Change of Heart von MChrisH ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Titel: Change of Heart Warnungen: shonen ai, OOC, leicht AU Disclaimer: Die Charaktere gehören Hinako Takanaga und ich verdiene kein Geld hiermit (als ob mir jemand was dafür geben würde). author's note 1: Das hier ist meine erste ernsthafte shonenai-Fanfic die ich veröffentliche. Über konstruktive Kritik würd ich mich also total freuen. author's note 2: Ich hab mich bei der Idee vor allem an die Bände von 'Küss mich, Student!' und an das erste Band von 'Verliebter Tyrann gehalten'. Dabei ist Morinaga eher ruhig und zurückhaltend und so hab ich ihn dann auch dargestellt. Jetzt aber erst mal genug Rechtfertigungen, sondern lieber die Fanfic. Soichi Tatsumi riss die Tür zum Labor auf. „Morinaga!!!“, rief er, während er die Tür wieder zuknallte. „Hast du…“ Er stoppte überrascht. Das Labor war vollkommen leer. Er grummelte genervt. „Wo ist er denn nun schon wieder?“ Wütend vor sich hin murmelnd riss er die Tür wieder auf und stapfte los auf der Suche nach einem von Morinagas Freunden. Die jüngeren Studenten wichen ihm nervös aus, doch er beachtete sie gar nicht. Erst als er unter den flüchtenden Studenten Yamaguchi erkannte, der ihn vor einigen Wochen nach Morinaga gefragt hatte, als dieser verschwunden war, blieb er stehen. „Hey, hier geblieben!“, befahl er. Der Student blieb sofort wie angewurzelt stehen. „J…ja, Sempai?“ „Wo ist Morinaga?“, verlangte Soichi zu wissen. Der Student blinzelte einen Moment. Als er Soichis ungeduldigen Gesichtsausdruck bemerkte, beeilte er sich aber zu antworten. „Er war heute Morgen nur ganz kurz hier. Er hat gesagt, dass er einen Anruf von seinen Eltern bekommen hat und deshalb in seine Heimat muss.“ „Und er ist schon allein los?“, fragte Soichi. „Er war nur hier, um sich beurlauben zu lassen. Oh, und um dir einen Zettel hinzulegen.“, antwortete der Jüngere. Soichi murmelte etwas Unverständliches, war nun aber schon bedeutend ruhiger. „Hat er was gesagt, wann er wieder kommt?“ „Nein, hat er nicht.“ Soichi nickte knapp, wandte sich um und ging. „Überraschend wie viele so schnell nach Morinaga fragen.“, meinte eine Studentin zu dem Befragten. „Auch wenn ich gedacht hätte, dass eher sein bester Freund ihm folgt.“ Soichi blieb stehen. „Was soll das heißen?“ Die Studentin zuckte ertappt zusammen. „E…Entschuldigung! I…Ich meine…“ „Wer ist ihm gefolgt?“ „Ein anderer junger Mann. Kurze, etwas dunklere Haare, sieht ziemlich feminin aus. Die beiden kennen sich scheinbar länger. Er hat scheinbar gestern Abend den Anruf mitbekommen und wollte Morinaga von der Uni abholen. Hatte sogar schon einen fertig gepackten Koffer dabei. Als wir ihm gesagt haben, dass Morinaga schon weg ist, ist er einfach los – zum Bahnhof denke ich.“, beeilte sich die Frau zu erzählen. Ohne etwas zu sagen drehte Soichi sich wieder um und ging. Zurück im Labor sah er tatsächlich einen Zettel auf der Arbeitsfläche liegen – beschwert mit einem Buch, damit er nicht wegfliegen würde, wenn die Tür aufgerissen wurde. Ohne dass es Soichi bewusst war, huschte ein Lächeln über sein Gesicht als er daran dachte, wie gut Morinaga ihn doch kannte. Er schmiss seine Sachen zur Seite und nahm den Brief. Sempai Es tut mir Leid, dass ich nicht hier bin, um es dir persönlich zu erklären, aber ich habe gestern einen Anruf von meinem Vater bekommen. Er will, dass ich sofort in meine Heimat fahre. Bitte sei mir nicht böse, dass du für ein paar Tage allein arbeiten musst. Ich versuche, so bald wie möglich wieder zurückzukommen. Versprochen! Morinaga Zwischen dem Text und der Unterschrift war etwas durchgestrichen. Neugierig drehte Soichi das Blatt etwas, bis er den kurzen Satz erkennen konnte. Ich liebe dich. „Morinaga…“ Morinaga war seit fast vier Tagen weg und Soichi begann langsam wieder unruhig zu werden. Wie ein Tiger im Käfig lief er in seiner Wohnung auf und ab. Kanako saß im Schneidersitz auf dem Boden und sah ihm zu. „…vier Tage…bald…von wegen ‚bald zurückkommen’…unzuverlässig…“, murmelte Soichi vor sich hin. „Warum holst du ihn nicht ab, wenn du ihn vermisst? Er würde sich bestimmt freuen.“, meinte Kanako. „Was heißt hier ‚vermisst’? Wir haben ein Experiment, an dem wir zu arbeiten haben, das ist alles!“ Kanako nickte, aber mit einem Gesichtsausdruck der sagte, dass sie ihrem großen Bruder nicht glaubte. „Außerdem kann ich nicht einfach da hinfahren. Ich kann dich doch nicht einfach hier allein lassen!“ „Unsinn! Heute Abend kommen doch Tomoe und Kurokawa zu Besuch. Bis dahin kann ich doch allein bleiben.“, widersprach Kanako. Bevor Soichi antworten konnte, sprang sie auf. „Prima, ich pack dir dann mal deine Reisetasche!“ Soichi versuchte zu widersprechen, aber ihm fehlten für einen Moment die Worte. Als Kanakos Worte einsickerten, lief er ihr nach in sein Zimmer. „Mo…Moment! Kanako!!!“ Im Schein der Straßenlampen stampfte Soichi am Abend schließlich durch Fukuoka. Er beachtete die Leute um ihn herum kaum. „…jetzt nur noch die Wohnung finden…“, murmelte er. Dann sah er plötzlich in einer Bar Morinaga mit einem jungen Mann sitzen, auf den die Beschreibung des Studenten passte. Soichis Blick verdunkelte sich. „Soviel zum Thema wegen seinem Vater hier!“, knurrte er. Wütend stapfte er zum Eingang der Bar. Dort hielt er kurz an, als er sah, dass es sich um eine gut besuchte Schwulenbar handelte, doch dann gewann sein Ärger und er ging rein. In der Bar war es schwer, bis zu dem Tisch zu kommen, an dem Morinaga und der andere Mann saßen. Schließlich war er in Hörweite, musste aber erkennen, dass ihm der Weg durch einen weiteren leeren Tisch versperrt war. „…jetzt wieder zu meinem Vater! Je eher alles erledigt ist, desto eher kann ich zurück.“, sagte Morinaga gerade genervt. Der andere Mann stöhnte auf. „Sei doch ehrlich: Du willst nur wieder zu deinem Sempai zurück!“ Seiner Sprechweise nach hatte er schon einiges an Alkohol getrunken. „Ich hab dir schon mal gesagt, dass dich das nichts angeht. Ich kann nun mal nichts dran ändern, dass ich ihn liebe!“ Soichi blieb unwillkürlich stehen und lauschte dem Streitgespräch. „Und vor lauter Liebe siehst du immer noch nicht, wie schlecht er dich behandelt!“ „Ich weiß, dass er manchmal nicht so gut behandelt, aber das ändert nichts daran, dass ich ihn liebe!!!“ „Verdammt, was muss ich denn noch machen, damit du ihn endlich vergisst?!“ Morinaga stutzte. „Wovon redest du?“ „Scheinbar hat mein Mittelchen doch nicht funktioniert, dabei hab ich doch die kaputte Flasche bei dir gefunden.“ Morinaga wurde blass. „Was meinst du mit ‚nicht funktioniert’? Was hätte passieren sollen?“ Sein Begleiter kicherte besoffen. „Hab’s in nem besonderen Club gefunden, wenn du verstehst. Wer’s trinkt wird total geil, aber auch total hilflos. Der Gag ist aber, dass der Schweiß und der Atem bei anderen dazu führt, dass die die Kontrolle verlieren und sich vergnügen.“ Morinaga tat einen zitternden Schritt zurück. „Warum hast du mir das Mittel gegeben?“, stammelte er. „Weil ich dachte, dass du ihn endlich abschreibst, wenn er dich mal richtig verletzt hat. Aber scheinbar haben weder das Mittel, noch die damit präparierten Bonbons, die ich dir untergeschoben hab, etwas gebracht.