeitig angewidert ihre Hand zurück und versuchte, sie möglichst unauffällig am Saum ihrer Robe abzuwischen. "Ich bin ein Jahr unter dir." Lorlen hob leicht den Kopf und lächelte sie an, woraufhin Rhia augenblicklich errötete und verlegen den Blick niederschlug. Ihre fast ehrfürchtige Schüchternheit schmeichelte ihm, aber gleichzeitig war Lorlen unsicher, wie er mit der Situation umgehen sollte. Akkarin hätte jetzt sicher einen lockeren Spruch auf den Lippen gehabt, um dem Mädchen die Nervosität zu nehmen und gleichzeitig ihre Hoffnungen zu schüren, aber Lorlen wollte einfach nichts Passendes einfallen. "Ich glaube, ich sehe die Feder." log er statt dessen und zeigte auf einen kleinen Berg an Staubflusen. "Leuchte mal dahin." Tänzelnd wirbelte Rhias Lichtkugel den Staub an der betreffenden Stelle auf, tauchte ihn in ihr sanftes magisches Funkeln und verharrte dann über dem Punkt, auf den Lorlen gezeigt hatte. "Da ist nichts." stellte Rhia fest und Lorlen brachte ein schiefes Lächeln zustande. "Seltsam." Er räusperte sich. "Bist du sicher, dass sie hier her gerollt ist? Ich kann sie wirklich nirgendwo sehen..." Die Novizin rutschte ein wenig näher an ihn heran und schenkte Lorlen einen von Ratlosigkeit erfüllten Blick. "Ich war mir ziemlich sicher." bemerkte sie schließlich hilflos lächelnd und strich sich eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht. "Aber immerhin habe ich beim Suchen dich kennen gelernt!" Rhia hob den Blick und strahlte Lorlen glücklich an. Er fühlte, wie seinen Herz einen Satz machte, wie ein fast ungläubiges Kribbeln seinen gesamten Körper erfasste. Obwohl Akkarin sein bester Freund war, war Lorlen diesmal dankbar, dass er sich nicht hatte überreden lassen, ihm in der Bibliothek Gesellschaft zu leisten - Akkarin hatte die Eigenschaft, alle Mädchen in seinen Bann zu schlagen, sobald er auch nur den Raum betrat. Lorlen bemerkte, wie ihn ein warmes Gefühl des Glücks durchströmte. Es war gut, dass nur sie beide hier waren, nur er und Rhia. "Da!" Rhias leiser Ausruf riss ihn jäh aus seinen wohligen Gedanken. "Meine Feder!" Die Novizin streckte ruckartig die Hand aus, griff unter einen der den Tisch umstehenden Stühle und förderte tatsächlich einen schlanken silbernen Federkiel zutage. "Aber trotzdem vielen Dank für deine Hilfe!" Rhia lächelte Lorlen an - ihr dunkles Haar umrahmte ihr feingeschnittenes Gesicht in anmutigen Wellen, und der Schein ihrer magischen Lichtkugel spiegelte sich in ihren schwarzen Augen und ließ sie wie kostbare Obsidiane leuchten. Lorlen wunderte sich, dass sie ihm noch nie aufgefallen war. "Gern geschehen!" er erhob sich langsam wieder, reichte ihr eine Hand und zog sie mit sich nach oben, bis sie beide wieder am Tisch saßen. Rhia strich sich einige Staubflocken aus dem Haar und betrachtete scheinbar geistesabwesend ihre Feder. "Du, Lorlen..." Ihr Blick war wieder voll von jener anfänglichen Schüchternheit, und Lorlen bemerkte, wie ihre Hand nervös auf ihren Oberschenkel zu klopfen begann. "Sag..." Lorlens Herz pochte ihm bis zum Hals. Noch nie hatte ein Mädchen sich für ihn, der er immer hinter dem charmanten Akkarin zurückstehen musste, interessiert. Diese Erfahrung war so neu und aufregend für ihn, sie erfüllte ihn mit Befriedigung und ließ ihn gleichzeitig eine vage Beklommenheit spüren. Was antwortete er am besten, wenn sie ihn fragte, ob sie nicht einmal etwas zusammen unternehmen wollten? Wohin führte er sie am besten aus? "Lorlen, jetzt, wo wir uns etwas besser kennen, sag..." Rhia sah ihn lange an, bevor sie fortfuhr, als zögere sie, ihren Satz tatsächlich zu vollenden. Erst nachdem Lorlen ihr ein möglichst aufmunterndes Lächeln geschenkt hatte, begann sie wieder zu sprechen. "Also, ich habe mich gefragt..." sie schloss kurz die Augen, aber als sie sie wieder öffnete, lag Entschlossenheit in ihnen. "Du bist doch gut mit Akkarin befreundet, oder? Würdest du mich ihm vielleicht einmal vorstellen, ich weiß einfach nicht, wie ich ihn ansprechen soll, ich--" Rhia stockte. Mit vor Erstaunen und Bestürzung geweiteten Augen beobachtete sie, wie Lorlen lautstark die Faust auf den Tisch niedersausen ließ und dann rennend den Raum verließ. Die Novizin warf ihren Freundinnen, die an einem nahen Tisch saßen und das Geschehen interessiert verfolgt hatten, einen unsicheren Blick zu. Hatte sie etwa etwas Falsches gesagt? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)