Gi Yu Jin Rei Shin Meiyo Chuu von Feyval (Aufrichtigkeit, Mut, Güte, Höflichkeit, Wahrheit, Ehre, Treue) ================================================================================ Kapitel 4: 4 ------------ Kapitel 4 Etwa eine Stunde später erreichten sie das Hotel, in welchem Melanie, ihre Eltern und Major Schätzler wohnten. Sie waren zuerst in die falsche Richtung gelaufen, weil Melanie den Namen des Hotels falsch aufgeschrieben und man ihnen deshalb den Weg falsch erklärt hatte. Es war ein Gebäude im westlichen Stil, eines der wenigen noch in Tokyo, und schien ziemlich luxuriös. „Hey, Mädel, du sagtest doch dein Alter wäre so ein Sparfuchs“, meinte Sano. „Sieht mir hier nicht danach aus.“ Melanie blinzelte. „Tut mir leid, Sagara-san, das hab ich nicht verstanden. Wonach sieht es aus?“ „Er meint...“, half Kenshin ihr weiter, „dass das ein teures Hotel ist. Warum lebt Eure Familie hier, wenn Ihr so sparsam seid?“ Melanie kräuselte die Lippen. „Ich bin ja schließlich verlobt, ne? Sie verlassen sich auf Schätzler.“ Es widerstrebte ihr noch immer, das „-san“ an seinen Namen anzuhängen. „Da, schaut!“, zischte Sanosuke und ging in Alarmstellung. „Polente!“ sie schauten. Ein Beamter in Uniform kam aus der Tür. „Was hat das zu bedeuten?“, murmelte Kenshin. Melanie trat einen Schritt zurück. „Wartet.“ Kenshin ergriff ihren Arm und hielt sie zurück. „Das hat vielleicht gar nichts mit Euch zu tun.“ Der Beamte machte kehrt und ging durch den grünen Garten um das Haus herum. Die junge Frau entspannte sich etwas. „Keine Sorge.“ Kenshin drückte ihren Arm beruhigend. Sie atmete tief durch, straffte sich, hob den Kopf und reckte Brust und Kinn vor. „Gehen wir.“ Sanosuke und Kenshin folgten ihr. „Scheint keinen Trost zu brauchen“, kommentierte Sano das Geschehen und beugte sich dabei zu Kenshin hinunter, damit sie nicht gehört wurden. „Nein“, widersprach dieser, die Augen nachdenklich auf Melanie gerichtet. Doch er selber wurde auch noch nicht ganz schlau aus dem Mädchen. Sie betraten das Gebäude. Ein Portier grüßte sie in einem deutlich vom Akzent geprägten Japanisch. Sanosuke starrte sich die Augen aus dem Kopf. „Da hol mich doch der...!“, staunte er über den Luxus und sorgte dafür, dass es dem andren etwas peinlich war mit ihm unterwegs zu sein. „Miss Baumgart!“ Der Mann an der Rezeption hatte sie erspäht und eilte emsig hinter seinem Tisch hervor. „Frau Baumgart...“ Er sprach in hektischem Englisch auf sie ein. Sie schien zunächst ein wenig indigniert und gab sich abweisend, verstand ihn aber wohl. Dann warf sie ihren Begleitern einen unsicheren Blick zu. Der Mann redete weiter und schien zu versuchen, sie auf ein Arrangement von Sesseln hin zu komplimentieren. Sie blieb stehen und stellte eine schroffe Frage. „Er sagt, wir müssen hier warten, die Polizei lässt niemanden nach oben“, übersetzte sie für die andren beiden. „Ich werde ihn fragen ob meine Eltern und Schätzler hier sind.“ Über den Major schien der Mann etwas zu wissen, anscheinend war er nicht hier. Die Frage nach dem Ehepaar Baumgart verneinte er bedauernd. Kenshin beobachtete ihn dabei und hatte das sichere Gefühl, dass er nicht die Wahrheit sagte. „Wie lang soll das denn dauern?