“ Morinaga starrte seinen – vermeintlichen – Freund geschockt an, bevor er herumfuhr und davonlief. Soichi stand wie angewurzelt da. Nun machte das, was vor einigen Wochen passiert war gleich viel mehr Sinn. Er war hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, dem Fremden zu zeigen, was er von seiner Einmischung hielt und dem Wunsch, Morinaga zu folgen. Letzteres gewann schließlich die Überhand und er drängte sich zum Ausgang. Unterwegs hatte er Morinaga mehrfach verloren, aber schließlich hatte er doch die Wohnung gefunden. Vor der Tür blieb er schließlich stehen. Auf der ganzen Bahnfahrt hatte er überlegt, was er Morinaga sagen sollte, aber ihm war nichts eingefallen. Was er gerade gehört hatte, hatte ihn noch mehr verwirrt. Noch einmal atmete er tief durch, dann hob er die Hand, um zu klingeln. Überrascht erkannte er, dass die Tür leicht offen stand. Schulter zuckend öffnete er sie ganz und trat ein. „Jetzt beeil dich endlich, du Missgeburt!!!“, schallte es ihm entgegen. Erschrocken blieb er stehen. „Ja, Vater.“, hörte er Morinaga leise antworten. „Du warst lang genug weg! Bestimmt wieder in irgendeinem Schwulentreff, was? Bäh! Du ekelst mich an! Du weißt genau, dass ich meinen Fuß noch nicht belasten darf, also kümmer dich gefälligst um mein Abendessen! Wenigstens dazu müsstest du doch fähig sein!“ „Ja, Vater.“ „Das ist überhaupt nur deine Schuld, dass ich mir den Knöchel verstaucht habe!“ „Aber ich war doch gar nicht…“ „Halt die Klappe! Wenn deine Mutter nicht darauf bestanden hätte, dass wir uns mal wieder bei dir melden, wär ich nicht in dem Laden gewesen und wäre nicht hingefallen! Bäh, ich weiß nicht mal, was sie will. Ihr Schwule seid doch nicht mal so viel wert wie Tiere!“ Soichi zuckte zusammen. Die Worte von Morinagas Vater riefen ihm all die Ereignisse ins Gedächtnis, bei denen er Morinaga so beschimpft hatte. Erst als er es jetzt von einem anderen hörte, wurde ihm bewusst, wie verletzend er gewesen war. Er ballte die Hand, als er hörte wie Morinaga erneut mit einem leisen „Ja, Vater“ antwortete. Seine Stimme war so umgewohnt stumpf und leblos. Soichi spürte den plötzlichen Wunsch dafür zu sorgen, dass die Stimme seines Kohais nie wieder so klang. Entschlossen ging er weiter, bis er ins Wohnzimmer sehen konnte. Dort lag ein älterer Mann, offensichtlich Morinagas Vater, auf einem Sofa. Ein Fuß war verbunden und hochgelegt. Morinaga selbst stand mit gesenktem Kopf da. „Ich muss bald wieder zurück zur Uni.“, sagte Morinaga leise. „Der Arzt hat gesagt, dass du wieder anfangen kannst, deinen Fuß zu belasten.“ „Also willst du dich einfach aus der Affäre ziehen! Da sieht man mal wieder, dass man sich auf euch Schwule nicht verlassen kann! Du willst wohl zurück zu deinem Liebhaber, was?“ Sowohl Soichi als auch Morinagas Vater bemerkten, wie Morinaga bei dem letzten Satz zusammenzuckte. „Hab ich also Recht! Obwohl Liebhaber wohl der falsche Ausdruck ist. Wer auch immer das ist, für ihn bist du wohl kaum mehr als ein Spielzeug! Wer könnte schon so was wie dich lieben?“ Er lachte kalt. Entschieden trat Soichi ein. „Tetsuhiro,“ er benutzte bewusst Morinagas Vornamen, „ich bin hier um dich abzuholen.“ Er warf Morinagas Vater einen eiskalten Blick zu, der diesem die Worte im Hals stecken bleiben ließ. Er fasste sanft nach Morinagas Schulter. „Wo hast du deine Sachen?“ Morinaga starrte ihn noch immer verwirrt an. „I…in meinem Zimmer.“, hauchte er. „Dann packen wir schnell. Wenn wir den nächsten Zug erwischen, sind wir morgenfrüh wieder daheim.“, meinte Soichi. Behutsam führte er Morinaga durch die Wohnung, da dieser noch immer unter Schock zu stehen schien. Im Morinagas Zimmer, das erschreckend kahl war, übernahm er es schnell, Morinagas Sachen zurück in dessen Reisetasche zu packen und kurz darauf waren sie auf dem Weg zum Bahnhof. „Es tut mir Leid, dass ich nicht früher zurückgekommen bin und du mich holen musstest.“, waren Morinagas erste Worte, nachdem sie allein in einem Abteil saßen. Soichi sah ihn überrascht an. „Schon gut!“, meinte er dann. Er betrachtete Morinaga aus den Augenwinkeln, sah wie dieser noch immer bedrückt auf seinen Schoß sah. „Vergiss was er gesagt hat!“, sagte er plötzlich. Erstaunt sah Morinaga auf. „W…was?“ Soichi legte zögernd einen Arm um den Jüngeren. „Vergiss, was dein Vater gesagt hat! Es stimmt nicht!“, sagte er bestimmt. Leiser ergänzte er: „Und es tut mir Leid, dass ich manchmal auch so etwas ähnliches gesagt habe.“ Bevor Morinaga sich zusammenreißen konnte, stiegen ihm die Tränen in die Augen und er schluchzte auf. „N…nein, Morinaga…Tetsuhiro…nicht…nicht weinen! Ist ja gut!“, murmelte Soichi erschrocken, während er Morinaga zögerlich näher an sich zog. Im Moment war ihm egal, wie sie aussahen, für ihn zählte nur, dass es dem Jüngeren wieder besser ging. Tröstend streichelte er Morinagas Arm auf und ab. Erleichtert über diese positive Reaktion lehnte Morinaga sich an ihn und ließ seinen Tränen freien Lauf. Erst als Morinaga vor Erschöpfung eingeschlafen war, löste Soichi sich leicht von ihm, aber nur um sie beide zum Rand des Abteils zu rücken, so dass er sich in die Ecke lehnen konnte und Morinaga wieder an seiner Schulter lehnte. Nachdenklich sah er auf den Jüngeren hinab. Noch immer glitzernden letzte Tränen auf dessen Wangen. „Was machst du nur mit mir?“, seufzte er leise. „Mmmh, Sempai…“, murmelte Morinaga im Schlaf. Ein Lächeln huschte über Soichis Gesicht während er behutsam die Tränen wegwischte. „Shh, schlaf weiter, ich bin hier und pass auf dich auf!“ Wie Soichi gesagt hatte, hielt der Zug am nächsten Morgen wieder an ihrem Heimatbahnhof. Soichi, der schon länger wach war, rüttelte Morinaga leicht. Im Schlaf hatte dieser sich so nah wie möglich an ihn gekuschelt und hielt Soichi damit nun erfolgreich davon ab, aufzustehen. „Morinaga!“, rief Soichi. Verschlafen blinzelte dieser. „Sempai?“ Als er aufwachte, erkannte er, wo er war. Sofort sprang er auf. „Oh, ent…entschuldige, Sempai.“ Soichi winkte ab. „Schon gut. Lass uns aussteigen, bevor der Zug weiterfährt.“ Die beiden beeilten sich, ihre Taschen auf den Bahnsteig zu schaffen. Morinaga streckte sich, noch immer etwas erschöpft vom vorherigen Tag. Da ihre Wohnungen nicht allzu weit vom Bahnhof entfernt waren, beschlossen sie, auf ein Taxi zu verzichten. Als sie bereits in Sichtweite von Morinagas Wohnung waren, blieb dieser plötzlich stehen, so dass Soichi beinahe in ihn hineingelaufen wäre. „Was soll das denn jetzt? Kannst du nicht…“ Er stockte als er Morinagas ängstlichen Gesichtsausdruck sah. „Es…es tut mir Leid, Sempai. Es ist nur w…wegen Hiroto. Er…er…“ Morinaga brach ab, nicht in der Lage weiterzureden. Soichi fasste nach seiner Schulter. „Ich weiß. Ich hab euch in der Schwulenbar gesehen und gehört.“ Erschrocken fuhr der Jüngere herum und sah ihn aus großen Augen an. „D…du weißt…du hast gehört wie…warum ich…warum er…“ Er rang sichtbar nach Fassung, senkte dabei den Kopf. „Es tut mir Leid, dass du meinetwegen… dass ich… du weißt schon.“ „Du musst dich nicht dafür entschuldigen. Du kannst ja nichts dafür.“, beruhigte ihn Soichi. Zum ersten Mal störte es ihn, dass Morinaga sich für alles entschuldigte. Schnell traf er eine Entscheidung. „Komm, wir holen nur schnell ein paar Sachen, aus deiner Wohnung, die du unbedingt brauchst!“ „Wie?“ „Du kommst erst mal mit zu mir bis du eine neue Wohnung gefunden hast! Du bleibst nicht allein hier, solange dieser Spinner weiß, wo du wohnst!“ Überrascht sah Morinaga seinen Sempai an, bevor ein glückliches Lächeln auf seinem Gesicht erschien. „Danke, Sempai.