“, verlangte Sanosuke zu wissen, durch das hitzige Gespräch von seiner Betrachtung abgelenkt. Außerdem behagte es ihm nicht, mit Gesetzeshütern unter einem Dach zu sein. „Wir können gleich mit dem Polizeiinstrukteur sprechen“, teilte Melanie ihnen nach erneuter Rückfrage mit. „...Inspektor“, verbesserte sie Kenshin schüchtern. „In... Inspektor. - Ja, Entschuldigung.“ „Nicht doch...“ „Wenn er wenigstens wüsste ob meine Eltern hier sind. Dann könnten wir gleich wieder gehen und uns zur Botschaft aufmachen.“ Sie gingen zu den Sesseln. Ein wenig link nahm Kenshin platz, die dicken Polster waren ziemlich ungewohnt, und aus vergangener Routine heraus machte er eine Bewegung zu seinem Schwert hin... aber das hatte er ja schon längst nicht mehr dabei. Sanosuke ließ sich einfach hineinfallen. „Wunderbar“, knurrte er. „Ein Haus voller Polizei und wir warten auf den Inspektor.“ „Nee, Sano. Die Polizei ist ja nicht wegen dir hier, das wohl nicht.“ Der Straßenschläger aus Prinzip hatte das Kinn in die Hand gestützt und zog eine Braue hoch. „Na und?“ „Wahrscheinlich ist niemand mehr hier“, seufzte Melanie. „Ob wir wohl heute noch zur Botschaft können? Bis dahin ist es weit.“ „Was sollten die denn in der Botschaft?“ Sano war immer noch verstimmt und schaute in alle Richtungen, als könnte jeden Moment ein Beamter hinter dem roten Vorhang vorspringen um ihn festzunehmen. „Schätzler hat ihnen bestimmt irgendeine Geschichte von einer Entführung erzählt, und aus Angst sind sie dann in die Botschaft zurück.“ „Na toll, wieso bin ich dann hier“, ärgerte sich Sano und stand auf. „Nicht, Sagara-san, wir müssen uns eben gedulden.“ „Wenn ich jetzt auch noch wegen Entführung gesucht bin, setz ich mich nicht der Polizei vor die Nase!“ „Ach Unsinn!“, fuhr Melanie ihn aufgebracht an. „Habt Ihr mich etwa entführt?“ „Nein!“, protestierte Sano heftig. „Na also.“ „Ach, und du meinst das kaufen die dir ab!“ „Du kannst ja hier bleiben und meine Aussage bekräftigen.“ „Dieser Mann...“ Kenshin tat, als hätte er ihren Streit nicht gehört. Die beiden verstummten und wandten ihm ihre Aufmerksamkeit zu. „Über Meranii-donos Eltern... was er gesagt hat, war nicht die Wahrheit.“ „Kenshin...“ „Was soll das heißen?“ Melanie beugte sich vor, doch der Samurai schaute nur mit nichtssagender Miene aus dem Fenster. In dem Moment eilten Schritte die Treppe herunter. Sie drehten sich um. „Inspektor!“ Melanie eilte auf den langen Japaner mit dem spitzen Kinn, den schmalen Augen und den Hauptmannsstreifen auf der Jacke zu. Sanosuke spannte sich, bereit gegen seine Festnahme zu kämpfen. „Herr Inspektor. Ihr hier?“ Kenshin kam ihm nun auch entgegen und grüßte ihn. „Himura-san. Was geht hier vor sich?“ „Das möchten wir Euch gerne fragen“, unterbrach Melanie die beiden. „Was ist mit meinen Eltern?“ „Sind Sie Frau Bamugaato?“ „Baumgart, ja das bin ich. Wo...?“ „Ah, so ein Glück, dass Sie hier sind! Sie wurden heute morgen als vermisst gemeldet.“ „Wusst ichs doch“, kam es von Sanosuke. „Wer hat das angezeigt? Meine Eltern? Sind sie in der Botschaft?“ „Immer langsam.“ Der Polizist machte ein ernstes Gesicht. „Bitte beruhigen Sie sich. Die Anzeige wurde von Shetsure-san heute morgen aufgegeben. Da er Sie noch nicht lange kannte und zudem wenig Japanisch sprach, kamen wir überein, Ihre Eltern hier zu treffen und sie um eine genaue Beschreibung von Ihnen zu bitten. Doch...“ „Doch was?“ Melanie hing ungeduldig an seinen Lippen. Dem Polizisten fiel es sichtlich schwer, weiter zu sprechen. „Verehrte Frau Bamugaato, es tut mir aufrichtig leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihre Eltern... nicht mehr am Leben sind.“ Ein Augenblick der Stille folgte. Kenshin biss die Zähne zusammen und verengte die Augen. Sanosuke zischte hörbar überrascht und fluchte leise, mehr aus Bestürzung als aus Zorn. Melanies Körper fühlte sich plötzlich so taub an. „Was...?“, hörte sie sich selbst wie durch Watte hindurch sagen. Wieso... wieso ihre Eltern? Es gab doch keinen Grund... Wieso gerade jetzt? Jetzt, wo sie sie nach drei Jahren endlich wiedersah, wo sie endlich bereit war, ihre Handlungen an ihr als Fürsorge anzuerkennen... das war ungerecht! „...nicht mehr am Leben sind“, hallte es in ihrem Kopf wider. Es erschien ihr unwirklich. Hatte sie das nur geträumt? Waren ihre Eltern gar nicht nach Japan gekommen? „...Meranii-dono.“ Kenshin trat neben sie. Ihre Augen waren geweitet, ihr Gesicht war aschfahl. Sie schien kalt und leer. Eben hob der Polizeiinspektor an zu sprechen, da setzte sie sich plötzlich in Bewegung, marschierte auf die Treppe zu. „Frau Bamugaato! Warten Sie...!“ Er versuchte sie am Weitergehen zu hindern, doch sie schüttelte seinen Arm grob ab. „Oi... Mädel!“, rief Sanosuke und ging ihr nach. „Lasst mich gehen.“ Der Klang ihrer Stimme hinderte auch ihn daran, sie aufzuhalten. Kenshin warf dem Mann hinter dem Tresen einen Blick zu. Der senkte sofort den Kopf. Der Samurai nahm seine Augen nicht von ihm, bis er die Treppe erreichte und eine Säule sie voreinander verbarg. Erst dann drehte er sich um. Mit versteinerter Miene ging Melanie durch den Flur im ersten Stock. Alle Gäste hatten hier bereits ihre Zimmer verlassen. Es war gespenstisch still und dunkel. Sie blieb vor einer der edel geschnitzten Türen stehen. Als Sanosuke neben sie trat, drückte sie die Klinke hinunter und die Tür schwang auf. Ein Polizist sah von seinem Notizblock auf, in den er kritzelte. „Herr Inspek... Frau Bamugaato!“ Der Inspektor und Kenshin traten hinter das Mädchen. „Gehen Sie!“ „...Hai!“ Der Beamte machte sich dünne. Melanie betrat den Raum. Ihre Lippe zitterte. Es war ein einziges Chaos. Ungläubig irrten ihre Augen über zerfetzte entzweite Kleider, zersplitterte Flaschen, aufgeschlitzte Koffer... Bilder waren von den Wänden gerissen, abgeschnitten und durchstochen worden, und mitten in all dem Unrat lagen zwei Körper in Nachtgewändern, von Blut überströmt, in einer bereits getrockneten Lache. Ihre Kehlen waren aufgeschlitzt, die Gesichter vor Entsetzen und Angst verzerrt und vom Tod entstellt, die Glieder in unnatürlicher Lage verrenkt. Starre Augen... unter dem Kinn das blanke Fleisch... Melanie ballte die Fäuste und kämpfte, doch das Zittern wurde immer stärker. Die toten Augen.. der Blutstrom in den Teppich, die Kleider, ein zerrissenes Buch, das Bild, das Mutter so schön fand... der Staub, der in einem Sonnenstrahl über dem Grauen tanzte... Es brannte, brannte sich in sie hinein bis in ihr Innerstes und schmerzte sie, betäubte sie, jagte sie, schüttelte sie. Sie schrie, doch es kam kein Laut. Sie war wie zugeschnürt. Ihr Körper krümmte sich nach vorne, unfähig den Schrecken wiederzugeben... „Jou-chan!!