“, hauchte er. Erstaunt bemerkte Soichi, wie Morinagas Augen wieder zu strahlen begonnen hatten. Er brauchte einen Moment, um sich wieder zu sammeln. Er winkte ab und drehte sich, etwas Unverständliches murmelnd, um. Zusammen gingen sie weiter. Als sie schließlich bei der Wohnung der Tatsumis abkamen, war es bereits fast Mittag. Soichi betrat als erster die Wohnung. „Hallo, Kanako?“ Statt seiner kleinen Schwester kam ihm allerdings Tomoe entgegen. „Oh, hallo Soichi. Schön dich zu sehen. Ich wusste gar nicht, dass du schon zurückkommst. Kanako meinte du wärst in Fukuoka.“ Erschrocken bemerkte Soichi, dass er total vergessen hatte, dass Tomoe und dessen… Liebhaber – er knurrte innerlich allein beim Gedanken – heute kommen würden. Er lächelte leicht. „Ja, es ging schneller als erwartet.“ „Prima!“, freute sich Tomoe. „Kommt ihr mit ins Wohnzimmer? Dann haben wir eine richtig schön gemütliche Runde!“ Soichi nickte einfach nur. „Ähm, Sempai, ich will nicht stören. Ich kann mir auch ein Hotelzimmer suchen oder so.“, meinte Morinaga leise. „Nein, bleib ruhig hier. Du störst nicht. Außerdem brauch ich jemand, der mich davon abhält, Kurokawa umzubringen – zumindest um Tomoe nicht zu verletzen.“ „Wenn es dir wirklich nichts ausmacht…“ „Tut es nicht. Also, komm mit! Wir stellen erst mal die Taschen in meinem Zimmer ab und dann gehen wir ins Wohnzimmer.“ Als sie das Wohnzimmer betraten, kam ihnen sofort Kanako entgegen. „Oh, hallo Morinaga!“ Sie umarmte ihn kurzerhand. „Du warst lange nicht mehr zu Besuch! Wie geht’s dir? Es hat dir doch hoffentlich nichts ausgemacht, dass Soichi dich abgeholt hat? Komm, komm setz dich! Soll ich dir was zu trinken holen?“ Morinaga lachte leise, erleichtert über die warme Begrüßung. „Ich freu mich auch, dich mal wieder zu sehen. Mir geht’s…gut, und dir? Mach dir meinetwegen keine Umstände.“ Kanako zog ihn neben sich auf eines der Sofas. „Mir geht’s auch prima. Es ist schön, dass die ganze Familie mal wieder zusammen ist. Außerdem ist das kein Problem, also was willst du trinken?“ Amüsiert hatte Soichi zusehen. Nun nahm er neben Morinaga Platz. „Hol einfach noch etwas Wasser!“, meinte er, nachdem er seinen Blick über die bereits vorhandenen Getränke hatte schweifen lassen. Er sah fragend zu Morinaga. „Okay?“ Morinaga nickte nur, noch immer etwas überrumpelt. Kurokawa räusperte sich verlegen, als die Stille immer länger andauerte. „Es ist eine nette Überraschung, dass ihr schon früher zurück seid.“, meinte er, obwohl sein Gesichtsausdruck klar sagte, dass es ihm nichts gemacht hätte, Soichi nicht treffen zu müssen. „Da bin ich mir sicher.“, sagte Soichi kühl. „Ist doch wirklich toll. Dann können wir noch ein paar Tage zusammen verbringen.“, sagte Tomoe, der die offensichtliche Feindseligkeit zwischen Kurokawa und Soichi wieder einmal nicht bemerkte. Kurokawa wurde blass und Soichi musste sich bemühen, seinen Schreck nicht zu zeigen. „Das würde ich wirklich gern, aber im Moment hab ich viel im Labor zu tun.“, zwang Soichi sich zu sagen. Tomoes Blick wurde traurig. „Willst du denn keine Zeit mit mir verbringen? Wir… wir haben uns so darauf gefreut, mal wieder hier zu sein. Liegt… liegt es daran, dass ich jetzt… schwul bin? Willst du deshalb nichts mit uns unternehmen?“ „A…aber nein, Tomoe. Das hab ich nicht gesagt…“ „Im Moment ist das Experiment nur leider in einem sehr zeitaufwändigen Stadium. Das hat überhaupt nichts mit euch zu tun. Außerdem habt ja auch abends immer noch Zeit, die ihr zusammen verbringen könnt.“, ergänzte Morinaga besänftigend. „Oh!“ Tomoe sah seinen großen Bruder entschuldigend an. „Tut mir Leid, dass ich gleich das Schlimmste gedacht hab.“ Soichi räusperte sich verlegen, da Tomoe ja eigentlich doch Recht gehabt hatte. „Denken wir nicht mehr dran!“ Er rang sich zu einem leichten Lächeln durch. „Mal sehen, vielleicht finden wir fünf ja doch auch einen Nachmittag Zeit, etwas zusammen zu unternehmen.“, zwang er sich zu ergänzen. Morinaga verschluckte sich an seinem Wasser. „Fünf?“, fragte er erschrocken. Die beiden anderen bemerkten seine Reaktion nicht, da Tomoe Kurokawa vor Freude um den Hals gefallen war und Kanako den beiden begeistert eine Liste aller Sache aufzählte, die sie machen könnten. „Ja, fünf. Wenn ich mit den drei allein einen Nachmittag verbringe, kann man mich danach in eine geschlossene Anstalt einweisen.“, seufzte Soichi. Er sah kurz zu Morinaga hinüber. „Es sei denn natürlich du möchtest nicht mit.“ Der Angesprochene schüttelte schnell den Kopf. „So hab ich das nicht gemeint. Ich würde mich sehr freuen.“ Er lächelte schüchtern. „Gut. Und du verstehst, dass das…“ „…rein freundschaftlich ist. Natürlich, das ist mir klar. Ich hab nie etwas anderes erwartet.“ Bevor Soichi etwas erwidern konnte, wandte sich Kanako an alle. „Oh, ich bin auch vergesslich! Ich hab noch gar nicht mit dem Mittagessen angefangen.“ Morinaga machte sich daran aufzustehen. „Ich kann dir gern helfen, wenn du möchtest.“ Soichi drückte ihn wieder zurück aufs Sofa. „Nicht nötig! Du bist hier zu Gast, du musst nicht helfen!“ Er wandte sich an seine kleine Schwester. „Ich komme mit und seh mal, was du machst.“ Während er aufstand flüsterte er Morinaga zu: „Pass auf Tomoe auf!“ Morinaga nickte leicht. Tomoe sah seinem Bruder verwundert nach. Er konnte sich nicht erinnern, dass dieser in der Küche hatte helfen wollen. Kurokawa wandte sich währenddessen an Morinaga. „Ah, Morinaga? Ich hoffe unsere Abreise nach Amerika hat nicht für zu viel Wirbel hier gesorgt.“ Morinaga räusperte sich unsicher. „Zuerst zwar schon, aber es war ja zu erwarten, dass eure plötzliche Abreise erst mal für Unruhe sorgt.“ Kurokawa betrachtete ihn misstrauisch, aber Morinaga sagte nichts weiter dazu. „Soichi hat uns angerufen wegen dieser Sache in San Francisco. Du weißt schon, die… Homoehe.“ Tomoe lächelte verlegen. „Wenn er nicht angerufen hätte, hätte ich davon überhaupt nichts erfahren.“ Morinaga biss sich auf die Lippe um nicht zu lachen. Das erklärte natürlich, warum Soichi am nächsten Tag so sauer gewesen war. Kurokawa seufzte. „Ja, er ruft öfters an. Teilweise zu unmöglichen Zeiten.“ „Kurokawa!“, entfuhr es Tomoe entrüstet. „Senpai macht sich nun mal Sorgen. Das ist doch klar!“, sagte Morinaga kühl. Kurokawa hob anwehrend die Hände. „Ich sag ja gar nichts mehr! Aber sag mal, Morinaga, hab ich das richtig verstanden? Er hat dich abgeholt?“ Er grinste interessiert. Morinaga zuckte mit den Schultern. „Wie gesagt, das Experiment ist in einem arbeits- und zeitintensiven Stadium und ich war schon zu lange weg.“ Sein Tonfall sagte klar, dass er nicht weiter darüber reden wollte. Soichi, der unbemerkt von den anderen schon länger vor der Tür gestanden hatte, kam wieder ins Wohnzimmer. „Das Mittagessen gibt’s heute später. Kanako muss noch etwas fürs Essen kaufen gehen.“ Als er bemerkte, dass Morinaga schuldbewusst zu Boden sah, ergänzte er schnell: „Sie hatte vergessen, dass wir gestern den letzten Rest Reis gegessen hatten.“ Zu seiner eigenen Überraschung bemerkte er, dass er erleichtert war, als Morinaga wieder aufsah. Er nahm wieder neben ihm Platz. „Und Tomoe, wie gefällt es dir in Amerika?“ „Es ist toll da. Die Arbeit in dem Venture-Unternehmen macht mir sehr viel Spaß. Kalifornien ist richtig spannend. Sonst haben wir noch nicht viel von Amerika gesehen.“ Tomoe strahlte. „Kurokawa hat sogar vorgeschlagen, dass wir uns mal San Francisco ansehen.“ „WAS?!“, entfuhr es Soichi. Er funkelte Kurokawa wütend an. „Was hast du vor?“ Kurokawa piepste nur erschrocken und versuchte weiter nach hinten zu rücken. Morinaga lehnte seine Stirn an seine Hand. Er hatte irgend so einen Ausbruch schon erwartet. „Oh, Morinaga, hast du Kopfschmerzen?