“ Mädel... Da packte sie jemand, an den Schultern. Sie wurde... umarmt. Fest. Und warm... Ein Laut der Verzweiflung brach sich Bahn, riss sie aus ihrem Alptraum und sie wäre zusammengebrochen, hätte Sagara-san sie nicht festgehalten. Ihre Hände griffen hilflos nach Halt, krallten sich in den vielgetragenen Stoff seiner weißen Jacke. Raue Schluchzer brachen aus ihrer Kehle hervor, während aus ihren umherirrenden Augen die Tränen stürzten ohne Unterlass. „Sagara-san!“, schrie sie. „Das ist meine Schuld... das ist alles meine Schuld!! Ich hätte sie nie allein lassen dürfen! Ich hab das alles nicht gewollt! Es tut mir leid...! Es tut mir so leid!“ „Hey! Hey! Jou-chan!... Meranii!“ Er drückte sie fest, doch als sie sich nicht beruhigen wollte, packte er sie an den Schultern und schob sie weg. „Hör auf mit dem Scheiß!“ Er schüttelte sie. „Es tut mir leid...!“, klagte sie, doch der Ausdruck des Schreckens war aus ihren Augen verschwunden. Was blieb war Verzweiflung. Sie vergrub das Gesicht in den Händen, hielt sich die Augen zu und wollte nichts mehr sehen. „Na komm...“ Sanosuke legte einen Arm um ihre Schulter. Fast fand er das schon wieder zuviel des guten, doch er merkte, dass sie merklich ruhiger wurde. Als das Schluchzen schließlich fast verstummt war, legte sie eine Hand auf seinen Arm und drückte ihr Gesicht erschöpft an seine Schulter. Ein kurzer Blick zeigte Sano, dass die anderen beiden das nicht interessierte oder sie es zumindest nicht komisch fanden. Daher zog er sie noch etwas zu sich, bis sie verschnauft hatte. Mit dem Tod im Zimmer... und der verzweifelten Frau an seiner Schulter fühlte er sich plötzlich an Magdaria erinnert. Sayo... die er im Arm gehalten hatte, als sie starb. Seltsam, dass die Erinnerung erst jetzt so unvermittelt auftauchte. Es wurde ihm unbehaglich. Er lockerte seinen Griff um Melanie. Nur langsam stellte sie sich wieder auf ihre eigenen Füße. Der Inspektor trat zu ihnen. „Es tut mir unendlich leid...“ „Das war Mord.“ Ihre Stimme klang fest, jedoch nur an der Oberfläche. „Ja.“ „Wir... wir müssen sie begraben. Da gibt es doch Papiere oder nicht...?“ „Bitte, Frau Bamugaato, machen Sie sich darum keine Sorgen. Ich muss Sie nur bitten, ein paar Fragen zu beantworten, wenn Sie sich dazu imstande fühlen.“ Melanie presste die Finger an die Schläfen und atmete tief durch. „Ich weiß nicht, wie ich mich darum kümmern muss...“ „Wir und die Deutsche Botschaft werden Ihnen helfen. Seien Sie ganz unbesorgt. Es wird sich alles regeln.“ Sie nickte schließlich. Daraufhin begann der Inspektor, die bisherigen Erkenntnisse aus den Ermittlungen zu schildern: Die Fensterhaken waren von außen geöffnet worden, anschließend hatte man Herrn und Frau Baumgart aus den Betten gezerrt und sie ermordet. Danach begann die Durchsuchung und Zerstörung. Einige Dinge von Wert wurden gestohlen, andere verstreut oder vernichtet. Alles sah danach aus, als hätten die Einbrecher es auf wenige Wertgegenstände der Ausländer abgesehen und es sehr eilig gehabt. Der Überfall wurde dennoch erst am nächsten Morgen bemerkt, als das Zimmermädchen das Frühstück bringen wollte. Major Schätzler hatte u diesem Zeitpunkt bereits das Hotel verlassen und Melanie Baumgart als vermisst gemeldet. „Ihre Eltern hatten gebeten, heute spät zu frühstücken. Sie kamen gestern erst nach Mitternacht nach Hause.“ Melanie hörte stumm zu und drehte immer wieder eine Falte am Ärmel ihres Kleides zwischen den Fingern. „Wo waren Sie gestern Abend?“ Es dauerte einen Moment, ehe sie antwortete. „Wir waren in einer Gaststätte, mit Tänzerinnen und Musikantinnen. Es wurde sehr spät.“ „Mayo Shetsure berichtete in seiner Anzeige, er habe mit Ihnen einen kleinen Spaziergang auf dem Nachhauseweg gemacht, um den Mondschein mit seiner Verlobten zu genießen. Ist das richtig?“ Sie presste unmerklich die Lippen aufeinander und zögerte wieder einen Moment. „So war es.“ „Was geschah dann?“ „Hat er Euch das nicht erzählt?“, blaffte sie, plötzlich aufgebracht. Dann legte sie die Hand auf den Mund und wandte sich von ihren Eltern ab. Himura stand die ganze Zeit schweigend. Sein Blick durchmaß den Raum. „Es tut mir sehr leid, verehrte Frau“, der Polizist verbeugte sich, „aber um den Mord aufzuklären ist es wichtig, dass Sie diese Frage beantworten. Es schadet dem Ansehen Japans, wenn unsere Gesetzeshüter nicht fähig sind, Gäste aus fremden Ländern zu beschützen, daher ist es wichtig, dass wir diesen Fall so schnell wie möglich lösen und die Mörder überführen.“ Sano hatte Mitleid mit Melanie. Er kannte diese Verhöre. Er wusste, wie es sich anfühlte, wenn ein geliebter Mensch aus dem Leben gerissen wurde. Man fühlte sich schrecklich hilflos... „Er hat versucht, mir seinen Willen aufzuzwingen.“ Melanie warf dem Polizeiinspektor diese Worte hin. „Ich bitte um Verzeihung?“ „Bist du so blöd?“, fuhr Sano den Polizisten an. „Der Kerl hat sie angegrabscht! Ich war zufällig in der Nähe und hab ihm ein bisschen den Schädel poliert, bevor ihr aufgekreuzt seid...“ „Ja“, unterbrach ihn Melanie rasch, indem sie sich umdrehte. „Sagara-san hat mir geholfen. Schätzler und ich wurden gestern Abend von meinem Vater verlobt. Er hat wohl geglaubt wir wären schon verheiratet und hat sich das herausgenommen.“ Der Inspektor sah von einem zum andren. „Widerlicher Mistkerl“, bestätigte Sanosuke. „Nun...“, fing der Inspektor wieder an, „dann bleibt noch die Frage, weshalb Sie sich anschließend nicht in unseren Schutz begeben haben, Frau Bamugaato. Nach allem was wir über Sie wissen, ist Ihre Familie hoch verschuldet und hätte durch Ihre Verbindung mit Shetsure-san eine Katastrophe abwenden können.“ „Das weiß ich.“ „Warum waren Sie heute Nacht nicht im Hotel...?“ „Was soll das!? Wollt Ihr mir etwa vorwerfen, ich wollte meinen Eltern das Leben nehmen?“ Der Inspektor verbeugte sich tief. „Bitte vielmals um Verzeihung. Wir können keine Vorwürfe machen, dazu brauchen wir erst mehr Informationen.