“, fragte Tomoe naiv. Morinaga zwang sich zu einem beruhigenden Lächeln. „Oh, mach dir keine Sorgen! Es geht schon.“ Er behielt Soichi im Auge, der drauf und dran schien über den Tisch zu springen und Kurokawa zu würgen. Soichis Blick verdunkelte sich. „Hab ich’s doch gewusst! Das hattest du doch schon die ganze Zeit geplant! Deswegen bist du mit ihm nach Amerika! Gib’s doch zu! Du hattest die ganze Zeit vor, mit ihm nach San Francisco zu gehen! Nur weil du dich da sicher fühlst, du…“ Er stoppte mitten in seiner Schimpftirade, als ihm wieder bewusst wurde, dass Morinaga und Tomoe auch anwesend waren. Er rang nach Worten, die er auch vor den beiden sagen konnte. „Das hatte ich überhaupt nicht vor! Ich wusste ja nicht mal, dass Tomoe nach Amerika wollte.“, beeilte Kurokawa sich zu erklären. „Außerdem ist das gar nicht der Grund, warum wir nach San Francisco fahren!“ „Ach ja? Nicht mal Verantwortung übernehmen willst du! Mir war sofort klar, dass du total verantwortungslos und egoistisch bist!“, schimpfte Soichi. Kurokawa blinzelte irritiert. „Wie…? Aber…“ „Soichi, bitte halt dich da raus!“, bat Tomoe. „Außerdem hab ich nur gemeint, dass ich das _noch_ nicht vorhabe.“, ergänzte Kurokawa. Erst einmal herrschte Stille. Kurokawa räusperte sich. „Natürlich nur mit Einverständnis und Familie und so.“ Tomoe quietschte erfreut und fiel Kurokawa erneut um den Hals und küsste ihn. Soichis Augenbraue zuckte gefährlich und er suchte nach Worten. Seine Aufmerksamkeit wurde von den beiden gelenkt, als Morinaga ihm etwas zu trinken hinhielt. „Sag jetzt lieber erst mal nichts dazu! Wenn du versuchst es ihnen verbieten, wird Tomoe nur traurig. Ich denke es würde ihn ziemlich verletzen, wenn du erwartest, dass er sich zwischen seiner Liebe zu Kurokawa und dir entscheiden muss.“, sagte Morinaga leise. Er war angespannt, bereit aufzuspringen – egal ob es war um Soichi aufzuhalten und ihm auszuweichen. Soichi seufzte, nahm aber das Glas und lehnte sich zurück. „Das heißt nicht, dass es mir gefallen muss!“ Kurokawa hatte erleichtert gemerkt, dass Soichi sich wieder gesetzt hatte. Innerlich machte er sich eine Notiz, Morinaga immer dabei zu haben, wenn er mit Soichi in einem Raum sein musste. Soichi schien bedeutend ruhiger. Tomoe sah sich zu seinem Bruder um, als er merkte, dass der plötzlich ruhig geworden war. Unsicher biss er sich auf die Lippe. „S… Soichi, ich…“ Soichi bemerkte, wie sehr Morinaga doch Recht hatte. Die Angst und Zerrissenheit stand Tomoe förmlich ins Gesicht geschrieben. Er suchte nach Worten. Ja, er war dabei zu lernen, dass nicht alle Schwulen schlecht waren – Himmel, er war umringt von Männern, die ihm bewiesen, dass das ganz und gar nicht der Fall war – aber noch war er nicht bereit, das offen zuzugeben, auch wenn es nur seinem Bruder gegenüber war. „Mach doch was du willst!“, murmelte er schließlich. Tomoe atmete erleichtert auf. Er wusste, dass das so weit war wie sein Bruder gehen würde um zu sagen, dass er es akzeptierte. „Danke Soichi!“ Er umarmte seinen Bruder ebenfalls. Er sah kurz zu Morinaga, der alles mit einem etwas traurigen Lächeln beobachtet hatte. Trotzdem konnte er sehen, dass er sich aufrichtig für ihn und Kurokawa freute. Als er sich von seinem Bruder löste, lächelte Morinaga zu. Soichi folgte dem Blick seines Bruders und bemerkte ebenfalls Morinagas Traurigkeit. Schnell wandte er den Blick wieder ab. Er sagte sich zwar, dass es nur war, weil er nicht weiter daran denken wollte, dass Morinaga in ihn verliebt war, aber wenn er ehrlich zu sich selbst war, konnte er es nur nicht ertragen ihn so traurig zu sehen. Tomoe setzte sich wieder auf das zweite Sofa zu Kurokawa. Dabei verzog er kurz das Gesicht, allerdings nicht kurz genug, als dass es Soichi nicht aufgefallen wäre. „Was ist denn los, Tomoe?“, fragte er besorgt. Tomoe errötete leicht. „N…nichts, es tut nur noch etwas weh vom…du weißt schon.“ Morinaga klappte erschrocken der Mund auf. Er konnte nicht glauben, was er da hörte. Soichi war nicht weniger geschockt. Er rief sich in Erinnerung, wie lange er nach seinen ungewollten Nächten mit Morinaga Schmerzen gehabt hatte. „Du hast hier mit meinem Bruder geschlafen wo meine kleine Schwester euch jederzeit erwischen könnte?! Oder noch schlimmer im Flughafen?!“, donnerte er schockiert. „Wie kommst du denn darauf? Das letzte Mal, dass wir zusammen waren war die Nacht bevor wir abgeflogen sind.“, sagte Tomoe. Verständnislos sah Soichi seinen kleinen Bruder an. Gute zwei Tage und er hatte noch immer Schmerzen, wenn er sich setzte? „Tomoe, könntest du mir vielleicht doch etwas gegen Kopfschmerzen holen.“, mischte sich Morinaga plötzlich in das Gespräch ein. Tomoe sah ihn kurz überrascht an. Als er sah, wie dieser die Zähne zusammenbiss, stand er schnell auf. „Natürlich, mach ich sofort!“ Er verließ schnell das Wohnzimmer. Soichi wollte ihm gerade nachrufen, dass er die Medikamente umgeräumt hatte, als er eine Überraschung erlebte. „Sag mal bist du noch ganz bei Trost?!“, fuhr Morinaga Kurokawa an, sobald Tomoe weg war. „So etwas Unverantwortliches und Egoistisches hab ich in noch keiner Beziehung erlebt! Was denkst du dir eigentlich dabei, so mit deinem Freund umzugehen!? Hast du vielleicht schon mal was von Vorbereitung gehört?! Es ist mir egal, ob Tomoe dein erster Freund ist oder ob du seit Jahren schwul warst und nur zu feige es zuzugeben! Es gibt genug Möglichkeiten, sich aufklären zu lassen, wie es für beide Partner angenehm ist! Ganz abgesehn davon, dass das was du machst an Ausnutzung grenzt! Denk gefälligst mal nach oder beschaff dir irgendwo Informationen wenn du allein nicht weißt, was du machen sollst!“ Er hatte gar nicht gemerkt, dass er aufgesprungen war. Nun atmete er tief durch. Erleichtert bemerkte er, dass Tomoe während seines Ausbruchs nicht zurückgekommen war. Er setzte sich wieder aufs Sofa und verschränkte die Arme vor der Brust, wobei er Kurokawa weiter kalte Blicke zuwarf. Soichi hatte fasziniert Morinagas Ausbruch beobachtet. Ihm gegenüber war Morinaga nie so temperamentvoll, meistens weil er ihn vorher „überrannte“. Kurokawa hingegen hatte Morinaga nichts entgegenzusetzen und sank immer mehr zusammen. Als Morinaga schließlich fertig war, war er fast in den Kissen und unter dem Tisch verschwunden. Amüsiert überlegte er, dass er Morinaga öfter mitnehmen sollte, um Kurokawa die Meinung zu sagen. So konnte ihm zumindest nicht unterstellt werden, dass es mit seinem Hass auf Schwule zu tun hatte. Tomoe kam schließlich mit einem Aspirin zurück. Überrascht blieb er in der Tür stehen. „Was ist denn hier los?“, fragte er, als er sah, wie Kurokawa auf dem Sofa hing. „Nur ein kleiner Meinungsaustausch.“, antwortete Morinaga, ließ sein Gegenüber aber nicht aus den Augen. Tomoe sah zu seinem Bruder, aber der war total gelassen, seine Augen funkelten sogar etwas amüsiert. Er sah ganz und gar nicht so aus, als ob er gerade wieder einen seiner Wutanfälle gehabt hätte. Innerlich zuckte er mit den Schultern und gab Morinaga lieber das Aspirin, der ihm dankend zunickte. „So, ich bin wieder da!“, ertönte Kanakos Stimme von der Eingangstür her. Sie steckte kurz den Kopf ins Wohnzimmer. „Ich mach mich dann ans Mittagsessen.“ Sie stutzte, als sie die Tablette in Morinagas Hand sah. „Oh, Morinaga, ist dir nicht gut? Du bist doch hoffentlich nicht krank?“, fragte sie besorgt. Morinaga lächelte über ihre Sorge. „Mach dir keine Gedanken, Kanako, ich hab nur in den letzten Tagen nicht viel Schlaf bekommen.“ „Dann solltest du dich lieber etwas ausruhen! Letztes Jahr bist du doch wegen Schlafmangel sogar so krank geworden, dass du in der Universität ohnmächtig geworden bist, hab ich gehört.“, sagte Kanako. „Ich werd auf mich aufpassen!“, versprach Morinaga. „Okay.“ Kanako wandte sich wieder an alle. „Der Reis wird nicht lang dauernd und das andere hab ich angelassen. Ihr könnt ja schon mal den Tisch abräumen und decken!“ „Au ja, komm Kurokawa!“, rief Tomoe und zog seinen Liebhaber mit sich. Morinaga stand auf und wollte ihnen gerade folgen, als Soichi ihn zurückhielt. „Warte mal, Morinaga!“ Soichi wartete, bis Morinaga ihn ansah, bevor er langsam weiterredete. „Kanako hat Recht, du solltest dich nicht wieder überanstrengen. Wenn du zu müde bist, solltest du dich heute Nachmittag lieber noch etwas ausruhen! Ich kann auch allein in die Uni gehen. Ich will keine Wiederholung von letztem Jahr!“ Er erinnerte sich noch zu gut an den Schrecken, als ihm gesagt wurde, dann Morinaga einfach ohnmächtig zusammengebrochen war. Er hatte zwar behauptet, es gehe ihm nur ums Experiment, aber er hatte sich wirklich Sorgen um Morinaga gemacht. Kanako hatte Recht gehabt, als sie sagte, dass Morinaga sein einziger Freund war. Er war der Einzige gewesen, der bereit war seine Wutausbrüche zu ertragen. „Senpai?“ Besorgt sah Morinaga den Älteren an, als dieser nicht reagierte. „Äh, was?“, fragte Soichi. „Ich hab gesagt, dass es schon geht. Außerdem hab ich deinem Bruder doch erzählt, dass wir beide im Labor arbeiten müssen. Nicht dass er nachher doch noch misstrauisch wird.“ Soichi schoss durch den Kopf, was Morinaga bei ihrem Telefongespräch nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht gesagt hatte. _Ich denke dass ich bereit bin, alles für dich zu tun…_ „Deine Gesundheit ist wichtiger! Wenn du dich zu müde fühlst, leg dich etwas hin!“ Bevor Morinaga etwas erwidern konnte, ging er Tomoe und Kurokawa nach. Morinaga sah ihm erstaunt nach. Es war schon fast dunkel, als Soichi und Morinaga wieder zurückkamen. Die drei anderen hatten schon gegessen, aber sie setzten sich trotzdem noch einmal zu ihnen. „Wie wird das eigentlich mit heute Nacht?“, fragte Kanako, als Soichi und Morinaga fast fertig waren. Die vier Männer sahen sich fragend an. Darüber hatte sich noch keiner von ihnen Gedanken gemacht. „Ich kann auch in meine Wohnung gehen. Ich will euch keine Umstände machen.“, sagte Morinaga. Er wich Soichis Blick aus, um die Angst in seinen Augen zu verbergen. Soichi bemerkte trotzdem die Anspannung seines besten Freundes. Er spürte, wie sein Blut kochte, wenn er daran dachte, was dieser Hiroto geplant hatte. „Nein, solange der Spinner nicht aufgegeben hat, bleibst du da nicht allein!“, sagte er fest. Morinaga atmete unwillkürlich auf. Ihm war es auch lieber, jetzt nicht allein sein zu müssen. Nachdenklich sah Soichi die anderen an. Er war sich bewusst, dass sie erwarteten, dass er entschied. Sie hatten drei Zimmer zur Verfügung: Kanakos, Tomoes und sein eigenes. Das Schlafzimmer seines Vaters war immer abgeschlossen, wenn der nicht da war und das Wohnzimmer bot keine ausreichende Schlafgelegenheit. Kanako konnte ihr Zimmer allein für sich haben. Das Bett war gerade groß genug für sie und der restliche Platz war zum größten Teil bedeckt mit ihren Sachen. Die vier Männer mussten also irgendwie teilen. Auch wenn er Morinaga genug vertraute, um ihn mit Tomoe in einem Zimmer schlafen zu lassen, wusste er, dass wenn er und Kurokawa ein Zimmer teilen würden einer von ihnen die Nacht nicht überleben würde. Er könnte sich zwar ein Zimmer mit seinem Bruder teilen, aber etwas in ihm sträubte sich dagegen, Morinaga mit dem Trampel von Kurokawa allein zu lassen, solange Morinaga so unsicher und verletzlich war. Blieb also nur eine Möglichkeit. „Ihr lasst die Schlafanzüge komplett an, verstanden? Die Wände sind verdammt dünn!“, sagte er schließlich an seinen Bruder und Kurokawa gewandt. Die drei anderen Männer sahen ihn erstaunt an. Mit der Reaktion hatte eigentlich keiner von ihnen gerechnet. „Du meinst Kurokawa schläft bei Tomoe und ich bei dir?“, sicherte sich schließlich Morinaga. „Was dagegen? Sag einfach Bescheid, wenn dir eine andere Möglichkeit lieber wäre.“, meinte Soichi kühl. „Nein, nein, nichts dagegen. Ich wollte nur sicher gehen.“, wehrte der Jüngere ab. Ohne dass er sich dessen bewusst war, zeigten seine Augen Soichi genau, wie glücklich und erleichtert er war, dass Soichi ihm wieder vertraute und ihn nicht allein ließ. Soichi schluckte. Er hatte das Gefühl einen Kloß im Hals zu haben, als er Morinagas Augen sah. Er hoffte nur, dass es diesem bald wieder bessern gehen würde. Er wusste nicht, wie lange er es aushalten würde, Morinaga so verletzlich zu sehen. „Vielen Dank, ich verspreche, dass nichts passieren wird, solange wir hier sind.“, versicherte Kurokawa. Soichi wandte sich ihm zu, erleichtert aus seinen Gedanken über Morinaga geholt worden zu sein. „Das will ich ja wohl hoffen.“, knurrte er. Tomoe gähnte. „Ich bin sowieso viel zu müde um noch irgendwas zu machen. Ich will nur noch schlafen.“ Morinaga wurde von Tomoes Gähnen angesteckt, versuchte aber es zu verstecken. Soichi fiel es trotzdem auf. „Wir sollten alle schlafen gehen.“, meinte er. Von den anderen kamen keine Widerworte. Nach Gute-Nacht-Wünschen verschwanden die fünf in ihren Zimmern. Soichi und Morinaga lagen still da, Soichi in seinem Bett und Morinaga auf dem Boden. Das Licht war schon ausgeschaltet. Nur das durch das Fenster einfallende Licht erleuchtete den Raum schwach. Soichi stützte sich plötzlich mit dem Arm auf und sah auf den Jüngeren hinab. „Morinaga?“, fragte er. „Hm, was ist?“ „Was genau war das mit diesem…Hiroto?“ Soichi sah, wie Morinaga leicht zusammenzuckte. „Wie gesagt, wir kennen uns schon länger. Er hat eine Schwulenbar hier in der Stadt. Er… er hat schon länger versucht, mich zu überreden, etwas mit ihm anzufangen. Ich war nicht wirklich interessiert. Er ist einfach nicht mein Typ. Ich…ich hab dich wohl öfter erwähnt. Es tut mir wirklich Leid, aber ich musste irgendwem mein Herz ausschütten. Ich wusste nicht… ich hätte nie gedacht, dass er… dass er… Es tut mir so schrecklich Leid, Senpai.“ Morinaga hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten. „Ich hatte nie vor, dass du… davon betroffen wirst… Es tut mir wirklich Leid, dass…dass ich…dass du…“ Er unterdrückte ein Schluchzen. „Ich schwör dir, ich hätte…hätte nie…nie einfach…“ „Morinaga, beruhig dich! Ich weiß jetzt ja, warum du das gemacht hast.“, unterbrach Soichi ihn. „Du konntest ja nicht wissen, dass er ein solcher Spinner ist.“ „Trotzdem, es… es tut mir so schrecklich Leid, dass…dass ich… dass ich dasselbe gemacht habe wie…wie…“ Soichi setzte sich erschrocken auf. „Morinaga, vergleich dich nicht noch einmal mit diesem Schwein! Das zwischen uns war etwas ganz anderes!“ Er berührte leicht die Schulter des Jüngeren. „Und nach dem, was ich da mitbekommen habe, ist es wohl noch einigermaßen gut verlaufen. Ja, du hast etwas gegen meinen Willen getan, aber Morinaga, du hattest dich noch immer ziemlich unter Kontrolle.“ „Aber nicht genug.“, wisperte Morinaga bedrückt. „Zumindest genug Kontrolle, so dass ich nicht noch tagelang später Schmerzen hatte.“ Soichi lächelte selbstkritisch. „Es war wohl wirklich besser so rum, als wenn Hirotos Plan richtig funktioniert hätte.