“ „So... Ihr wollt meine Geschichte hören? Dann hört gut zu: Ich hab den nächstbesten Japaner an der Hand genommen und bin mit ihm weggelaufen, hab mich von ihm ausziehen lassen, hab in seinem Futon geschlafen, und hab ihm und seinen Freunden ein Mittagessen gekocht. Dann bin ich einem edlen Samurai begegnet, der meine Seele geläutert, mich an meine Pflichten meinen Eltern gegenüber erinnert und mich hierher geschickt hat.“ Die drei Männer blinzelten. „...Oroo?“, machte Kenshin, überrascht, zu so einer Ehrenbezeichnung zu kommen. „Moment!“, protestierte Sanosuke. „Ich hab dir deinen seltsamen Anzug lediglich zugebunden, mehr nicht!“ „Das heißt Korsett, Sagara-san!“ „Das ist egal!!“ „Sei still!“, brüllte Melanie ihn an. „Lasst mich in Ruhe! Lasst mich!“ Sie fuhr zu dem Polizisten herum. „Und Ihr ganz besonders! Hättet Ihr mich vor diesem Grobian beschützt, diesem eingebildeten geilen Affen? Nein!! Ihr hättet mich schön brav in die Botschaft zurückgebracht, und der Botschafter hätte mich Schätzer übergeben. Sagara-san hättet Ihr eingesperrt wegen Entführung, obwohl er nichts getan hat als mir zu helfen... Ihr seid alle gleich!“ „Frau Bamugaato“, fuhr der Polizist wütend dazwischen. „Bitte beruhigen Sie sich...“, fuhr er in gemäßigtem Ton fort. „Ah... ich soll mich beruhigen?“ Sie lächelte hysterisch, noch ein wenig außer Atem. Es war ein unschönes, verzerrtes Lächeln. Sanosuke schauderte, als er sie so sah. „Natürlich, beruhigen.“ Ihre Stimme klang genauso... wie wenn jemand versucht, im Angesicht unsäglichen Grauens fröhlich zu sein und alles zu vergessen. Doch das tat Melanie nicht. Ihre nächsten Worte troffen vor Gift und unterdrücktem Zorn. „Mein Vater, meine Mutter, sind tot. Diese Verlobung ist rechtskräftig. Drei Jahre lang war ich glücklich, in Japan zu leben. Aber nächste Woche fährt mein Schiff nach Deutschland zurück, wo mich ein Leben in der Gefangenschaft dieser feisten Ratte erwartet...! Ich habe nichts außer einer in Unsummen verschuldeten Firma geerbt!...“ Ihre Finger bogen sich im Zorn wie Krallen, sie zeigte ihre zusammengebissenen Zähne und spuckte dem Inspektor ihre Worte entgegen. „Findet Ihr das beruhigend?!“ Sie war am Ende. Sanosuke merkte – und er sah dass auch Kenshin es wusste – wenn der Inspektor noch weiter in sie drang würde sie zusammenbrechen, oder wahnsinnig werden. Allein, der Polizist schien zwar merklich eingeschüchtert, hatte aber wohl wegen der Beleidigungen nicht vor, sich mit Melanies Antwort zufrieden zu geben. In Sano stieg die Wut hoch. Was bildete der Kerl sich ein? Merkte der nicht was er tat? So hatte selbst er noch keinen Polizisten erlebt... „Halt jetzt deinen Mund!“, fuhr er den Beamten an. Alle Blicke richteten sich auf ihn. „Was sie sagt ist die Wahrheit! Wir haben im Kamiya Kasshin Dojo übernachtet! Jeder der da wohnt kann dir dasselbe erzählen, und jetzt hör verdammt nochmal damit auf!