“ Morinaga setzte sich auf. „W…was sagst du da?“ Soichi suchte nach Worten. „Ich hätte mich wohl kaum so sehr unter Kontrolle gehabt und du wärst bedeutend mehr verletzt gewesen, als ich.“ „Körperlich vielleicht, aber das wäre wieder verheilt.“ „Willst du mir ernsthaft sagen, dass die Verletzungen nur körperlich gewesen wären? Außerdem weiß ich ja jetzt die Wahrheit. Also vergiss es einfach, okay?“ Morinaga nickte. „Ich werd’s versuchen.“ „Gut.“ Soichi legte sich wieder hin. Obwohl er auch müde war, gingen ihm die Ereignisse der letzten Tage nicht aus dem Kopf. „Was meintest du eigentlich damit, dass du nie etwas anderes erwartet hast?“, fragte er schließlich. „Wie? Wann hab ich das gesagt?“ „Heute Mittag.“ Soichi rollte sich auf die Seite. „Was ist es, was du von mir erwartest?“ „Ich erwarte gar nichts.“, sagte Morinaga leise. Soichi verdrehte die Augen. „Okay, lass es mich anders ausdrücken: Was erhoffst du dir von mir? Was erträumst du dir?“ „Ich…ich bin froh, dass du mich trotz allem noch mit dir arbeiten lässt. Das…das möchte ich auf keinen Fall verlieren! … In meinen Träumereien unternehmen wir was zusammen, verbringen auch mal außerhalb der Forschungsarbeit Zeit zusammen. Ich träume davon, dass wir uns über alles unterhalten können und dass du mich berührst, mich umarmst zum Beispiel.“, erzählte Morinaga leise. „Willst du mir erzählen, dass du nie davon geträumt hast, mit mir Sex zu haben?“ „Das hab ich nicht gesagt, aber ich… ich finde dass Sex nicht so wichtig sein sollte. Für… für mich ist das andere viel wichtiger. Wenn man mit jemandem zusammen ist, dann sollte das nicht nur für Sex sein, sondern weil man den anderen Menschen sehr gern hat und gern Zeit mit ihm verbringt. Klar, Sex ist in einer Beziehung auch etwas Schönes, aber… die Beziehung sollte auch ohne glücklich sein.“ „M…Morinaga…“ Soichi fehlten die Worte. Der Jüngere drehte sich zum Fenster, so dass er Soichi den Rücken zuwandte. „Du musst nichts dazu sagen. Ich weiß, dass das naiv ist, aber das ist nun mal mein Traum.“, flüsterte er. Er schloss die Augen und ließ die Müdigkeit ihn überrollen. Soichi hingegen lag noch länger wach, nicht in der Lage einzuschlafen. Seine Gedanken drehten sich um all die Dinge, die er in den letzten beiden Tagen erfahren hatte. Was er in der Schwulenbar in Fukuoka gehört hatte, ließ die beiden Nächte mit Morinaga in einem anderen Licht erscheinen. Es erklärte außerdem, warum Morinaga sich so ungewöhnlich verhalten hatte. Normalerweise war er so sanftmütig, fast schön schüchtern manchmal. Gerade deswegen war Soichi geschockt gewesen, dass Morinaga ihn zweimal… Was Morinaga ihm heute Nacht erzählt hatte, passte da schon eher zu ihm. Ja, vielleicht war sein Traum naiv, aber Soichis Meinung nach war das der richtige Ansatz für eine Beziehung. Eine Partnerschaft, die nicht auf Sex beruhte, sondern auf Zuneigung und Respekt, das war nicht nur Morinagas Traum. Er musste leicht lächeln. Wer auch immer es schaffen würde, Morinaga für sich zu gewinnen, würde wirklich sehr großes Glück haben. Er hoffte für Morinaga, dass er bald den richtigen Partner fand und endlich von ihm, Soichi, loskam. Das kurze Zusammentreffen mit Morinagas Vater hatte Soichi die Augen geöffnet, was sein eigenes Verhalten betraf. Er wusste selbst, dass er aggressiv war und zu Wutausbrüchen neigte, Wutausbrüche dessen Opfer meist Morinaga war. Trotzdem war dieser noch immer bei ihm. Soichi war sich teilweise überhaupt nicht bewusst gewesen, was er Morinaga in seiner Wut über Schwule alles an den Kopf warf. Er hatte immer das Bild des Assistenzprofessors vor Augen, wenn er von Schwulen redete. Als er aber gesehen hatte, wie Morinaga auf die Beschimpfungen seines Vaters reagiert hatte, war er sich zum ersten Mal darüber bewusst geworden, wie sehr er selbst Morinaga immer verletzte und ausnutzte. Morinaga hatte sich dafür entschuldigt, dass er die Situation ausgenutzt hatte und sich dabei mit dem Assistenzprofessor verglichen, aber Soichi hatte das Gefühl, als müsse er sich entschuldigen. Wenn er es auch nicht absichtlich getan hatte, war es für ihn fast genauso schlimm, wie sehr er Morinaga ausgenutzt hatte. Wie der Assistenzprofessor hatte er seine höhere Stellung schamlos ausgenutzt. Die letzten beiden Tage hatten ihn endlich wachgerüttelt und ihm gezeigt, wie sehr sich der Assistenzprofessor und Morinaga doch unterschieden. Innerlich schwor er sich, die beiden nie wieder zu verwechseln. Solange Morinaga weiter bei ihm blieb, sollte er nicht weiter verletzt werden, nicht von ihm. Soichi verspürte den plötzlichen Drang Morinaga vor der ganzen Welt zu schützen, in der all die, denen Morinaga Zuneigung entgegenbrachte, ihn verletzten und benutzten. Er nahm sich fest vor, dass er von nun an anders sein würde, als Hiroto und Morinagas Vater, aber er wusste nicht, ob er es schaffen würde. „Du weißt gar nicht, wie Leid es mir tut, dass du dich in jemanden wie mich verliebt hast, Morinaga. Ich hoffe von ganzem Herzen, dass du bald einen Partner findest, der dich glücklich macht.“, flüsterte Soichi kaum hörbar. Die nächsten Wochen verliefen überraschend ruhig. Zu seiner eigenen Überraschung hatte Soichi am dem Nachmittag, an dem er mit den vier anderen in einem Vergnügungspark gewesen war sogar Spaß gehabt. Zwar war er alles andere als begeistert gewesen, als Tomoe wieder nach Amerika hatte fliegen müssen, aber er begann langsam Tomoes Entscheidung zu akzeptieren. Auch hatte er bemerkt, dass er scheinbar nicht der Einzige war, der sich Sorgen machte. Er hatte am letzten Tag zufällig ein Teil eines Gesprächs zwischen Morinaga und Kurokawa mitbekommen, in dem Morinaga Tomoes Freund gesagt hatte, wie er sich Tomoe gegenüber verhalten sollte, oder er würde das Ticket für Soichi selbst bezahlen. Ihre Zusammenarbeit hatte sich auch gebessert. Soichi war überraschend stolz auf sich selbst gewesen, als er es ganz natürlich geschafft hatte, sich über Kurokawa und die Nachrichten aus Amerika über Schwule aufzuregen, ohne Morinaga dabei direkt anzugreifen. Auch begannen sie langsam, nicht nur im Labor Zeit miteinander zu verbringen oder trinken zu gehen, wenn Soichi mal wieder frustriert war wegen irgendwelchen Nachrichten aus Amerika. Obwohl Morinaga inzwischen wieder eine eigene Wohnung hatte, verbrachten sie öfter Abende zusammen vor dem Fernseher und sahen sich Dokumentationen über ihren Forschungsbereich an. Erstaunt hatte Soichi bemerkt, dass er ihre anschließenden Diskussionen wirklich genoss. Nebenbei lernte er auch immer mehr über Morinaga, so dass er nun wirklich von sich sagen konnte, dessen bester Freund zu sein. Als Soichi am frühen Abend von der Uni kam, erwartete ihn Kanako schon an der Haustür. „Und, wie war’s heute? Du bist ziemlich früh.“ Soichi legte seine Tasche zur Seite. „Wir sind gut vorangekommen. Mach dir mit dem Abendessen nicht zu viel Arbeit, wir sehen uns bei Morinaga wieder eine Dokumentation an.“ „Oh, ich fürchte da gibt es ein Problem.“, meinte Kanako. Erstaunt blieb Soichi stehen. „Wie? Was ist denn?“ „Ein Geschäftsfreund von Papa ist in der Stadt und hat sich für heute Abend zum Essen eingeladen, zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter.“ Soichi verzog das Gesicht. „Na toll. Dann werd ich Morinaga mal anrufen um abzusagen. Für wann haben die sich angemeldet?“ „Für halb acht. Entschuldige, aber ich wusste nicht, dass du heute zu Morinaga wolltest, sonst hätte ich abgesagt.“ Soichi seufzte. „Schon gut.“ Er griff nach dem Telefon und wählte Morinagas Handynummer. „Morinaga?“ „Oh, hallo Soichi.“ Morinaga war offensichtlich überrascht, dass er anrief. „Was ist denn los?“ „Ich kann heute Abend doch nicht kommen.“ „Oh.“ Soichi konnte Morinagas Enttäuschung deutlich hören. „Warum nicht? Ist irgendwas passiert?“ Er klang nun wirklich gesorgt. „Nein, aber ein Geschäftsfreund meines Vaters kommt mit seiner Familie zum Abendessen.“ „Ah, verstehe. Soll ich die Dokumentation aufnehmen? Dann können wir sie uns ja in ein paar Tagen ansehen.“ „Ja, tu das. Wenn’s morgen gut läuft im Labor können wir uns das Video dann morgen Abend ansehen, okay?“ „Gut, ich freu mich. Bis morgen!“ „Ja, bis morgen!“ Mit einem Seufzen legte Soichi auf. Er hatte zwar überhaupt keine Lust auf ein Abendessen mit irgendwelchen Freunden seines Vaters, aber zumindest die Aussicht, den nächsten Abend mit Morinaga zu verbringen baute ihn wieder auf. Er ging zum Bad, um vorher noch eine Dusche zu nehmen. Er versuchte, seine Enttäuschung über die verhinderten Pläne zu verstecken – am besten noch vor sich selbst, da es ihn doch etwas störte wie sehr er enttäuscht war – und sagte sich, dass es so schlimm schon nicht sein würde. Es war schlimmer. Soichi saß an seinem Platz am sorgfältig gedeckten Esstisch und bemühte sich, seine Langeweile nicht zu zeigen und sie nicht rauszuschmeißen. Die Tochter seiner Gäste erzählte mit für seinen Geschmack schriller Stimme und übertriebener Lautstärke irgendetwas. Er hatte schnell aufgehört darauf zu achten, wovon sie erzählte. Sie war jünger als er, etwa so alt wie Tomoe. Als er sie an der Tür begrüßt hatte, war sie sofort rot angelaufen und hatte ihn seither nicht mehr aus den Augen gelassen. Beim Essen schien sie nun darauf aus zu sein, ihm ihr ganzes Leben zu erzählen. „Und ich finde es ja soooo interessant, was du machst. Ich hab mich ja auch schon immer für Agerwissenschaft interessiert.“ „Agrarwissenschaft.“, verbesserte ihr Vater, wofür seine Frau und seine Tochter ihm wütende Blicke zuwarfen. „Akiko will auch das Fach studieren.“, sagte ihre Mutter. „Vielleicht kann ich ja hier auf die Uni. Die will ich mir so bald wie möglich ansehen!“, rief Akiko. Soichi biss die Zähne zusammen. „Wie schön!“, meinte er. „Bitte verschont mich!“, schoss es ihm gleichzeitig durch den Kopf. „Vielleicht könntest du mir ja die Uni zeigen.“, schlug sie vor. „Mein Bruder hat momentan leider viel mit einem Experiment zu tun und die Uni ist sehr groß.“, warf Kanako ein. „Oh!“ Kurz sah Akiko traurig aus, aber dann strahlte sie wieder. „Na ja, ich kann ja trotzdem mal kommen und vorbeischauen. Vielleicht hast du ja doch Zeit. Außerdem ist das bestimmt interessant, was du machst. Hab ich dir schon erzählt, wie ich…“ Soichi musste die Zähne zusammenbeißen, um ihr nicht zu sagen, was er von ihren Erzählungen wirklich hielt. Er fragte sich, wie der Geschäftsfreund seines Vaters es aushielt, wenn seine Tochter den ganzen Tag haarklein von allem berichtete, was sie tat (er hatte nicht gewusst, wie viele Kleider eine Frau bei einem Einkaufsbummel anprobierte und es war ihm ehrlich gesagt auch ziemlich egal) oder von irgendwelchen Dingen redete, von denen sie offensichtlich keine Ahnung hatte. Wie viel lieber hätte er jetzt den Abend mit Morinaga verbracht! Die Gespräche mit ihm waren bedeutend interessanter – ganz abgesehen von der Tatsache, dass es tatsächliche Gespräche waren und nicht einfach nur ein endloser Monolog. Soichi konnte es kaum erwarten, dass der Abend vorbei war. Am nächsten Morgen stand Soichi allein im Labor und arbeitete, den Rücken zur Tür. Morinaga hatte eine frühe Vorlesung und würde noch kommen. Soichi wartete ungeduldig darauf. Er brauchte einfach mal jemandem, dem er von dem gestrigen Horrorabend erzählen konnte. Plötzlich wurden ihm von hinten die Augen zugehalten. „Rate wer ich bin!“, ertönte eine weibliche Stimme. Vor Schreck hätte Soichi beinahe das Reagenzglas fallen lassen. Schnell legte er es hin, dann fasste er nach einer Hand und zog Akiko vor sich. „Sag mal bist du noch zu retten? Willst du das ganze Experiment zerstören?“, fuhr er sie an. Akiko senkte den Kopf. „Entschuldige, ich hab nicht nachgedacht. Ich hab mich einfach so gefreut, dich wieder zu sehen.“ „Das hab ich gemerkt.“, murmelte Soichi. „Ich weiß, lass es mich wieder gutmachen!“ Bevor Soichi reagieren konnte, hatte sie die Arme um seinen Hals geschlungen und küsste ihn. Ein Scheppern ließ sie wieder auseinander fahren. Mit einer schrecklichen Befürchtung drehte Soichi sich langsam um. Tatsächlich stand Morinaga in der Tür und sah sie fassungslos an. „W…was…?“ „Oh, hallo, arbeiten Sie hier zusammen mit meinem Verlobten?“, fragte Akiko, während sie sich bei Soichi einhakte. Soichi sah mit Schrecken den Schmerz und die Enttäuschung in Morinagas Augen. Es war, als könnte er sehen, wie dessen Herz zerbrach. Für einen Moment sah es aus, als kämen Morinaga die Tränen, aber er riss sich zusammen. „Ja, das tue ich.“, antwortete er und verbeugte sich leicht. „Ich bin Tetsuhiro Morinaga.“ Er sah Soichi in die Augen und lächelte aufrichtig. „Ich freue mich für dich, Senpai, und ich wünsche dir alles Gute!“ Er schluckte, als sein Blick auf die verschlungenen Arme fiel. „Ich…ich will nicht weiter stören.“ Damit drehte er sich um und rannte los. Soichi war vor Schreck noch immer wie erstarrt. Erst Akikos Worte rissen ihn wieder aus seiner Starre. „Der war aber seltsam!“ Er riss sich von ihr los. „Was fällt dir eigentlich ein, zu behaupten wir wären verlobt?“ Verwirrt sah sie ihn an. „Ja, aber…“ „Verschwinde und komm mir nicht mehr unter die Augen!“ Ohne sie weiter zu beachten lief er Morinaga nach. Sein Kopf war wie leergefegt, während er lief. Er konnte nur daran denken, dass er Morinaga einholen musste, um ihm alles zu erklären. Das war alles, was für ihn zählte. „Morinaga, bleib stehen!“ Der Jüngere ignorierte ihn. Er lief immer weiter, die Brücke entlang und dann runter auf den Weg, der am Flussufer entlang führte. Soichi bemerkte nur am Rande, dass sie in der Nähe seiner Wohnung waren, auf der Brücke auf der er wegen Passanten gedacht hatte, Morinaga habe sich umgebracht. Wie damals schnürte ihm die Sorge um den Jüngeren den Hals zu. Dieser stolperte hin und wieder und war schon mehrfach fast von einem Auto gestreift worden. Erschrocken sah er, wie er plötzlich zu nah an den Rand des Weges trat und im nächsten Moment die gemauerte Böschung hinunterrutschte. „Morinaga!“ So schnell er konnte, lief er zum Uferweg. Zu seiner Erleichterung war ganz in der Nähe eine Treppe, so dass er schnell an Morinagas Seite war. Morinaga war am Fuß der Böschung einfach liegen geblieben. Er schluchzte leise und zitterte. Soichi fühlte sich, als würde sein Herz von einer eiskalten Hand umschlossen, als er neben dem anderen niederkniete. „Morinaga, sieh mich bitte an!“ Er fasste nach Morinagas Schulter, aber dieser zuckte weg und versuchte sich etwas wegzubewegen. Soichi wollte das jedoch nicht zulassen. Bestimmt drehte er ihn herum. Als er das verweinte Gesicht sah, stockte er kurz, doch dann zog er ihn an sich. „Oh Gott, Morinaga, es tut mir so Leid. Du hast das falsch verstanden. Das ist nicht meine Verlobte!“, erklärte er. Erleichtert bemerkte er, dass Morinaga sich nicht mehr gegen ihn wehrte. Er zog ihn näher, so dass der praktisch in seinem Schoß saß und er sein Kinn auf Morinagas Kopf legen konnte. „Akiko ist die Tochter von dem Geschäftsfreund, der gestern zu Besuch war. Ich hab sie gestern zum ersten Mal gesehen und wenn’s nach mir geht, muss ich sie auch nie wieder sehen!