“ Er sah zu Melanie. Die aufkeimende Hysterie war aus ihrem Gesicht verschwunden. Er bedeutete ihr mit einem Blick so gut es ging, dass sie das sicher durchstehen würde. Dann sah er zu Kenshin hinüber. Den Polizisten hatte das wohl endlich zur Vernunft gebracht, denn er hielt den Mund. Melanie richtete ihren Blick erstaunt auf Sagara-san. Sie hatte nicht damit gerechnet, solche Hilfe zu erhalten. Bis eben war sie noch ganz alleine gewesen gegen eine große Männerwelt, die ihr alles wegnahm. Ihre Freiheit, ihre Eltern, ihre relative Sorglosigkeit und nun auch noch die Trauer. Ihr wurde warm ums Herz. Dieser Sagara-san... er war hier. Er würde sie nicht allein lassen. „Diese Wunden...“ Kenshin ging neben den beiden Toten in die Hocke, „...sie stammen von gewöhnlichen Klingen. Ich kann auch nicht erkennen, dass die Mörder irgendeine Technik benutzt hätten, die ich kenne.“ „Himura-san...“ Der Samurai wandte den Kopf zu einem umgestürzten Polsterstuhl zu Häupten des Herrn Baumgart. Erst als sie genauer hinsahen erkannten sie, dass in der Holzversiegelung an der Unterseite des Polsters ein Spalt war. Kenshin steckte die Finger hinein, griff zu und zog. Die Platte ließ sich leicht herausnehmen und zum Vorschein kam eine kleine dünne Ledermappe. „Was...?“, wunderte sich Sano. „Himura-san, was haben Sie gefunden?“ Der Polizist machte einen Schritt nach vorne, aber Melanie war schneller. Sie nahm Kenshin das Buch aus der Hand. Ihre Finger umschlossen langsam das Leder, ehrfürchtig, fast zärtlich. „Was ist das?“ Kenshin erhob sich uns sah sie an. „Das ist...“ Sie schluckte. „...Vaters Tagebuch. Er hat es mir einmal gezeigt... Er sagte, wenn jemand außer ihm es findet...“ „Was ist dann?“, fragte Sanosuke nach, als sie nicht weitersprach. Sie biss die Zähne zusammen. „...dann ist er tot.“ Melanie schloss einen Moment die Augen, dann löste sie die Verschnürung des Einbands. Langsam schlug sie die Seiten des Buches auf. „Was steht dort?“, verlangte der Inspektor zu wissen und trat hinzu. Auch Sanosuke und Kenshin traten neben sie. „Zahlen... ein Rechnungsbuch, so scheint es.“ Ihre Finger fuhren über die dünne altdeutsche Schrift. Langsam blätterte sie weiter. Tränen traten ihr in die Augen, und durch den Schleier erkannte sie die Schulden. Riesige Ausgaben überall, an unzählige Unternehmen, von denen sie nur sporadisch etwas gehört hatte. Oft trugen die Bestellungen Namen wie „Stahl“ oder „Maschinen“, meist stand dort nur ein „Bauteil“ mit einer Nummer, manchmal „Farbe“ oder „Gold“ und „Glas“... und Zahlen, endlose Reihen von Zahlen... die plötzlich endeten. Die letzte Abrechnung unter dem Strich war vor zwei Tagen dort eingetragen worden. Sie bezifferte ein Minus von mehr als 80 000 Reichsmark. Danach folgten nur leere Seiten. Melanie schloss entsetzt die Augen. In der Mitte des Buches lag ein gefaltetes Stück Papier. Sie zog es heraus und schlug es auf. Es war alt, brüchig und roch vergilbt wie das ganze Buch. Vorsichtig faltete sie es auseinander. Alle hielten den Atem an. „Ein Schiff ist das?“Sanosuke war sich nicht sicher. „In der Tat...“ Der Inspektor kniff die schmalen Augen noch weiter zusammen. „Ein riesiges Schiff...“ Melanie legte den Plan vorsichtig auf das Bett. „Seht... Vier Etagen, und hier unten, der Keller. Vier Schornsteine, und von vorne bis hinten...“, sie sah auf den Plan, „über zweihundertfünfzig Meter!“ „Meta?