“ Morinaga rang nach Luft. „E…es tut…tut mir L…Leid, dass ich…so überreag…giere. Ich s…sollte mich an den… Gedanken ge…gewöhnen, dass… dass du bald ein F…Freundin findest.“, brachte er zwischen Schluchzern heraus. Soichi strich ihm beruhigend durch Haar. „Shh, du musst dich nicht entschuldigen.“, sagte er sanft. Für einen Moment hielt er den Jüngeren einfach nur im Arm, fühlte wie dieser sich beruhigte und sein Zittern nachließ. Er spürte, wie er selbst ruhiger wurde, jetzt wo er Morinaga wieder sicher in seinen Armen wusste. Während er weiter wartete, dass Morinaga sich wieder unter Kontrolle hatte, dachte er an das, was gerade passiert war. Der Kuss war nicht anders gewesen, als andere Küsse mit irgendwelche Mädchen und Frauen. Trotzdem war er mehr als froh gewesen, dass der Kuss unterbrochen wurde. Es hatte sich einfach nur falsch angefühlt. Ohne es zu wollen kam ihm ein anderer Kuss ins Gedächtnis, ganz anders als die meisten Küsse, die er erlebt hatte, und doch…richtiger. Er schloss kurz die Augen, als er verstand. „Mach dir keine Gedanken um irgendwelche Freundinnen!“, meinte er. „Ich denke nicht, dass du das erleben wirst.“ „Warum denn nicht?“, fragte Morinaga leise. „Ich bin mir sicher, dass allein an unserer Uni einige Frauen gern mit dir ausgehen würden.“ Er klang etwas bitter. Den Blick auf den Fluss gerichtet antwortete Soichi ebenso leise: „Vielleicht, aber ich hab kein Interesse an denen. Jeder Kuss hat mich bis jetzt eher abgeschreckt – oder vielmehr fast jeder Kuss.“ Er atmete tief durch. „Aber einer könnte fast perfekt gewesen sein.“ Morinaga spannte sich wieder an. „Und wer ist die Glückliche?“, hauchte er, während ihm wieder die Tränen in die Augen stiegen. Behutsam fasste Soichi nach Morinagas Kinn und sorgte dafür, dass sie sich in die Augen sehen konnten. Statt etwas zu sagen lehnte er sich vor und küsste Morinaga leicht. Als sie sich wieder voneinander lösten, lächelte er leicht. „Hm, ich hatte Recht, er war fast perfekt. Und so ist er es.“, flüsterte er und küsste ihn erneut, diesmal länger. Morinaga war für einen Moment überrumpelt, aber dann schlang er die Arme um Soichi. „Bitte sag mir, dass das kein Traum ist!“, bat er, als sie sich wieder voneinander lösten. Flehend sah er Soichi an. „Bitte sag mir, dass du es ernst meinst!“ „Ich mache mich nicht lustig über dich oder so, das schwöre ich dir.“ Soichi seufzte. „Komm, gehen wir erst mal zu mir nach Hause. Da können wir in Ruhe reden, okay?“ Morinaga zögerte kurz, dann nickte er. „Okay.“ Er versuchte aufzustehen, sank aber sofort mit einem schmerzhaften Aufschrei wieder zu Boden. „Was ist los?“, fragte Soichi besorgt. Er legte eine Hand an Morinagas Wange. „Tetsuhiro?“ „Mein… mein Fuß.“, presste Morinaga hervor. „Okay, versuch noch mal aufzustehen, aber diesmal stütz dich auf mich!“ Vorsichtig half er Morinaga auf die Beine. Langsam machten sie sich auf den Weg zu Soichis Wohnung. Auf Soichis Klingeln hin öffnete ihnen Kanako die Tür. Erschrocken hielt sie inne, als sie sah, wie Morinaga sich auf Soichi stützen musste und wie verweint und schmerzverzerrt sein Gesicht war. „Was ist denn passiert?“, fragte sie besorgt. „Gleich, bring jetzt erst mal den Erste-Hilfe-Koffer in mein Zimmer!“, befahl Soichi, während er Morinaga in die Wohnung half. In seinem Zimmer setzte er den Jüngeren auf dem Bett ab. Beruhigend strich er ihm durchs Haar und übers Gesicht. „Geht’s?“ Morinaga nickte leicht. „Ich muss dir den Schuh ausziehen. Tut mir Leid, wenn es dir wehtut.“, sagte Soichi sanft. So vorsichtig wie möglich machte er sich daran, Morinaga von seinen Schuhen zu befreien. Behutsam tastete er über den rechten Fuß. „Soichi?“ Kanako stand mit den verlangten Sachen in der Tür und sah ihn aus großen Augen an. „Keine Angst, es ist nichts Schlimmes. In ein paar Tagen ist das wieder in Ordnung.“, beruhigte Soichi die beiden. „Kanako, rufst du bitte in der Uni an und sagst Bescheid, dass wir beide heute nicht mehr kommen?“ „Mach ich.“ Kanako sah zwischen den beiden hin und her. „Ich bin dann in meinem Zimmer, wenn irgendwas ist.“ Soichi trug eine Salbe auf und wickelte einen Verband um Morinagas Fuß. Dann setzte er sich wieder neben ihn und legte den Arm um ihn. „Besser?“ Morinaga nickte leicht gegen seine Schulter. „Du…hast gesagt, dass wir reden, wenn wir bei dir sind?“, sagte er zögerlich. Ohne sich dessen bewusst zu sein, begann Soichi Morinagas Arm auf und ab zu streichen. „Ich weiß nicht wirklich, wo ich anfangen soll. Du weißt, dass ich nicht gut bin mit Worten. Oder zumindest nicht, wenn es um so etwas geht. Ich meine es ernst, was ich gesagt habe: Küsse von Frauen fühlen sich für mich…langweilig oder sogar abschreckend an. Aber als wir uns das erste Mal geküsst haben, als wir beide nicht von irgendeinem Mittel beeinflusst waren, hat es sich… gut angefühlt. Nur…bin ich lieber in Kontrolle, als sie anderen zu überlassen.“ Er stockte kurz. „Ich kann dir noch nicht sagen, dass ich dich liebe. Bis vor ein paar Minuten wusste ich nicht mal, dass ich für dich mehr empfinden könnte als Freundschaft. Ich weiß nicht, ob ich es noch nicht sagen kann, weil es nicht stimmt oder weil ich einfach noch nicht bereit bin. Ich weiß aber, dass ich…deinen Traum gern wahr machen würde.“ Zögerlich sah er Morinaga ins Gesicht. Der Jüngere strahlte ihn an. „D…du meinst du könntest…du würdest…“ Er fiel Soichi um den Hals. „Ich liebe dich.“, flüsterte er. „Und mir ist es auch lieber, wenn du… in Kontrolle bist.“, ergänzte er mit einem schüchternen Lächeln. „Gut, dass wir uns da einig sind.“ Langsam lehnte Soichi sich zurück, bis sie beide auf dem Bett lagen. Er schlang beide Arme um Morinaga und lehnte seine Stirn an Morinagas. „Ruh dich aus, Tetsuhiro, ich bleib hier bei dir.“ Er küsste ihn liebevoll. Morinaga nickte leicht. Mit einem glücklichen Lächeln auf dem Gesicht war er schließlich eingeschlafen. Soichi betrachtete ihn nachdenklich. Er war überrascht, wie schnell sich sein Leben geändert hatte. Gestern noch hätte er jedem eine reingehauen, der gesagt hätte, er sei schwul, aber nun stellte er erstaunt fest, wie richtig es sich anfühlte, Morinaga so im Arm zu halten. Er wusste noch immer nicht sicher ob es Liebe war und er wollte Morinaga auf keinen Fall durch eine Lüge – auch wenn sie unabsichtlich wäre – verletzen. Allerdings fand er es von Minute zu Minute weniger unglaublich und abschreckend, mit Morinaga zusammen zu sein. Im Gegenteil, der Gedanke brachte ihn zum lächeln und gab ihm ein warmes Glücksgefühl. Vielleicht würde es gar nicht so schwer werden, Morinagas Traum zu verwirklichen. Er musste grinsen als er daran dachte, wie Tomoe und Kurokawa wohl auf die Neuigkeit reagieren würden. Er fragte sich, ob er Morinaga und Kanako überreden könnte, ihnen noch nichts zu erzählen, so dass er das Gesicht der beiden sehen konnte, wenn sie es ihnen sagten. Aber das hatte noch Zeit. Jetzt zählte erst einmal das hier und jetzt und das sah, mit Morinaga in seinen Armen, ziemlich gut aus. Glücklich schloss er die Augen. ENDE? Das war's erst mal. Ich hoffe es war nicht allzu schlecht. Wie gesagt, über Kommentare würd ich mich sehr freuen. Wenn Interesse besteht, will ich mich vielleicht an ner Fortsetzung versuchen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)