“, fragte Kenshin. „Ach, das sind... über zweihundertfünfzig Schritte! Ein so großes Schiff... Natürlich.“ Sie schüttelte den Kopf und begriff langsam. „Das ganze Geld... um das Schiff zu bauen. - Vater muss seit vor meiner Geburt daran gearbeitet haben.“ „Haben Sie davon gewusst?“, erkundigte sich er Polizist. „Nein“, Melanie schüttelte den Kopf, sie war fassungslos, „ich wusste zwar, dass mein Vater ein Unternehmen im Hafen plante oder führte, aber das...“ „Steht denn in dem Buch noch mehr?“ Sie nahm es zur Hand und blätterte weiter. Weiter hinten erschienen eng beschriebene Seiten, mit Buchstaben aus der Hand ihres Vaters bedeckt. Die ersten waren Jahre vor ihrer Geburt datiert, und immer hastig gekritzelt. Melanie überflog sie. „Das sind seine Notizen... Pläne für das Schiff. Hier...“ Sie las ihnen auf japanisch vor. „...soll dieses Meisterwerk einst die Meere befahren, größer, schöner, und schneller als alle anderen Schiffe. Es soll Melanie heißen, wie meine bezaubernde Tochter.“ Sie lächelte unter Tränen. Himura-san hatte recht gehabt... „Meine Güte“, staunte Sano. Er betrachtete den Plan und versuchte sich vorzustellen, wie groß ein solches Schiff in Wirklichkeit war. Shishios Schiff war höchstens vierzig Schritt lang gewesen, vielleicht fünfzig bei großzügiger Schätzung. Und die Schiffe im Hafen brachten es auch nicht über vielleicht hundert oder hundertzwanzig. Aber zweihundertfünfzig...? Melanie legte die hand auf die Augen. Ihr Gesicht war von Schmerz erfüllt, ihr Atem ging zittrig und sie schluckte. Als sie sich wieder gefangen hatte, las sie weiter. „Alles... über das Schiff. Es liegt in Bremen, in einer Werft. Die Werft ist gemietet...“ Sie strengte sich an zu übersetzen. „Wenn das Schiff nicht fertig gestellt wird, gehört es der Werft, um die Schulden zu bezahlen. Vater hat unglaublich viel Geld geliehen. Seit... seit Jahren bezahlt er keine Miete mehr!“ „Sagt, Meranii-dono“, überlegte Kenshin, „kann es sein, dass die Gläubiger Eures Vaters auf der Suche nach den Plänen waren? Wäre das wohl möglich?“ „Hier in Japan?“ Doch dann nickte sie langsam. „Ja... das wäre möglich. Soweit ich das hier sehen kann... hat er bei den Werft-Besitzern Schulden gemacht, um die Zulieferer zu bezahlen... Hier steht mehr. Vom 26. Mai diesen Jahres. Das Schiff ist fast fertig... das wichtigste fehlt noch. Vater spricht hier von einer neuen Technik. Er will... mich verheiraten und die Schulden bezahlen, damit dieses Schiff fertig wird.“ Sie schloss den Mund und schwieg. „Das also war sein Traum. Er hat sein ganzes Leben in dieses Schiff gesteckt...“ Ihre Finger fuhren über die gelblich verblichenen Seiten, die zackige Schrift ihres Vaters. „Er wollte mir und Schätzler das Schiff vererben, damit sein Traum weiterlebt.“ Sie blätterte um. „Hier ist seine Unterschrift. Sein letzter Wille, so scheint es...“ Sie blätterte weiter. Es folgte ein kurzer Text über die Reise nach Japan. Die Ankunft am 5. August... danach waren die Seiten weiß. _______________________________________________________ _______________________________________________________ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)